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Verfahrensgang

VG Berlin, Urt. vom 12.03.2021 – 4 K 237.18 V, IPRspr 2021-23

Rechtsgebiete

Allgemeine Lehren → Ordre public
Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen
Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit

Leitsatz

Unter dem Gesichtspunkt des materiellrechtlichen ordre public kommt keine Anerkennung ausländischer (hier: syrischer) Gerichtsentscheidungen in Betracht, die durch Täuschung des ausländischen Gerichts erschlichen wurden. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 1; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 5; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 6; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 11; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 16; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 40; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 41; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 45; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 48; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 49
AufenthG § 6; AufenthG § 27; AufenthG § 29; AufenthG § 30
EGBGB Art. 13
FamFG § 107; FamFG §§ 107 ff.; FamFG § 108; FamFG § 109
GG Art. 6
VwGO § 42; VwGO § 86; VwGO § 108; VwGO § 113; VwGO § 173
ZPO § 328; ZPO § 415; ZPO § 417; ZPO § 418

Sachverhalt

Die Klägerin eine 23 Jahre alte syrische Staatsangehörige mit Wohnsitz im Königreich Saudi-Arabien, begehrt ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu dem ebenfalls 23 Jahre alten und als Flüchtling anerkannten syrischen Staatsangehörigen A. Dieser war im September 2015 in das Bundesgebiet eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Bei seiner Meldung als Asylsuchender im Jahre 2015 wurde er als ledig erfasst. Auch der von ihm unterzeichnete Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 10.11.2016 weist ihn als ledig aus. Mit Urteil vom 18.8.2017 verpflichtete das Verwaltungsgericht Köln das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Darauf Bezug nehmend teilte Herr H. der für ihn zuständigen Ausländerbehörde mit Schreiben vom 3.12.2017 mit, dass er entgegen den Angaben zum Familienstand in den Antragsformularen nicht ledig, sondern bereits seit dem 3.4.2016 (gemeint wohl: 2014) verheiratet sei. Seine Ehefrau lebe in Saudi-Arabien. Er bitte um Korrektur der Angaben, um Schwierigkeiten beim beabsichtigten Ehegattennachzug zu vermeiden. Der von ihm am 27.12.2017 unterzeichnete Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis weist ihn allerdings erneut als ledig aus. Am selben Tage gab er zur Niederschrift bei der Ausländerbehörde an, dass seine Ehefrau in Deutschland leben wolle und schnellstmöglich einen Antrag auf Erteilung eines Visums stellen werde. Sie beantragte am 25.1.2018 ein Visum zum Ehegattennachzug bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Riad und trug dazu vor, sie und Herr H. hätten am 3.4.2014 in Damaskus die Ehe geschlossen. Hierzu legte sie u. a. eine unter dem 9.1.2018 gefertigte Kopie einer Bescheinigung der Feststellung ihrer Eheschließung durch das Scharia-Gericht in Damaskus vom 26.2.2017 vor. Darin heißt es, dass beide Eheleute durch Anwälte vertreten vorgesprochen und erklärt hätten, in Damaskus am 3.4.2014 die Ehe geschlossen zu haben. Die Erschienenen seien durch zwei weitere Rechtsanwälte identifiziert worden. Bei ihrer Vorsprache gab die Klägerin im Wesentlichen an, sie hätten sich durch die Familie kennengelernt, seien aber nicht verwandt. Sie seien etwa einen Monat lang verlobt gewesen. Eine Hochzeitsfeier habe es nicht gegeben. Etwa fünf Monate lang hätten sie zusammengelebt. Zuletzt hätten sie sich im Dezember 2014 gesehen. Fotos seien nicht vorhanden, weil ihr Wohnhaus bombardiert worden sei. Sie sei seit Dezember 2014 in Saudi-Arabien. Dorthin sei sie mit einem Besuchsvisum zu ihrem Bruder gereist. Dort lebe sie mit ihren Eltern, ihrem Bruder und dessen Ehefrau. Herr H. sei am 15.9.2015 nach Deutschland gereist. Warum die Ehe nicht umgehend nach Eheschließung registriert worden sei, konnte sie nicht angeben. Weitere vorgelegte Personenstandsurkunden datieren vom Januar 2018. In ihrem Pass befinden sich u.a. ein Einreisestempel in den Libanon vom 19.12.2013 und ein Ausreisestempel des Libanon vom 3.12.2014. Als der Beigeladene mitteilte, dass Herr H. bei seiner Einreise in das Bundesgebiet angegeben habe, ledig zu sein und die Zustimmung zur Erteilung des Visums verweigerte, lehnte die deutsche Botschaft in Riad den Antrag mit einem nicht mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 16.5.2018 ab. Unter dem 3.6.2018 bat die Klägerin um Überprüfung der Entscheidung. Mit Remonstrationsbescheid vom 5.6.2018 lehnte die deutsche Botschaft in Riad den Antrag unter Aufhebung des Bescheides vom 16.5.2018 erneut ab.

Mit der am 4.7.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihr ein Visum zum Zwecke des Ehegattennachzuges zu erteilen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die gemäß § 42 Abs. 1, 2. Variante VwGO statthafte Verpflichtungsklage, … ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

[2]Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 6 Absatz 3 Satz 1 und 2 AufenthG in Verbindung mit den §§ 27, 29 und 30 AufenthG. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) erteilt und verlängert.

[3]I. An einer Ehe im Sinne von Art. 6 GG fehlt es hier. Mit „Ehe“ ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992 – BVerwG 9 C 61.91 –, juris Rn. 7; VG Berlin, Urteil vom 27. November 2019 – VG 19 K 53.19 A –, juris Rn. 18). Dabei bestimmt sich deren Gültigkeit nicht nach dem deutschen Familienrecht. Nach den Regelungen des Völkerrechts und des internationalen Privatrechts ist vielmehr das Recht des Herkunftsstaates entscheidend. Gemäß Art. 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche – EGBGB –, unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Sowohl die Klägerin als auch Herr H...sind syrische Staatsangehörige. Maßgeblich ist deshalb die Wirksamkeit der Eheschließung nach syrischem Recht (vgl. u.a. BVerfG, Urteil vom 30. November 1982 – 1 BvR 818/81 (IPRspr. 1982 Nr. 44) –, NJW 1983, 511, beck-online; BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 – BVerwG 1 C 33.81 –, juris Rn. 17 m.w.N.; ebenso VGH Kassel, Urteil vom 6. November 2018 – 3 A 247/17.A (IPRspr 2018-128), juris Rn. 9 - 13 m.w.N., Coester, in: Münchner Kommentar BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 13 Rn. 11).

[4]Nach Art. 1, 5 und 11 Abs. 1 des syrischen Personalstatusgesetzes – PSG – (Gesetz Nr. 59 vom 17. September 1953, geändert durch Gesetz Nr. 34 vom 31. Dezember 1975 und Gesetz Nr. 18 vom 25. Oktober 2003; vgl. hierzu Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut, abrufbar unter https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe - PSG) ist die Ehe ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch Angebot und Annahme zustande kommt, die in allen Punkten übereinstimmen müssen. Gemäß Art. 6 PSG erfolgen Eheangebot und Annahme entweder wörtlich oder durch Verwendung von Formulierungen, die üblicherweise in diesem Sinne verstanden werden. Mit dem Vorliegen von Angebot und Annahme kommt die Ehe zustande. Zu den formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen gehört nach Art. 16 PSG die Ehemündigkeit, die bei Männern mit Vollendung des 18. Lebensjahrs, bei Frauen mit Vollendung des 17. Lebensjahres gegeben ist und bei jüngeren Personen eine Genehmigung des Familiengerichts erfordert. Letztere Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Klägerin und Herr H...im Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung erst das 16. Lebensjahr vollendet hatten und für eine gerichtliche Genehmigung nichts vorgetragen oder ersichtlich ist. Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 PSG ist eine Ehe jedoch lediglich fehlerhaft, wenn formelle Wirksamkeitsvoraussetzungen fehlen. Ferner sind die Beteiligten gemäß der Art. 40, 41 und 45 PSG grundsätzlich verpflichtet, die beabsichtigte Eheschließung vorab bei Gericht anzuzeigen und genehmigen zu lassen sowie die Eheschließung in der Folge registrieren zu lassen. Eine fehlende Mitwirkung des Staates hindert die Wirksamkeit der Ehe jedoch nicht, vielmehr stellen die Eheschließung, die familiengerichtliche Genehmigung und ihre Anzeige bzw. Registrierung getrennte Vorgänge dar, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen können und letztere lediglich deklaratorischen Charakter haben (s. Kommentar zum staatlichen Familienrecht, a.a.O. unter 5., Registrierung und gerichtliche Erfassung der Ehe). Auch die strafrechtlich bewehrte Pflicht zur Registrierung der Ehe ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer syrischen Ehe. Denn nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 PSG und Art. 49 PSG ist jede Ehe, bei der Angebot und Annahme vorliegen, aber eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Ehe nicht erfüllt ist, lediglich fehlerhaft und begründet dennoch alle Ehewirkungen.

[5]1. Kommt es danach maßgeblich darauf an, dass die Eheleute ihren Willen zur Eheschließung mit Angebot und Annahme bekundet haben, so ist das Gericht gemäß der §§ 86 Abs. 1, 108 VwGO gehalten, seine Überzeugung von der Eheschließung der Klägerin im Wege der freien Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu bilden (vgl. Urteil der Kammer vom 6. Juli 2020 – VG 4 K 769.16 A (IPRspr 2020-112), juris Rn. 19). Nach diesem Maßstab konnte das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin und Herr H...wie behauptet am 3. April 2014 die Ehe geschlossen haben. Zwar spricht einiges dafür, dass Herr H... bereits bald nach seiner Einreise davon berichtet hat, er sei verheiratet, und nicht erst, als er bereits als Asylberechtigter anerkannt war. Dies hilft aber nicht darüber hinweg, dass sich erhebliche Zweifel an einer (formlosen) Eheschließung zum behaupteten Zeitpunkt bereits aus dem Umstand ergeben, dass es nicht plausibel erscheint, dass die Klägerin kein Foto, Video oder eine sonstige Dokumentation dafür vorlegen kann, dass eine Eheschließung tatsächlich vorgenommen wurde. Mit der Beklagten hält auch das Gericht den Vortrag nicht für überzeugend, dass es allein Fotos einer eigens engagierten Fotografin gegeben haben soll, die sodann sämtlich bei der Beschädigung des Elternhauses der Klägerin verloren gegangen sein sollen. Dass von niemandem bei der Eheschließung eine eigene Aufnahme gemacht worden sein soll, erscheint im Zeitalter von Mobiltelefonen mit Kamera unplausibel. Es will auch nicht einleuchten, warum nicht Herr H..., der angeblich vor der Klägerin das Haus verlassen haben will, keine eigenen Fotos mitgenommen hat und sich auch keine Abzüge im Besitz anderer Familienmitglieder befinden, wenn doch schon eigens eine Fotografin engagiert worden sein soll. Noch weniger ist es erklärlich, dass offenbar auch von der angeblich beauftragten Fotografin keine weiteren Abzüge zu erhalten waren.

[6]Auch die Motivation für die Eheschließung wirft Zweifel auf. Denn zunächst hieß es, die Eheschließung sei lediglich auf Drängen der Eltern als Voraussetzung dafür erfolgt, dass die Klägerin und Herr H...zusammenziehen wollten. Später hat die Klägerin vorgetragen, sie hätten sich zur Ehe entschlossen, um einen Ehegattennachzug im Falle der Asylanerkennung eines der Eheleute zu erleichtern.  Während die letztere Erklärung kaum den Eindruck einer altersentsprechenden Erwägung erweckt, leidet die Überzeugungskraft der ersten daran, dass der Entschluss von zwei 16-jährigen Jugendlichen, zusammenzuziehen, bereits unter den mutmaßlich großzügigeren Moralvorstellungen Westeuropas eher ungewöhnlich sein dürfte. Für einen solchen Entschluss hätte die Darlegung umfänglicherer Erwägungen und die Vorlage weiterer Nachweise erwartet werden dürfen als der bloße Vortrag, dass die Klägerin und Herr H... bereits seit dem 14. Lebensjahr befreundet gewesen sein wollen. Wenn außerdem der Wunsch nach einem eigenen Hausstand so groß gewesen sein soll, ist es nicht eingängig, weshalb die Klägerin und Herr H... sodann lediglich einen abgetrennten Teil der elterlichen Wohnung der Klägerin bewohnt haben wollen. Überdies bleibt der Widerspruch zwischen beiden Motivationen für die Eheschließung unaufgelöst.

[7]Ohne, dass es darauf ankommt, ergeben sich weitere Zweifel aus dem Umstand, dass sich die Angaben der Klägerin insofern nicht mit den Eintragungen in dem Urteil des Scharia-Gerichts vom 26. Februar 2017 decken, als nach ihren Angaben die Eheschließung in ihrem elterlichen Wohnhaus in in der an der Grenze zu Damaskus gelegenen Stadt Al Malihah stattgefunden haben soll, das Urteil des Scharia-Gerichts aber referiert, dass die Eheschließung in Damaskus erfolgt sein soll.

[8]Jedenfalls aber vermochte sich das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung, die nach eigenen Angaben unter Anwesenden erfolgt sein soll, überhaupt noch in Syrien war. Denn ihr Pass enthält einen Stempel anlässlich eines Grenzübertritts in den Libanon vom 19. Dezember 2013 und einen Ausreisestempel vom 3. Dezember 2014 anlässlich ihrer Ausreise in das Königreich Saudi-Arabien. Ihr Einwand, sie sei im Dezember 2013 nur für einen dreitätigen Kurzaufenthalt im Libanon gewesen, überzeugt das Gericht nicht. Denn dies erklärt nicht, weshalb die Rückreise im Dezember 2013 nicht im Pass dokumentiert ist. Ihr Vorbringen, dass auch die Vorlage eines Personalausweises für einen Grenzübertritt genügt habe, erklärt nicht hinreichend, weshalb die Einreise in den Libanon im Pass durch Stempel dokumentiert sein soll, die Rückreise nach Syrien aber ebenso wenig wie die dann erneute Einreise zum Dezember 2014. Überdies ist die Klägerin dem Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten, dass zusätzlich zu ihrem Einreisestempel vom Dezember 2013, dem gemäß zusätzlichem Stempelaufdruck eine Angabe über den legale Aufenthalt von sechs Monaten beigefügt wurde, eine Verlängerung dieser Aufenthaltsdauer durch weiteren Stempel im Pass angebracht ist, durch den diese bis Dezember 2014 verlängert wurde, als sie schließlich aus dem Libanon ausgereist ist. Ein solcher Stempel wäre bei der behaupteten Rückreise im Dezember 2013 nach Syrien nicht erklärlich. Es muss bei dieser Sachlage nicht vertieft werden, dass der Vortrag der Klägerin, ihr Bruder sei im November 2014 zum Erhalt ihres Besuchsvisums für Saudi-Arabien zur saudischen Botschaft in den Libanon gereist, verfahrensangepasst erscheint.

[9]2. Eine Eheschließung zwischen der Klägerin von Herrn H... wird auch nicht durch die Entscheidung des Scharia-Gerichts vom 26. Februar 2017 bewiesen, welche die Feststellung trifft, dass die Klägerin und Herr H...am 3. April 2014 die Ehe eingegangen sind. Die Anerkennung eines ausländischen Urteils im verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich grundsätzlich nach § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Doch werden diese Vorschriften, da das hier inmitten stehende Urteil vom 26. Februar 2017 eine Eheschließung betrifft, in diesem Fall durch die Sonderregelungen der §§ 107 ff. FamFG verdrängt (vgl. OVG Berlin-Bandenburg, Urteil vom 12. Juli 2017 – OVG 11 B 5.16 –, juris Rn. 17). Nach § 108 Abs. 1 FamFG werden in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen ausländische Entscheidungen anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

[10]Bei der vorgenannten, auf der Grundlage von Art. 45 Abs. 3 Satz 1 PSG ergangenen Legalisierungsentscheidung handelt es sich zwar um eine ausländische Entscheidung i.S.d. § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG, durch die das Bestehen einer Ehe zwischen den Beteiligten festgestellt worden ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2016 – 1 VA 7/15 (IPRspr 2016-299), juris Rn. 1). Da aber beide Ehegatten die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, hängt die Anerkennung nicht von einer formellen Entscheidung der Justizverwaltung oder des Oberlandesgerichts (§ 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG), sondern allein von der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren inzident zu prüfenden Frage ab, ob Anerkennungshindernisse nach § 109 FamFG bestehen (VG Berlin, Urteil vom 22. Juni 2020 – VG 31 K 394.19 V (IPRspr 2020-161), juris Rn. 31). So liegt der Fall hier.

[11]Nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist eine Anerkennung ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (sog. ordre-public-Verstoß). Das Recht der Entscheidungsanerkennung verfolgt als vornehmliches Ziel die Wahrung des internationalen Entscheidungseinklangs und die Vermeidung sog. hinkender Rechtsverhältnisse, weshalb die Versagung der Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public auf Ausnahmefälle beschränkt ist (vgl. zur Ehefeststellung: KG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2016, a.a.O., Rn. 2 m.w.N.; zur Sorgerechtsübertragung: BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – BVerwG 10 C 14.12 (Vgl. hierzu die Parallelentscheidung gleichen Datums – IPRspr. 2012 Nr. 278b) –, juris Rn. 19, m.w.N.).

[12]Ein ordre public-Verstoß liegt im Allgemeinen vor, wenn die Entscheidung mit den der deutschen Rechtsordnung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in einer Weise in Widerspruch steht, dass sie für untragbar gehalten wird (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2014 – XII ZB 463/13 (IPRspr 2014-254b), juris Rn. 28; Sieghörtner, in: BeckOK, FamFG, Hahne/Schlögel/ Schlünder, 37. Edition, Stand 1. Januar 2021, § 109 Fam FG Rn. 32). Ein Verstoß gegen den materiellrechtlichen ordre public zeichnet sich dadurch aus, dass die ausländische Entscheidung anhand des ausländischen Rechtsinstituts Rechtsfolgen auslöst, die dem Sinn und Zweck des entsprechenden Instituts im Inland in besonders schwerwiegender Weise widersprechen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. März 2011 – OVG 3 B 8.08 (IPRspr 2011-96), juris Rn. 30; Gomille, in: Haußleitner, FamFG, 2. Aufl. 2017, Rn. 21). Insbesondere kommt unter dem Gesichtspunkt des materiellrechtlichen ordre public auch keine Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Betracht, die durch Täuschung des ausländischen Gerichts erschlichen wurden (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 231/91 – juris Rn. 32). So liegt der Fall hier. Denn wenn zur Überzeugung des Gerichts die behauptete Eheschließung zwischen der Klägerin und Herrn H...am 3. April 2014 nicht stattgefunden hat, stellt der durch Vertreter beim Scharia-Gericht in Damaskus angebrachte Vortrag, der Grundlage für dessen Entscheidung vom 26. Februar 2017 war, eine Täuschung dar.

[13]3. Schließlich wird die Eingehung der Ehe auch nicht durch den Umstand bewiesen, dass die Klägerin Auszüge aus dem Zivil- und Familienregister des syrischen Innenministeriums vom 3. Januar 2018 vorgelegt hat, die sie und Herrn H...als verheiratet ausweisen. Es handelt sich jeweils um ausländische öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in §§ 415, 417 ZPO bezeichneten Inhalt haben, weil sie weder eine Erklärung vor noch eine Anordnung durch die ausstellende Behörde wiedergeben. Solche begründen – wie entsprechende deutsche öffentliche Urkunden gemäß § 418 Abs. 1 und 3 ZPO – nur dann den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, wenn diese von der Behörde oder der Urkundsperson selbst wahrgenommen wurden (vgl Schreiber, in Münchner Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 418 Rn. 5). Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die beurkundeten Registereinträgen nicht auf die Wahrnehmung der Registerbehörden, sondern auf die Entscheidung des Scharia-Gerichts vom 26. Februar 2017 zurückgehen. Zwar ist eine Identität zwischen wahrnehmendem und bescheinigendem Amtsträger nicht erforderlich (Schreiber, a.a.O.). Doch auch das Scharia-Gericht hat die Eheschließung nicht als Gegenstand eigener Wahrnehmung festgestellt. Da im Übrigen die Registereinträge auf die Entscheidung des Scharia-Gerichts vom 26. Februar 2017 zurückgehen, kann deren Beweiskraft nicht größer sein als die der Entscheidung selbst.

[14]II. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BeckRS, 2021, 5912

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