Im Anwendungsbereich des Haager Kindesentführungsübereinkommens vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II 206) ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts autonom und an den Zielen des Übereinkommens orientiert auszulegen. Für den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes kommt es daher auf die Länge seines Aufenthalts an einem Ort, auf seine bereits erworbenen Sprachkenntnisse und das Vorhandensein solcher Beziehungen an, die die Annahme einer sozialen Integration des betreffenden Kindes an seinem Aufenthaltsort rechtfertigten. Danach ist für Kinder, die ihr gesamtes Leben in Deutschland und nur kurze Zeit (hier: knapp drei Monate) in Australien verbracht haben, dort kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet.
Der ASt. (Vater) und die AGg. (Mutter) haben am 6.9.1994 in Deutschland geheiratet. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, nämlich C., und G. Die Kinder haben beide die deutsche und C. zusätzlich die amerikanische Staatsangehörigkeit. Der ASt. ist amerikanischer Staatsangehöriger, die AGg. ist Deutsche. Der Vater sowie die Stiefmutter des ASt. und weitere Verwandte leben in Australien. Dort hat auch der ASt. während seiner Kindheit neun Jahre gelebt. Die Kinder sind beide in Deutschland geboren und haben dort ununterbrochen bis zum Zeitpunkt der Ausreise der Familie Ende November 2004 gelebt. Sie wurden von ihrer Mutter als Hauptbetreuungsperson und ihrem Vater versorgt und zuweilen auch von den Großeltern und weiteren Verwandten mütterlicherseits betreut.
Ende 1996/Anfang 1997 beantragten die Parteien ein Visum für Australien. Zu einer Übersiedlung kam es nicht, nachdem die AGg. mit C. schwanger wurde und sich nicht zu einer Übersiedlung nach Australien entschließen konnte.
Im Februar 2004 stellten die Parteien einen Antrag auf Auswanderung nach Australien für die ganze Familie. Am 30.9.2004 erhielten die Parteien sowie die Kinder den Status von ständigen Einwohnern in Australien.
Nach ihrer Ankunft in Australien wohnten die Parteien mit ihren Kindern bei den Eltern des ASt. C. wurde im Dezember 2004 in einer Schule angemeldet, die sie ab Februar 2005 besuchen sollte. Sylvester 2004 erklärte die AGg. dem ASt., dass sie wegen der Regelung der Wohnungsangelegenheiten und der schulischen Belange von C. mit beiden Kindern nach Deutschland fliegen müsse. Der ASt. war hiermit nicht einverstanden, nahm den Pass von C. an sich und verhinderte auf diese Weise, dass das Kind mit nach Deutschland flog. Die AGg. reiste daraufhin am 1.1.2005 mit G. allein nach Deutschland und kehrte mit dieser am 21.1.2005 nach Australien zurück. Am 2.2.2005 besuchte C. erstmals dort die Grundschule.
Am 7.2.2005 flog die AGg. ohne Wissen des ASt. mit beiden Kindern nach Deutschland. Seitdem lebt sie erneut mit den Kindern in der zuvor von den Parteien bewohnten Wohnung in Deutschland.
Der ASt. ist der Auffassung, dass die AGg. die Kinder widerrechtlich nach Deutschland zurückgebracht und damit eine Kindesentführung im Sinne des HKiEntÜ begangen habe.
Das AG hat nach Anhörung der Eltern und der beiden Kinder sowie der für die Kinder bestellten Verfahrenspflegerin durch Beschluss vom 30.9.2005 den Antrag auf Rückführung zurückgewiesen, da die Kinder vor ihrer Rückkehr nach Deutschland am 7.2.2005 ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Australien, sondern in Deutschland gehabt hätten.
Gegen den am 6.10.2005 zugestellten Beschluss des AG wendet sich der ASt. mit der am 19.10.2005 beim OLG eingegangenen sofortigen Beschwerde.
[1]II. Die gemäß § 40 II 2 IntFamRVG fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
[2]Nach Art. 12 I des HKiEntÜ, das für Australien am 11.1987 und für Deutschland am 1.12.1990 in Kraft getreten ist (BGB11990 II 206), ordnet das zuständige Gericht die sofortige Rückgabe des Kindes an, wenn ein Kind gemäß Art. 3 HKiEntÜ widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden ist und bei Eingang des Antrags bei dem Gericht eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen verstrichen ist. Die Verbringung des Kindes gilt nach Art. 3 lit. a HKiEntÜ als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staats zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
[3]Die von dem ASt. begehrte Anordnung der sofortige Rückführung der Kinder nach Australien scheitert daran, dass die Kinder vor ihrer Rückkehr mit ihrer Mutter nach Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 3 lit. a und Art. 4 Satz 1 HKiEntÜ in Australien noch nicht begründet hatten.
[4]1. Der Begriff des ‚gewöhnlichen Aufenthalts’ wird in der Rechtsprechung der Vertragsstaaten des HKiEntÜ unterschiedlich ausgelegt:
[5]Von den deutschen Gerichten wird der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ganz überwiegend als faktisch und nicht als rechtlich geprägt verstanden. So versteht der BGH unter dem ‚gewöhnlichen Aufenthalt’ den Ort oder das Land, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Gefordert wird – kumulativ – sowohl ein Aufenthalt von einer nicht geringen Dauer als auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, aus denen sich der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person ableiten lässt. Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt nach dieser Auffassung dadurch, dass der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Beim minderjährigen Kind ist zusätzlich zu beachten, dass dessen gewöhnlicher Aufenthalt sich nicht vom Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ableitet, sondern selbständig zu ermitteln ist (vgl. dazu: BGH, FamRZ 1997, 1070 (IPRspr. 1997 Nr. 99); st. Rspr.). Dieser Auffassung haben sich die OLGe und AGe sowie die ganz überwiegende Literatur angeschlossen (vgl.: OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 955 f. (IPRspr. 2002 Nr. 107); OLG Hamm, FamRZ 2004, 723, 724 (IPRspr. 2003 Nr. 93); AG Saarbrücken, FamRZ 2002, 45, 46 (IPRspr. 2001 Nr. 96); Staudinger-Kropholler, BGB, 13. Aufl., Vorb zu Art. 19 EGBGB Rz. 128–139; Vomberg-Nehis, Rechtsfragen der internationalen Kindesentführung, 2002, 6; Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 606 ZPO Rz. 20; Palandt-Heldrich, BGB, 65. Aufl., Anh zu Art. 24 EGBGB Rz. 10, 67). Zur Dauer des Aufenthalts wird in Literatur und Rechtsprechung häufig angenommen, dass der Aufenthalt eines Minderjährigen nach Ablauf von etwa sechs Monaten zu einem gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Art. 3 lit. a und Art. 4 HKiEntÜ erstarke.
[6]Neben dieser ausschließlich faktisch geprägten Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts sieht die Rechtsprechung des BGH allerdings noch eine weitere Möglichkeit, einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Art. 3 lit. a und Art. 4 HKiEntÜ zu begründen: Lässt sich feststellen, dass die betroffene Person an dem neuen Ort dauerhaft bleiben und ihren Daseinsmittelpunkt haben wird, kann aufgrund dieser Prognose dort ihr neuer gewöhnlicher Aufenthalt angenommen werden, ohne dass hierzu bereits eine bestimmte Zeitspanne verstrichen sein muss. Insoweit ist aber zusätzlich auf entsprechende Umstände und Tatsachen abzustellen, die anzeigen, dass der Aufenthalt an dem neuen Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und sich zum neuen Daseinsmittelpunkt entwickeln wird (vgl. BGH, FamRZ 1981, 135, 136 (IPRspr. 1980 Nr. 94)).
[7]In Abweichung von diesem jedenfalls ganz überwiegend von faktischen Elementen geprägten Verständnis des gewöhnlichen Aufenthalts wird in einer Vielzahl von Entscheidungen aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis vorrangig auf den Willen abgestellt, den eine Person im Hinblick auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (settled intention). Bei dem Begriff der settled intention als dem Willen, den eine Person im Hinblick auf ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, handelt es sich nicht, wie bei den Merkmalen der dauernden und sozialen Integration, um ein objektives, sondern um ein subjektives Merkmal. So führt etwa der englische High Court of Justice hierzu aus:‚ ... All that is necessary is that the purpose of living ... has a sufficient degree of continiuty to be properly described als settled.’ (A v A [child abduction], [1993] 1 F.C.R. 841 A, High Court Farn D; zitiert nach: Ehrle, Anwendungsprobleme des HKiEntÜ in der Rechtsprechung, Diss. Konstanz, 2000, 13 m.w.N. zahlreicher Entscheidungen der Gerichte Australiens, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika). Während einige Gerichte insoweit durchaus auch die Dauer des Aufenthalts und andere faktische Momente zur Bejahung der Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts heranziehen, haben diese Gesichtspunkte nach Auffassung anderer Gerichte gänzlich unberücksichtigt zu bleiben; zu prüfen seien nur die von der betreffenden Person verfolgten Absichten im Hinblick auf ihren neuen Aufenthaltsort (vgl. Dickson v. Dickson [Ct. Of Session, I.H.], 1990 S.C.L.R. 703 B-C; Ponath v. Ponath, 829 F- Supp. 363, 367 [District Ct., Utah 1993], zitiert nach Ehrle 15).
[8]Nach der in der Rechtsprechung der Vertragsstaaten wohl überwiegend vertretenen und auch vom Senat geteilten Auffassung ist der Begriff des ‚gewöhnlichen Aufenthalts’ durch eine autonome und international einheitliche Auslegung dieses Begriffs zu gewinnen. Insoweit kann im Anwendungsbereich des HKiEntÜ nicht, jedenfalls nicht primär, auf die Regeln des autonomen nationalen Rechts zurückgegriffen werden (vgl. dazu aus der deutschen Rechtsprechung und Literatur: BGH, FamRZ 2002, 1182 f. (IPRspr. 2002 Nr. 100); Staudinger-Pirrung aaO Vorb zu Art. 19 EGBGB Rz. 647; Palandt-Heldrich aaO). Da das Ziel eines internationalen Übereinkommens wie des HKiEntÜ in der Schaffung einheitlichen Rechts in den Mitgliedstaaten im Rahmen seines Anwendungsbereichs besteht, ist dazu eine einheitliche (autonome) Interpretation und Anwendung der in dem Übereinkommen verwendeten Begriffe erforderlich. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um einen Begriff mit zentraler Funktion wie den des ‚gewöhnlichen Aufenthalts’ handelt, der sowohl bei der Bestimmung des sachlichen wie des persönlichen Anwendungsbereichs des HKiEntÜ eine wesentliche Rolle spielt (vgl. Ehrle 21).
[9]Das HKiEntÜ enthält keine Bestimmung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts. In dem Erläuternden Bericht zum HKiEntÜ von Prof. Perez-Vera heißt es insoweit unter Nr. 66:
[10]‚Die zweite zu untersuchende Frage betrifft die Wahl des Rechts, das über die ursprüngliche Gültigkeit des geltend gemachten Rechtstitels entscheidet. Hier soll zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nichts Näheres dargelegt werden; es handelt sich in der Tat um einen Begriff, welcher der Haager Konferenz geläufig ist, wo er als rein tatsächlicher Begriff verstanden wird, der sich insbesondere von demjenigen des Wohnsitzes unterscheidet. Im Übrigen ist die Wahl des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts als Kriterium logisch, das über die Rechtmäßigkeit der Situation entscheidet, die durch die Entführung verletzt worden ist.’ (Erläuternder Bericht Perez-Vera S. 48; der Erläuternde Bericht ist abgedruckt als Anlage zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum HKiEntÜ vom 4.10.1989, BT-Drucks. 11/5314 S. 38 ff.)
[11]Auch wenn der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Abkommen also nicht definiert ist, ist der Begriff gleichwohl auf völkerrechtlicher Ebene autonom und einheitlich zu bestimmen, so dass sich ein unmittelbarer Rückgriff auf nationale Wertungen verbietet (so auch: Staudinger, IPRax 2000, 194, 197 m.w.N.). Die Materialien zum HKiEntÜ stellen hier jedoch eine wertvolle Auslegungshilfe dar. In der bereits erwähnten Denkschrift von Perez-Vera wird unter der Überschrift ‚Allgemeine Grundzüge des Übereinkommens’ zu dem Zweck des Übereinkommens Folgendes ausgeführt:
[12]‚12. Erstens geht es in allen Fällen um das Verbringen eines Kindes aus seinem gewöhnlichen Lebensraum heraus, wo es sich in der Obhut einer natürlichen oder juristischen Person befand, die ihm gegenüber rechtmäßig ein Sorgerecht ausübte. Wohlgemerkt ist einer solchen Situation die Weigerung gleichzustellen, das Kind nach einem Auslandsaufenthalt, dem die das Sorgerecht ausübende Person zugestimmt hatte, in seine Umwelt wieder einzugliedern. In beiden Fällen ist das Ergebnis in der Tat gleich: Das Kind wurde aus der familiären und sozialen Umgebung gerissen, in der sich sein Leben abspielte. (Erläuternder Bericht Perez-Vera aaO S. 40)
[13]Zentraler Schutzzweck des Übereinkommens ist es also, Kinder davor zu schützen, dass sie aus ihrem gewöhnlichen Lebensraum herausgerissen werden und Schäden durch eine rechtswidrige Entwurzelung erleiden (vgl. auch Nr. 110 des Erläuternden Berichts Perez-Vera aaO S. 55). Eines der wesentlichen Ziele des HKiEntÜ ist es, den Status quo ante umgehend wieder herzustellen, damit eine Sorgerechtsentscheidung von den Gerichten des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts getroffen werden kann. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Gerichte dieses Staats wegen ihrer Sachnähe am besten in der Lage sind, sich von den sozialen Verhältnissen des Kindes ein Bild zu machen (vgl. hierzu und zum Folgenden: Holl, Funktion und Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts bei internationalen Kindesentführungen, Diss. Heidelberg, 2001, 118 ff.). Das Übereinkommen setzt voraus, dass das Kind im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts sozial integriert ist, was sich auch aus der Bestimmung des Art. 12 II HKiEntÜ entnehmen lässt. Der im HKiEntÜ verwendete Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist mithin durch eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts und das Vorhandensein solcher Beziehungen zur Umwelt charakterisiert, die die Annahme einer sozialen Integration der betreffenden Person an ihrem Aufenthaltsort rechtfertigen.
[14]Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass eine autonome und an den Zielen des HKiEntÜ orientierte Auslegung nicht auf normative Merkmale und nicht vorrangig auf übereinstimmend verfolgte Absichten, einen Aufenthalt an einem bestimmten Ort zu begründen, abzustellen hat. Vielmehr hat sie sich an einer faktischen Betrachtungsweise zu orientieren, bei der die physische Anwesenheit der betreffenden Person an einem bestimmten Ort und deren familiäre, berufliche und sonstige soziale Einbindung von wesentlicher Bedeutung sind. Im Gegensatz zu der Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts bereitet jedoch die Feststellung der sozialen Integration einer Person Probleme, weil sie in einer Vielzahl von Beziehungen zur Umwelt besteht. Ob eine Person an ihrem Aufenthaltsort sozial integriert ist oder nicht, lässt sich deshalb nur im Weg einer Gesamtschau der im konkreten Fall gegebenen Beziehungen zur Umwelt und der diese begründenden tatsächlichen Umstände klären. Als derartige Tatsachen, die die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts rechtfertigen können, kommen neben der Zeitdauer des Aufenthalts insbesondere auch die familiären, freundschaftlichen, beruflichen und schulischen Beziehungen in Betracht. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass entsprechend dem Schutzzweck des HKiEntÜ beim minderjährigen Kind sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht vom Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ableitet, sondern selbständig zu ermitteln ist (ebenso: BGH, FamRZ 1997, 1070 (IPRspr. 1997 Nr. 99) m.w.N.; OLG Hamm, FamRZ 1999, 948 (IPRspr. 1998 Nr. 109); Friedrich v. Friedrich, 983 F.2d 1396S 1401 [United States Ct. of Appeals 1993], zitiert nach Ehrle 12).
[15]Aus der Sicht des Kindes, dessen Schutz das HKiEntÜ maßgeblich bezweckt, stellt sich ein Aufenthalt an einem neuen Ort umso mehr als ‚gewöhnlich’ dar, je länger der Aufenthalt an diesem Ort andauert. Auch für Kinder gilt, dass die Wahrscheinlichkeit einer sozialen Integration umso größer ist, desto länger der Aufenthalt an einem bestimmten Ort andauert. Neben der Dauer des Aufenthalts sind eine Reihe weiterer Faktoren für die Annahme der sozialen Integration eines Kindes von Bedeutung. Zu erwähnen ist hier der Umfang der Kenntnisse der Sprache des Aufenthaltsorts, da die Sprache erheblichen Einfluss auf die Fähigkeit des Kindes hat, Beziehungen zu seiner Umwelt zu entwickeln. Bei kleineren Kindern, die aufgrund ihres Alters noch nicht oder jedenfalls noch wenig in der Lage sind, über das familiäre Umfeld hinausgehende Beziehungen zu entwickeln, ist außerdem der Umfang und die Intensität der Beziehungen der Kinder zu ihren Familienangehörigen von besonderer Bedeutung. Ein weiterer für die Feststellung der sozialen Integration wesentlicher Gesichtspunkt sind die bei einem regelmäßigen Schulbesuch entstehenden schulischen Beziehungen bzw. bei kleineren Kindern die bei einem regelmäßigen Besuch eines Kindergartens entstehenden Beziehungen (vgl. OLG Hamm, NJW 1992, 636, 637 (IPRspr. 1991 Nr. 118); OLG Hamm, FamRZ 1988, 1198, 1199 (IPRspr. 1988 Nr. 97)). Demgegenüber lassen sich keine Rückschlüsse aus einer erfolgten oder unterlassenen polizeilichen Meldung am neuen Aufenthaltsort oder aus der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person ziehen. Nicht abzustellen ist auch auf den bloßen, natürlichen Bleibewillen einer Person (sog. animus manendi). Gegen eine Berücksichtigung des natürlichen Bleibewillens spricht zudem, dass es immer wieder erhebliche Schwierigkeiten bereitet, seinen genauen Inhalt aus den im konkreten Fall gegebenen Umständen herzuleiten, zumal sowohl Kinder als auch Erwachsene von heute auf morgen ihren Willen, an einem bestimmten Aufenthaltsort dauerhaft zu verbleiben, revidieren können (ebenso: Holls 126 m.w.N.).
[16]Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der gewöhnliche Aufenthalt im Sinne der Art. 3 lit. a und Art. 4 HKiEntÜ durch eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie das Vorhandensein solcher Beziehungen zur Umwelt gekennzeichnet ist, die die Annahme einer sozialen Integration der betreffenden Person an ihrem Aufenthaltsort rechtfertigen. Ein rechtsgeschäftlicher oder ein natürlicher Bleibewille ist demgegenüber nicht erforderlich.
[17]2. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Gesichtspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kinder der Parteien in der Zeit ihres Aufenthalts einen gewöhnlichen Aufenthalt in Australien begründet haben:
[18]Entscheidend ist, auf objektive Merkmale, also auf die faktischen Beziehungen abzustellen, die die Annahme eines Aufenthalts von einer gewissen Dauer und Regelmäßigkeit und der sozialen Integration der betreffenden Person an ihrem Aufenthaltsort rechtfertigen. Insoweit spricht die Kürze des Aufenthalts der Kinder in Australien bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland erheblich gegen die Annahme einer erfolgten sozialen Integration. Beide Kinder haben seit ihrer Geburt bis zu ihrer Ankunft in Australien am 26.11.2004 ununterbrochen in Deutschland gelebt und sind im dortigen Sprach- und Kulturraum aufgewachsen. Bis zu ihrer Ausreise am 7.2.2005 lebten C. insgesamt zweieinhalb Monate und G. sogar nur ein und drei viertel Monate in Australien.
[19]Auch der Aufenthalt der Kinder in dem neuen familiären Umfeld in der aus dem Vater des Vaters und dessen Ehefrau bestehenden väterlichen Familie rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Hier ist zu berücksichtigen, dass beide Kinder den weitaus größten Teil ihres Lebens von ihrer Mutter als Hauptbetreuungsperson und von ihrem Vater sowie von ihren Großeltern und weiteren Verwandten mütterlicherseits versorgt und betreut wurden und damit an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland fest verwurzelt sind. Angesichts der sehr kurzen Dauer des Aufenthalts in Australien kann der mit der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden, derzufolge die Kinder zum Zeitpunkt der Rückreise nach Deutschland am 7.2.2005 bereits so weit in Australien integriert gewesen seien, dass von einem gewöhnliche Aufenthalt in Australien ausgegangen werden könne. Bestätigt wird diese Beurteilung noch durch die Tatsache, dass im Zeitpunkt der Rückreise nach Deutschland G. überhaupt nicht und C. nur über ganz rudimentäre Kenntnisse der Sprache des neuen Aufenthaltsorts verfügten – und diese Kenntnisse in der Kürze der Zeit naturgemäß auch nicht erwerben konnten.
[20]Auch der fünftägige Schulbesuch von C. in der [dortigen] Grundschule rechtfertigt nicht die Annahme einer sozialen Integration des Kindes in Westaustralien. Die Anmeldung C.s zum Schwimmunterricht führt zu keiner anderen Beurteilung.
[21]Als alternative Begründung für die Annahme eines neuen Aufenthalts der Kinder in Australien wird vom Vater vorgetragen, dass sich aus der Auswanderung die auf bestimmte Tatsachen gestützte begründete Prognose ergäbe, dass die Eltern und die Kinder an dem neuen Ort dauerhaft bleiben und ihren Daseinsmittelpunkt haben würden. Abzustellen ist insoweit, wie bereits erörtert und vom BGH zutreffend festgestellt, auf die Umstände und Tatsachen, die anzeigen, ob der Aufenthalt an dem neuen Ort auf eine längere Zeitdauer angelegt ist und sich zum neuen Daseinsmittelpunkt entwickeln wird (vgl. BGH, FamRZ 1981, 135, 136 (IPRspr. 1980 Nr. 94)). Zwar mag in bestimmten Einzelfällen eine solche Prognose sogar dann begründet sein, wenn nach der Veränderung des Aufenthaltsorts noch nicht eine bestimmte Zeitspanne verstrichen ist. In Auswanderungsfällen kommt dies nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht: Stammen z.B. beide Eltern aus einem bestimmten Land und haben auch die Kinder dort eine Zeit lang gewohnt oder haben sie aufgrund regelmäßiger Verwandtenbesuche bereits eine gewisse Bindung zu diesem Land, so kann auch bei einem weiteren Aufwachsen und einem längeren Verbleib der Kinder in einem anderen Land die gemeinschaftlich beschlossene und einverständlich und vollständig umgesetzte Auswanderung u.U. die Annahme rechtfertigen, dass diese Familie an dem Ort der Auswanderung dauerhaft bleiben und dort ihren Daseinsmittelpunkt haben werde, ohne dass in diesem besonderen Fall noch ein bestimmter Zeitraum verstreichen und weitere tatsächliche Umstände hinzutreten müssten, die die Annahme einer erfolgten Integration am neuen Aufenthaltsort rechtfertigen.
[22]Um eine solche Fallkonstellation handelt es sich in dem hierzu entscheidenden Fall jedoch nicht: Zwar hat der Vater insgesamt neun Jahre in Australien gelebt und ist dort bei seinem Vater aufgewachsen. Die Mutter und beide Kinder stammen jedoch nicht aus Australien und haben auch vor ihrer Ausreise am 26.11.2004 niemals zuvor australischen Boden betreten. Der Vater des Vaters hatte die Familie zwar zweimal in Deutschland besucht. Im Übrigen bestanden aber bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei gelebte familiäre Beziehungen zu der väterlichen Familie des Vaters in Australien. Hinzu kommt noch, dass die bisherige Wohnung der Parteien in Deutschland noch nicht vollständig aufgelöst worden war und die Mutter die Wohnung auch noch nicht gekündigt hatte. Darüber hinaus war C. in der Vorschule nicht etwa abgemeldet, sondern lediglich beurlaubt worden. Diese objektiven Umstände stehen im Übrigen auch der Annahme entgegen, dass die Eltern den Aufenthalt an dem neuen Ort in Westaustralien einverständlich sogleich auf eine längere Zeitdauer anlegen und diesen Aufenthaltsort ohne jegliche Phase des Einlebens sofort zum neuen Daseinsmittelpunkt entwickeln wollten. Hierfür spricht letztlich auch, dass der Vater sich an Sylvester 2004 veranlasst sah, den Pass C.s an sich zu nehmen und so zu verhindern, dass diese am 1 .1.2005 mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Deutschland flog. Dies deutet stark darauf hin, dass der ASt. selbst am Bleibewillen der AGg. zweifeite. Von einem gemeinsamen Bleibewillen der Parteien ist demgemäß ebenfalls nicht auszugehen.
[23]Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Kinder im Zeitpunkt der Rückreise nach Deutschland am 7.2.2005 einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 lit. a HKiEntÜ in Westaustralien noch nicht erworben hatten. Bei dieser Sachlage kommt eine Anwendung des HKiEntÜ nicht in Betracht, so dass das AG den Antrag auf Rückführung der Kinder zu Recht zurückgewiesen hat.