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Verfahrensgang

OLG Schleswig, Urt. vom 07.07.2016 – 5 U 84/15, IPRspr 2016-243
BGH, Urt. vom 19.12.2017 – XI ZR 796/16, IPRspr 2017-80

Rechtsgebiete

Handels- und Transportrecht → Wertpapierrecht

Leitsatz

Zum Grundsatz der Staatenimmunität, wenn die Klage auf Rückzahlungsansprüche aus Staatsanleihen gestützt ist, die infolge der nachträglich durch Gesetz eingeführten Allgemeinverbindlichkeitserklärung einer Gläubigerentscheidung gegen andere Staatsanleihen ausgetauscht worden sind.

Rechtsnormen

BGB § 280
EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 15 f.
GG Art. 25

Sachverhalt

[Das vorgehende Urteil des OLG Schleswig vom 7.7.2016 – 5 U 84/15 – wurde bereits im Band IPRspr. 2016 unter der Nr. 243 abgedruckt; zum SV siehe im Einzelnen dort.]


Die Kl. machen Zahlungsansprüche aus von Griechenland emittierten Staatsanleihen geltend, die im März 2012 eingezogen und durch neue Anleihen mit einem niedrigeren Nennwert ersetzt wurden – geregelt durch das griechische Gesetz Nr. 4050/2012 – Regeln zur Änderung von Wertpapieren, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleihengläubiger – vom 23.2.2012 (FEK A 36/23.2.2012) sowie Beschluss des griech. Ministerrats. Die Kl. begehren Zahlung des für den Erwerb der Anleihen investierten Kapitals abzgl. vereinnahmter Zahlungen, Zug um Zug gegen Abtretung der im März 2012 eingebuchten Anleihen, und Ersatz entgangenen Gewinns aus einer alternativen Festzinsanlage.

Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da der Klage der Grundsatz der Staatenimmunität entgegenstehe. Auf die Frage der internationalen Zuständigkeit komme es somit nicht an. Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kl. ihr Zahlungsbegehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

[9] Die Revision hat keinen Erfolg ...

II. ... [14] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Grundsatz der Staatenimmunität der Klage insgesamt entgegensteht.

[15] a) Die Frage, ob die deutsche Gerichtsbarkeit nach den Grundsätzen der Staatenimmunität eröffnet ist, ist von Amts wegen (BVerfGE 46, 342, 359 (IPRspr. 1977 Nr. 117); BGH, Urteile vom 9.7.2009 – III ZR 46/08 (IPRspr. 2009 Nr. 160), BGHZ 182, 10 Rz. 20 m.w.N., vom 8.3.2016 – VI ZR 516/14 (IPRspr 2016-239), BGHZ 209, 191 Rz. 11 und vom 24.3.2016 – VII ZR 150/15 (IPRspr 2016-236b), BGHZ 209, 290 Rz. 16) und vor Ermittlung der internationalen Zuständigkeit (BGH, Urt. vom 8.3.2016, aaO, und Beschl. vom 26.11.2015 – III ZR 26/15 (IPRspr 2015-190), juris Rz. 3; Stürner, IPRax 2008, 197, 203 m.w.N.; Wagner, RIW 2014, 260, 261) zu prüfen.

[16] b) Soweit im Völkerrecht in einem allgemeinen Sinne von Staatenimmunität die Rede ist, bezieht sich diese auf den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz, dass ein Staat nicht fremdstaatlicher nationaler Gerichtsbarkeit unterworfen ist. Allerdings hat das Recht der allgemeinen Staatenimmunität, nicht zuletzt wegen des zunehmend kommerziellen grenzüberschreitenden Tätigwerdens staatlicher Stellen, einen Wandel von einem absoluten zu einem nur mehr relativen Recht durchlaufen. Es ist keine allgemeine Regel des Völkerrechts mehr, dass ein Staat Immunität auch für nicht-hoheitliches Handeln (acta iure gestionis) genießt (vgl. BVerfGE 16, 27, 33 ff. (IPRspr. 1962–1963 Nr. 171); 117, 141, 152 f. (IPRspr 2006-106); BVerfG, NJW 2014, 1723 Rz. 19 (IPRspr 2014-154c); BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO Rz. 12). Staatenimmunität besteht aber nach dem als Bundesrecht i.S.v. Art. 25 GG geltenden allgemeinen Völkergewohnheitsrecht auch heute noch weitgehend uneingeschränkt für solche Akte, die hoheitliches Handeln eines Staats darstellen (acta iure imperii), soweit der ausländische Staat auf sie nicht verzichtet. Andernfalls könnte die rechtliche Prüfung durch die Gerichte eine Beurteilung des hoheitlichen Handelns erfordern, was mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und dem daraus folgenden Rechtsprinzip, dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen, nicht vereinbar wäre (vgl. BVerfGE 117 aaO 152 f.; BVerfG, NJW 2014 aaO Rz. 19 f.; BGH, Urteile vom 26.9.1978 – VI ZR 267/76 (IPRspr. 1978 Nr. 133), WM 1979, 586 und vom 8.3.2016 aaO).

[17] Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nicht nach deren Motiv oder Zweck. [...] Maßgebend für die Unterscheidung ist vielmehr die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Es kommt darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt und damit öffentlich-rechtlich oder wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist (BVerfGE 16 aaO 61 f.; BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO Rz. 14 und Beschl. vom 30.1.2013 – III ZB 40/12 (IPRspr. 2013 Nr. 277), WM 2013, 1903 Rz. 11).

[18] Mangels völkerrechtlicher Unterscheidungsmerkmale ist die Abgrenzung nach dem Recht des entscheidenden Gerichts zu beurteilen (BVerfGE 16 aaO, 62; BVerfG, NJW 2014 aaO Rz. 21; BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO Rz. 15), hier also nach deutschem Recht ...

[19] c) Nach diesen Grundsätzen steht – wie das Berufungsgericht zutreffend und von der Revision unangegriffen angenommen hat – der Klage der Grundsatz der Staatenimmunität entgegen, soweit sie (hilfsweise) auf Schadensersatzansprüche wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung bzw. wegen rechtswidriger Enteignung oder enteignungsgleichen Eingriffs gestützt ist. Insoweit besteht das maßgebliche, potenziell haftungsbegründende Verhalten der Bekl. im Erlass des Gesetzes Nr. 4050/2012 sowie dem Beschluss des Ministerrats vom 9.3.2012, aufgrund derer die Mehrheitsentscheidung der Gläubiger über das Umtauschangebot allgemeinverbindlich wurde und bei denen es sich um hoheitliche Maßnahmen handelt, deren Rechtmäßigkeitskontrolle der Grundsatz der Staatenimmunität verhindern will (BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO Rz. 19 ff.).

[20] d) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen, dass der Klage der Grundsatz der Staatenimmunität auch insoweit entgegensteht, als sie auf vertragliche Rückzahlungsansprüche aus den urspr. erworbenen Staatsanleihen bzw. auf vertragliche Ersatzansprüche wegen deren Nichterfüllung gestützt ist (ebenso OLG München, Urt. vom 8.12.2016 – 14 U 4840/15 (IPRspr 2016-69), juris Rz. 145 ff.; OLG Oldenburg, Urt. vom 26.5.2017 – 6 U 1/17 (IPRspr 2017-237), Umdr. S. 11 ff.; OLG Dresden, Urt. vom 21.6.2017 – 5 U 1533/16, n.v. Umdr. S. 7; OLG Düsseldorf, Urt. vom 21.7.2017 – 16 U 85/16 (IPRspr 2017-245), Umdr. S. 21 ff.; OLG Köln, Urt. vom 1.9.2017 – 6 U 186/16 (IPRspr 2017-247), Umdr. S. 12 ff.; OLG Hamburg, Urt. vom 1.9.2017 – 1 U 145/16, n.v. Umdr. S. 8 ff.; KG, Urt. vom 11.9.2017 – 10 U 173/15, n.v. Umdr. S. 6 ff.; LG Konstanz, Urt. vom 19.11.2013 – 2 O 132/13, IPRspr. 2013 Nr. 172, S. 370, 372; LG Osnabrück, RIW 2016, 76, 77 ff. (IPRspr 2016-235a); LG Kempten, Urt. vom 16.11.2015 – 21 O 1342/14, BeckRS 2015, 116949 Rz. 16; LG Bonn, Urteile vom 19.10.2016 – 1 O 216/14 (IPRspr 2017-247), juris Rz. 130 ff. und vom 14.12.2016 – 1 O 317/13 (IPRspr 2016-244), juris Rz. 52 ff.; Reithmann-Martiny-Freitag, Int. Vertragsrecht, 8. Aufl., Rz. 6.657).

[21] aa) Zwar stellt die Kapitalaufnahme durch Emission von Staatsanleihen nach ganz überwiegender Ansicht ein nicht-hoheitliches Handeln dar (vgl. nur BVerfGE 117 aaO 153; BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO Rz. 17; OLG Oldenburg, WM 2016, 1878, 1880 (IPRspr 2016-235b); OLG Köln, WM 2016, 1590, 1594 m.w.N.; vgl. auch EuGH, Urt. vom 11.6.2015 – Stefan Fahnenbrock (C-226/13), Holger Priestoph (C-245/13), Matteo Antonio Priestoph (C-245/13), Pia Antonia Priestoph (C-245/13), Rudolf Reznicek (C-247/13), Hans-Jürgen Kickler (C-578/13), Walther Wöhlk (C-578/13), Zahnärztekammer Schleswig-Holstein Versorgungswerk (C-578/13), ZIP 2015, 1250 Rz. 53).

[22] Nach der o.a. Rspr. kommt es für die Frage der Immunität aber nicht auf die Rechtsnatur des Grundverhältnisses an, sondern auf die Natur der staatlichen Handlung, also die Rechtsnatur der Maßnahme, über deren Berechtigung die Parteien streiten (BGH, Urt. vom 8.3.2016 aaO) ...

[23] bb) Nach diesen Maßgaben ist für die Beurteilung der Immunität im vorliegenden Fall unabhängig von der rechtlichen Einkleidung der geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht die Rechtsnatur der Kapitalaufnahme durch Emission von Staatsanleihen, sondern die Rechtsnatur der hoheitlichen Maßnahmen der Bekl., die letztlich zur Ausbuchung der Anleihen aus den Wertpapierdepots der Kl. führten, maßgeblich (OLG München, Urt. vom 8.12.2016 aaO Rz. 146 ff.; LG Konstanz, Urt. vom 19.11.2013 aaO S. 372; LG Osnabrück, RIW 2016 aaO 77; LG Bonn, Urteile vom 19.10.2016 aaO Rz. 131 und vom 14.12.2016 aaO Rz. 53).

[24] (1) ... Denn bei den streitgegenständlichen Anleihen handelt es sich um (dematerialisierte) Wertpapiere, die griechischem Recht unterlagen, im System der griechischen Zentralbank geführt wurden und vor Eintritt ihrer Fälligkeit auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 4050/2012 und des Ministerratsbeschlusses vom 9.3. 2012 zunächst aus diesem System und in der Folge auch aus den Wertpapierdepots der Kl. ausgebucht wurden. Ferner ist in dem Gesetz Nr. 4050/2012 vorgesehen, dass die Einbuchung der neuen Anleihen im Girosystem zur Aufhebung aller Rechte und Verpflichtungen aus den alten Titeln führt.

[25] Angesichts dieser Umstände würde die Zuerkennung eines vertraglichen Erfüllungsanspruchs denknotwendig voraussetzen, dass das angerufene Gericht die Rechtswidrigkeit und eine daraus ggf. resultierende Nichtigkeit oder Unbeachtlichkeit des Gesetzes Nr. 4050/2012 und des Ministerratsbeschlusses vom 9.3.2012 feststellt (vgl. OLG München, Urt. vom 8.12.2016 aaO Rz. 149; LG Osnabrück, RIW 2016 aaO 78 f.; LG Wuppertal, Urt. vom 26. April 2016 – 5 O 218/14, n.v. Umdr. S. 20).

[26] Damit ist aber gerade eine Beurteilung des hoheitlichen Handelns der Bekl. erforderlich, die mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und dem daraus folgenden Rechtsprinzip, dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen, nicht vereinbar wäre (vgl. Nodoushani, WuB 2016, 481, 485) ...

[27] Noch deutlicher wird – worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist – dieser enge Zusammenhang mit dem unstreitig hoheitlichen Handeln der Bekl. durch Gesetz und Ministerratsbeschluss, soweit die Kl. einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung aus § 280 I BGB geltend machen. Denn insofern wird gerade das hoheitliche Handeln der Bekl. als maßgebliche, die Schadensersatzpflicht auslösende Pflichtverletzung gerügt.

[28] (2) Die Bekl. kann – entgegen der Ansicht der Revision (ebenso OLG Oldenburg, WM 2016 aaO 1880; OLG Köln, WM 2016 aaO; Mankowski, WuB 2017, 290, 293; M. J. Müller, RIW 2016, 80, 81) – auch nicht mit einem sonstigen Schuldner einer privaten Forderung gleichgesetzt werden ... Denn die Bekl. hat hier die zum Erlöschen ihrer Verbindlichkeit führenden Maßnahmen selbst in ihrer Eigenschaft als Hoheitsträger durch Parlamentsgesetz und Ministerratsbeschluss erlassen, während einem privaten Schuldner ein gesetzlicher Eingriff in vertragliche Verpflichtungen unmöglich ist (OLG Köln, Urt. vom 1.9.2017 aaO; LG Bonn, Urt. vom 19.10.2016 aaO Rz. 132; Thole, WM 2012, 1793, 1794) ...

[31] ee) Das Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit ergibt sich auch nicht aus Art. 10 I des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Gerichtsbarkeit vom 2.12.2004 (ILM 44 (2005), 801, 807), da dieses Übereinkommen bisher nicht in Kraft getreten und weder von Griechenland noch von Deutschland gezeichnet oder ratifiziert worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass die in diesem Artikel enthaltene Regelung, die überdies die Feststellung einer internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (vgl. YILC 1991 II (2) S. 34), die Immunität über die o.a. Rspr. hinaus einschränken würde und insoweit als Völkergewohnheitsrecht gälte (...), sind nicht ersichtlich (vgl. OLG Köln, Urt. vom 1.9.2017 aaO Umdr. S. 18) ...

[33] 2. Da die Klage somit schon deshalb unzulässig ist, weil die deutsche Gerichtsbarkeit nicht eröffnet ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Auffassung des Berufungsgerichts, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich weder aus Art. 15 I, 16 I EuGVO a.F. noch aus Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO a.F., rechtlicher Überprüfung standhält.

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 217, 153
DB, 2018, 1138
Europ. Leg. Forum, 2018, 43
IPRax, 2018, 401
MDR, 2018, 692
NJW, 2018, 854, m. Anm. Müller
RIW, 2018, 157
WM, 2018, 223
WuB, 2018, 185, m. Anm. Mankowski
ZIP, 2018, 244

Aufsatz

Hess, IPRax, 2018, 351

nur Leitsatz

ZBB, 2018, 133

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