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Verfahrensgang

OLG Köln, Urt. vom 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr 2011-215

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht

Leitsatz

Eine schriftlich geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 23 I 3 lit. a EuGVO ist gegeben, wenn jeweils eine von beiden Parteien handschriftlich unterzeichnete Willenserklärung vorliegt, wobei es nicht erforderlich ist, dass sich die Erklärungen in einer einheitlichen Vertragsurkunde befinden. Nicht ausreichend ist, wenn die Parteien ein Besprechungsprotokoll jeweils handschriftlich unterzeichnen, das selbst keine Gerichtsstandsvereinbarung enthält. Ein darin enthaltener Verweis auf eine Gerichtsstandsvereinbarung enthaltende Allgemeine Geschäftsbedingungen ist nur dann hinreichend konkret, wenn deutlich auf ein konkretes Schriftstück Bezug genommen wird und der Zugang der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beim Geschäftspartner feststeht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

CISG Art. 8; CISG Art. 9
EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 23
Rom I-VO 593/2008 Art. 3 f.

Sachverhalt

Die Kl., Herstellerin von Aluminiumprodukten mit Sitz in Deutschland, nimmt die Bekl., eine italienische Herstellerin von Isolier- und vorisolierten Paneelen sowie Luftkanalverkleidungen, aus Bestellungen und Warenlieferungen auf Zahlung in Anspruch. Die AGB der Kl. enthalten in Nr. 14 eine Klausel, wonach Erfüllungsort das im Vertrag als vertragsausführend bezeichnete Werk ist und Gerichtsstand Köln. Die Kl. verweist in ihren Auftragsbestätigungen auf ihre AGB, die auf der Rückseite abgedruckt sind. Die Parteien, die schon zuvor in laufender Geschäftsbeziehung standen, trafen zudem eine von beiden Seiten unterzeichnete Vereinbarung über die Abrechnung vergangener Lieferungen und die Fortdauer der Lieferbeziehung, welche u.a. den Passus „Supply conditions: as agreed in the past“ enthält.

Die Parteien streiten u.a. über die internationale Zuständigkeit des angerufenen LG Köln, welche das LG durch Zwischenurteil festgestellt hat. Hiergegen richtet sich die Berufung der Bekl.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. Die zulässige Berufung der Bekl. ist begründet. Die Klage vor dem LG Köln ist unzulässig, da die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht gegeben ist. Sie lässt sich weder aus einer wirksamen Vereinbarung über den Gerichtsstand oder Erfüllungsort noch aus den sonstigen Zuständigkeiten der EuGVO herleiten.

[2]1. Die Frage der internationalen Zuständigkeit richtet sich nach den Regelungen der EuGVO, da beide Parteien ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der EU haben. Es handelt sich um eine – grenzüberschreitende – Zivilsache im Sinne des Art. 2 EuGVO. Nach Art. 2 I EuGVO ist die Bekl., die ihren Sitz in Italien hat, grundsätzlich vor einem Gericht ihres Staats zu verklagen.

[3]2. Etwas anderes ergibt sich nicht aus Nr. 14 der Liefer- und Zahlungsbedingungen der Kl., in der es heißt: ‚Gerichtsstand ist Köln.’ Denn die Voraussetzungen des Art. 23 I EuGVO, der für den Fall einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung die nach Art. 2 I EuGVO begründete allgemeine Zuständigkeit ausschließt und in seinem Anwendungsbereich das nationale Recht verdrängt (vgl. OLG Celle, NJW-RR 2010, 136, 137 (IPRspr 2009-181)), sind nicht erfüllt.

[4]Nach Art. 23 I 3 EuGVO kann eine Gerichtsstandsvereinbarung nur geschlossen werden a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, b) in einer der Gepflogenheiten zwischen den Parteien entsprechenden Form oder c) einem für derartige Verträge geltenden Handelsbrauch, wenn er den Parteien bekannt ist.

[5]Entgegen der Ansicht des LG erfüllt die als ‚E GmbH’ bezeichnete Vereinbarung der Parteien vom 10.1.2008 die Anforderungen an eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 23 I 3 lit. a EuGVO nicht.

[6]Die Formerfordernisse des Art. 23 I 3 litt. a bis c EuGVO sind grundsätzlich eng auszulegen, da normalerweise den Regelungen in Art. 2 EuGVO sowie Art. 5 EuGVO der Vorrang gebühren soll (vgl. EuGH, Urt. vom 20.2.1997 – MSG: Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) ./. Les Gravières Rhénanes SARL, Rs C-106/95, Slg. 1997 I-00911, NJW 1997, 1431, 1432). Dies ist bei der Auslegung des Begriffs ‚schriftlich’ in Art. 23 I 3 lit. a EuGVO zu berücksichtigen (vgl. OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2284 (IPRspr 2009-169)). Schriftlich im Sinne der VO heißt, dass jeweils eine von beiden Parteien handschriftlich unterzeichnete Willenserklärung vorliegen muss, wobei es nicht erforderlich ist, dass sich die Erklärungen in einer einheitlichen Vertragsurkunde befinden (vgl. OLG Karlsruhe aaO).

[7]Zwar haben die Parteien die ‚E GmbH’ jeweils handschriftlich unterzeichnet. Das Besprechungsprotokoll enthält selbst indes keine Gerichtsstandsvereinbarung. Sie ergibt sich auch nicht hinreichend aus dem Verweis auf die ‚Supply conditions: as agreed in the past’ (frei übersetzt: Lieferbedingungen: wie in der Vergangenheit vereinbart).

[8]Grundsätzlich kann auch ein Verweis in einer schriftlichen Vereinbarung auf AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, ausreichen. Der Verweis im Besprechungsprotokoll bezeichnet aber die in Bezug genommenen AGB nicht hinreichend konkret. Die Bezugnahme auf AGB genügt den Anforderungen des Art. 23 EuGVO an eine Gerichtsstandsvereinbarung nur dann, wenn die Vereinbarung einen deutlichen Hinweis auf ein konkretes Schriftstück enthält und der Zugang der AGB beim Vertragspartner feststeht. Mittelbare oder stillschweigende Verweisungen auf vorangegangenen Schriftwechsel reichen nicht. Verweise genügen nur: ‚wenn der Hinweis ausdrücklich erfolgt ist, eine Partei ihm also bei Anwendung normaler Sorgfalt nachgehen kann’ (EuGH, Urt. vom 14.12.1975 – Estasis Saloti: Estasis Salotti di Colzani Aimo e Gianmario Colzani s.n.c. ./. Rüwa Polstereimaschinen GmbH, Rs C-24/75, Slg. 1976 01831, NJW 1977, 494; vgl. auch BayOblG NJW-RR 2002, 359 (IPRspr. 2001 Nr. 138); MünchKommZPO-Gottwald, 3. Aufl., Art. 23 EuGVVO Rz. 27; Musielak-Stadler, ZPO, 8. Aufl., Art. 23 EuGVVO Rz. 7).

[9]Dem genügt der Hinweis ‚Lieferbedingungen: wie in der Vergangenheit vereinbart’ nicht, da nicht ausdrücklich auf die Lieferbedingungen der Kl. verwiesen wird, sondern offen bleibt, welcher Art die in der Vergangenheit vereinbarten Lieferbedingungen waren. Im Besprechungsprotokoll ist von ‚supply conditions’ die Rede, während die Lieferscheine der Kl. auf ihre ‚general terms of sales and delivery’ ... bzw. ‚General Conditions of Delivery and Payments’ ... verweisen. Dem Besprechungsprotokoll lässt sich noch nicht einmal hinreichend entnehmen, dass es sich überhaupt auf ein gesondertes Klauselwerk bezieht und nicht lediglich auf die bisherige Handhabung Bezug nimmt.

[10]Auch eine in einer den Gepflogenheiten der Parteien entspr. Form getroffene Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 23 I 3 lit. b EuGVO lässt sich nicht feststellen. Der Hinweis in den Lieferscheinen der Kl. auf ihre AGB genügt auch hierfür nicht.

[11]Eine Gepflogenheit auf Einbeziehung von AGB kann entstanden sein, wenn eine laufende Geschäftsbeziehung aufgrund der AGB stattfindet. Dies setzt jedoch voraus, dass die Geltung der AGB in der Anfangsphase mindestens einmal ausdrücklich vereinbart worden ist und die Parteien sich in der Praxis nach ihnen gerichtet haben (vgl. OLG Hamm, NJOZ 2006, 520, 522 (IRPspr. 2005 Nr. 127)).

[12]Da Art. 23 EuGVO gewährleisten soll, dass die Einigung zwischen den Parteien zweifelsfrei feststeht, und sie somit vor überraschenden Gerichtsständen schützen soll (vgl. Musielak-Stadler aaO Rz. 6), genügt der laufende Abdruck von Gerichtsstandsvereinbarungen auf Rechnungen oder Auftragsbestätigungen nicht (Rauscher, IPR, 3. Aufl., Rz. 1809; BGH, NJW-RR 2004, 1292, 1293 (IPRspr 2004-94b); OLG Hamm aaO). Vielmehr muss feststehen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehung der Parteien Gegenstand einer Willensübereinstimmung geworden ist (vgl. OLG Hamm aaO). Denn Art. 23 I 3 lit. b EuGVO verzichtet nur auf die Schriftform, setzt aber ebenso wie lit. a eine rechtsgeschäftliche Willenseinigung der Parteien hins. der Gerichtsstandsklausel voraus (vgl. OLG Celle aaO). Eine solche Einigung kann angenommen werden, wenn die Parteien ihre Vertragsbeziehungen in Übereinstimmung mit den betreffenden Geschäftsbedingungen abgewickelt haben, also von beiden Parteien den AGB unterstellt worden sind (Rauscher aaO; ähnlich BGH, NJW-RR 1994, 1292 [?]). Auch das lässt sich aber nicht feststellen. Es fehlt hinreichender Vortrag dazu, dass das Vertragsverhältnis auf Grundlage der AGB der Kl. abgewickelt wurde. Die Bekl. hat dies bestritten, ohne dass die Kl. dem entgegengetreten ist. Erforderlich wäre Vortrag der Kl. dazu, dass der Vertrag in mindestens einem Punkt entspr. der insoweit vom CISG abweichenden Form ausgeführt wurde.

[13]Ein internationaler Handelsbrauch über den Gerichtsstand für derartige Geschäfte ist nicht ersichtlich, ebenso wenig ein Handelsbrauch dahin, dass in laufenden Geschäftsbeziehungen AGB durch Aufdruck auf den Lieferscheinen Vertragsinhalt werden.

[14]3. Die internationale Zuständigkeit des LG Köln ergibt sich auch nicht aus Art. 5 Nr. 1 EuGVO. Nach dieser Vorschrift ist für vertragliche Ansprüche auch das Gericht am Erfüllungsort zuständig.

[15]Sofern nichts anders vereinbart ist, ist Erfüllungsort der Ort, an den die Ware zu liefern war. Nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO ist der Erfüllungsort für Kaufverträge über bewegliche Sachen prozessrechtlich autonom danach zu bestimmen, an welchen Ort die Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen (vgl. BGH, NJW 2009, 2606 (IPRspr 2009-174); OLG Celle aaO). Das war – wie im Termin unstreitig – der Geschäftssitz der Bekl. in Italien. Die Kl. hat ihren Vortrag im Termin, wonach die Ware am Standort der Kl. abgeholt worden sei, unter Verweis auf die Klausel CIP Incoterms 2000 wieder zurückgenommen. Diese Klausel besagt nämlich, dass der Exporteur die Kosten des Transports zum Bestimmungsort und der Transportversicherung übernimmt. Der Begriff ‚ex works’ in den Lieferscheinen, auf den der Prozessbevollmächtigte der Kl. seinen Vortrag zunächst gestützt hatte, bezieht sich auf den Lieferzeitpunkt, wie der jeweilige Verweis auf die betreffende Kalenderwoche zeigt.

[16]Eine hiervon abweichende vorrangige (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 1518, 1520 (IPRspr 2005-109)) Vereinbarung über den Erfüllungsort haben die Parteien nicht getroffen. Zwar ist nach Nr. 14 der Liefer- und Zahlungsbedingungen der Kl. Erfüllungsort der Lieferung das Werk der Kl., welches im Vertrag als vertragsausführend bezeichnet ist. Auch verweisen die Lieferscheine auf das Werk der Kl. in H. Indes sind die AGB der Kl. nicht wirksam in die streitgegenständlichen Lieferverträge einbezogen.

[17]Auf das Vertragsverhältnis findet das CISG Anwendung, und zwar auch dann, wenn die Parteien die Geltung deutschen Rechts vereinbart haben sollten oder deutsches Recht nach Art. 3, 4 Rom-I-VO (bzw. der Vorgängernorm) Anwendung findet. Die Parteien des Liefervertrags haben ihren Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten. Die Regeln des IPR führen zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaats, wobei dahinstehen kann, ob dies das deutsche oder das italienische Recht ist. Eine eventuelle Rechtswahl auf deutsches Recht in den AGB der Kl. steht der Anwendbarkeit des CISG nicht entgegen. Sie führt nicht zur Anwendung des deutschen Kaufrechts, sondern zu dem nach deutschem Recht anwendbaren CISG (BGH, NJW 1997, 3309, 3310; 1999, 1259 (IPRspr. 1998 Nr. 36)), das als Bestandteil des deutschen Rechts und Spezialgesetz für den internationalen Warenkauf dem unvereinheitlichten deutschen Kaufrecht vorgeht. Dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, wird von den Parteien nicht geltend gemacht. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Parteien mit der Wahl des deutschen Rechts die Anwendung des CISG ausschließen wollten. Allein die Vereinbarung der Geltung des deutschen Rechts reicht hierfür nicht aus (Piltz, NJW 2009, 2258, 2260).

[18]Das CISG enthält keine eigenen Vorschriften über die Einbeziehung von AGB. Es gelten aber die Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen (Art. 8 CISG) und die Bedeutung von Handelsbräuchen und Gepflogenheiten (Art. 9 CISG; vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel, CISG, 5. Aufl., Art. 8 Rz. 52). Auch danach setzt die Einbeziehung von AGB grundsätzlich voraus, dass sie der anderen Vertragspartei zur Kenntnis gebracht werden und diese mit ihrer Geltung einverstanden ist.

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