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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 05.07.2004 – II ZR 389/02, IPRspr 2004-15

Rechtsgebiete

Juristische Personen und Gesellschaften → Gesellschaftsstatut, insbesondere Rechts- und Parteifähigkeit

Leitsatz

Das Gesellschaftsstatut einer juristischen Person und damit die Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (hier: einer in Delaware/USA als „Inc.“ gegründeten Gesellschaft) richten sich gemäß Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich nach dem Recht des Staates, in dem die juristische Person gegründet wurde.

Soweit mit dem Begriff des „genuine link“ zur Anerkennung der Rechtspersönlichkeit einer US-amerikanischen Gesellschaft deren wirtschaftliche Anknüpfung an den Gründungsstaat zu fordern ist, genügt bereits eine auch nur geringe wirtschaftliche Tätigkeit im Gründungsstaat.

Rechtsnormen

EGV-Amsterdam Art. 43; EGV-Amsterdam Art. 48
FrHSchV D-USA Art. XXV
HGB § 1; HGB § 123; HGB § 128; HGB § 160

Sachverhalt

Der Kl. verlangt von dem Bekl. als Gesellschafter der S. Inc. die Herausgabe von Aktien, welche die S. Inc für den Kl. verwahrte.

Neben dem Bekl. war A. F. Gesellschafter der S. Inc., die ihren registrierten Sitz im Bundesstaat Delaware/USA und eine Repräsentanz in Deutschland unter der Adresse einer H. GmbH hat. Im September 1994 beauftragte der Kl. die S. Inc., für ihn Aktien in einem Depot der S. Inc. bei der Al. B. Inc., B./USA verwahren zu lassen. Anlässlich einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der S. Inc., die am 7.3.1995 in M. stattfand, wurde u.a. die Übernahme der Aktien des Kl. festgestellt. Mit Schreiben vom 12.4.1995 teilte A. F. dem Kl. mit, dass der Bekl. aus der S. Inc. ausgeschieden sei und deren neue Anschrift nunmehr „c/o A. F. ...“ laute. Unter dem 18.8.1996 unterzeichnete der Kl. eine ihm übersandte englischsprachige Erklärung, wonach er u.a. bestätigte, dass ihm im Zusammenhang mit der Tätigkeit der S. Inc. keine Ansprüche gegen den Bekl. oder gegen die H. GmbH zustünden. Im November 1996 verstarb A. F.

Die in erster Instanz abgewiesene Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Dagegen richtet sich die Revision des Bekl. mit Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

[2]I. Das Berufungsgericht meint, der rechtliche Status der als ‚S. Inc.’ bezeichneten Gesellschaft richte sich nach deutschem Recht, weil ihr tatsächlicher Verwaltungssitz sich in M. befunden habe. Da sie Bankgeschäfte und somit Handelsgeschäfte im Sinne von § 1 II Nr. 4 HGB a.F. betrieben habe, sei sie ungeachtet ihrer fehlenden Eintragung im deutschen Handelsregister als OHG anzusehen gewesen (§ 123 II HGB). Infolgedessen schulde der Bekl. gemäß § 128 HGB Rückgabe der von der Gesellschaft verwahrten Aktien. Auf eine Enthaftung entsprechend § 160 HGB könne sich der Bekl. nicht berufen, weil für den Kl. der Rechtscharakter der S. Inc. als OHG nicht erkennbar gewesen sei. Der vom Kl. unterzeichnete Anspruchsverzicht vom 18.8.1996 sei unbeachtlich, weil der Kl. über dessen Inhalt nicht aufgeklärt worden sei.

[3]II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

[4]1. Das Berufungsgericht übersieht schon in seinem kollisionsrechtlichen Ausgangspunkt den hier einschlägigen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. II 1956, 487). Nach Art. XXV Abs. 5 Satz 2 dieses Abkommens gelten Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils als solcher anerkannt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist somit im Geltungsbereich dieses Abkommens das Personalstatut einer Gesellschaft grundsätzlich nicht an das Recht ihres Verwaltungssitzes, sondern an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht anzuknüpfen (vgl. BGH, Urt. vom 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (IPRspr. 2003 Nr. 10b)). Das gilt sowohl hinsichtlich der Frage der Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft (BGH aaO) als auch in Bezug auf die ebenfalls nach dem Personalstatut zu entscheidende Frage einer Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. BGH, Urt. vom 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 f. (IPRspr. 2002 Nr. 3)) und folgt u.a. auch daraus, dass Art. VII des Abkommens ausdrücklich Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften jedes Vertragsteils im Gebiet des anderen Vertragsteils gewährt (vgl. BGHZ aaO 357 f.). Insofern gilt hier Ähnliches wie im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 und 48 EG (dazu EuGH, Urt. vom 5.11.2002 – Rs C-208/00 ‚Überseering’, ZIP 2002, 2037; vom 30.9.2003 – Rs C-167/01 ‚Inspire Art’, ZIP 2003, 1885 sowie BGH, Urt. vom 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (IPRspr. 2003 Nr. 13)): Die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft ist in einem anderen Vertragsstaat – unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes – in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (BGHZ 153, 353, 356 f.; 154, 185, 189).

[5]2. Ob für den Anwendungsbereich des deutsch-amerikanischen Vertrags etwas anderes dann gilt, wenn es sich um eine nur zur Umgehung der strengeren Vorschriften des deutschen Rechts in den USA gegründete ‚Briefkastenfirma’ handelt, die über keinerlei tatsächliche, effektive Beziehungen (einen so genannten ‚genuine link’) zum Gründungsstaat verfügt und sämtliche Aktivitäten ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet (vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 1995, 1009 (IPRspr. 1994 Nr 18); MünchKomm-Kindler, 3. Aufl., Internat. Handels- und Gesellschaftsrecht Rz. 253; a.A. Bungert, WM 1995, 2125, 2128 ff.; ders., DB 2003, 1043 f.; Bamberger-Roth-Mäsch, BGB, 2003, Art. 12 EGBGB Anh. Rz. 3; Merkt, RIW 2003, 458 f.; vgl. auch EuGH, Urt. vom 30.9.2003 aaO zu Nr. 96), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn das fragliche Erfordernis eines ‚genuine link’ wird auch von seinen Befürwortern nicht dahin verstanden, dass der tatsächliche Verwaltungssitz der Gesellschaft sich im Gründungsstaat befinden muss. Ausreichend wäre vielmehr, dass die Gesellschaft irgendwelche geschäftlichen Aktivitäten in den USA – nicht notwendig im Gründungsbundesstaat (hier: Delaware) – entwickelt (vgl. Kindler aaO; Mankowski, EWiR 2003, 661 f.; Paefgen, DZWIR 2003, 441, 443), wofür z.B. das Bestehen eines Broker-Vertrags mit einem US-amerikanischen Partner genügt (vgl. Ebenroth/Kemner/Willburger, ZIP 1995, 972, 974). Da die S. Inc. für die ihr anvertrauten Aktien ein Depot bei der Al. B. Inc. in B. unterhielt, ließe sich ein ‚genuine link’ zu den USA nicht verneinen.

[6]3. Richtet sich sonach das Personalstatut der S. Inc. nach amerikanischem Recht, scheidet eine Haftung des Bekl. aus (§ 128 HGB). Nach US-amerikanischem Recht, das der Senat mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts selbst feststellen kann (vgl. BGHZ 118, 151, 168 (IPRspr. 1992 Nr. 265); 122, 373, 378, 384 (IPRspr. 1993 Nr. 200b)), haftet der Gesellschafter einer ‚Inc.’ grundsätzlich nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten (vgl. Ebke/Stadler, RiW 1989, 413). Einer der Ausnahmefälle, in denen nach US-amerikanischem Recht ein ‚Durchgriff’ auf die Gesellschafter in Betracht käme (sog. ‚piercing the corporate veil’; vgl. Bungert, WM 1995, 2125, 2131; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rz. 313 ff.) ist nicht vorgetragen.

Fundstellen

LS und Gründe

BB, 2004, 1868, mit Anm. Mellert
DB, 2004, 1984
Die AG, 2004, 607
DStR, 2004, 1841
GmbHR, 2004, 1225
IStR, 2004, 875
JZ, 2004, 303, mit Anm. Rehm
NJW-RR, 2004, 1618
NZG, 2004, 1001
RIW, 2004, 787
WM, 2004, 1683
ZIP, 2004, 1549
ZNotP, 2004, 405
IHR, 2005, 42
IPRax, 2005, 339
WuB, 2006, mit Anm. Paal, II N. Art. XXV FHSV 1.04

Bericht

DNotI-Report, 2004, 154

nur Leitsatz

EWiR, 2004, 919, mit Anm. Paefgen

Aufsatz

Ebke, RIW, 2004, 740 A
Stürner, IPRax, 2005, 305 A

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2004-15

Lizenz

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