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Verfahrensgang

KG, Beschl. vom 24.05.2017 – 16 UF 50/17, IPRspr 2017-166

Rechtsgebiete

Kindschaftsrecht → Kindesentführung

Leitsatz

Es steht der tatbestandlichen Verwirklichung des Art. 3 HKiEntÜ nicht entgegen, dass das widerrechtliche Zurückhalten eines Kindes in einem Staat (hier: Senegal) begonnen hat, der nicht an das HKiEntÜ gebunden ist. Das widerrechtliche Zurückhalten dauerte fort, bis die Kinder im Anschluss – ohne Wissen und Einverständnis des anderen Elternteils – in einen HKiEntÜ-Vertragsstaat (Deutschland) gebracht wurden.

Rechtsnormen

HKÜ Art. 3; HKÜ Art. 4; HKÜ Art. 12; HKÜ Art. 17

Sachverhalt

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 21.2.2017 hat das AG Pankow/Weißensee (FamG) den Antrag des Vaters auf Rückführung der Kinder nach Südafrika und Herausgabe der Kinder an ihn für den Fall der Nichtrückführung zurückgewiesen. Der Vater hat im März 2017 Beschwerde beim FamG eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

[Laut Hinweis des Senats vom 27.4.2017 ist nach Art. 12 I HKiEntÜ die Rückführung der Kinder nach Südafrika anzuordnen. Die Mutter hat die Kinder i.S.d. Art. 3 HKiEntÜ widerrechtlich zurückgehalten. Sie hat dadurch das dem Vater nach südafrikanischem Recht bestehende (Mit)sorgerecht verletzt. Die Kinder hatten vor dem tatbestandlichen Zurückhalten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Republik Südafrika, Art. 4 HKiEntÜ. Der Umstand, dass der Aufenthalt nur jeweils durch dreimonatige Touristenvisa legalisiert war, steht der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen. Ob nach der Trennung der Eltern infolge der Ausreise der Mutter mit den Kindern am 16.12.2014 nach D. /Senegal, wo diese ca. sechs Monate verblieben, der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder gewechselt hat, kann dahingestellt bleiben. Denn der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder in Südafrika wurde jedenfalls nach der Wiedereinreise der Kinder mit dem Vater am 17.8.2015 (erneut) begründet. Mehrere Indizien weisen auf eine Verfestigung der Integration der Eltern und der Kinder in J. hin (Einschulung von C. am 1.9.2015, Besuch der Vorschule durch A., Aufbau einer beruflichen Existenz des Vaters, Anmietung einer Wohnung der Mutter für ein Jahr bis zum 15.10.2016, E-Mail-Korrespondenz der Eltern. Die Mutter wusste bei ihrer Ausreise am 17.12.2015 auch, dass der Vater einem dauerhaften Wegzug nicht zustimmt. Es steht der tatbestandlichen Verwirklichung des Art. 3 HKiEntÜ nicht entgegen, dass das widerrechtliche Zurückhalten in einem Staat (Senegal) begonnen hat, der nicht an das HKiEntÜ gebunden ist, zumal es im Anschluss an die weitere Verbringung der Kinder nach Deutschland andauerte. Entgegen der Ansicht des FamG ist auch der personelle Anwendungsbereich des Art. 4 HKiEntÜ eröffnet, weil die Kinder unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechts des Vaters ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Südafrika und nicht im Senegal hatten. Ob die Mutter mit ihrem achtmonatigen Aufenthalt im Senegal vom 17.12.2015 bis zum 15.8.2016 einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder begründet hat, ist letztlich unerheblich. Der Senegal ist zwar kein HKiEntÜ-Vertragsstaat. Art. 4 HKiEntÜ knüpft aber allein an den Staat an, in dem die Kinder unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechts ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Das war der Vertragsstaat Südafrika. Auch die Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts nach dem widerrechtlichen Zurückhalten im Senegal stünde dem Rückgabeverlangen nach Art. 12 I HKiEntÜ nicht entgegen. Das widerrechtliche Zurückhalten dauert fort. Der Anknüpfungspunkt (Art. 4 HKiEntÜ: Verletzung des Sorgerechts) erfährt durch den erneuten Aufenthaltswechsel (Ausreise am 15.8.2016 vom Senegal nach Berlin) nur insofern eine Veränderung, als der neue Zufluchtsstaat Deutschland ein Vertragsstaat des HKiEntÜ ist, in dem der Vater seinen Anspruch aus Art. 12 HKiEntÜ durchsetzen kann.]

In ihrer Stellungnahme aus Mai 2017 zum vorstehenden Senatshinweis vertritt die Mutter die Auffassung, dass die Umstände in Zusammenhang mit ihrer Ausreise aus Südafrika im Dezember 2015 vergleichbar gewesen seien mit denjenigen ein Jahr zuvor im Dezember 2014, jedoch mit der Abweichung, dass weder sie noch die Kinder im Dezember 2015 einen gewöhnlichen Aufenthalt in Südafrika mehr gehabt hätten.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Beschwerde des Vaters ist auch begründet.

[2]Entgegen der Ansicht des FamG war die Rückführung der Kinder durch die Mutter nach Südafrika anzuordnen (Art. 12 I HKiEntÜ).

[3]Zur Begründung nimmt der Senat auf seinen rechtlichen Hinweis vom 27.4.2017 Bezug, an dem er auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Mutter festhält.

[4]Soweit die Mutter versucht, Parallelen zwischen ihrer Ausreise mit den Kindern aus Südafrika im Dezember 2014 und im Dezember 2015 aufzuzeigen, hilft ihr dies nicht weiter, eher im Gegenteil. Denn selbst nach ihrem eigenen Vorbringen erscheint es zweifelhaft, ob ihr längerer Aufenthalt mit den Kindern im Senegal nach der Trennung im Dezember 2014 von der Zustimmung des Vaters gedeckt war; nach dem Vorbringen des Vaters war dies ohnehin nicht der Fall (...). Nach der gemeinsamen Erklärung der Bet. vom 10.12.2014 durfte die Mutter die Republik Südafrika alleine mit den Kindern nur ‚für die Weihnachtsferien und Neujahr’ verlassen. Zudem hatte sie – vorsorglich – ein Hin- und Rückflugticket (...) erworben. Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder in D. in der Folgezeit – mit einem angegebenem Aufenthalt beim Onkel der Mutter (...) und unter Hinterlassung des Hausstands der Familie in J. – erscheint fraglich, kann aber dahingestellt bleiben, weil der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder in Südafrika, sofern er nicht ohnehin seit dem Jahre 2014 fortbestand, jedenfalls nach der Wiedereinreise der Kinder mit dem Vater am 17.8.2015 – aus den im Senatshinweis genannten Gründen – (erneut) begründet wurde. Soweit die Mutter behauptet, C. sei nur aufgrund einer Notlage im September 2015 in J. eingeschult worden und sie habe die Wohnung in J. nur zum Schein für ein Jahr angemietet, steht dies – wie im Senatshinweis vom 27.4.2017 im Einzelnen dargestellt – im Widerspruch zu der erstinstanzlich vom Vater eingereichten umfangreichen E-Mail-Korrespondenz der Eltern (...). Die Mutter war danach über die Einschulung C. in J. sehr glücklich (...) und wollte jedenfalls so lange in J. bleiben, bis das Scheidungsverfahren abgeschlossen und über das Sorgerecht entschieden ist (...). Von einer kurzfristigen Rückkehr in den Senegal war keine Rede. Hiergegen spricht auch eindeutig die längerfristige Anmietung der Wohnung am 5.10.2015, welche im Übrigen von der Mutter in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 12.12.2015 vor dem Obergericht J. als Wohnsitz angegeben wurde. Ein etwaiger innerer – nicht nach außen getretener – Vorbehalt der Mutter in Bezug auf eine alsbaldige Rückkehr mit den Kindern in den Senegal vermag an der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Südafrika nichts zu ändern (vgl. Senat, Beschl. vom 12.8.2013 – 16 UF 122/13 (IPRspr 2013-125), juris). Ebenso wenig der Umstand, dass der Vater über das von der Mutter im Senegal anhängig gemachte Scheidungsverfahren informiert war (...); im Übrigen war auch ein Scheidungsverfahren in Südafrika – vom Vater eingeleitet – anhängig, in dessen Rahmen der Mutter Scheidungsunterlagen (‚Parenting Plan’) am 9.12.2015 zugestellt wurden (...).

[5]Der Umstand, dass die Mutter und die Kinder keine Aufenthaltserlaubnis für Südafrika besitzen, steht der angeordneten Rückführung nicht entgegen. Sie können, wie dies stets problemlos in der Vergangenheit erfolgte, mit einem Touristenvisum nach Südafrika einreisen.

[6]Der Einwand des Verfahrensbeistands, dass die Frist des Art. 12 I HKiEntÜ überschritten sein dürfte, geht fehl. Denn die Kinder wurden, wie sich auch aus dem Senatshinweis vom 27.4.2017 (...) ergibt, ab dem 3.1.2016 und nicht bereits ab dem 2.1.2016 von der Mutter widerrechtlich zurückgehalten. Der Rückführungsantrag des Vaters ging am 2.1.2017 beim FamG ein, so dass die Jahresfrist nicht überschritten wurde.

Fundstellen

Bericht

Niethammer-Jürgens/Wölfer, FamRB, 2017, 333, mit Anm.

nur Leitsatz

FamRZ, 2018, 39

Aufsatz

Siehr, IPRax, 2018, 498, u. 529

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2017-166

Lizenz

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