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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 14.03.2005 – II ZR 5/03, IPRspr 2005-212

Rechtsgebiete

Freiwillige Gerichtsbarkeit → Registersachen
Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Die Haftung des Geschäftsführers für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einer ausländischen Kapitalgesellschaft (hier: einer nach dem Companies Act 1985 in England gegründeten Private Limited Company) mit tatsächlichem Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich nach dem am Ort ihrer Gründung geltenden Recht.

Der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) steht entgegen, den Geschäftsführer einer solchen englischen Private Limited Company mit Verwaltungssitz in Deutschland wegen fehlender Eintragung in einem deutschen Handelsregister der persönlichen Handelndenhaftung analog § 11 II GmbHG für deren rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten zu unterwerfen.

Rechtsnormen

BGB §§ 823 ff.
EGV-Amsterdam Art. 43; EGV-Amsterdam Art. 46; EGV-Amsterdam Art. 48
GG Art. 2; GG Art. 20; GG Art. 103
GmbHG § 11
HGB §§ 13d ff.; HGB § 14
ZPO § 540
Zweigniederlassung 89/666/EWG Art. 12

Sachverhalt

Die Kl., die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von technischen Gasen befasst, stellte der U. Ltd. für vertraglich vereinbarte Gaslieferungen und Vermietung von Gasflaschen in den Jahren 2000 und 2001 einen – unstreitigen – Gesamtbetrag von 3 393,87 DM in Rechnung. Die U. Ltd., deren Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Bekl. ist, wurde schon vorher, am 11.2.2000, gemäß Companies Act 1985 im Companies House, Cardiff, als Private Limited Company mit eingetragenem (Haupt-)Sitz in L. registriert. Die gesamte Geschäftstätigkeit der Gesellschaft fand hingegen – von ihrem tatsächlichen Verwaltungssitz in G. aus – nur in Deutschland statt, ohne dass die Eintragung in ein deutsches Handelsregister erfolgt wäre. Die Rechnungen der Kl. blieben unbezahlt. Auf einen gegen die U. Ltd. gestellten Insolvenzantrag wurde durch Beschluss des AG H. vom 20.9.2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt.

Die Kl. nahm daraufhin wegen der unbeglichenen Rechnungen den Bekl. als für die U. Ltd. Handelnden persönlich in Anspruch und erwirkte gegen ihn einen Vollstreckungsbescheid des AG H. vom 16.7.2002. Auf den Einspruch des Bekl. hat das zuständige AG S. den Vollstreckungsbescheid – mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen – aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Berufung des Bekl. blieb erfolglos. Mit der vom LG zugelassenen Revision erstrebt der Bekl. weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Bekl. hafte wegen Fehlens einer Eintragung der U. Ltd. als GmbH in einem deutschen Handelsregister als handelnder Gesellschafter-Geschäftsführer analog § 11 II GmbHG persönlich für die in ihrem Namen begründeten Kaufpreis- und Mietzinsverbindlichkeiten gegenüber der Kl. Europarechtliche Normen stünden einer persönlichen Haftung des Bekl. nicht entgegen. Zwar verstoße es nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 5.11.2002 (ZIP 2002, 2037 – Überseering) gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG), wenn einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats wirksam gegründeten Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat, in den sie ihren Verwaltungssitz verlegt habe, die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen werde; jedoch rechtfertigten zwingende Gründe des Gemeinwohls Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Im Gläubigerinteresse sei durch Anwendung der Sitztheorie sicherzustellen, dass eine im Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland – wie hier die U. Ltd. – den deutschen Gründungsvorschriften unterworfen werde. Ihrer Umgehung müsse durch eine persönliche Haftung der für die Auslandsgesellschaft handelnden Personen analog § 11 II GmbHG begegnet werden.

[2]Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[3]II. 1. Das Berufungsurteil ist allerdings nicht bereits wegen Fehlens eines Tatbestands gemäß § 540 ZPO als eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben …

[4]2. Das Urteil des LG hat aber deshalb keinen Bestand, weil die Gleichsetzung der wirksam als Limited Liability Company gegründeten und damit nach englischem Recht rechtsfähigen U. Ltd. mit einer – mangels Eintragung in einem deutschen Handelsregister – nicht als GmbH existenten Gesellschaft (§ 11 I GmbHG) und die daraus abgeleitete persönliche Handelndenhaftung analog § 11 II GmbHG für die Verbindlichkeiten der U. Ltd. aus den von ihm selbst in deren Namen abgeschlossenen Kauf-und Mietverträgen mit der Kl. mit der in Art. 43 und 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar ist.

[5]a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat – unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes – in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (vgl. EuGH, Urt. vom 5.11.2002 – Rs C-208/00, ZIP 2002, 2037 [Überseering]; bestätigt durch EuGH, Urt. vom 30.9.2003 – Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 [Inspire Art]; vgl. auch BGHZ 154, 185, 189 (IPRspr. 2003 Nr. 13); ferner zur vergleichbaren Rechtslage beim deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag: BGHZ 153, 353, 356 f. (IPRspr. 2003 Nr. 10); Senat, Urt. vom 5.7. 2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1402 (IPRspr 2004-15) m.w.N.; BGH, Urt. vom 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 f. (IPRspr 2004-16)). Aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft folgt zugleich, dass deren Personalstatut auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist (vgl. BGHZ 154, 185, 189 (IPRspr. 2003 Nr. 13) – auch zur passiven Parteifähigkeit; BGH, Urt. vom 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 f. (IPRspr. 2002 Nr. 3); Senat, Urt. vom 5.7.2004 aaO 1403).

[6]Danach scheidet im vorliegenden Fall eine Haftung des Bekl. analog § 11 II GmbHG für die von ihm als Geschäftsführer namens der U. Ltd. rechtsgeschäftlich begründeten Verbindlichkeiten aus; nach dem für das Personalstatut dieser Private Limited Company (Kapitalgesellschaft) maßgeblichen englischen Recht haftet deren Geschäftsführer als Leitungsorgan – wie im deutschen GmbH-Recht – grundsätzlich nicht persönlich für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten.

[7]b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH ist es selbst unter Gläubigerschutzgesichtspunkten mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn das LG im vorliegenden Fall hinsichtlich der Frage einer Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers der U. Ltd. deren maßgebliches Personalstatut (ausnahmsweise) nicht an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht, sondern an das Recht ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes anknüpfen will.

[8]Zwar ist nach der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie u.a. der Schutz der Interessen der Gläubiger unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können (EuGH, ZIP 2002 aaO Tz. 92 – Überseering; EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 132 f. – Inspire Art). Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass eine Behinderung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch nationale Maßnahmen allenfalls unter vier engen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann: Die Maßnahmen müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 133 m.w.N. – Inspire Art). Danach stellt sogar die bewusste Ausnutzung unterschiedlicher Rechtssysteme für sich allein genommen noch keinen Missbrauch dar, auch wenn sie in der offenen Absicht erfolgt, die ‚größte Freiheit’ zu erzielen und mit einer ausländischen Briefkastengesellschaft die zwingenden inländischen Normativbestimmungen zu umgehen (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 96 f., 137 ff. m.w.N. – Inspire Art). Da die Bestimmungen über das Mindestkapital insoweit mit der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar sind, gilt zwangsläufig dasselbe für die Sanktionen, die an die Nichterfüllung der fraglichen Verpflichtungen geknüpft sind, d.h. die Anordnung einer persönlichen (gesamtschuldnerischen) Haftung der Geschäftsführer in dem Fall, dass das Kapital nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen Mindestbetrag erreicht oder während des Betriebs unter diesen sinkt. Folglich rechtfertigen weder Art. 46 EG noch der Gläubigerschutz die Bekämpfung der missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit oder die Erhaltung der Lauterkeit des Handelsverkehrs die Behinderung der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit, wie sie nationale Rechtsvorschriften über das Mindestkapital und eine persönliche (gesamtschuldnerische) Haftung der Geschäftsführer darstellen (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 142 – Inspire Art).

[9]c) Eine persönliche Haftung des Bekl. analog § 11 II GmbHG kann schließlich – entgegen der Ansicht der Kl. – auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Bekl. als Geschäftsführer es entgegen §§ 13d ff. HGB unterlassen hat, die ‚Zweigniederlassung’ der U. Ltd. zum Handelsregister anzumelden. Zwar verpflichtet Art. 12 der Elften Richtlinie 89/666 des Rates vom 21.12.1989 die Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den Fall anzudrohen, dass die erforderliche Offenlegung der Zweigniederlassungen im Aufnahmestaat unterbleibt. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten, denen zwar die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion nicht nur wirksam und abschreckend, sondern auch verhältnismäßig sein muss (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 62, 133 – Inspire Art). Schon danach bleibt festzustellen, dass die offenbar vom Berufungsgericht befürwortete Sanktion der persönlichen Haftung des Bekl. als Geschäftsführer wegen Nichterfüllung der Anmeldungspflicht weder gesetzlich vorgesehen ist noch etwa im Wege der Rechtsfortbildung in Betracht käme. Als zulässige Sanktion im Sinne der Elften Richtlinie des Rates sieht das deutsche Recht in § 14 HGB allein die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung der Anmeldepflicht pp. vor, nicht hingegen haftungsrechtliche Konsequenzen.

[10]III. ... Der Kl. ist auf ihre Gegenrüge hin unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) sowie eines fairen Verfahrens (Art. 2, 20 GG) Gelegenheit zu geben, in der wiedereröffneten Berufungsinstanz ihr Klagebegehren nunmehr auf – bislang nicht geltend gemachte – etwaige Haftungstatbestände des materiellen englischen Rechts oder des (deutschen) Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) zu stützen und hierzu weiteren Sachvortrag zu halten.

Fundstellen

nur Leitsatz

AuR, 2005, 276
NZI, 2005, Beil. zu Heft 10, 42*
NZI, 2006, Beil. zu Heft 4, 42

LS und Gründe

BB, 2005, 1016, mit Anm. Wand
DB, 2005, 1047, mit Anm. Ressos
DNotZ, 2005, 712
DStR, 2005, 839
DZWIR, 2005, 430
Europ. Leg. Forum, 2005, I-176, mit Anm. S.CS
GmbHR, 2005, 630
JZ, 2005, 848, mit Anm. Rehberg
MDR, 2005, 1000
NJW, 2005, 1648
NZG, 2005, 508
RIW, 2005, 542, mit Anm. Leible/Hoffmann
Rpfleger, 2005, 436
VersR, 2005, 1538
WM, 2005, 889
WuB, 2005, mit Anm. Magnus, II Q. § 11 GmbHG – Nr. 1.05
ZIP, 2005, 805
ZNotP, 2005, 267
EuZW, 2006, 61

Bericht

DNotI-Report, 2005, 87
IWB, 2005, 519
Hohloch, JuS, 2005, 844
ZGS, 2005, 206

Aufsatz

Lieder, DZWIR, 2005, 399 A
Paefgen, GmbHR, 2005, 957 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2005-212

Lizenz

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