Nach Art. 8 I EuEheVO besteht für Verfahren um das Sorge- und Umgangsrecht eine primäre Zuständigkeit des Mitgliedstaats, in dem ein Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalts hat. Ein Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union und die dortige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts durch Integration des Kindes in die Schule oder Kindergarten lassen die einmal entstandene internationale Zuständigkeit nicht entfallen.
Die Kollisionsnormen des KSÜ bestimmen auch dann das maßgebende Recht, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus der vorrangigen EuEheVO ergibt. In diesem Fall gilt das Lex-fori-Prinzip einschränkungslos: Ist die Zuständigkeit eines Vertragsstaats begründet, wendet dieser sein eigenes Recht an. [LS der Redaktion]
Q. T. ist der gemeinsame Sohn der Beteiligten zu 1) und zu 2). Die Kindeseltern leben seit Juni 2015 getrennt. Q. T. lebt bei der Kindesmutter und wird von dieser gemeinsam mit der Tochter M. versorgt und betreut. Die Kindesmutter lehnt jeglichen Kontakt des nach ihren – vom Kindesvater bestrittenen – Angaben wiederholt gegen sie und Q. T. gewalttätigen Kindesvaters mit dem Sohn ab. Der Kindesvater hat eine gerichtliche Umgangsregelung begehrt und sich mit einem begleiteten Umgang sowie der Einrichtung einer Umgangspflegschaft einverstanden erklärt. Die Kindesmutter ist dem begehrten Umgang mit dem Bestreben nach Aussetzung des Umgangs für zunächst ein Jahr entgegengetreten. Die Verfahrensbeiständin hat empfohlen, einen Umgangspfleger zu bestellen und begleitete Umgangskontakte durchzuführen.
Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 20.5.2016 einen einmal wöchentlichen begleiteten Umgang sowie eine bis zum 31.12.2016 befristete Umgangspflegschaft angeordnet. Ein Umgangsausschluss sei als äußerste Maßnahme zur Abwendung einer konkreten, gegenwärtigen Gefährdung der körperlichen oder geistig-seelischen Entwicklung des Kindes nur zulässig, wenn keine anderen Mittel zu seinem Schutz verfügbar sind. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Kindesmutter mit ihrer Beschwerde.
[1]II. ... 2. Der Senat ist für das Verfahren international zuständig. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Ehe- und Kindschaftssachen ist innerhalb der EG geregelt durch die EuEheVO. Beispielhaft sind in Art. 1 II litt. a bis e EuEheVO u.a. Verfahren um das Sorgerecht und das Umgangsrecht aufgeführt. Nach Art. 8 I EuEheVO besteht eine primäre Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Hat das Kind im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt, so besteht die Aufenthaltszuständigkeit der deutschen Gerichte. Insoweit lässt ein Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat der EU und die dortige Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts durch Integration eines Kindes in die Schule oder Kindergarten nicht die einmal entstandene internationale Zuständigkeit entfallen (vgl. OLG München, Beschl. vom 26.7.2011 – 33 UF 874/11 (IPRspr 2011-250), zit. n. juris Rz. 18). Gemäß Art. 9 EuEheVO gilt für Umgangsverfahren eine Sonderregelung. Beim rechtmäßigen Umzug eines Kindes von einem Mitgliedstaat in einen anderen, durch den es dort einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt, verbleibt abweichend von Art. 8 die Zuständigkeit für eine Abänderung einer vor dem Umzug des Kindes in diesen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung über das Umgangsrecht während einer Dauer von drei Monaten nach dem Umzug bei den Gerichten des früheren gewöhnlichen Aufenthalts, wenn sich der umgangsberechtigte Elternteil weiterhin gewöhnlich in dem Mitgliedstaat des früheren gewöhnlichen Aufenthalts aufhält. Da der Wegzug der Kindesmutter mit Q. T. nach ... frühestens am 1.6.2016 erfolgte, die Beschwerde jedoch unter dem 23.6.2016 eingelegt worden ist, kann hier dahinstehen, ob Art. 9 EuEheVO überhaupt den Fall einer Anfechtung einer im Wegzugstaat ergangenen Entscheidung im Blick hat, oder ob mit Änderung allein ein neues Verfahren mit dem Ziel einer von der bisher getroffenen Umgangsregelung abweichenden Regelung gemeint ist (vergleiche OLG München aaO Rz. 20). Die Dreimonatsfrist des Art. 9 I EuEheVO ist hier jedenfalls eingehalten, so dass es bei der internationalen Zuständigkeit des deutschen Gerichts verbleibt.
[2]3. Entgegen der Ansicht der Kindesmutter ist das deutsche materielle Recht maßgebend. Das anzuwendende Recht bestimmt sich nach dem KSÜ. Die Kollisionsnormen des KSÜ bestimmen auch dann das maßgebende Recht, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus der vorrangigen EuEheVO ergibt. Nach Art. 15 I KSÜ gilt das Lex-fori-Prinzip: Ist die Zuständigkeit eines Vertragsstaats begründet, wendet dieser sein eigenes Recht an (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. vom 5.3.2016 – 18 UF 298/12 (IPRspr 2013-111), zit. n. juris Rz. 13). Ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus der EuEheVO (hier Art. 8, 9), vertritt der Senat mit der h.M. die Auffassung, dass das Lex-fori-Prinzip einschränkungslos anzuwenden ist (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 31. Aufl., Art. 8 EuEheVO Rz. 11 f.). Es findet daher kein Wechsel des materiellen Rechts im laufenden Verfahren statt.