Als Anknüpfungspunkt für einen Anspruch auf Familienasyl kommen auch polygame Ehen in Betracht, ebenso Handschuhehen, nicht jedoch religiös geschlossene Ehen, wenn und solange sie nicht staatlich anerkannt sind. Daher ist auch eine im Ausland geschlossene Mehrehe möglicher Anknüpfungspunkt für ein Begehren auf Familienasyl, selbst wenn diese Form der Eheschließung in Deutschland nicht zulässig und nicht anerkannt ist. [LS der Redaktion]
Der in Syrien geborene Kl. reiste nach seinen Angaben gemeinsam mit seiner Ehefrau im August 2012 aus seinem Heimatland aus und im August 2015 in das Bundesgebiet ein. Auf Nachfrage im Rahmen seiner Anhörung vor dem BAMF im April 2016 gab der Kl. im Wesentlichen an, sie hätten vier Jahre illegal in Libyen gelebt, danach seien sie nach Deutschland ausgereist. Er habe von 1958 bis 1960 im Süden von Syrien Wehrdienst geleistet. Aus Syrien sei er wegen der allgemeinen Lage geflohen, er habe Angst, bei seiner Rückkehr verhaftet zu werden. In Deutschland lebten neun seiner Kinder.
Mit Bescheid vom 21.4.2016 erkannte die Bekl. dem Kl. den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte im Übrigen seinen Asylantrag ab. Gegen die Nichtzuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat der Kl. am 10.5.2016 Klage vor dem VG Kassel erhoben. Mit Urteil vom 10.11.2016, 5 K 825/16.KS.A, hat das VG Kassel die Bekl. verpflichtet, dem Kl. die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Mit Beschluss vom 17.1.2017, 3 A 2912/16.Z.A, hat der Senat die Berufung zugelassen. Die Bekl. beantragt, das Urteil des VG Kassel vom 10.11.2016, 5 K 825/16.KS.A, abzuändern und die Klage abzuweisen. Mit Schriftsatz vom 31.8.2017 teilte der Kl. mit, dass seiner Ehefrau mit Bescheid vom 1.2.2017 bestandskräftig die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei und daher die Voraussetzungen des § 26 AsylG für ihn vorlägen. Hierzu überreichte der Kl. eine Heiratsurkunde nebst Übersetzung.
[1]II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Bekl. ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des VG Kassel stellt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 AsylG) im Ergebnis bereits deshalb als zutreffend dar, da der Kl. gem. § 26 AsylG einen Anspruch auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, abgeleitet von seiner Ehefrau C hat. Seiner Ehefrau C ist nämlich mit Bescheid vom 1.2.2017 bestandskräftig die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, so dass dem Kl. gem. § 26 I, V AsylG als Familienangehöriger einer internationalen Schutzberechtigten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht.
[2]Gemäß § 26 I AsylG wird der Ehegatte oder Lebenspartner eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn
[3]1. die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
[4]2. die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
[5]3. der Ehegatte oder Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist, oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
[6]4. die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
[7]Gemäß § 26 V AsylG sind auf Familienangehörige i.S.d. Abs. 1 bis 3 von international Schutzberechtigten die Abs. 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz.
[8]Wer Ehegatte ist, bestimmt sich für unsere Rechtsordnung verbindlich nach dem Recht, das bei der Eheschließung gegolten hat. Mit ‚Ehe’ ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch zunächst die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau gemeint, wobei sich die Gültigkeit der Eheschließung eines Flüchtlings nicht nach dem deutschen Familienrecht, sondern grundsätzlich nach dem Recht des Herkunftslandes richtet (vgl. GK-AsylG-Bodenbender Stand: 2008 § 26 Rz. 45 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. vom 15.12.1992 – 9 C 61.91 und VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 17.1.1995 – A 12 S 64/92 und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 5.7.1993 – 13 A 10564/92; Bergmann-Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018 § 26 Rz. 12 m.w.N.). Als Anknüpfungspunkt für einen Anspruch auf Familienasyl kommen auch polygame Ehen in Betracht, ebenso Handschuhehen, nicht jedoch religiös geschlossene Ehen, wenn und solange sie nicht staatlich anerkannt sind (vgl. Bergmann-Dienelt aaO § 26 Rz. 12 unter Hinweis auf OVG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 5.7.1993 – 13 A 10564/92). Daher ist auch eine im Ausland geschlossene Mehrehe möglicher Anknüpfungspunkt für ein Begehren auf Familienasyl, selbst wenn diese Form der Eheschließung in Deutschland nicht zulässig und nicht anerkannt ist (vgl. Bodenbender aaO § 26 Rz. 46 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. vom 30.4.1985 – 1 C 33/81 (IPRspr. 1985 Nr. 3); Hofmann-Schröder Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 Rz. 8).
[9]Ausweislich des Gutachtens des Max-Planck-Instituts vom 13.9.2018 sowie dessen Verweis auf den Internetauftritt des Max-Plancks-Instituts unter www.familienrecht-in-syrien.de steht zur Überzeugung der Vorsitzenden fest, dass es sich bei der zwischen dem Kl. und Frau C geschlossenen Ehe um eine formgültig geschlossene staatliche Ehe handelt.
[10]Nach der Auskunft des Max-Planck-Instituts vom 13.9.2018 ist in Syrien eine Mitwirkung des Staats für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Ehepartner sind grundsätzlich verpflichtet, dem Gericht die Eheschließung anzuzeigen. Dies kann zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgen: Die Nupturienten zeigen entweder dem Gericht vorab an, dass sie die Ehe zu schließen beabsichtigen, oder sie lassen die Ehe nach der Trauung bei dem Gericht registrieren oder aber sie lassen die Eheschließung bzw. den Bestand durch das Gericht feststellen. Da eine Ehe grundsätzlich auch formlos zustande kommen kann, wird in der Praxis oftmals von einer vorherigen Anzeige der Eheabsicht bei Gericht abgesehen. Zudem können oder wollen die Nupturienten in vielen Fällen die erforderlichen Dokumente nicht beibringen. Ein Bedürfnis, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht in der Praxis immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z.B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsangehörigkeitsurkunde) ausgestellt werden sollen. Die nachträgliche Registrierung der Eheschließung wird in das Geburtsregister eingetragen und an die Personenstandsbehörde weitergeleitet (Art. 45 Personalstatut: Gesetz Nr. 59 über das Personalstatut vom 17.9.1953 i.d.F. des Gesetzes Nr. 34 vom 31.12.1975) (vgl. insgesamt Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, www.familenrecht-in-syrien.de).
[11]Bei der von dem Max-Planck-Institut als authentisch identifizierten amtlichen Eheschließungsurkunde, die die Eheschließung des Kl. mit seiner Ehefrau C beurkundet, ist nach Auffassung des Max-Planck-Instituts davon auszugehen, dass die Ehegatten den offiziellen Weg gewählt haben und ihre Ehe mit staatlicher Mitwirkung geschlossen haben. Vor diesem Hintergrund kann grundsätzlich von einer wirksamen Eheschließung nach syrischem Recht ausgegangen werden, so dass dem Kl. ein Anspruch auf Familienasyl gem. § 26 I und V AsylG zusteht.
[12]Die Tatsache, dass der Kl. (wohl) noch eine weitere Ehefrau in Syrien geehelicht hat, ist für die hier zu entscheidende Frage nicht von Relevanz. Hinsichtlich der Problematik des Familiennachzugs im Fall von Mehrehen ist darauf hinzuweisen, dass nicht der Kl. im Wege des Familiennachzugs mehrere seiner Ehefrauen nachziehen lassen will, sondern der Kl. von seiner (ggf. zweiten) Ehefrau einen Anspruch auf Familienasyl ableiten will. Insoweit kann auf die bereits zitierte Kommentarliteratur (Bodenbender aaO § 26 AsylG Rz. 46; Bergmann-Dienelt, aaO § 26 AsylG Rz. 12; Schröder aaO § 26 AsylG Rz. 8) verwiesen werden.