Ein „dauerndes Getrenntleben“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 UnterhVG liegt nicht vor, wenn bei einer im Wege der teilweisen Stellvertretung geschlossenen Ehe der im Ausland befindliche Ehegatte sich alsbald nach der Eheschließung auf den Weg nach Deutschland macht und unter faktischer Überwindung aufenthaltsrechtlicher Einreisehindernisse zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach Deutschland reist.
Der am XXX1968 in Homs (Syrien) geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens, verließ Syrien am 11. September 2015 und reiste am 30. September Jahr 2015 nach Deutschland ein. Bei der Antragstellung am 25. November 2015 gab er an, er sei verheiratet. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 4. Dezember 2015 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seine beiden Kinder XXX (A.), geboren am 8. Januar 2012, und XXX (L.), geboren am 3. Januar 2009, reisten im Februar 2018 im Wege des Familiennachzugs zum Kläger nach Deutschland. Die Mutter der Kinder namens XXX (R. S.) verblieb in Syrien. Der Kläger wurde von ihr laut der vorgelegten syrischen Scheidungsurkunde am 8. Februar 2017 in Syrien geschieden. Das Sorgerecht für die beiden Kinder wurde zunächst der Mutter übertragen. Am 26. Dezember 2017 wurde von einem Scharia-Richter in Syrien das Sorgerecht auf die Mutter des Klägers übertragen und die Ausreise der Kinder mit ihr genehmigt. Die Mutter der Kinder heiratete in der Folge in Syrien einen anderen Mann. Da der Kläger für sich und die beiden Kinder nach deren Einreise nach Deutschland vom Jobcenter des Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezog, wurde er von diesem aufgefordert, Unterhaltsleistungen bei der Unterhaltsvorschusskasse zu beantragen. Der Kläger stellte beim Beklagten am 4. Juni 2018 für beide Kinder jeweils einen Antrag auf Zahlung von Unterhaltsleistungen. Dabei gab er an, er sei seit dem 8. Februar 2017 geschieden. Mit Bescheiden vom 19. Oktober 2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die beiden Kinder ab dem 1. Juni 2018 die Zahlung von Unterhaltsleistungen. Am 8. Juni 2019 reiste XXX (H. I.) nach Deutschland ein und wohnte ausweislich der in der Gerichtsakte
Mit Bescheiden vom 12. September 2022 hob der Beklagte gegenüber dem Kläger für die beiden Kinder jeweils den Bewilligungsbescheid vom 19. Oktober 2018 für die Zeit ab 1. Juni 2022 auf (Nr. 1), forderte die zu Unrecht gewährten Unterhaltsleistungen für den Zeitraum vom 30. Juli 2018 bis 31. Mai 2022 in Höhe von ... Euro (Sohn A.) und ... Euro (Tochter L.) zurück (Nr. 2) und stellte die Zahlung von Unterhaltsleistungen mit Ablauf des 31. Mai 2022 ein (Nr. 3). Am 15. Oktober 2022 legte der Kläger Widerspruch gegen die beiden Bescheide vom 12. September 2022 ein. Diese wies das Regierungspräsidium Karlsruhe zurück. Der Kläger beantragt, die in Nummer 2 der Bescheide des Beklagten vom 12. September 2022 jeweils für seine beiden Kinder L. und A. verfügte Rückforderung von Unterhaltsleistungen und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20. Februar 2023 aufzuheben.
[1]Mit Beschluss der Kammer vom 18. Februar 2025 ist der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen worden (§ 6 Abs. 1 VwGO).
[2]Die Klage, die sich allein gegen die in Nummer 2 der angegriffenen Bescheide verfügte Ersatzpflicht wendet, hat keinen Erfolg.
[3]I. Sie ist zwar zulässig.
[4]...
[5]II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
[6]...
[7]Die Anordnung der Ersatzpflicht ist auch materiell rechtmäßig.
[8]1. Haben die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen, so hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, oder der gesetzliche Vertreter des Berechtigten den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er 1. die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeigeführt hat, dass er vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 6 UVG unterlassen hat, oder 2. gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren (§ 5 Abs. 1 UVG). ...
[9]2. ... a) ... Ein Elternteil, bei dem das Kind lebt, gilt nach § 1 Abs. 2 UVG als dauernd getrennt lebend im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, wenn im Verhältnis zum Ehegatten oder Lebenspartner ein Getrenntleben im Sinne des § 1567 BGB vorliegt oder wenn sein Ehegatte oder Lebenspartner wegen Krankheit oder Behinderung oder auf Grund gerichtlicher Anordnung für voraussichtlich wenigstens sechs Monate in einer Anstalt untergebracht ist.
[10]Hier fehlte es an der Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 UVG. Der Kläger war insbesondere nicht geschieden oder dauernd von seiner Ehegattin getrennt lebend.
[11]aa) Für die Zeit ab 20. Mai 2021 ist das Vorliegen einer Ehe und das Zusammenleben zwischen dem Kläger und H. I. unstreitig. Denn der Kläger bringt im Rahmen des Klageverfahrens selbst vor, dass er zu diesem Tag mit H. I. wieder verheiratet gewesen sei und mir ihr in einem Haushalt gelebt habe.
[12]bb) Aber auch im Zeitraum vom 30. Juli 2018 bis 19. Mai 2021 war der Kläger weder geschieden noch dauernd getrennt lebend.
[13](1) Der Kläger hat H. I. am 29. Juli 2018 in Syrien geheiratet. Dies ergibt sich aus der von H. I. im Rahmen deren Asylverfahrens vorgelegten Heiratsurkunde des Standesamts Homs vom 2. September 2018. In dieser ist festgehalten, dass der Kläger mit H. I. am 29. Juli 2018 vor einem Scharia-Gericht die Ehe geschlossen hat und dass diese Eheschließung am 28. August 2018 im Heiratsvorgängeregister in Homs eingetragen wurde. Aus dem Vorbringen des Klägers und seiner Ehefrau H. I. ergibt sich weiter, dass der Kläger bei der Eheschließung durch seinen Bruder vertreten wurde, weil er aufgrund seines Aufenthalts in Deutschland bei der Eheschließung nicht in Syrien anwesend sein konnte. Diese Vorgehensweise ist mit dem dem Gericht bekannten syrischen Eherecht vereinbar.
[14]Aus dem im Internet veröffentlichten Kommentar des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg zum staatlichen Familienrecht in Syrien (am 22.4.2025 aufgerufen: https://www.familienrecht-in-nahost.de /8555/ Syrien-Kommentar-Ehe#:~:text=Eheverbot% 20aufgrund%20von%20 Religionsverschiedenheit, 2%20PSG) ergibt sich, dass es sich bei der Ehe in Syrien um einen zivilrechtlichen Vertrag handelt, der durch Angebot und Annahme zustande kommt. Eine Mitwirkung des Staates durch seine Gerichte oder Behörden stellt keine Ehewirksamkeitsvoraussetzung dar. Bei der Vertragsschließung müssen nicht beide Parteien persönlich anwesend sein. Eine Stellvertretung lässt das syrische Recht ausdrücklich zu. Der Bevollmächtigte darf nur im Rahmen seiner Vollmacht agieren. Eine Ehe wird grundsätzlich formfrei geschlossen. Bei der Eheschließung müssen in der Regel zwei Männer als Zeugen anwesend sein, bei einer muslimischen Eheschließung müssen die Zeugen zudem Muslime sein. Eine zwingende Mitwirkung des Staates als Wirksamkeitsvoraussetzung der Ehe besteht nicht. Da der Staat ein Ordnungsinteresse an der Erfassung des Personenstandes seiner Bürger hat, sind Registrierungspflichten eingeführt worden. Diese wirken aber nur deklaratorisch. Um die Registrierungspflicht durchzusetzen, hat sich der syrische Gesetzgeber der strafrechtlichen Sanktion bedient. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung und Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Ehepartner sind grundsätzlich verpflichtet, dem staatlichen Gericht die Eheschließung anzuzeigen. Dies kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen: Die Nupturienten zeigen entweder dem staatlichen Gericht vorab an, dass sie die Ehe zu schließen beabsichtigen, und können die staatliche Mitwirkung an der Eheschließung wählen, oder sie lassen die Ehe nach der Trauung bei Gericht registrieren. Ferner besteht die Möglichkeit, die Eheschließung oder ihren Bestand durch das Gericht nachträglich feststellen zu lassen. Ausgehend hiervon haben der Kläger und H. I. offenbar die Variante einer Eheschließung vor einem Scharia-Richter mit anschließender staatlicher Registrierung gewählt, wobei der Kläger bei der Eheschließung vertreten wurde.
[15]Dass die Ehe zwischen dem Kläger und H. I. am 29. Juli 2018 in Syrien geschlossen wurde, hat auch der Kläger selbst im Rahmen seines asylrechtlichen Überprüfungsverfahrens beim Bundesamt am 22. Oktober 2019 angegeben. Ferner hat der Kläger zunächst dieses Ehedatum dem Melderegister der Stadt Horb mitgeteilt, so dass es im Melderegister ausweislich der vom Beklagten am 18. Mai 2022 eingeholten Melderegisterauskunft an diesem Tag noch so eingetragen war. Die Eheschließung zum 29. Juli 2018 sei, so die Auskunft der Stadt Horb an den Beklagten, am 30. Dezember 2021 erfasst worden. Auch gegenüber dem Integrationsmanager der Stadt Horb hatte der Kläger - wie der Beklagte aus einem Telefonat am 18. Mai 2022 erfahren hat - angegeben, dass er seit 2018 erneut verheiratet sei. Gleiches hatte der Kläger einem ihm bekannten Übersetzer mitgeteilt, der durch seinen Anruf beim Beklagten am 18. Mai 2022 diesen erstmals über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt hatte.
[16]Mit Blick auf die Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG unerheblich ist es, dass die am 29. Juli 2018 geheiratete Ehefrau nicht die Mutter der Kinder ist, für die Unterhaltsleistungen nach § 1 UVG begehrt und geleistet wurden. Denn nach einer Heirat des bisher alleinerziehenden Elternteils ist in aller Regel nicht die prekäre Lage wie bei Alleinstehenden und damit kein Grund für die Gewährung der Unterhaltsleistungen gegeben. Der Leistungsausschluss für Kinder, die in einer sogenannten „Stiefelternfamilie“ leben, ist verfassungsgemäß (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.12.2000 -
[17](2) Anders als der Kläger nach Erlass der hier angegriffenen Bescheide mit dem Widerspruch am 15. Oktober 2022 behauptet hat, wurde die Ehe nicht erst am 20. Mai 2021 geschlossen, und sie wurde auch nicht, wie er erst später im Rahmen der Klagebegründung am 17. Mai 2023 behauptet hat, zwischenzeitlich am 28. Februar 2019 geschieden.
[18](a) Das Gericht hält die vom Kläger vorgelegte Eheurkunde, die am 10. Januar 2023 in der Bürgerservicezentrale in Hama über eine angeblich am 22. November 2022 erfolgte Registrierung eines am 20. Mai 2021 vor einem Scharia-Richter in Hama geschlossenen Ehevertrages sowie den vorgelegten Ehevertrag vom 21. November 2022 für inhaltlich falsch und möglicherweise durch Bestechung erwirkt. Dabei fällt auf, dass in dem Ehevertrag keine Vertreter für die sich am 20. Mai 2021 in Deutschland befindlichen Ehegatten genannt werden. Erwähnt werden nur die obligatorischen Trauzeugen. Die Urkunde weist somit keine Eheschließung in Stellvertretung nach. Fragen wirft weiter auf, warum diese angeblich zweite Eheschließung vom 20. Mai 2021 in Hama vorgenommen wurde und nicht ebenfalls in Homs, dem Geburtsort des Klägers, an dem die Scheidung von einer früheren Ehefrau, die Genehmigung der Ausreise seiner Kinder, die in Homs geboren wurden, sowie auch die Eheschließung mit H. I. am 29. Juli 2018 erfolgt ist. Auch war H. I. nach ihren Angaben im Asylverfahren von 2014 bis zu ihrer Ausreise in Homs wohnhaft, zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder.
[19]Soweit der Kläger mit der Eheurkunde vom 10. Januar 2023 ein Dokument vorgelegt hat, das als „Legalisation der deutschen Botschaft in Beirut“ vom 24. Januar 2023 bezeichnet und in dem ausgeführt wird, „die Echtheit der Unterschrift der Fr. [R... S...], Mitarbeiter des syrischen Außenministeriums, sowie des verwendeten Dienstsiegels wird gemäß § 13 Abs. 2 Konsulargesetz“ bestätigt, vermag sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass diese die vorgelegten Unterlagen betreffen. Es ist mangels fester Verbindung oder inhaltlicher Bezugnahme nicht ersichtlich, auf welches Dokument sich die angebliche Legalisation bezieht. Ferner wird die Unterschrift eines Mitarbeiters des syrischen Außenministeriums mit dem Namen [R... S...] bestätigt, wohingegen die Eheurkunde vom einer zum syrischen Innenministerium gehörenden Bürgerservicezentrale und einem R. A. ausgestellt worden sein soll. Die angebliche Legalisation betrifft daher offenkundig nicht die vorgelegte Eheurkunde.
[20]Abgesehen davon haben sowohl der Kläger selbst als auch seine Ehefrau H. I. gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2019 sowie noch am 30. Dezember 2021 gegenüber dem Melderegister HXXX angegeben, die Ehe sei am 29. Juli 2018 geschlossen worden. Erst nach Erlass der hier angegriffenen Bescheide hat der Kläger begonnen zu behaupten, er habe erst am 20. Mai 2021 geheiratet und hat das Vorbringen hierzu schrittweise gesteigert, wie etwa um den Vortrag der zwischenzeitlichen Scheidung.
[21]Soweit der Kläger behauptet, die angegebene Eheschließung am 29. Juli 2018 sei lediglich religiös geschlossen und erst am 20. Mai 2021 von den syrischen Behörden registriert worden, ist dies aus den dargelegten Gründen ebenfalls nicht glaubhaft. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Eheschließung vom 29. Juli 2018 sei nicht wirksam, weil sie zunächst nicht vollzogen worden sei, greift dies ebenfalls nicht durch. Er hat selbst angegeben, dass eine in Stellvertretung geschlossene Ehe, bei der der Vollzug nach der Natur der Sache erst später erfolgen kann, wirksam sei. Im Übrigen dürfte die Ehe nach der Einreise von H. I. und deren Wohnsitznahme beim Kläger am 30. Juli 2019 auch irgendwann vollzogen worden sein. Abgesehen davon behauptet der Kläger ja selbst, er sei zwischenzeitlich geschieden worden, womit auch er die Eheschließung vom 29. Juli 2018 letztlich zugesteht.
[22](b) Das Gericht kann sich nicht davon überzeugen, dass die Ehe des Klägers mit H. I. in Syrien am 28. Februar 2019 geschieden wurde.
[23]In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, er habe schon eine Woche nach der allein formal am 29. Juli 2018 geschlossenen Ehe wieder mit H. I. die Scheidung vereinbart. Die scharia-gerichtliche Umsetzung habe jedoch bis zum 28. Februar 2019 gedauert. Dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft. Im Übrigen ist für die Wirksamkeit der Scheidung in Syrien die Mitwirkung eines Scharia-Gerichts in jedem Fall erforderlich.
[24]Schriftsätzlich hat der Kläger vorgetragen, er habe mit H. I. am 28. Februar 2019 die Scheidung vereinbart, wobei sich beide Ehegatten eines Vertreters bedient hätten. Die Scheidung sei von einem Scharia-Gericht in Homs am 11. Oktober 2022 - so die Ehescheidungsurkunde vom 15. März 2023 des syrischen Innenministeriums und das vorgelegte Protokoll vom 25. Januar 2024 des 4. Islamrechtlichen Gerichts in Homs - beschlossen und öffentlich herausgegeben worden. Anschließend sei die Scheidungsvereinbarung vom Innenministerium - Zivilangelegenheiten, Zentrum Homs am 17. November 2022 unter der Nummer 2429 eingetragen worden.
[25]Dieses Vorbringen beschreibt eine sogenannte „Mukhala’a“-Scheidung, welche eine einvernehmliche Scheidung darstellt, die von einem Scharia-Gericht bestätigt werden muss und die anschließend von den staatlichen Zivilbehörden registriert wird. Davon zu unterscheiden ist sog. „Talaq-Scheidung“, welche eine einseitige Scheidungserklärung des Mannes beinhaltet, die ebenfalls von einem Scharia-Gericht bestätigt und später staatlich registriert wird. Ferner gibt es in Syrien noch die sog. „Tafriq-Scheidung“, bei der die Scheidung auf Antrag eines Ehegatten von einem Scharia-Gericht ausgesprochen wird (vgl. zum Ganzen: ACCORD, Anfragebeantwortung Syrien, Voraussetzungen für die rechtliche Gültigkeit der Scheidung einer Ehe von Muslimen, Stand 1.9.2020; Ministerie von Buitenlandes Zaken, Country of Origion Information Report Syria, Stand: Dezember 2019, S. 35 ff.).
[26]Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen zur angeblichen Scheidung am 28. Februar 2019 hält das Gericht jedenfalls für inhaltlich unzutreffend und möglicherweise für gegen Entgelt erwirkt.
[27]Die Glaubhaftigkeit des Inhalts der vorgelegten Unterlagen wird zunächst dadurch in Frage gestellt, dass die angeblich am 28. Februar 2019 vereinbarte Scheidung nach den vorgelegten Unterlagen erst am 11. Oktober 2022 von einem Scharia-Gericht in Homs bestätigt worden sein soll. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit H. I. nach seinem eigenen Vorbringen bereits seit 20. Mai 2021 - bestätigt von einem Scharia-Gericht in Hama - wieder verheiratet. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit und Echtheit der vorgelegten Scheidungsunterlagen ergeben sich ferner daraus, dass der Kläger sie erst nach Erlass der hier angegriffenen Bescheide eingeholt hat. Abgesehen davon ergibt sich aus der vom Kläger vorgelegten Generalvollmacht, die H. I. am 25. September 2018 dem M, A. Idriss erteilt haben soll, nicht, dass diese auch zur Abgabe von Ehe- und Scheidungserklärungen bevollmächtigte. Sie betraf nur verschiedenste geschäftliche Angelegenheiten.
[28]Die zur Ehescheidungsurkunde vorgelegte angebliche Legalisation der deutschen Botschaft in Beirut, die diesmal ohne Datumsangabe die Echtheit der Unterschrift eines Herrn A. B., „Mitarbeiter des Außenministeriums“ bestätigt, geht ebenfalls in Leere. Denn die vorgelegte Ehescheidungsurkunde wurde am 15. März 2023 von einem zum syrischen Innenministerium gehörenden Standesamt, „Ausstellungsort: Zentrum für Postdienst in Latakia - Postdirektion Latakia“ durch einen Herrn S. A. ausgestellt. Angesichts der mehrfachen Vorlage von angeblichen Legalisationen der deutschen Botschaft in Beirut, die nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun haben, stellt sich die Frage, wie der Kläger an diese gelangen konnte.
[29]Soweit der Kläger im weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens auf gerichtliche Nachfrage noch ein Protokoll der vor einem Scharia-Gericht angeblich in Anwesenheit der klagenden Partei und in Abwesenheit der angeklagten Partei verhandelten Scheidungsklage sowie ein Schreiben eines syrischen Rechtsanwalts, übersetzt am 10. November 2024 in Damaskus, vorgelegt hat, wonach die Scheidung einvernehmlich erfolgt sei, vermögen auch diese schwer nachvollziehbaren und einander teilweise widersprechenden Unterlagen an den festgestellten Ungereimtheiten nichts zu ändeRn. Vielmehr dürfte sich der Kläger auch diese Unterlagen nachträglich gegen Entgelt beschafft haben.
[30]Die Unglaubhaftigkeit der Scheidung wird außerdem dadurch belegt, dass die Ehefrau des Klägers H. I. Syrien am 3. November 2018 verlassen, sich sechs Monate in der Türkei aufgehalten, dann mit einem Boot nach Griechenland gefahren und schließlich mit einem gefälschten Personaldokument mit dem Flugzeug am 8. Juni 2019 nach Deutschland eingereist ist. Denn es kann nicht nachvollzogen werden, dass sich der Kläger und seine Ehefrau während der Reise der Ehefrau zum Kläger nach Deutschland, für die sie ... Dollar bezahlt hat, einvernehmlich unter Zuhilfenahme von Stellvertretern in Syrien haben scheiden lassen, weil sie - so das Vorbringen des Klägers - keine Fernbeziehung führen könnten. Vielmehr ist die Ehefrau alsbald nach der Einreise nach Deutschland zum Kläger gezogen und hat bei der Anhörung beim Bundesamt am 3. Juli 2019 angegeben, mit dem Kläger verheiratet zu sein. Auch der Kläger hat - wie bereits ausgeführt - im Rahmen seiner Anhörung anlässlich des asylrechtlichen Überprüfungsverfahrens am 22. Oktober 2019 noch angegeben, mit H. I. verheiratet zu sein. Von einer Scheidung war auch hier nicht die Rede. Vielmehr wurde vom Standesamt in HXXX noch am 30. Dezember 2021 die Eheschließung unter dem Datum 29. Juli 2018 erfasst.
[31]Der Umstand, dass das Standesamt HXXX nun - fehlerhaft - als Eheschließungsdatum den 20. Mai 2021 vermerkt hat, vermag nichts daran zu ändern, dass dieses Eheschließungsdatum nach Überzeugung des Gerichts unzutreffend ist.
[32](c) Selbst wenn die zwischenzeitliche Scheidung der Ehe des Klägers mit H. I. am 28. Februar 2019 in Homs tatsächlich durch Vertreter erklärt worden sein sollte, wäre die Scheidung nicht in Deutschland anzuerkennen.
[33](aa) Das Verwaltungsgericht ist nach § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG befugt, die Anerkennung der fraglichen Scheidung für das vorliegende Verfahren inzident selbst zu prüfen und über sie zu entscheiden.
[34]Nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG werden insbesondere staatliche Entscheidungen, durch die im Ausland eine Ehe geschieden worden ist, grundsätzlich nur anerkannt, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen. Allerdings hängt nach § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Anerkennung nicht von einer Feststellung ab, wenn ein Gericht oder eine Behörde des Staates entschieden hat, dem beide Ehegatten zur Zeit der Entscheidung angehört haben (sog. „Heimatstaatsentscheidung“). In diesen Fällen ist das obligatorische Feststellungsverfahren nicht durchzuführen. Vielmehr erfolgt eine „automatische“ Anerkennung (vgl. von Milczewski in: Bahrenfuss, FamFG, § 107 Rn. 37).
[35]Sowohl nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG als auch nach § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG ist die Anerkennung vom Nichtvorliegen von Anerkennungshindernissen - etwa nach § 109 FamFG - abhängig. Im Falle des § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG sind sie im jeweiligen behördlichen oder gerichtlichen Verfahren inzident zu prüfen (vgl. VG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2024 -
[36]Eine Privatscheidung unterliegt - unabhängig davon, ob sie auf einem einseitigen oder einem zweiseitigen Rechtsgeschäft beruht - dem Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG jedenfalls dann, wenn daran eine ausländische Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in irgendeiner Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat. Eine solche Mitwirkung ist auch dann gegeben, wenn eine einseitige erklärte oder einvernehmlich vereinbarte Scheidung von einem Scharia-Gericht bestätigt und die Scheidung später in den staatlichen Personenstandsregistern registriert wurde. Dies gilt insbesondere, wenn das religiöse Gericht eine mit staatlicher Autorität bekleidete Stelle ist, die nach den ausländischen Gesetzen zur Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten berufen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2020 -
[37]Ausgehend hiervon handelt es sich um einen Fall des § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG (sog. Heimatstaatsentscheidung), weil es um die Anerkennung einer - so ist das Vorbringen des Klägers zu werten - einvernehmlichen Mukhala’a-Scheidung von zwei syrischen Staatsangehörigen in Syrien, bestätigt durch ein syrisches Scharia-Gericht und eingetragen in das syrische Zivilregister, geht.
[38](bb) Die Voraussetzungen für die Anerkennung in Deutschland liegen jedoch nicht vor.
[39]Für die Anerkennung einer Privatscheidung gilt nicht der eingeschränkte formelle Prüfungsmaßstab der §§ 108 und 109 FamFG. Vielmehr ist die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Privatscheidung anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen.
[40]Maßgeblich für die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts sind bei Privatscheidungen die durch Art. 17 Abs. 2 EGBGB modifizierten Kernanknüpfungsregeln in Kapitel II der Rom III-VO. Für eine (wirksame) Rechtswahl der beteiligten Eheleute (vgl. Art. 5 Rom III-VO) ist nichts vorgetragen oder ersichtlich. Daher ist das Scheidungsstatut im vorliegenden Fall nach der gestuften Anknüpfungsleiter des Art. 8 Rom III-VO mit den sich aus Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 und 4 EGBGB hierfür ergebenden Modifikationen objektiv zu ermitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2020 -
[41]Allerdings besteht auch hier nach Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 EGBGB und Art. 12 Rom III-VO für die Anerkennung die Schranke des ordre public nach Art. 6 EGBGB. Gleiches gilt nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG. Die Anwendung eines geschlechterdiskriminierenden ausländischen Scheidungsrechts verstößt jedenfalls dann nicht gegen den deutschen ordre public, wenn die Scheidung dem Willen der Frau entsprach. Wenn beide Ehegatten die Scheidung wünschen und sie für die Auflösung der Ehe einvernehmlich die äußere Form der einseitigen Verstoßung wählen, würde die Versagung der Anerkennung der Scheidung der Frau die Autonomie absprechen, über ihre eigene Scheidung zu entscheiden. Dies setzt freilich voraus, dass die Frau nicht nur generell mit der Beendigung der Ehe, sondern auch mit der Art der Scheidung einverstanden gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2020 -
[42]Selbst wenn hier am 28. Februar 2019 durch in Stellvertretung abgegebene Erklärungen tatsächlich die Scheidung der Ehe zwischen dem Kläger und H. I. erklärt worden sein sollte, ist nach dem oben dargestellten übrigen Vorbringen der Beteiligten, insbesondere dem Vorbringen von H. I. in deren Asylverfahren, nicht davon auszugehen, dass sie mit der Ehescheidung einverstanden war. Denn zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen befand sie sich auf der Reise nach Deutschland zum Kläger, ihrem Ehemann. Für diese Reise hat sie an Schlepper ... Dollar zahlen müssen. Es ist kaum anzunehmen, dass sie eine Ehe zu einem von Deutschland anerkannten Flüchtling während der Reise freiwillig auflösen würde. So hat sie sich nach ihrer Ankunft in Deutschland auch auf diese Ehe berufen und die Zuerkennung von Familienasyl nach § 26 AsylG begehrt, was jedoch nur daran scheiterte, dass die Lebensgemeinschaft nach der Eheschließung im Heimatland noch nicht gelebt worden war.
[43](3) ...
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