Haben sich die Parteien in allen Instanzen auf deutsche Rechtsvorschriften berufen und nahezu ausschließlich auf der Grundlage dieser Rechtsordnung argumentiert, rechtfertigt dies die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts.
Der Grundsatz der "lex rei sitae" steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 Rom II-VO über die Rechtswahl nicht entgegen. Denn für gesetzliche Ansprüche, die aus einer Verletzung des Eigentums resultieren und die auf die Wiederherstellung des status quo bzw. auf die Beseitigung einer aktuellen Eigentumsstörung gerichtet sind, ist die dingliche Rechtslage nur inzidenter zu klären. Aufgrund der vertragsautonomen Auslegung und Qualifikation von Ansprüchen aus §§ 1004, 985 BGB sind diese kollisionsrechtlich als deliktische Ansprüche zu klassifizieren. [LS der Redaktion]
Die Beklagte ist das Mutterunternehmen des Y.-Konzerns. Ihre Tochterunternehmen sind weit überwiegend im Bereich der Energieerzeugung tätig. Vor allem im Zusammenhang mit der Kohleverstromung werden von den Tochterunternehmen große Mengen an Treibhausgasen, insbesondere CO2, freigesetzt. Die Emissionen der Tochterunternehmen sind nicht gesetzlich verboten. Sie unterliegen seit 2011 dem Treibhausgasemissionshandelsgesetz (TEHG); die dort vorgegebenen Maßgaben wurden stets eingehalten. Der Kläger, von Beruf (..), ist Miteigentümer eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks auf der H.-straße im Stadtviertel Nueva Florida der Stadt Huaraz in der Region Ancash in Peru. Er erwarb das etwa 25 km südwestlich der Laguna Palcacocha gelegene Hausgrundstück gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Z. Anfang Mai 2014 von seinen Eltern im Wege vorweggenommener Erbfolge. Die Eltern hatten dieses Grundstück im Jahr 1984 erworben und bebaut.
Huaraz liegt am Fuße der größten und nördlichsten Gebirgskette der tropischen Anden, der Cordillera Blanca. Dort liegt unterhalb des Palcaraju-Gletschers und am Fuße der Berge Nevado Palcaraju (6.274 m) und Nevado Pucaranra (6.156 m) auf einer Höhe von rund 4.560 m der Gletschersee Laguna Palcacocha. Die Lagune wird durch eine natürliche Moräne (vom Gletscher abgelagerter Gesteinsschutt) gestaut. In ihr sammeln sich Schmelzwasser des darüber liegenden Gletschers und Niederschlagswasser, welches auf natürlichem Weg nur bedingt abfließen kann. Ende der 1930er Jahre fasste die Lagune ein Wasservolumen von 10 bis 12 Mio. m³. In der Region Ancash kommt es gelegentlich zu Erdbeben und Erdrutschen. Mehrere Lagunen waren in der Vergangenheit von Gletscherseeausbrüchen (glacial lake outburst flood = GLOF) betroffen. Im Jahr 1941 brach der die Laguna Palcacocha aufstauende Endmoränenwall. Eine Flutwelle mit einer Schlammlawine zerstörte daraufhin große Teile der Stadt Huaraz und forderte mehrere tausend Menschenleben. Die Ursache für den Bruch des Endmoränenwalls ist nicht geklärt. Über Ansiedlungsverbote in der Flutschneise wurde diskutiert, die Pläne scheiterten jedoch am Widerstand der lokalen Bevölkerung. Am 31.05.1970 ereignete sich in Peru ein Erdbeben der Stärke 7,9, das auch in Huaraz und Umgebung verheerende Schäden verursachte. Der seinerzeit vorhandene künstliche Damm und die Entwässerungsrinne wurden beschädigt. Zu einem Eis- oder Gletscherabbruch oder einer Gesteinsrutschung kam es nicht. Seit dem Gletscherseeausbruch von 1941 wurden von Seiten der Behörden diverse Schutzvorkehrungen getroffen, um das Wasservolumen der Lagune langfristig zu senken und die Gefahr einer von der Lagune ausgehenden Flutwelle zu verringern. Insbesondere wurden im Jahr 1974 über einem Ablaufrohr mit einem Durchmesser von 48 Zoll (121 cm) ein neuer Sicherheitsdamm mit einer Höhe von acht Metern (der sog. Primärdamm) sowie an der rechten Seite – aus Blickrichtung des Sees talwärts – ein zweiter künstlicher Damm (der Sekundärdamm) ohne Ablauf errichtet. Über natürliche Abflüsse verfügt der See seitdem nicht mehr. Im Jahre 2003 kam es durch das Ablösen von Gletschereis und das Abrutschen von Moränenmaterial in die Laguna Palcacocha zu einer Überströmung der beiden künstlichen Wälle und von Teilen des Grundmoränenwalls. Das Seevolumen lag anschließend bei knapp 4 Mio. m³. Im Jahr 2009 war das Wasservolumen der Lagune auf über 17,3 Mio. m³ angestiegen, weshalb die Behörden ab Januar 2011 den Notstand erklärten. Ende 2012 wurde der Notstand aufgehoben. Mit weiteren Maßnahmen, insbesondere der im Mai 2012 erfolgten Installation von sechs Heberleitungen mit Kontrollventilen (sog. "Siphons") mit einem Durchmesser von jeweils 10 Zoll (25,4 cm), wurde der Wasserspiegel der Lagune in der Folgezeit auf etwa 12 Mio. m³ abgesenkt. Im Februar 2016 wurde abermals ein Wasservolumen von 17,4 Mio. m³ gemessen. Daraufhin wurden sechs weitere Heberleitungen mit einem Durchmesser von 10 Zoll installiert. In der Zeit zwischen dem 31.05.2017 und dem 02.06.2017 kam es zu drei kleineren Gletschereislawinen. Eine Überströmung oder Beschädigung des Grundmoränenwalls oder der beiden künstlichen Dämme erfolgte nicht. Ab Mitte April 2018 bis in das Jahr 2021 hinein wurde an der Lagune von den verantwortlichen Behörden ein Frühwarnsystem installiert. Am 05.02.2019, am 17.01.2021 sowie am 23.01.2024 – während des laufenden Verfahrens – kam es jeweils zum Abgang einer Eis-/Schneelawine in die Lagune ohne Folgen für die Stadt Huaraz.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger erstinstanzlich in der Hauptsache die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Tragung der Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen zugunsten seines Eigentums vor einer Gletscherflut aus der Lagune anteilig ihres Beeinträchtigungsbeitrages verpflichtet sei. Hilfsweise hat er verlangt, die Beklagte möge sicherstellen, dass das Wasservolumen der Lagune entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag reduziert werde. Weiter hilfsweise hat er Ansprüche auf Zahlung von ... € an den "Gemeindezusammenschluss P." und von ... € an sich selbst geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.12.2016 abgewiesen. Gegen Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er verfolgt sein erstinstanzliches Begehren grundsätzlich weiter, hat jedoch seine Anträge teilweise umgestellt und den zweiten Hilfsantrag (Zahlung an den Gemeindezusammenschluss P.) zurückgenommen.
Der Kläger beantragt zuletzt (sinngemäß),
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, anteilig zu ihrem Beeinträchtigungsanteil von 0,38 % (Anteil an den globalen Treibhausgasemissionen) die Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen zu Gunsten seines Eigentums (H.-straße, (..), Nueva Florida, Huaraz) vor einer Gletscherflut aus der Laguna Palcacocha (Koordinaten: N01"S; N02"W) zu tragen, soweit der Kläger mit diesen Kosten belastet wird;
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ... € zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
hilfsweise
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, anteilig zu ihrem Beeinträchtigungsbeitrag, der durch das Gericht nach § 287 ZPO zu bestimmen ist, die Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen zu Gunsten seines Eigentums (vgl. Ziff. 1) vor einer Gletscherflut aus der Laguna Palcacocha zu tragen;
weiter hilfsweise
4. die Beklagte zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass das Wasservolumen in der Laguna Palcacocha von heute 17,4 Mio. m³ dauerhaft um 0,38 %, also 81.780 m³, reduziert wird;
weiter hilfsweise
5. die Beklagte zu verurteilen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass das Wasservolumen in der Laguna Palcacocha von heute 17,4 Mio. m³ entsprechend dem Verursachungsbeitrag der Beklagten, der durch das Gericht nach § 287 ZPO zu bestimmen ist, dauerhaft reduziert wird.
[1]B.
[2]Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
[3]Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. ...
[4]I. Erster Hauptantrag: Antrag auf Feststellung der Pflicht zur Kostenerstattung
[5]Der (zuletzt gestellte) erste Hauptantrag des Klägers, die Pflicht der Beklagten zur Kostenerstattung anteilig ihres Beeinträchtigungsanteils von 0,38 % festzustellen, ist zulässig, aber – ausgehend von den seitens der Gerichtssachverständigen aktuell festgestellten Befunden – unbegründet. ...
[6]1. ... a) ... b) ... c) ... d) ... e) ... f) ... 2. ... a) ... b) ... c) ... aa) ... bb) ... cc) ... dd) ... ee) ... ff) ... d) ... aa) ... bb) ... cc) ... 1. Der Feststellungsantrag ist zulässig. a)
[7]Die internationale Zuständigkeit des Senats, die entgegen dem Wortlaut von § 513 Abs. 2 ZPO auch in der Berufungsinstanz zu prüfen ist, ist gem. Art. 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 EuGVVO (Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.01.2012) begründet.
[8]Zudem ist sie gem. § 39 S. 1 ZPO aufgrund des rügelosen Verhandelns der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 24.11.2016 gegeben (Bl. 406 f. d.A.; vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1992 -
[9]b) ... c) ... aa) ... bb) ... cc) ... d) ... e) ... f) ... 2. Der Feststellungsantrag ist jedoch unbegründet.
[10]Zwar sieht der Senat in § 1004 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 677 ff., § 812 BGB eine taugliche Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Feststellungsanspruch. Die Voraussetzungen des Anspruchs sind auch schlüssig vorgetragen. Der Kläger hat indessen zur Überzeugung des Senats nicht beweisen können, dass seinem Eigentum im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat eine konkrete Gefahr im Sinne des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB droht.
[11]a)
[12]Der Streitfall ist nach deutschem Recht zu beurteilen.
[13]aa)
[14]Beide Parteien haben sich sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz auf deutsche Rechtsvorschriften berufen und nahezu ausschließlich auf der Grundlage dieser Rechtsordnung argumentiert. Bereits dieser Umstand rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Annahme, dass sich die Parteien im Rechtsstreit jedenfalls stillschweigend auf die Geltung deutschen Rechts verständigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1998 –
[15]bb)
[16]Im Übrigen haben die Prozessbevollmächtigten beider Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.11.2017 übereinstimmend zu Protokoll erklärt, dass im vorliegenden Fall deutsches Recht anzuwenden sei. Mithin liegt eine ausdrückliche und den Senat bindende Rechtswahl gem. Art. 1 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 Rom II-VO (Verordnung EG Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht) vor.
[17]cc)
[18]Der Anwendung der Rom II-VO im vorliegenden Fall steht nicht entgegen, dass Peru kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken von Art. 3 Rom II-VO. Danach ist das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht unabhängig davon anzuwenden, ob es das Recht eines Mitgliedstaates oder dasjenige eines Drittstaates ist. Die Vorschrift übernimmt den inzwischen zum Standard in allen EU-IPR-Rechtsakten gewordenen Grundsatz der universellen Anwendung. Es geht im Ergebnis um die Schaffung einheitlicher Kollisionsregeln ohne Differenzierung. Die Verordnung kommt daher auch im Falle des Auslandsbezuges zu einem Nichtmitgliedstaat in ihrem sachlichen Anwendungsbereich als Kollisionsrecht des Mitgliedstaats – hier: Deutschland – zur Anwendung (BeckOGK/Schmidt, Stand 01.03.2025, Rom II-VO, Art. 3, Rn. 5 ff.; Münchener Kommentar/Junker, BGB, 9. Aufl. 2025, Rom II-VO, Art. 3, Rn. 1 ff.; jurisPK-BGB/Lund, 10. Aufl. 2023, Rom II-VO, Art. 3, Rn. 1 f.).
[19]dd)
[20]Auch der Grundsatz der "lex rei sitae" steht der Anwendung von Art. 14 Abs. 1 ROM II-VO (freie Rechtswahl) nicht entgegen.
[21]Bei dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen außervertraglichen Anspruch im Sinne der Art. 2 bzw. 7 ROM II-VO, für den das Belegenheitsrecht – also das Recht des Ortes, an dem sich ein Vermögensgegenstand befindet – nicht gilt. Für gesetzliche Ansprüche, die aus einer (behaupteten) Verletzung des (Mit-)Eigentums resultieren und die – wie hier – auf die Wiederherstellung des status quo bzw. auf die Beseitigung einer aktuellen Eigentumsstörung gerichtet sind, ist die dingliche Rechtslage nur inzidenter zu klären. Zwar werden nach deutschem Rechtsverständnis Ansprüche aus § 1004 BGB ebenso wie die Vindikation nach § 985 BGB materiellrechtlich den dinglichen Ansprüchen zugeordnet. Darauf kommt es indessen im Rahmen der autonom auszulegenden europäischen Vorschrift nicht an, zumal die meisten anderen Rechtsordnungen derartige Ansprüche nicht dinglich, sondern deliktsrechtlich einordnen, und zwar unabhängig davon, ob die Haftung Verschulden voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2008 –
[22]Für einen außervertraglichen Anspruch im Sinne der Art. 2 und Art. 7 ROM II-VO, um den es hier demnach geht, verweist Art. 7 ROM II-VO auf Art. 4 Abs. 1 ROM II-VO. Danach ist im Ergebnis grundsätzlich das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erfolg eintritt, es sei denn, der Geschädigte entscheidet sich, seinen Anspruch auf das Recht des Staates zu stützen, in dem das schadensbegründende Ereignis – hier: der Ausstoß der Emissionen – stattgefunden hat. Diese Entscheidung hat der Kläger vorliegend (im Einvernehmen mit der Beklagten) zugunsten des deutschen Rechts getroffen (s.o.).
[23]Es ist allerdings zu differenzieren, da hier nach dem Vortrag des Klägers auf eine ab 1965 andauernde Verhaltensweise (Emissionstätigkeit) der Beklagten abzustellen ist und die ROM II-Verordnung erst seit dem 11.01.2009 auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden ist (vgl. Art. 31 ROM II-VO).
[24]Für den Zeitraum vom 01.06.1999 bis zum 11.01.2009 gelangt deutsches Recht zur Anwendung, da nach den grundsätzlich – auch im vorliegenden Fall – geltenden Art. 44 bzw. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. die Tatortregel gilt. Überdies haben sich die Parteien gem. Art. 42 EGBGB a.F. auf die Anwendung deutschen Rechts geeinigt (s.o.).
[25]Für den Zeitraum vor Juni 1999 ist gleichfalls deutsches Recht anzuwenden, da für diesen Zeitraum die Tatortregel, auf der Art. 40 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. letztlich beruht, gewohnheitsrechtlich anerkannt war. Nach dem Günstigkeitsprinzip, das von der Rechtsprechung im Falle einer aus dem Auseinanderfallen von Handlungsort und Erfolgsort entstehenden Konkurrenz zwischen mehreren Deliktsorten herangezogen wurde, war das für den Geschädigten materiell günstigste Deliktsortrecht anzuwenden. Dabei bejahten die h.M. und ein Teil der Rechtsprechung eine Wahlbefugnis des Geschädigten (vgl. zum Ganzen: Münchener Kommentar/Junker, 4. Aufl. 2006, EGBGB Art. 40, Rn. 16, 183 f.). Die Parteien konnten zudem schon vor Juni 1999 das Deliktsstatut gemeinsam wählen (Münchener Kommentar/Junker, a.a.O., Art. 42, Rn. 7); dies haben sie hier getan.
[26]b) ...
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