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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 02.12.2004 – III ZR 358/03, IPRspr 2004-17

Rechtsgebiete

Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Unterhält eine im Ausland (hier: Panama) gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einem Drittstaat (hier: Niederlande), nach dessen Kollisionsrecht das Gesellschaftsstatut dem Recht des Gründungsstaats unterstellt wird, kommt für die Frage der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nach deutschem internationalem Privatrecht ebenfalls das Recht des Gründungsstaats zur Anwendung; dies gilt sowohl bei Anwendung der Gründungstheorie auf das deutsche internationale Gesellschaftsrecht, als auch dann, wenn die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft mit der Sitztheorie nach dem Recht des Staats ihres Verwaltungssitzes, und zwar nach Art. 4 I 1 EGBGB einschließlich dessen internationalen Privatrechts, zu beurteilen ist.

Nach niederländischem Kollisionsrecht richtet sich die Rechts- und Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften nach dem Recht des Gründungsstaats, auch soweit formal ausländische Gesellschaften, die ihre Tätigkeit vollständig oder nahezu vollständig in den Niederlanden ausüben und daneben keine tatsächliche Bindung an den Gründungsstaat haben, bestimmten Verpflichtungen – in Bezug auf ein haftendes Mindestkapital und eine Geschäftsführerhaftung – unterworfen werden.

Rechtsnormen

EGBGB Art. 4
EGV-Amsterdam Art. 43; EGV-Amsterdam Art. 48
HafenstaatkontrolleRL 95/21/EG Art. 11
Wfbv 1997 (Niederl.) Art. 1 ff.
ZPO § 545; ZPO § 560

Sachverhalt

Die Kl., eine nach dem Recht Panamas gegründete und im dortigen Handelsregister eingetragene „Sociedad Anónima“, war Reeder eines 1971 erbauten, unter der Flagge von Belize fahrenden Bulkcarriers. Sie macht gegen die See-Berufsgenossenschaft – Bekl. zu 1) – und die Bundesrepublik Deutschland – Bekl. zu 2) – Schadensersatzansprüche geltend, weil das Schiff in der Zeit vom 3.10.1997 bis zum 25.2.1998 im Hamburger Hafen festgehalten wurde.

Nach einer Hafenstaatkontrolle bei Ankunft des Schiffes hatte die Bekl. zu 1) eine Festhalteverfügung erlassen, die u.a. auf § 17 III der Schiffssicherheitsverordnung (SchSV) i.d.Bek. vom 3.9.1997 (BGBl. I 2217) gestützt wurde. Die Kl. wollte daraufhin das Schiff als Anhang eines Schleppzuges aus dem Hafen bringen, was die Bekl. zu 1) zunächst ablehnte und mit der Aufforderung verband, den Verschlusszustand des Schiffs herzustellen und es dann zur Verschrottung zu verschleppen. Dem anschließend geäußerten Wunsch der Kl., das Schiff nach Rotterdam zu schleppen, um es nach Entscheidung der dortigen Hafenbehörde zu verschrotten oder reparieren zu lassen, trat die Bekl. zu 1) mit der Auffassung entgegen, da in Hamburg ausreichende Reparaturmöglichkeiten bestünden, komme nach Art. 11 I der „Richtlinie 95/21/EG des Rates vom 19.6.1995 (ABl. 1995 Nr. L 157/1) zur Durchsetzung internationaler Normen für die Schiffssicherheit, die Verhütung von Verschmutzung und die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord von Schiffen, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern der Mitgliedstaaten fahren (Hafenstaatkontrolle)“ nur eine Schlepperlaubnis zur Verschrottung in Betracht; eine Genehmigung zur Verschleppung nach Rotterdam zur dortigen Durchführung von Reparaturarbeiten könne nicht erteilt werden. Die Kl. beantragte zunächst vor dem Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, ihr die Verschleppung des Schiffes nach Rotterdam zu gestatten. Die Bekl. zu 1) nahm daraufhin von ihrer bisherigen Auffassung Abstand, legte am 21.1.1998 die zur Vorbereitung erforderlichen Maßnahmen fest und erteilte nach deren Durchführung am 24.2.1998 die begehrte Erlaubnis. Das Schiff verließ Hamburg am 25.2.1998 im Schleppzug.

Die Kl., die das Festhalten des Schiffes in Hamburg für rechtswidrig angesehen hat, hatte beim LG keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klage teilweise, und zwar wegen einer Verzögerung der Freigabe um drei Wochen, gegen beide Bekl. entsprochen. Die Revision der Bekl. zu 2) hatte Erfolg, während die Revision der Bekl. zu 1) erfolglos blieb.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Unbegründet sind die Einwände der Revision gegen die Parteifähigkeit der Kl. und gegen die Zulässigkeit der Berufung, soweit diese sich gegen die Bekl. zu 2) richtet.

[2]1. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Kl. als im Handelsregister eingetragene ‚Sociedad Anónima’ nach den in Panama geltenden Vorschriften das Recht hat, zu klagen und verklagt zu werden, und dass dies auch dann gilt, wenn die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz außerhalb der Republik Panama hat. Unterstelle man den Vortrag der Bekl. als richtig, der Verwaltungssitz der Kl. befinde sich in den Niederlanden, ergebe sich nichts anderes. Das niederländische internationale Gesellschaftsrecht, welches von der Verweisung des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts nach der Regel des Art. 4 I 1 EGBGB mit umfasst sei, verweise nämlich auf das Recht von Panama weiter. Denn in den Niederlanden gelte im internationalen Gesellschaftsrecht die Gründungstheorie, nach der das Statut einer Gesellschaft dem Recht des Staats unterliege, nach dessen Recht die Gesellschaft gegründet worden sei.

[3]Das hält der auf die Anwendung deutschen Rechts beschränkten rechtlichen Überprüfung (§ 545 I ZPO) stand.

[4]a) Nach der bisherigen Rechtsprechung zum deutschen internationalen Gesellschaftsrecht beurteilt sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes (sog. Sitztheorie, vgl. BGHZ 97, 269, 271 m.w.N. (IPRspr. 1986 Nr. 19)). Eine starre Anwendung dieses Grundsatzes steht jedoch, wie der EuGH mit Urteil vom 5.11.2002 (Rs C-208/00 – Überseering) entschieden hat, mit der in Art. 43 und 48 EG gewährleisteten Niederlassungsfreiheit in Widerspruch, soweit sie darauf hinausläuft, die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat, mit der Folge in Frage zu stellen, dass sie sich nach dem Recht des Aufnahmestaats neu gründen muss. Der BGH hat im Anschluss an dieses Urteil des EuGH daher entschieden, dass eine Gesellschaft nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit dem Recht des Mitgliedstaats zu unterstellen ist, in dem sie gegründet worden ist und in dem sie weiterhin ihren satzungsmäßigen Sitz hat (vgl. BGHZ 154, 185, 190 (IPRspr. 2003 Nr. 13)).

[5]b) Die Frage, ob außerhalb dieses Rechtsraums an der herkömmlichen Sitztheorie festzuhalten ist oder ob dem Gründungsstatut auch bei der Gesellschaftsgründung in Drittstaaten höheres Gewicht zukommt, bedarf im hier zu beurteilenden Fall keiner abschließenden Beantwortung. Stellt man auf das Gründungsstatut der Kl. in Panama ab, ist nach den für das Revisionsverfahren maßgebenden Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 560 ZPO) davon auszugehen, dass die Kl. parteifähig ist. Wendet man die Sitztheorie an, ist die Rechts-und Parteifähigkeit der Kl. mit einem (unterstellten) Verwaltungssitz in den Niederlanden nach dem Recht dieses Staats, und zwar nach der Regel des Art. 4 I 1 EGBGB einschließlich dessen IPR, zu beurteilen. Verweist das Recht des Sitzstaats für das Gesellschaftsstatut auf das Recht des Gründungsstaats und folgt das Recht des Staats am tatsächlichen Verwaltungssitz der Gründungstheorie, kommt – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – grundsätzlich eine Weiterverweisung auf das Recht des Gründungsstaats in Betracht (vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1990, 2204, 2205 ( IPRspr. 1990 Nr. 21); MünchKomm-Kindler, 3. Aufl., Internat. Handels- und Gesellschaftsrecht Rz. 378 f.; Staudinger-Großfeld, BGB, 13. Bearb., Internat. Gesellschaftsrecht Rz. 108).

[6]Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts folgt das niederländische internationale Gesellschaftsrecht der Gründungstheorie und verweist damit für das Gesellschaftsstatut auf das Recht von Panama, nach dessen Recht die Kl. gegründet worden ist. Diese Auffassung, die in der Literatur geteilt wird (vgl. MünchKomm-Kindler Rz. 381; mit gewissen Einschränkungen Gotzen, Niederländisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., Rz. 842 f.; Staudinger-Großfeld Rz. 157) – auch die niederländische Regierung hat im Verfahren ‚Inspire Art’ vor dem EuGH diesen Grundsatz hervorgehoben (vgl. Urt. vom 30.9.2003 – Rs C-167/01, WM 2003, 2042, 2047 f. unter Rz. 77 f.) –, unterliegt nicht der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Verfahrensrügen wegen unzureichender Ermittlung des niederländischen Rechts vermag der Senat der Revisionsbegründung nicht zu entnehmen. Soweit die Revision unter Bezugnahme auf die angeführte Entscheidung des EuGH vom 30.9.2003 auf Art. 1 bis 5 der Wet op de formeel buitenlandse vennootschappen (Gesetz über formal ausländische Gesellschaften) vom 17.12.1997 verweist und diesen Bestimmungen eine nur eingeschränkte Geltung der Gründungstheorie entnehmen will, vermag dies die nach dem Recht von Panama bestehende Rechts-und Parteifähigkeit der Kl. nicht in Frage zu stellen. Aus den in den Rz. 22 bis 33 des Urteils des EuGH (aaO WM 2003, 2044) inhaltlich wiedergegebenen Bestimmungen ergibt sich zwar, dass formal ausländische Gesellschaften, die ihre Tätigkeit vollständig oder nahezu vollständig in den Niederlanden ausüben und daneben keine tatsächliche Bindung an den Staat haben, in dem das Recht gilt, nach dem sie gegründet wurden, zusätzlichen Verpflichtungen – auch in Bezug auf ein haftendes Mindestkapital und eine Geschäftsführerhaftung – unterliegen sollen. Die Rechts- und Parteifähigkeit der ausländischen Gesellschaften wird von diesen Bestimmungen jedoch nicht berührt.

Fundstellen

LS und Gründe

TranspR, 2005, 74
VRS, 2005, 108, 179

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-17

Lizenz

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