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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 18.07.2008 – V ZR 11/08, IPRspr 2008-135

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Für Beseitigungs- und Schadensersatzklagen, die auf eine Eigentumsverletzung gestützt werden, ist der ausschließliche Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO nicht gegeben.

Rechtsnormen

BGB § 985; BGB § 1004
EUGVVO 44/2001 Art. 2; EUGVVO 44/2001 Art. 5; EUGVVO 44/2001 Art. 22
EuGVÜ Art. 16
ZPO § 24; ZPO § 545

Sachverhalt

Die Parteien sind Brüder. Sie stammen aus Italien, leben aber seit langem in Deutschland. Im Jahre 1974 wurde ihnen von ihrem mittlerweile verstorbenen Vater ein auf Sardinien belegenes Grundstück übertragen. Nach der „Überlassungsurkunde“ vom 2.10.1974 sollten die Parteien das Grundstück teilen und darauf Gebäude errichten. In der Folgezeit wurde das Grundstück vermessen und katastermäßig zugeordnet.

Im Jahre 2006 mauerte der Bekl. ohne Absprache mit dem Kl. eine als Durchfahrt genutzte Öffnung in der beide Einfahrten abtrennenden Mauer zu. Darüber hinaus ließ er die Mauer von 60 cm auf zwei Meter erhöhen. An die Stelle einer von dem Kl. abgerissenen Mauer, die beide Grundstücksteile trennte, ließ er eine neue, etwa 20 Meter lange und zwei Meter hohe Mauer errichten. Der Kl. verlangt die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. Er hält die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für gegeben, weil die Klageforderung auf einen Schadensersatzanspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis und damit nicht auf ein dingliches Recht im Sinne von Art. 22 Nr. 1 EuGVO gestützt werde.

Das AG hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit (als unzulässig) abgewiesen. Demgegenüber hat das LG die internationale Zuständigkeit bejaht. Es hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache auf Antrag des Bekl. an das AG zurückverwiesen. Mit der von dem LG zugelassenen Revision erstrebt der Bekl. die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kl. beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. Das Berufungsgericht hält den für dingliche Ansprüche an unbeweglichen Sachen angeordneten ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO für nicht einschlägig. Schadensersatz- und Beseitigungsansprüche fielen hierunter nicht. Nach deutschem Recht sei zwar auch für Ansprüche aus § 1004 BGB der dingliche Gerichtsstand des § 24 ZPO eröffnet. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH lasse sich dies jedoch nicht auf die Regelung des Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO übertragen, die autonom und als Ausnahmevorschrift eng auszulegen sei. Die dingliche Rechtslage sei vorliegend lediglich als Vorfrage zu erörtern, was nach den Vorgaben des EuGH nicht ausreichend sei.

[2]II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit zu Recht bejaht.

[3]1. § 545 II ZPO steht der Prüfung der internationalen Zuständigkeit nicht entgegen. Regelungsgegenstand der Vorschrift ist lediglich die innerstaatliche (erstinstanzliche) Zuständigkeit (BGHZ 153, 82, 84 ff. (IPRspr. 2002 Nr. 157); BGH, Urt. vom 27.5.2003 – IX ZR 203/02, WM 2003, 1542, 1543 (IPRspr. 2003 Nr. 217); Urt. vom 16.12.2003 – XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456 f. (IPRspr. 2003 Nr. 149); Beschl. vom 5.3.2007 – II ZR 287/05, NJW-RR 2007, 1509, 1510 (IPRspr 2007-170)).

[4]2. Der Bekl. hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Das führt nach Art. 2 EuGVO zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Allerdings wird die grundsätzliche Anknüpfung an den Staat des Wohnsitzes aufgelockert durch Regelungen, die dem Kläger nach seiner Wahl einen zusätzlichen Gerichtsstand einräumen, und durchbrochen durch Gerichtsstände, die einem Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des Art. 2 EuGVO entgegenstehen. Während etwa Art. 5 Nr. 3 EuGVO dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, Ansprüche aus einer unerlaubten (oder aus einer dieser gleichgestellten) Handlung auch am Ort des schädigenden Ereignisses geltend zu machen, sind für Klagen, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, ausschließlich zuständig die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Sache belegen ist (Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO). Letzteres hat das Berufungsgericht hier zu Recht verneint.

[5]a) Nach der Rechtsprechung des EuGH zu der insoweit wort- und inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des Art. 16 Nr. 1 lit. a EuGVÜ ist der Begriff ‚dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen’ im Interesse einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung autonom auszulegen (vgl. nur EuGH, IPRax 1991, 45; NVwZ 2006, 1149, 1150). Danach liegt ein dingliches Recht vor, wenn das Recht an der Sache gegen jedermann wirkt, während persönliche Ansprüche nur gegen den jeweiligen Schuldner geltend gemacht werden können (EuGH, NJW 1995, 37; Beschl. vom 5.4.2001 – Rs C-518/99 [Gaillard], Slg. 2001, I-02771).

[6]Allerdings ist Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, weil die ausschließliche Zuständigkeit dazu führen kann, dass den Parteien eine ihnen sonst mögliche Wahl des Gerichtsstands genommen wird und sie in gewissen Fällen vor einem Gericht zu verklagen sind, das für keine von ihnen das Gericht des Wohnsitzes ist (EuGH, NJW 1995, 37; NVwZ 2006, 1149, 1150). Dies führt zunächst dazu, dass Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO trotz Vorliegens eines dinglichen Rechts nicht anzuwenden ist, sofern der Zweck der Vorschrift dies nicht verlangt. Da der Grund für die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Belegenheitsstaats darin zu erblicken ist, dass diese wegen der räumlichen Nähe am besten in der Lage sind, sich durch Nachprüfungen, Untersuchungen und Einholung von Sachverständigengutachten genaue Kenntnis des Sachverhalts zu verschaffen und die insoweit geltenden Regeln und Gebräuche anzuwenden, die im Allgemeinen die des Belegenheitsstaats sind (EuGH, NJW 1985, 905; IPRax 2001, 41, 43; 2006, 159, 160), ist die ausschließliche Zuständigkeit beispielsweise dann nicht gegeben, wenn der Schuldner nicht bestreitet, dass der Gläubiger Eigentümer der unbeweglichen Sache ist (vgl. EuGH, NJW 1995, 37).

[7]Zum anderen steht die Notwendigkeit einer Begrenzung des ausschließlichen Gerichtsstands der Interpretation entgegen, Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO sei immer schon dann einschlägig, wenn es um eine exakte Ermittlung des Sachverhalts oder der in dem Belegenheitsstaat geltenden Regeln und Gebräuche geht. Nach der Rechtsprechung des EuGH genügt es für das Eingreifen von Art. 22 Nr. 1 Satz 1 EuGVO nämlich nicht, dass ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache von der Klage berührt wird oder dass diese in einem Zusammenhang mit einer unbeweglichen Sache steht (EuGH, IPRax 1995, 314, 315; NJW 1995, 37). Auch rechtfertigt der Umstand, dass die dingliche Rechtslage als Vorfrage zu prüfen ist, nicht schon die Qualifikation eines Anspruchs als dingliches Recht (vgl. etwa EuGH, NVwZ 2006, 1149, 1151; Geimer-Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I 1. Halbbd., 1983, 541, 656; Stauder, GRUR Int. 1976, 510, 511; ferner MünchKommZPO-Gottwald, 3. Aufl., Art. 22 EuGVO Rz. 13; Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rz. 868). So entspricht es etwa allgemeiner Auffassung, dass Schadensersatzansprüche, die auf eine Eigentumsverletzung gestützt werden, nicht von Art. 22 Nr. 1 EuGVO erfasst werden, mag die dingliche Rechtslage auch noch so umstritten sein. Der EuGH hat dies mit der Formel zusammengefasst, der dinglichen Rechtslage komme bei solchen Schadensersatzforderungen nur inzidente Bedeutung zu; ein dingliches Recht liege daher nicht vor (NVwZ 2006, 1149, 1151). Mit derselben Erwägung hat er das Eingreifen von Art. 22 Nr. 1 EuGVO auch für Immissionsabwehrklagen verneint (aaO), also für Ansprüche, die bei Zugrundelegung deutschen Sachrechts unter § 1004 BGB fielen.

[8]b) Danach kann für gesetzliche Ansprüche, die aus einer (behaupteten) Verletzung des (Mit-)Eigentums resultieren und die – wie hier – auf die Wiederherstellung des status quo im Wege schadensersatzrechtlicher Naturalrestitution bzw. auf die Beseitigung einer aktuellen Eigentumsstörung gerichtet sind, nichts anderes gelten. Auch bei diesen Ansprüchen ist die dingliche Rechtslage nur inzidenter zu klären. Der Revision ist zwar zuzugeben, dass nach deutschem Rechtsverständnis Ansprüche aus § 1004 BGB – ebenso wie die Vindikation nach § 985 BGB – materiell-rechtlich den dinglichen Ansprüchen zugeordnet werden. Darum kann es indessen im Rahmen der autonom auszulegenden Vorschrift nicht gehen, zumal die meisten anderen Rechtsordnungen solche Ansprüche nicht dinglich, sondern deliktsrechtlich einordnen, und zwar unhabhängig davon, ob die Haftung Verschulden voraussetzt (dazu Schack, IPRax 2005, 262, 264 m.w.N.; vgl. auch Zöller-Geimer, ZPO, 26. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rz. 25c u. Art. 22 EuGVVO Rz. 2a; Rauscher-Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 22 Brüssel I-VO, Rz. 12b f.). Im Übrigen hat auch der BGH bereits entschieden, dass Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus § 1004 BGB dem Wahlgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVO unterfallen (BGH, Urt. vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, NJW 2006, 689) (IPRspr 2005-123), der Klagen erfasst, die eine unerlaubte (oder eine dieser gleichgestellte) Handlung zum Gegenstand haben. Diese deliktsrechtliche Qualifizierung von Ansprüchen aus § 1004 BGB ist zwar in einem Fall angenommen worden, in dem es um die Beeinträchtigung des Eigentums an einer beweglichen Sache ging. Es liegt indessen auf der Hand, dass die Bestimmung der Rechtsnatur eines Anspruchs als deliktsrechtlich nicht davon abhängen kann, ob eine bewegliche oder eine unbewegliche Sache betroffen ist.

Fundstellen

LS und Gründe

Europ. Leg. Forum, 2008, II-100
EuZW, 2008, 646
NJW, 2008, 3502
RIW, 2008, 716

nur Leitsatz

JZ, 2008, 563
MDR, 2008, 1175

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2008-135

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