Eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelszone (hier: Fürstentum Liechtenstein) nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Kapitalgesellschaft ist in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.1992 auf der Grundlage der darin garantierten Niederlassungsfreiheit des Art. 31 unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde.
Eine liechtensteinische Aktiengesellschaft ist daher befugt, ihre vertraglichen Rechte in der Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen.
Die Kl. ist eine nach dem Recht des Fürstentums Liechtenstein gegründete und dort im Handelsregister eingetragene AG, deren Geschäftstätigkeit über weite Zeiträume in der Bundesrepublik Deutschland stattfand, ohne dass eine Eintragung der Gesellschaft in einem deutschen Handelsregister erfolgt ist. Der Bekl. ist seit dem 14.7.1999 Verwalter in dem am selben Tage eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der L. AG in B. (im Folgenden: Gemeinschuldnerin); zuvor war er ab 12.1.1999 deren Sequester.
Die Kl. gewährte der Gemeinschuldnerin am 15.5.1997 ein Darlehen für den Erwerb eines Mietshauses und ließ sich als Sicherheit im Wege einer stillen Zession die Mietzinsforderungen aus dem Objekt abtreten. Obwohl die Kl. Ende 1998 nach Ausbleiben der Darlehensraten die Abtretung gegenüber den Mietern offengelegt hatte, gingen bei ihr in der Folgezeit keine Mietzahlungen ein. Nach Auskunftserteilung über die vereinnamten Mieten durch die Bekl. verlangte die Kl. Zahlung der entsprechenden Mieteinnahmen.
Das LG hat die Klage mangels Rechtsfähigkeit der Kl. als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das OLG der Klage stattgegeben. Mit der – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision verfolgt der Bekl. nur seinen Klageabweisungsantrag weiter. Das Rechtsmittel ist begründet und führt insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
[1]I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Kl. sei rechts- und parteifähig. Die Rechtsgedanken der Überseering-Entscheidung des EuGH seien auf die in einem EWR-Staat ordnungsgemäß gegründete und weiterhin bestehende Kl. – unabhängig davon, ob sie von vornherein ihren faktischen Sitz außerhalb Liechtensteins gehabt habe – entsprechend anwendbar. Die Niederlassungsfreiheit sei im Verhältnis zu Liechtenstein nicht noch bis zum 1.1.1998 eingeschränkt gewesen, so dass die Kl. bereits 1997 Rechte auch in Deutschland habe erwerben können. Materiellrechtlich stehe § 21 KO dem Zahlungsanspruch nicht entgegen, da dieser gemäß der erteilten Auskunft nur Mietzahlungen aus der Zeit vor Konkurseröffnung betreffe.
[2]II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nur zur Zulässigkeit, nicht jedoch hinsichtlich der Begründetheit der Klage stand.
[3]1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die in den Vorinstanzen zentrale Streitfrage der Rechts- und Parteifähigkeit der Kl. beurteilt. Die Kl. ist als eine im Fürstentum Liechtenstein, einem EFTA-Staat, wirksam gegründete Kapitalgesellschaft hinsichtlich der Ansprüche aus Rechtsgeschäften mit der Gemeinschuldnerin in Deutschland auch dann rechts- und parteifähig, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nicht – entsprechend ihrem Vorbringen – in Liechtenstein, sondern – wie vom Bekl. behauptet und vom LG nach Beweisaufnahme angenommen – in der Bundesrepublik Deutschland hat.
[4]a) Wie der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urt. vom 5.11.2002 – Rs C-208/00, ZIP 2002, 2037 [Überseering]; bestätigt durch EuGH, Urt. vom 30.9.2003 – Rs C-167/01, ZIP 2003, 1885 [Inspire Art]) bereits entschieden hat, ist die in einem EG-Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat auf der Grundlage der im EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) – unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes – in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (Urt. vom 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP 2005, 805 (IPRspr 2005-212) m.w.N.). Das gilt selbst dann, wenn die Gesellschaft im Ausland nur ihren gründungs- bzw. satzungsmäßigen Sitz hat, während sie von vornherein ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland nimmt und hier auch ihre Geschäfte betreibt und auf diese Weise bewusst die Gründungsvorschriften am Ort ihrer tatsächlichen Geschäftstätigkeit umgeht (EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 96 f., 137 ff. m.w.N.).
[5]b) Diese Grundsätze gelten für die Kl. als einer in einem EFTA-Staat gegründeten Kapitalgesellschaft auf der Grundlage des EWR-Abkommens entsprechend (so schon: Meilicke, GmbHR 2003, 793, 798; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 927; vgl. auch: Ressos, DB 2005, 1048; Forsthoff, DB 2002, 2471; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30, 36; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2244).
[6]Nachdem das EWR-Abkommen (im Folgenden EWR) zwischenzeitlich sowohl in der Bundesrepublik Deutschland (aufgrund Gesetzes vom 31.3.1993, BGBl. II 266) als auch in Liechtenstein (am 1.5.1995) in Kraft getreten ist, gilt zugunsten der Kl. in beiden Ländern die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 31 EWR. Diese Bestimmung entspricht der im Wesentlichen gleich lautenden Vorschrift des Art. 43 EG und ist daher wie diese auszulegen und anzuwenden. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Vertragsstaaten in Art. 6 EWR ausdrücklich nur die bis zum Zeitpunkt der Unterzeichnung erlassenen Entscheidungen des EuGH der Auslegung des Abkommens zugrunde gelegt haben. Bereits in der Präambel zum EWR-Abkommen weisen die Vertragsstaaten nämlich auf ihr Ziel hin, ‚bei voller Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte eine einheitliche Auslegung und Anwendung dieses Abkommens und der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, die in ihrem wesentlichen Gehalt in dieses Abkommen übernommen werden, zu erreichen und beizubehalten und eine Gleichbehandlung der Einzelpersonen und Marktteilnehmer hinsichtlich der vier Freiheiten und der Wettbewerbsbedingungen zu erreichen’. Ausgehend von diesem Leitgedanken ist eine einschränkende Auslegung der Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zu einem EFTA-Staat nicht gerechtfertigt, so dass die in den o.g. Entscheidungen des EuGH (ZIP 2002, 2037; ZIP 2003, 1885) niedergelegten Rechtsgrundsätze zur Anwendung zu bringen sind. Der weitgehende Schutz der Niederlassungsfreiheit, wie ihn der EuGH und – ihm folgend – auch der BGH (Senat, ZIP aaO; BGHZ 154, 185 (IPRspr. 2003 Nr. 13)) klargestellt haben, steht im Übrigen auch im Zentrum der jüngeren Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs (vgl. Urt. vom 22.2.2002 – E-2/01, ABl. EG 2002, C 115/13 [Pucher]; Urt. vom 1.7.2005 – E-8/04 [EFTA-Aufsichtsbehörde/Fürstentum Liechtenstein]), wobei dieser selbst ausdrücklich den Gleichklang seiner Rechtsprechung mit derjenigen des EuGH betont hat (vgl. Urt. vom 1.7.2005 aaO Tz. 17 m.w.N.).
[7]Die Kl. kann sich auch ab Inkrafttreten des EWR-Abkommens in Liechtenstein auf diese Niederlassungsfreiheit berufen, ohne dass aus dem Zusatzprotokoll 15 zum Zeitpunkt des Rechtserwerbs noch Einschränkungen hergeleitet werden könnten. Die bis zum 1.1.1998 laufenden Übergangsbestimmungen des Zusatzprotokolls erfassen nämlich ersichtlich nur natürliche Personen, da schon begrifflich nur bei diesen die Einschränkung der Freizügigkeit betreffend ‚Einreise, Aufenthalt und Beschäftigung’ möglich ist.
[8]c) Die ordnungsgemäße Gründung der Kl. nach dem liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrecht vom 20.1.1926 (LGBl. 1926 Nr. 4 – im Folgenden PGR) i.d.F. des Gesetzes vom 30.10.1996 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (LGBl. 1997 Nr. 19) ist – abgesehen davon, dass die Revision insoweit auch keine Rügen erhebt – nicht zweifelhaft. Nach Art. 232 und 676 PGR genügt für eine – aus liechtensteinischer Sicht – inländische Gesellschaft, dass diese inländische Publizitäts- oder Registriervorschriften erfüllt oder – bei Fehlen solcher Vorschriften – sich nach inländischem Recht organisiert hat. Diesen Anforderungen wird die Kl. gerecht, so dass es auf die weitergehenden Varianten des Art. 676 I PGR (inländischer Verwaltungssitz, Ausübung eines wesentlichen Teils des Geschäftsbetriebs im Inland oder inländischer Wohnsitz mindestens der Hälfte der Gesellschafter) nicht ankommt.
[9]d) Für einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit durch die Kl. fehlt – entgegen der Ansicht der Revision – jeglicher Anhaltspunkt. Ein solcher liegt, wie erwähnt, selbst dann nicht vor, wenn eine Gesellschaft in einem Vertragsstaat gegründet wird, um in den Genuss vorteilhafter Rechtsvorschriften zu kommen, obwohl sie ihre Tätigkeit von vornherein ausschließlich in einem anderen Vertragsstaat ausübt (vgl. EuGH, ZIP 2003 aaO Tz. 96 f., 137 ff. m.w.N.).
[10]2. Demgegenüber begegnet die Ansicht des Berufungsgerichts, die Kl. könne als Sicherungszessionarin vom Bekl. als Konkursverwalter die bereits während der Sequestration vereinnahmten Mietzahlungen beanspruchen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
[11]Ein Zahlungsanspruch steht der Kl. nämlich hinsichtlich der vom Bekl. als Sequester vor Konkurseröffnung empfangenen Mieten – unabhängig davon, ob die Mieter bei der Leistung gut- oder bösgläubig waren – unter keinem rechtlichen Aspekt gegenüber der Konkursmasse zu.