Im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz findet die sogenannte Gründungstheorie nach geltendem Recht keine Anwendung. Die Rechtsfähigkeit einer in der Schweiz gegründeten Gesellschaft ist nach dem Recht des Orts zu beurteilen, an dem sie ihren Verwaltungssitz hat.
Eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz im Inland ist nicht als Aktiengesellschaft rechtsfähig. Sie ist vielmehr als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts zu behandeln.
[Vgl. in der Parallelsache das BGH-Versäumnisurteil gleichen Datums – II ZR 290/07. Der BGH kommt zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz; siehe hierzu auch: Urt. des OLG Hamm vom 26.5.2006 – 30 U 166/05, abgedruckt in IPRspr. 2006 Nr. 4 (LS).]
Die Kl. ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts. Sie verlangt von der Bekl. aufgrund einer Mietvertragskündigung Herausgabe eines Grundstücks, Zahlung der Miete und Erstattung von Anwaltskosten. Die Parteien streiten u.a. über die Rechts- und Parteifähigkeit der Kl.
[1]Die Revision der Bekl. ist begründet und führt – im Umfang der Beschwer der Bekl. – unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur vollständigen Abweisung der Klage. Auch zugunsten der Kl. hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen. Eine Beschränkung der Zulassung ergibt sich weder aus dem Tenor des Urteils noch mit hinreichender Sicherheit aus den Gründen. Die Revision der Kl. bleibt jedoch erfolglos.
[2]I. Die Klage ist zulässig. Dabei ist für das Verfahren über die Revision der Bekl. als richtig zu unterstellen, dass die Kl. – wie die Bekl. behauptet, das Berufungsgericht aber offengelassen hat – ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat.
[3]1. Die Kl. ist in Deutschland rechts- und parteifähig.
[4]a) Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob die Kl. ihren Verwaltungssitz in der Schweiz oder in Deutschland habe. In jedem Fall sei sie nach deutschem IPR rechtsfähig und damit auch parteifähig. Zwar gelte für sie nicht unmittelbar die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit, aus der sich ergebe, dass Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR berechtigt seien, ihren Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen, ohne deshalb nach dem Recht des Sitzstaats beurteilt zu werden. Die Schweiz sei aber hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit schweizerischer Gesellschaften wie ein Mitgliedstaat zu behandeln. Ihr Recht sei nämlich – u.a. durch mehrere sektorielle Abkommen – dem Recht der EU stark angenähert. Deshalb komme es auf den grundsätzlichen Streit über die Frage, ob die neuere Rechtsprechung zu den EU- und EWR-Gesellschaften auch auf Gesellschaften aus Drittstaaten auszudehnen sei, nicht an. Jedenfalls bezüglich der Schweiz sei es aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit gerechtfertigt, die für EU- und EWR-Gesellschaften geltenden Grundsätze anzuwenden.
[5]b) Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden.
[6]Im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz findet die sog. Gründungstheorie nach geltendem Recht keine Anwendung.
[7]aa) Es bestehen – anders als etwa im Verhältnis zu den Staaten der EU oder des EWR – keine völkerrechtlichen Verträge, nach denen eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz in Deutschland nach dem Recht ihres Gründungsstaats zu behandeln ist.
[8]Die Schweiz ist zwar Mitglied der EFTA, nicht aber Partei des von den übrigen EFTA-Staaten mit der EU geschlossenen EWR-Abkommens. Deshalb sind die Regeln über die Niederlassungsfreiheit in Art. 31, 24 des EWR-Abkommens auf Schweizer Gesellschaften ebenso wenig anwendbar wie die der Art. 43, 48 EG.
[9]Auch aus dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999 (ABl. Nr. L 114/ 6) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dieses Abkommen begründet für die Angehörigen der Vertragsstaaten Dienstleistungsfreiheit in dem jeweiligen anderen Vertragsstaat für die Dauer von 90 Arbeitstagen. Daraus ergibt sich keine – zeitlich begrenzte – Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften (Jung, NZG 2008, 681, 683, a.A. Beretta, GPR 2006, 95, 96), denn die Gesellschaften können von der Dienstleistungsfreiheit auch ohne Verlegung ihres Verwaltungssitzes Gebrauch machen. Im Übrigen hat die Kl. ihren Verwaltungssitz nach dem als richtig zu unterstellenden Vortrag der Bekl. dauerhaft in Deutschland.
[10]Eine Pflicht zur Anerkennung schweizerischer Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland lässt sich auch nicht aus dem GATS-Abkommen herleiten (MünchKomm-Kindler, 4. Aufl., IntGesR Rz. 481 f.; a.A. Dauner-Lieb/Heidel/Hoffmann, AnwaltKomm BGB, 2005, Anh Art. 12 EGBGB Rz. 146 ff.). Dieses Übereinkommen, das allein eine Förderung des Handels mit Dienstleistungen bezweckt, richtet sich nur an die Mitgliedstaaten und begründet keine subjektiven Rechte der Angehörigen dieser Staaten. Eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des nationalen Rechts (vgl. BVerfG, NJW 1982, 507, 510 [Eurocontrol I] (IPRspr. 1981 vor Nr. 146) und 512, 514 [Eurocontrol II] (IPRspr. 1981 vor Nr. 146)) im Sinne einer Gewährleistung auch der Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften scheitert bereits daran, dass das Übereinkommen international nicht so verstanden wird (Lehmann, RIW 2004, 816 ff.; Jung, NZG 2008, 681, 683).
[11]Auch aus Art. 6 I, 14 EMRK i.V.m. Art. 1 I, 5 des ersten Zusatzprotokolls vom 20.3.1953 (BGBl. 1956 II 1879) ergibt sich keine Pflicht Deutschlands, schweizerische Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland als rechtsfähig anzuerkennen (Großfeld/Boin, JZ 1993, 370 f.; Ebenroth/Auer, JZ 1993, 374 f.; a.A. Meilike, RIW 1992, 578; BB 1995, Beil. 9/8 ff.). Danach genießen juristische Personen zwar Grundrechtsschutz nach der EMRK. Dieser Schutz gilt aber nur für diejenigen juristischen Personen, die nach dem jeweiligen Kollisionsrecht anerkannt sind. Welche Regeln für die Anerkennung maßgebend sind, wird von der EMRK nicht vorgegeben, sondern den nationalen Rechtsordnungen überlassen.
[12]bb) Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Centros, Überseering und Inspire Art (ZIP 1999, 438; 2002, 2037; 2003, 1885) hat sich der BGH für diejenigen Auslandsgesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR oder in einem mit diesen aufgrund eines Staatsvertrags in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit gleichgestellten Staat gegründet worden sind, der sog. Gründungstheorie angeschlossen (BGHZ 154, 185 (IPRspr. 2003 Nr. 13); 164, 148 (IPRspr 2005-7); BGH, Urt. vom 14.3.2005 – II ZR 5/03 (IPRspr 2005-212), ZIP 2005, 805). Danach ist die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats zu beurteilen. Die Rechtsfähigkeit von Gesellschaften, die in einem ‚Drittstaat’ gegründet worden sind, der weder der EU angehört noch aufgrund von Verträgen hinsichtlich der Niederlassung gleichgestellt ist, hat die Rechtsprechung dagegen weiter nach der Sitztheorie beurteilt, wonach für die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft das Recht des Sitzstaats maßgeblich ist (BGHZ 153, 353, 355 (IPRspr. 2003 Nr. 10); BayObLG, DB 2003, 819 (IPRspr. 2003 Nr. 155); OLG Hamburg, ZIP 2007, 1108 (IPRspr 2007-17); offengelassen von BGH, Urt. vom 2.12.2004 – III ZR 358/03 (IPRspr 2004-17), Tz. 11, juris, insoweit in BGHZ 161, 224 n. abgedr.).
[13]Ob diese Beurteilung bezüglich der Gesellschaften aus Drittstaaten nach wie vor richtig ist, kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der Begründung offengelassen werden, jedenfalls im Verhältnis zur Schweiz sei von der Gründungstheorie auszugehen (dagegen auch Wachter, GmbHR 2005, 1484, 1485 und Weller, ZGR 2006, 748, 765). Auch wenn die Schweiz ihre Rechtsordnung dem Recht der EU-Mitgliedstaaten stark angeglichen haben mag, ist sie nicht Mitglied der EU und hat auch das EWR-Abkommen nicht ratifiziert. Das ist eine bewusste Entscheidung gegen die dort für die EWR-Mitgliedstaaten eröffnete europäische Niederlassungsfreiheit, die von den deutschen Gerichten nicht unbeachtet gelassen werden kann. Eine nur für die Schweiz geltende Ausnahme von den allgemeinen Regeln des deutschen IPR kommt zudem aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht. Auch bei anderen Staaten müsste dann jeweils geprüft werden, ob ihre Rechtsordnung so weit den europäischen Standards angeglichen sind, dass man sie wie einen EU-Mitgliedstaat behandeln kann. Bezüglich der Schweiz gelten daher die allgemeinen Regeln für die Rechtsfähigkeit ausländischer Gesellschaften, auf die nicht die Grundsätze der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit anwendbar sind.
[14]cc) Nach diesen allgemeinen Regeln des deutschen Privatrechts ist die Rechtsfähigkeit einer in der Schweiz gegründeten Gesellschaft nach dem Recht des Orts zu beurteilen, an dem sie ihren Verwaltungssitz hat (BGHZ 97, 269, 271) (IPRspr. 1986 Nr. 19). Eine in der Schweiz gegründete Aktiengesellschaft ist also nur dann in Deutschland rechtsfähig, wenn sie im deutschen Handelsregister eingetragen ist, was eine Neugründung voraussetzt. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Rechtsprechung grundsätzlich aufzugeben. Allerdings herrscht im Schrifttum Streit über die Frage, ob der Übergang von der ‚Gründungstheorie’ zur ‚Sitztheorie’ für Gesellschaften unter dem Regime der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit einen ebensolchen Schritt für Gesellschaften aus Drittstaaten rechtfertigt oder gar erfordert. Die dies befürwortenden Autoren berufen sich zur Begründung ihrer Meinung vor allem auf die Einheit des deutschen Kollisionsrechts und den durch die ‚Gründungstheorie’ ausgelösten Wettbewerb der internationalen Gesellschaftsformen (Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244; Ulmer-Habersack-Winter-Behrens, Großkommentar zum GmbHG, Bd. I, 2005, Einl. B Rz. 36; Eidenmüller-Rehm, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rz. 87; Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925, 930; Paefgen, WM 2003, 561, 570). Die Gegenmeinung sieht die Gründe für die ursprünglich umfassende Geltung der ‚Sitztheorie’ – Schutz der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter nach deutschen Standards, Verhinderung einer Flucht in Gesellschaftsrechte mit den geringsten Anforderungen (race to the bottom) – im Verhältnis zu den Drittstaaten als nach wie vor gegeben an und will deshalb ein ‚gespaltenes’ Kollisionsrecht in Kauf nehmen (Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 1 Rz. 32 f.; MünchKomm-Kindler aaO Rz. 433; Erman-Westermann-Hohloch, BGB, 12. Aufl., Anh II Art. 37 EGBGB Rz. 32; MünchKommAktG-Heider, 2. Aufl., Einl. Rz. 122 ff.; Reithmann-Martiny-Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 6. Aufl., Rz. 2284b; Wiedemann-Frey, GesR, 2002, II § 1 IV 2, 3; Palandt-Heldrich, BGB, 67. Aufl., Anh zu Art. 12 EGBGB Rz. 9; Bayer, BB 2003, 2357, 2363 f.; Ebke, JZ 2003, 927, 929 f.; Horn, NJW 2004, 893, 897; Wachter, GmbHR 2005, 1484, 1485; Weller, ZGR 2006, 748, 765).
[15]Der Gesetzgeber hat dazu bisher noch keine Regelung getroffen. Insbesondere enthält § 4a GmbHG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Verhinderung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 (BGBl. I 2026) keine Regelung über die Anerkennung ausländischer Gesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland (Kindler, AG 2007, 721, 725 f.). Wohl hat der Gesetzgeber – einer Empfehlung des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht folgend (abgedr. bei Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Heft 4 Beil. 1) – am 14.12.2007 einen Referentenentwurf eines Gesetzes zum IPR der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen vorgelegt. Darin schlägt er vor, die ‚Gründungstheorie’ im deutschen Recht zu kodifizieren (Art. 10 des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des IPR). Dieses Gesetzgebungsvorhaben ist indes noch nicht abgeschlossen. Gegen die generelle Geltung der ‚Gründungstheorie’ sind im politischen Meinungsbildungsprozess Bedenken geäußert worden. Angesichts dessen ist es schon vom Ansatz her nicht Sache des Senats, der Willensbildung des Gesetzgebers vorzugreifen und die bisherige Rechtsprechung zu ändern. Ein Bedürfnis für eine solche Entscheidung ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ersichtlich, weil die Kl. nicht daran gehindert wird, ihre Rechte vor deutschen Gerichten geltend zu machen.
[16]c) Zwar ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Verwaltungssitz im Inland nicht als Aktiengesellschaft rechtsfähig. Sie ist aber nach der Rechtsprechung des Senats als rechtsfähige Personengesellschaft deutschen Rechts zu behandeln, nämlich als offene Handelsgesellschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die keiner Eintragung in ein deutsches Register bedürfen (BGHZ 151, 204 (IPRspr. 2002 Nr. 18); krit. Binz, BB 2005, 2361, 2363 ff.). Wenn diese Gesellschaft in Deutschland am Geschäftsverkehr teilnimmt, wäre es nicht hinnehmbar, ihr nicht die Möglichkeit zu geben, Rechte zu begründen und klageweise geltend zu machen. Als Kehrseite davon haften die Gesellschafter zwar persönlich und unbeschränkt für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Die Rechtsfolgen dieser Haftung zu regeln, ist aber eine Frage des Innenrechts der betreffenden Gesellschaften. Entgegen der Auffassung der Revision ist diese Rechtsprechung nicht auf Gesellschaften mit Satzungssitz auf der Insel Jersey oder in ähnlichen zur EU gehörenden Gebieten mit einem Sonderstatus beschränkt.
[17]2. Die Kl. ist durch ihren Gesellschafter N. M. ordnungsgemäß vertreten.
[18]Die Vertretungsmacht bestimmt sich nach den Vorschriften über die Personengesellschaften deutschen Rechts. Dabei kann offen bleiben, ob die Kl. als offene Handelsgesellschaft oder als Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu behandeln ist. In beiden Fällen ist M. zur (Allein-)Vertretung der Kl. befugt. Das ergibt sich für die offene Handelsgesellschaft schon aus § 125 I HGB, wonach grundsätzlich jeder Gesellschafter zur (Allein-)Vertretung berechtigt ist (vgl. MünchKommHGB-K. Schmidt, 2. Aufl., § 125 Rz. 25). Darüber hinaus ist die Alleinvertretungsmacht des Gesellschafters M. in der Satzung der Kl. begründet. Darin ist bestimmt, dass M. – als alleiniger Verwaltungsrat – die Kl. vertritt. Das gilt auch, soweit die Gesellschaft nach deutschem Recht als Personengesellschaft zu beurteilen ist.
[19]II. Die somit zulässige Klage ist unbegründet.