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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 13.10.2004 – I ZR 245/01, IPRspr 2004-16

Rechtsgebiete

Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Die Bestimmung des Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages vom 29.10.1954 stellt eine staatsvertragliche Kollisionsnorm dar, der gemäß Art. 3 II 1 EGBGB der Vorrang vor den Regeln des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts zukommt. Danach richtet sich das Gesellschaftsstatut einer juristischen Person und damit auch deren Rechts- und Parteifähigkeit im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem die juristische Person gegründet wurde.

Soweit mit dem Begriff des „genuine link“ zur Anerkennung der Rechtspersönlichkeit einer US-amerikanischen Gesellschaft deren wirtschaftliche Anknüpfung an den Gründungsstaat zu fordern ist, genügt bereits eine auch nur geringe wirtschaftliche Tätigkeit im Gründungsstaat.

Rechtsnormen

EGBGB Art. 3
FrHSchV D-USA Art. XXV
GG Art. 100
PVÜ Art. 1; PVÜ Art. 2

Sachverhalt

Die Kl. nimmt die Bekl. wegen Verletzung ihres Firmenrechts durch Verwendung der Bezeichnung „GeDIOS“ für ein von der Bekl. vertriebenes Softwareprodukt u.a. auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Kl. ist eine am 16.6.1998 in San Francisco/Kalifornien gegründete Gesellschaft nach kalifornischem Recht. Ihr in S. bei Nürnberg wohnhafter Präsident ist Inhaber der am 5.6.1998 angemeldeten und am 26.8.1998 für „Software, Computersoftware, Software für Computer, Rechner und Computer oder rechnergestützte Systeme“ eingetragenen deutschen Marke Nr. 398 31 465 „GEDIOS“. Die Kl. ist aufgrund eines in englischer Sprache abgefassten, am 26.6.1998 in San Francisco von ihrem Präsidenten in dieser Eigenschaft und zugleich im eigenen Namen unterzeichneten Vertrags Lizenznehmerin dieser Marke. Das Zeichen „GEDIOS“ ist auch Bestandteil der Firma der Kl.

Die Bekl. ist Inhaberin der am 15.4.1999 angemeldeten und am 23.7.1999 eingetragenen Marke Nr. 399 22 179 „GeDIOS“, die in Klasse 35 (Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten) und Klasse 36 (Finanzwesen, Geldgeschäfte) Schutz genießt. Sie bot Sparkassen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg unter dieser Bezeichnung, die als Abkürzung für „Geld- und Devisenhandels-Informations- und Orderrouting-System“ steht, ein Informations- und Handelssystem für Geld- und Devisengeschäfte an. Mit Erklärung vom 29.8.2000 verpflichtete sich die Bekl. gegenüber dem Präsidenten der Kl., diese Bezeichnung für das System nicht mehr zu benutzen.

Die Bekl. ist der Klage u.a. damit entgegengetreten, die Kl. sei nicht wirksam errichtet worden und könne in der Bundesrepublik Deutschland nicht Trägerin von Rechten und Pflichten sein. Es handele sich bei ihr offensichtlich um eine Scheinauslandsgesellschaft.

Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kl. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Die Revision der Kl. hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage verneint, da die Kl. nicht parteifähig sei.

[2]\pagebreak Hierzu hat es ausgeführt:

[3]Nach deutschem IPR und Prozessrecht sei die Rechts- und Parteifähigkeit einer juristischen Person grundsätzlich nach dem Recht ihres Sitzes zu bestimmen. Eine Gesellschaft, deren tatsächlicher Verwaltungssitz in Deutschland liege, sei, wenn sie in kein deutsches Register eingetragen sei, selbst dann nicht rechts- und parteifähig, wenn sie im Ausland nach dem dortigen Recht wirksam gegründet worden sei. Entsprechend verhalte es sich im Streitfall. Der Verwaltungssitz der Kl. befinde sich in S., wo ihr Präsident, der bei ihr alle Organfunktionen wahrnehme, seinen Wohnsitz habe. Geschäftsführungsakte in den Vereinigten Staaten von Amerika fänden nicht statt. Die Kl. könne auch nicht nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. II 1956 487) – im Folgenden deutsch-amerikanischer Handelsvertrag – in Deutschland als rechts- und parteifähig anerkannt werden. Dies gelte selbst dann, wenn man diese Vertragsbestimmung als Kollisionsnorm des IPR ansehe und daher von dem Recht ausgehe, nach dem die Kl. gegründet worden sei. Denn auch solchenfalls seien tatsächliche effektive Beziehungen der Gesellschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika wie etwa das Vorhandensein US-amerikanischer Mitgesellschafter, eine organisatorische Präsenz in den Vereinigten Staaten von Amerika oder dortige geschäftliche Aktivitäten erforderlich, an denen es bei der Kl. fehle.

[4]II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen es nicht, die Parteifähigkeit der Kl. wegen fehlender tatsächlicher Beziehungen zu ihrem Gründungsstaat in den Vereinigten Staaten von Amerika zu verneinen.

[5]1. Die Bestimmung des Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Handelsvertrages stellt eine staatsvertragliche Kollisionsnorm dar, der gemäß Art. 3 II 1 EGBGB der Vorrang vor den Regeln des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts zukommt. Nach ihr gelten Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.

[6]a) Das Personalstatut (Gesellschaftsstatut) einer juristischen Person und damit auch deren Rechts- und Parteifähigkeit im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des Staats, in dem die juristische Person gegründet wurde (vgl. BGHZ 153, 353, 355 f (IPRspr. 2003 Nr. 10b).; BGH, Urt. vom 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359, 1360 (IPRspr. 2002 Nr. 3); Urt. vom 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549, 1550 (IPRspr 2004-15)). Eine in Übereinstimmung mit US-amerikanischen Vorschriften in den Vereinigten Staaten von Amerika wirksam gegründete, dort rechts- und parteifähige und noch bestehende Gesellschaft ist daher in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig unabhängig davon rechts- und parteifähig, wo sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befindet (vgl. BGHZ 153, 353, 355, 357 f (IPRspr. 2003 Nr. 10b).; BGH, ZIP 2004, 1549, 1550 (IPRspr 2004-15); MünchKomm-Kindler, 3. Aufl., IntGesR Rz. 245; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137, 2142).

[7]b) Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist sie nach kalifornischem Recht wirksam gegründet worden. Des Weiteren steht außer Streit, dass die Kl. in Kalifornien ihren satzungsmäßigen Sitz hat und dort auch rechtsfähig ist. Sie ist deshalb in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet worden ist (BGHZ 153, 353, 356 f. (IPRspr. 2003 Nr. 10b); 154, 185, 189 (IPRspr. 2003 Nr. 13)).

[8]2. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung (vgl. Art. 100 II GG), ob einer in den Vereinigten Staaten von Amerika gegründeten Gesellschaft in Deutschland die Anerkennung nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Handelsvertrags zu versagen ist, wenn sie zu den Vereinigten Staaten über das formale Band der Gründung hinaus über keine tatsächlichen, effektiven Beziehungen (‚genuine link’) verfügt und ihre geschäftlichen Aktivitäten allein in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1124, 1125 (IPRspr. 1994 Nr. 18); OLG Naumburg, Urt. vom 19.12.1995 - 7 U 146/95; MünchKomm-Kindler Rz. 250; ders. in BB 2003, 812; Ebenroth/Bippus aaO; Ebenroth/Kemner/Willburger, ZIP 1995, 972 ff.; Hohloch, JuS 1995, 1037, 1038; Bausback, DNotZ 1996, 254, 258; Mankowski, EWiR 2003, 661, 662; vgl. auch BGH, ZIP 2004, 1549, 1550 (IPRspr 2004-15) m.w.N.). Denn das fragliche Erfordernis eines ‚genuine link’ wird auch von seinen Befürwortern nicht dahin verstanden, dass der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft sich im Gründungsstaat befinden muss. Ausreichend ist vielmehr, dass die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten in den USA – nicht notwendig im Gründungsbundesstaat – entwickelt (vgl. BGH, ZIP 2004, 1549, 1550 (IPRspr 2004-15); MünchKomm-Kindler Rz. 245; Mankowski aaO; Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443).

[9]a) Bei den inhaltlichen Anforderungen an den ‚genuine link’ ist zu beachten, dass dieses Erfordernis Missbräuchen entgegenwirken soll und daher nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen zur Korrektur der staatsvertraglich festgelegten Anerkennung führen kann (vgl. MünchKomm-Kindler Rz. 253; Paefgen aaO). Es verlangt daher nicht, dass sich der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft im Gründungsstaat befindet (vgl. Mankowski aaO). Das ‚genuine link’-Erfordernis ist vielmehr regelmäßig bereits mit der Ausübung einer auch nur geringen wirtschaftlichen Tätigkeit im Gründungsstaat erfüllt (vgl. Ebenroth/Kemner/Willburger aaO 972, 975; Paefgen aaO). Dafür kann – was das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet hat – bereits eine geringe werbende Tätigkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika ausreichen. Eine solche ist im Streitfall gegeben.

[10]b) Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist zu entnehmen, dass die Kl. in den USA über einen Telefonanschluss verfügt, der eingehende Anrufe jedenfalls an einen Anrufbeantworter oder an einen Servicedienst weiterleitet. Die genannten technischen Einrichtungen sind ersichtlich darauf angelegt, wirtschaftliche Tätigkeit auch im US-amerikanischen Bereich zu entfalten. Es kommt hinzu, dass die Kl. nach ihrem von der Bekl. nicht substantiiert bestrittenen Vortrag in San Francisco unter Vereinbarung des amerikanischen Rechts einen Lizenzvertrag nicht nur über eine deutsche Marke, sondern auch über eine in den Vereinigten Staaten von Amerika geschützte Software für ein Datenbankenentwicklungstool abgeschlossen hat. Soweit das Berufungsgericht zur Verneinung wirtschaftlicher Aktivitäten der Kl. in den Vereinigten Staaten von Amerika im Übrigen auch den Vortrag der Kl. zu ihren Aktivitäten im Inland aufgegriffen hat, hat es unberücksichtigt gelassen, dass die Kl. diese Aktivitäten zur Begründung eines Firmenschutzes im Inland (Art. 1 II, 2 I PVÜ) vorgetragen hatte.

Fundstellen

LS und Gründe

BB, 2004, 2595, mit Anm. Elsing
DB, 2004, 2571
DStR, 2004, 2113
ZIP, 2004, 2230
CR, 2005, 175
DNotZ, 2005, 141, mit Anm. Thölke
GmbHR, 2005, 51
GRUR, 2005, 55
IPRax, 2005, 340
JZ, 2005, 298, mit Anm. Ebke
MDR, 2005, 560
NZG, 2005, 44
RIW, 2005, 147
RIW, 2005, 147
WRP, 2005, 104
ZNotP, 2005, 34

Bericht

DNotI-Report, 2005, 7
Hohloch, JuS, 2005, 653

nur Leitsatz

EWiR, 2005, 115, mit Anm. Sinewe
LMK, 2005, 48, mit Anm. Dörner

Aufsatz

Kleinert, GmbHR, 2005, 56 A
Stürner, IPRax, 2005, 305 A
Paal, RIW, 2005, 735 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-16

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