PDF-Version

Verfahrensgang

VG Berlin, Urt. vom 06.07.2020 – 4 K 769.16 A, IPRspr 2020-112

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Die Zulässigkeit einer Mehrehe nach ausländischem (hier: syrischem) Recht widerspricht nicht schlechthin gemäß Art. 6 EGBGB dem deutschen ordre public. Angelegt in dem weiten Begriffsverständnis der „Familie“ in Art. 6 I GG ist es dem Grundgesetz nicht fremd, nach ausländischem Recht geschlossene Verbindungen, so auch Mehrehen, zu akzeptieren. Ebenso ist es der deutschen Rechtsordnung nicht fremd, sich daraus ergebende zivilrechtliche Rechtspositionen anzuerkennen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 1; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 5; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 6; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 11; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 12; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 16; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 17; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 18; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 40 f.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 45; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 48; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 49; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 51
84/1949 ZGB (Syrien) Art. 40
AsylG § 26
AufenthG §§ 27 ff.; AufenthG § 30
BGB § 1353
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 13; EGBGB Art. 229
EMRK Art. 8
GFK Art. 12
GG Art. 1; GG Art. 2; GG Art. 3; GG Art. 6
KindereheG Art. 2
VwGO § 86; VwGO § 108; VwGO § 113

Sachverhalt

Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die im Jahr 1985 geborene und aus Syrien stammende Klägerin zu 1. ist kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie reisten nach eigenen Angaben im August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Unter dem Datum des 4.9.2015 wurde den Klägern eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende (im Folgenden: BÜMA) durch das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten von Berlin ausgestellt. Am 9.11.2015 stellten sie ihre Asylanträge. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 4.8.2016 gab die Klägerin zu 1. im Wesentlichen an: Sie stamme aus Selm und habe nach ihrer Heirat in Kobane in Syrien gelebt. Da sie staatenlose Kurdin sei, habe sie in Syrien keine Personalausweis- oder Passdokumente bekommen können; sie verfüge lediglich über einen Auszug aus dem Zivilregister, mit dem sie sich ausweisen könne. Sie habe dann gemeinsam mit ihrem Sohn sowie ihrem 1994 geborenen Stiefsohn, Herrn M., Syrien verlassen und sei nach Deutschland gekommen. Herr B., mit dem sie verheiratet, aber derzeit „getrennt“ sei, halte sich ebenfalls in Deutschland auf und sei bereits als Flüchtling anerkannt worden. Der 1968 geborene Herr... ist ebenfalls Kurde und stammt aus Syrien. Er gab bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt an, er habe zwei Frauen: Neben der Klägerin zu 1., seiner Zweitfrau, die sich mit dem gemeinsamen Sohn in der Türkei aufhalte, sei seine andere - erste - Ehefrau, mit der er sieben gemeinsame Kinder habe, noch in Syrien. Seine Heimatstadt Kobane habe er im Jahr 2014 verlassen. Mit Bescheid vom 8.7.2015 erkannte das Bundesamt ihm die Flüchtlingseigenschaft zu. Mit Schreiben vom 29.7.2015 beantragte er den erleichterten Familiennachzug gemäß § 29 III AufenthG für seine Erstehefrau sowie für vier gemeinsame Kinder.

Mit Bescheid vom 5.10.2016 erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte die Asylanträge im Übrigen mit der Begründung ab, es sei kein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Die Klägerin zu 1. beantragt nunmehr, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 5.10.2016 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Mit Bescheid vom 2.5.2018 hat das Bundesamt Herrn B. mitgeteilt, dass die Überprüfung seiner asylrechtlichen Begünstigung nach § 73 AsylG ergeben habe, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme derselben nicht vorlägen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin zu 1. steht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den Grundsätzen des Familienasyls gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG zu. Soweit der angefochtene Bescheid dies ablehnt ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 1. in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

[2]I. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu 1. richten sich nach § 26 Abs. 5 Satz 1, Satz 2, 1. Alt. i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG. Danach wird der Ehegatte des Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Anerkennung der Referenzperson unanfechtbar ist, die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit ihr schon in dem Staat bestanden hat, in der der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, der Ehegatte oder Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist, oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Nach § 26 Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG ist dies auf Familienangehörige von international Schutzberechtigten entsprechend anwendbar, wobei an die Stelle der Asylberechtigung die Flüchtlingseigenschaft tritt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

[3]1. Dabei steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin zu 1. „Ehegattin“ i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, da zwischen ihr und Herrn B... als Referenzperson eine wirksame Ehe zustande gekommen ist. Mit „Ehe“ ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992 - BVerwG 9 C 61.91 -, juris Rn. 7; VG Berlin, Urteil vom 27. November 2019 - VG 19 K 53.19 A -, juris Rn. 18). Dabei bestimmt sich deren Gültigkeit nicht nach dem deutschen Familienrecht. Nach den Regelungen des Völkerrechts und des internationalen Privatrechts ist vielmehr das Recht des Herkunftsstaates entscheidend; nach Art. 12 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtstellung von Flüchtlingen vom 28. Juli 1951 - GFK - ist das Personalstatut eines jeden Flüchtlings nach dem Recht des Landes seines Wohnsitzes oder, in Ermangelung eines Wohnsitzes, nach dem Recht seines Aufenthaltslandes zu bestimmen. Nach Art. 12 Abs. 2 GFK werden von jedem vertragschließenden Staat die von einem Flüchtling vorher erworbenen und sich aus seinem Personalstatut ergebenden Rechte, insbesondere die aus der Eheschließung, geachtet, gegebenenfalls vorbehaltlich der Formalitäten, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht vorgesehen sind. Auch gemäß Art. 13 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche - EGBGB -, unterliegen die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. Maßgeblich ist deshalb die Wirksamkeit der Eheschließung nach syrischem Recht (vgl. u.a. BVerfG, Urteil vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/81 (IPRspr. 1982 Nr. 44) -, NJW 1983, 511, beck-online; BVerwG, 30. April 1985 - 1 C 33.81 (IPRspr. 1985 Nr. 3) -, juris Rn. 17 m.w.N.; ebenso Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 6. November 2018 - 3 A 247/17.A  (IPRspr 2018-128)-, juris Rn. 9 - 13 m.w.N., MüKoBGB/Coester, 7. Aufl. 2018 Rn. 69, EGBGB Art. 13 Rn. 69; Epple in GK-AsylG, Kommentar, Loseblatt, Stand März 2019, § 26 Rn. 39; Günther in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Auflage 2020, AsylG § 26 Rn. 8; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 26 Rn. 12 m.w.N., Schröder in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, AsylVfG § 26 Rn. 8 m.V.a. Art. 12 GFK).

[4]Nach dem deshalb anzuwendenden syrischen Personalstatusgesetz - PSG - (Gesetz Nr. 59 vom 17. September 1953, geändert durch Gesetz Nr. 34 vom 31. Dezember 1975 und Gesetz Nr. 18 vom 25. Oktober 2003; vgl. hierzu Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut, abrufbar unter https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe) geht die Kammer vom Vorliegen einer wirksamen Ehe aus. Nach Art. 1, 5 und 11 Abs. 1 PSG ist die Ehe ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch Angebot (tgäb) und Annahme (qabül) zustande kommt, die in allen Punkten übereinstimmen müssen. Gemäß Art. 6 PSG erfolgen Eheangebot und Annahme entweder wörtlich oder durch Verwendung von Formulierungen, die üblicherweise in diesem Sinne verstanden werden. Mit dem Vorliegen von Angebot und Annahme kommt die Ehe zustande. Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 PSG ist sie lediglich fehlerhaft, wenn weitere formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen fehlen. [Z]u diesen gehört nach Art. 16 PSG die Ehemündigkeit, die bei Männern mit Vollendung des 18. Lebensjahrs, bei Frauen mit Vollendung des 17. Lebensjahres gegeben ist und bei jüngeren Personen eine Genehmigung des Familiengerichts erfordert. Weiter müssen nach Art. 12 PSG bei der Eheschließung zwei männliche bzw. ein männlicher und zwei weibliche erwachsene Zeugen islamischen Glaubens anwesend sein. Ferner sind die Beteiligten gemäß der Art. 40, 41 und 45 PSG grundsätzlich verpflichtet, die beabsichtigte Eheschließung vorab bei Gericht anzuzeigen und genehmigen zu lassen sowie die Eheschließung in der Folge registrieren zu lassen. Eine fehlende Mitwirkung des Staates hindert die Wirksamkeit der Ehe jedoch nicht, vielmehr stellen die Eheschließung, die familiengerichtliche Genehmigung und ihre Anzeige bzw. Registrierung getrennte Vorgänge dar, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschehen können und letztere lediglich deklaratorischen Charakter haben (s. Kommentar zum staatlichen Familienrecht, a.a.O. unter 5., Registrierung und gerichtliche Erfassung der Ehe). Auch die strafrechtlich bewehrte Pflicht zur Registrierung der Ehe ist keine Voraussetzung für die Wirksamkeit einer syrischen Ehe. Denn nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 PSG und Art. 49 PSG ist jede Ehe, bei der Angebot und Annahme vorliegen, aber eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Ehe nicht erfüllt ist, lediglich fehlerhaft (fäsid) und begründet dennoch alle Ehewirkungen. Eine fehlerhafte Ehe gilt gemäß Art. 51 Abs. 1 PSG lediglich solange als nichtig, wie sie nicht vollzogen wurde (vgl. dazu auch OLG Bamberg, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 2 UF 58.16 (IPRspr 2016-107) -, juris Rn. 25 f.).

[5]Kommt es danach maßgeblich darauf an, dass die Eheleute ihren Willen zur Eheschließung mit Angebot und Annahme bekundet haben, so liegen die Voraussetzungen hier vor. Dabei ist die Kammer gemäß der §§ 86 Abs. 1, 108 VwGO gehalten, ihre Überzeugung von der Eheschließung der Klägerin zu 1. im Wege der freien Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu bilden. Denn da - wie beschrieben - nach dem maßgeblichen Heimatrecht der Klägerin zu 1. die schriftliche Dokumentation der Eheschließung nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist, kann deren Fehlen hier nicht streitentscheidend sein.

[6]Nach Überzeugung der Kammer haben die Klägerin zu 1. und Herr B... in Syrien geheiratet. Dafür spricht bereits, dass beide in ihren Anhörungen vor dem Bundesamt übereinstimmend und unabhängig voneinander berichtet haben, miteinander verheiratet zu sein. Das gleiche gilt für ihre Schilderungen der früheren gemeinsamen Lebensumstände in Syrien und der Umstände des Todes eines Sohnes des Herrn B... . In der mündlichen Verhandlung haben sie weiterhin übereinstimmend und glaubhaft dargelegt, dass sie sich an einem von ihnen nicht näher bestimmbaren Tag im Jahr 1999 oder 2000 im Haus der Mutter des Herrn B... vor einem ... Scheich ... eingefunden haben und erklärt haben, die Ehe eingehen zu wollen. Übereinstimmend haben beide bekundet, dass die Klägerin zu 1., die bis zur Heirat in ihrem Elternhaus gewohnt hat, nach der Eheschließung in das Haus des Herrn ... umgezogen ist, wobei sie dort in einer Wohnung in der oberen und die Erstehefrau mit ihren Kindern in einer Wohnung in der unteren Etage gewohnt hat. Daran, dass die Eheschließung stattgefunden hat, zweifelt die Kammer auch nicht deshalb, weil weder die Klägerin zu 1. noch Herr B... das Datum der Hochzeit genau benennen konnten sowie beide die Anzahl der Gäste unterschiedlich angegeben haben. Denn nach Auffassung der Kammer ist dies zum einen dem Umstand geschuldet, dass die Eheschließung bereits über zwanzig Jahre zurückliegt und sie aufgrund der Tatsache, dass es für Herrn B... bereits die zweite Eheschließung war, die nicht mit einem großen Fest begangen wurde, in ihrer Bedeutung nicht mit einer ersten Hochzeit vergleichbar ist. Die Kammer ist zum anderen zu der Überzeugung gelangt, dass die Ungenauigkeiten in der Schilderung der Klägerin zu 1., die sich neben dem Genannten auch auf ihr eigenes Alter bei Eheschließung, den Geburtstag ihres Sohnes und das Alter ihres Mannes erstrecken, im Kern ihrem geringen Bildungsstand geschuldet sind. Sie lebte in Syrien als Kurdin und sog. „maktuma“, namentlich als nicht-registrierte Person (vgl. zur Stellung nicht registrierter Kurden in Syrien etwa Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Syrien vom 20. November 2019, S. 19 ff.). Als solche erhielt sie nicht nur keine offiziellen Dokumente, ihr war darüber hinaus auch der Schulbesuch verwehrt. Nach ihren auch insoweit glaubhaften Angaben hat sie keinerlei Bildung erfahren. Sie ist Analphabetin und hat weder Schreiben, Lesen noch Rechnen gelernt. Nach ihrer Anhörung hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, dass ihr deshalb die Wiedergabe von Daten oder einer genauen Anzahl von Personen nicht möglich ist. Es steht außerdem fest, dass es sich bei dem Kläger zu 2. um den gemeinsamen Sohn der Klägerin zu 1. und Herrn B... handelt, mithin die Ehe vollzogen und die Heilung möglicher Mängel bei Eheschließung jedenfalls nach Art. 51 Abs. 1 PSG erwirkt worden ist; denn ohne Anlass für Zweifel zu geben, haben beide Eheleute übereinstimmend erklärt, dass der Kläger zu 2. erst nach erfolgter Eheschließung und als einziges gemeinsames Kind geboren wurde. Auch der Kläger zu 2. hat durch seine glaubhafte Schilderung bestätigt, bei der Klägerin zu 1. als seiner leiblichen Mutter, Herrn B... als seinem leiblichen Vater und dessen Erstehefrau als seiner „zweiten Mutter“, aufgewachsen zu sein. Überdies trägt er denselben Familiennamen wie Herr..., was Indiz ist sowohl für die Wirksamkeit der Eheschließung als auch für die Vaterschaft des Ehemannes der Klägerin zu 1. ist. Denn nach Art. 40 des syrischen Zivilbuches wird stets der Familienname des Kindsvaters an dieses weitergegeben (vgl. Kommentar zum staatlichen Familienrecht, a.a.O.).

[7]a. Der Wirksamkeit der Ehe steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1. bei Eheschließung minderjährig war und höchstwahrscheinlich auch das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, auch wenn nach Art. 16 PSG die Ehemündigkeit erst ab diesem Alter besteht. Nach dem Ergebnis der Anhörungen in der mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass sie im Alter von 14 oder 15 Jahren geheiratet hat. Dieser „Mangel“ hinsichtlich der fehlenden Ehemündigkeit eines Ehegatten führt aber nach dem auch insoweit maßgeblichen syrischen Recht nicht dazu, dass die Ehe unwirksam ist. Zum einen ist nach Art. 18 PSG eine Eheschließung auch vor Erreichen dieser Altersgrenze mit Genehmigung des Familiengerichts möglich. Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Genehmigung ist u.a., dass ein Junge das 15. Lebensjahr und ein Mädchen das 13. Lebensjahr vollendet hat und der Ehevormund - jedenfalls dann, wenn dieser nach Art. 18 Nr. 2 PSG der Vater oder Großvater des Kindes ist - zustimmt. Diese Möglichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung des syrischen Kassationsgerichts bestätigt (vgl. Kommentar zum staatlichen Familienrecht, a.a.O.). Zum anderen kommt es auf die Genehmigung des Familiengerichtes für die Frage der Wirksamkeit der Ehe nicht abschließend an (ebenda). Denn auch diesbezüglich bleibt die Ehe ohne Genehmigung oder bei fehlender Ehemündigkeit lediglich fehlerhaft und entfaltet weiterhin Wirkungen; bei Vollzug der lediglich fehlerhaften Ehe ist diese gemäß Art. 51 Abs. 1 PSG auch nicht unwirksam. Danach ist der „Mangel“ der fehlenden Ehemündigkeit hier jedenfalls aufgrund des Vollzugs der Ehe geheilt.

[8]Die Ehe ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) unwirksam. Danach ist eine Ehe nach deutschem Recht dann unwirksam, wenn der Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte, wovon hier auszugehen ist. Dennoch entfaltet Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB hier keine Rechtswirkungen (auf die Frage, ob diese Vorschrift mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar ist, kommt es hier deshalb nicht an, vgl. dazu BGH, Vorlagebeschluss vom 14. November 2018 - XII ZB 292/16 (IPRspr 2018-129) -, juris, in der dieser von der Unvereinbarkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit Art. 1, 2 Abs. 1, 3 GG und 6 Abs. 1 GG ausgeht). Einschlägig sind nämlich zum einen die Übergangsbestimmungen nach Art. 229 § 44 EGBGB, in denen der Gesetzgeber für bestimmte Sachverhalte von Art. 13 Abs. 3 EGBGB abweichende Regelungen getroffen hat. So gilt nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB die Vorschrift des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB für solche Fälle nicht, in denen der minderjährige Ehegatte vor dem 22. Juli 1999 geboren worden ist, er also im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen volljährig war, oder die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte (Nr. 2). So liegt es hier. Die am 1. August 1985 geborene Klägerin war im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des vorbezeichneten Gesetzes im Jahr 2017 bereits volljährig. Weder sie, die Syrien erst im August 2015 verlassen hat, noch Herr B..., der sich dort bis 2014 aufgehalten hat, hatten bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit am 1. August 2003 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Im Übrigen hindert die Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 2 AsylG einen Ausschluss einer Minderjährigenehe vom Familienasyl: Danach ist es für die Anerkennung als Asylberechtigter des im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährigen Partners unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist.

[9]b. Unschädlich für ihre Qualifikation als „Ehegatte“ i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist es außerdem, dass die Klägerin zu 1. nicht alleinige Ehefrau ihres Ehemannes ist, sondern dieser in Erstehe mit einer weiteren Frau verheiratet ist. Denn grundsätzlich fallen auch im Ausland wirksam geschlossene polygame Ehen in den Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 AsylG. Dies gilt auch dann, wenn diese nach deutschem Recht nichtig sind. Denn wiederum kommt es nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB und Art. 12 GFK auf die Wirksamkeit der Ehe im Herkunftsstaat an (s.o.). Am Vorliegen einer danach wirksam geschlossenen Mehrehe bestehen hier keine Zweifel. Für den Fall, dass der Mann zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits mit einer oder mehreren anderen Frauen verheiratet ist, gilt gemäß Art. 17 PSG das Folgende: Der Richter stimmt nur dann der Eheschließung eines bereits verheirateten Mannes mit einer weiteren Frau zu, wenn hierfür ein legitimer Grund vorliegt und der Ehemann imstande ist, den Unterhalt beider Frauen zu bestreiten. Wiederum ist die Einwilligung des Gerichts jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die polygyne Ehe; vielmehr hat das Nicht-Einholen der Genehmigung lediglich zur Folge, dass die Ehefrauen die Scheidung beantragen können (s. Kommentar zum staatlichen Familienrecht, a.a.O., unter dem Stichwort „Polygynie“). Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.

[10]Die Einbeziehung von Ehegatten aus Mehrehen in die Privilegierung des Familienasyls nach § 26 AsylG widerspricht dabei weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Gegenteil ist ein solches Verständnis bei sowohl systematischer als auch teleologischer Normauslegung geboten (dazu unter aa.). Es steht darüber hinaus im Einklang mit höherrangigem nationalen Recht (dazu unter bb.) und Unionsrecht (dazu unter cc.).

[11]aa. Nach dem Wortlaut des § 26 Abs. 1 AsylG steht die Anerkennung als Asylberechtigter „dem Ehegatten“ bzw. „dem Lebenspartner“ eines Asylberechtigten zu …

[12]bb. Das im Wege der Auslegung gefundene Normverständnis ist auch mit den Wertungen des Grundgesetzes, insbesondere mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar. Zwar wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der „Ordnungskern“ der Institution „Ehe“ als die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zur grundsätzlich unauflöslichen Lebensgemeinschaft beschrieben und an einem monogamen Ehebegriff festgehalten (st. Rspr., vgl. nur BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 -; Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 (IPRspr. 1987 Nr. 44) -, beide zitiert nach juris; BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - BVerwG 1 C 33.81 (IPRspr. 1985 Nr. 3) -, juris Rn. 17; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. März 2004 - OVG 10 A 11717.03 -, juris Rn. 22). Das GG beinhaltet auch kein Gebot, polygame Ehen in besonderem Maße zu schützen (vgl. dazu auch Majer in NZFam 2019, 242, „Polygamie in Deutschland - Rechtslage und Reformdiskussion“, sowie Mankowski in FamRZ 2018, 1134, 1135, „Polygamie und Grund- und Menschenrechte“; wie viele Huber/Eichenhofer/Endres de Oliveira, Aufenthaltsrecht, Teil 1. B. VIII. Aufenthalt aus familiären Gründen, §§ 27 bis 36 AufenthG, Rn. 695 m.w.N.). Art. 6 Abs. 1 GG steht der asylrechtlichen Schutzgewährung von Personen, deren Schutzbedürfnis sich aus einer mehrehelichen Verbindung ergibt, dennoch nicht entgegen. So ist Ordnungskern der ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Institution „Familie“ die weitergehende, umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern, in der den Eltern vor allem Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder erwachsen (BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959, a.a.O.). Mehrehen, die von Ausländern im Ausland nach dortigem Recht wirksam geschlossen wurden, werden von Art. 6 Abs. 1 GG (und darüber hinaus auch von Art. 8 EMRK) - sofern es Kinder gibt - unter dem Aspekt der Familie umfasst (Sachs/von Coelln, 8. Aufl. 2018, GG Art. 6 Rn. 7). Bei der Beurteilung des Gewährleistungsgehaltes einer einfachgesetzlichen Anspruchsgrundlage ist deshalb zu unterscheiden, ob sie im Kern tatsächlich - und ausschließlich - an die Institution der Ehe anknüpft oder ihr im Schwerpunkt die Annahme einer familiären Verbindung - wie sie auch die Ehe darstellt - zugrunde liegt. Ersteres ist bei den aufenthaltsrechtlichen Regelungen der §§ 27 ff. AufenthG der Fall, wie auch die Regelung des § 30 Abs. 4 AufenthG (s.u. aa.) widerspiegelt. Art. 6 Abs. 1 GG und die darin geregelte Institutsgarantie der Ehe sind Ausgangspunkt, formulieren aber auch die Grenze dieser aufenthaltsrechtlichen Familien- bzw. Ehegattennachzugsvorschriften (vgl. genauso und m.w.N. VG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 39). Auf § 26 Abs. 5, Abs. 1 AsylG trifft jedoch anderes zu. Denn das Familienasyl fußt auf der Annahme eines Näheverhältnisses, das sich formell zwar durch eine eheliche Verbindung auszeichnet, jedoch nicht allein dadurch bestimmt wird. Es knüpft vielmehr an eine Gefährdungs- bzw. Verfolgungsgemeinschaft an, der Ehegatten angehören, weil sie auch von den sie Verfolgenden einer (Familien-) Gemeinschaft zugeordnet werden. Dies kann auch auf Ehegatten aus Mehrehen zutreffen.

[13]Diesem Verständnis entspricht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine Ehe den Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG nur dann entspricht, wenn sie im Herkunftsland bereits bestanden hat, weil nur dann eine gemeinsame Gefährdungsbeurteilung der Eheleute angezeigt ist (s. dazu nachfolgend unter 2.). Danach kommt es im Kern auf das tatsächliche Bestehen einer ehelichen Gemeinschaft an, hingegen weniger auf die rechtliche Gültigkeit oder Rechtswirksamkeit des familienrechtlichen Rechtsgeschäfts der “Eheschließung” im Heimatland (so BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992, a.a.O.). Dies wird dem hinter dem Tatbestandserfordernis des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG stehenden Grundgedanken gerecht, dass die Gewährung des Familienasyls an den Ehegatten - auch - wegen dessen Nähe zum Verfolgungsgeschehen und damit wegen der daraus gleichfalls für ihn herrührenden Gefahr gerechtfertigt ist (vgl. dazu auch VG Wiesbaden, Urteil vom 12. September 1994 - VG 32 E 7282.93 (IPRspr. 1994 Nr. 72) -, NVwZ-Beil. 1995, 14 beck-online m.V.a. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992, a.a.O.).

[14]Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen kommt die Kammer auch unter Berücksichtigung der in Art. 6 EGBGB normierten Grundsätzen des „ordre public“ zu keinem anderen Ergebnis. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Nach Art. 6 Satz 2 EGBGB ist sie insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Ein Verstoß gegen den deutschen „ordre public“ liegt dabei vor, wenn das Ergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - BVerwG 1 B 20.86 (IPRspr. 1986 Nr. 104) -, juris Rn. 6 ff.; BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - IX ZB 51/00 (IPRspr. 2001 Nr. 212) -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 29. September 2010 - OVG 12 B 21.09 -, juris Rn. 23, und vom 23. Februar 2012 - OVG 2 B 6.11 (IPRspr 2012-280a) -, juris Rn. 25). Eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts kommt in materiell-rechtlicher Hinsicht in Betracht, wenn die Entscheidung in der Sache selbst gegen rechtliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung verstößt (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. September 2010, a.a.O.). Prüfungsmaßstab sind gemäß Art. 6 Satz 2 EGBGB insbesondere die Grundrechte.

[15]Einen so eklatanten Widerspruch ruft die Anwendung syrischer Normen zur Wirksamkeit der Mehrehe im hiesigen Fall jedoch nicht hervor. Zwar erfasst, wie dargelegt, der Schutzbereich der „Ehe“ in Artikel 6 Abs. 1 GG die von der Klägerin und ihrem Ehemann geführte Ehe nicht. Die Grenze der Unvereinbarkeit mit nach Art. 6 EGBGB ist damit jedoch nicht erreicht. Denn angelegt in dem weiten Begriffsverständnis der „Familie“ in Art. 6 Abs. 1 GG ist es dem Grundgesetz nicht fremd, nach ausländischem Recht geschlossene Verbindungen, so auch Mehrehen zu akzeptieren. Ebenso ist es der deutschen Rechtsordnung nicht fremd, sich daraus ergebende zivilrechtliche Rechtspositionen anzuerkennen, was durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt worden ist. In seinem Urteil vom 30. April 1985 (IPRspr. 1985 Nr. 3) (a.a.O.) setzte es sich u.a. mit der Frage auseinander, ob die langfristige Anwesenheit einer jordanischen zweiten Ehefrau bei ihrem sich in Deutschland aufhaltenden Ehemann gegen die öffentliche Ordnung verstoße. Der ordre public, so das Bundesverwaltungsgericht, verbiete es zwar, dass eine nach anwendbarem ausländischen Recht zulässige Mehrehe vor einem deutschen Standesbeamten geschlossen und ein deutsches Gericht auf entsprechende Klage die Partner einer Mehrehe zur Herstellung der (polygamen) ehelichen Lebensgemeinschaft (vgl. § 1353 BGB) verurteilen würde. Dennoch würde die im Ausland rechtmäßig geschlossene Mehrehe auch im Inland als Ehe im Sinne des bürgerlichen Rechts, einschließlich ihrer vermögens- und kindschaftsrechtlichen Wirkungen, anerkannt.

[16]cc. ... 2. Die Mehrehe bestand auch bereits im Herkunftsstaat. Dabei ist unter Beachtung der Grundsätze des Art. 12 GFK und Art. 13 EGBGB bei der Beurteilung der Frage, ob das Zusammenleben der Klägerin zu 1. und ihr Ehemann den vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992, a.a.O.) formulierten Anforderungen an den „Bestand“ der Ehe im Herkunftsstaat nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG gerecht wird, auf die Gepflogenheiten des Herkunftsstaates abzustellen. Danach sind die Anforderungen hier erfüllt. So darf nach syrischem Recht ein Ehemann mit mehreren Ehefrauen diese nicht gegen deren Willen im gleichen Haushalt aufnehmen. Er muss vielmehr nachweisen, dass er für alle Ehefrauen eine gleichartige Unterkunft bereitstellen kann. Den Frauen steht sogar das Recht zu, einen gerichtlichen Antrag auf eine eigene, gleichartige Unterkunft zu stellen (vgl. wiederum https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe, Stichwort „Polygynie“). Danach ist der dauerhafte Aufenthalt des Ehemannes im Haushalt seiner Ehefrau nicht zwingend, er ist darüber hinaus in polygynen Ehen, in denen jeder Ehefrau desselben Ehemannes in einem eigenen Haushalt lebt, gar nicht möglich. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Zweifel daran, dass die eheliche Gemeinschaft der Klägerin zu 1. mit Herrn B... in Syrien bereits bestand. Denn die Klägerin zu 1. lebte nach Eheschließung in einer Wohnung im selben Haus wie Herr B... und dessen Erstehefrau.

[17]Die verfahrensgegenständliche Ehe besteht gemäß § 26 Abs. 1 AsylVfG auch noch zum danach maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Nach dessen Wortlaut steht Familienasyl nur „Ehegatten“ oder „Lebenspartnern“ und nicht etwa auch ehemaligen Ehegatten oder Lebenspartnern zu (nur so könne das Wort „schon“ in § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG verstanden werden, so überzeugend GK-AsylVfG/Bodenbender Rn. 53 ff.). Unschädlich ist es allerdings, wenn die Ehe oder Lebenspartnerschaft zwischenzeitlich geschieden bzw. die eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben war, solange nur im Zeitpunkt der behördlichen oder der gerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen (wieder) gegeben sind. So liegt der Fall hier. Die Ehe der Klägerin zu 1. und Herrn B...besteht auch weiterhin. Etwas anderes ist auch nicht etwa deshalb anzunehmen, weil in der Niederschrift der Anhörung der Klägerin zu 1. vor dem Bundesamt protokolliert ist, diese habe angegeben, von ihrem Mann „getrennt“ zu sein. Die Kammer ist überzeugt, dass es sich dabei um eine lediglich zeitlich begrenzte und fluchtbedingte Trennung handelte. Denn die Klägerin zu 1. und ihr Mann haben sowohl bei ihren Anhörungen als auch in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angegeben, weiterhin verheiratet zu sein. Im Übrigen kann es dahinstehen, ob mit der Auffassung der Beklagten Familienasyl nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG nur dann zu gewähren ist, wenn über den bloßen Bestand der Ehe (zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung) die Eheleute darüber hinaus in der Bundesrepublik ein gemeinsames Leben führen. Denn auch davon ist hier auszugehen. Nach den überzeugenden Angaben der in der mündlichen Verhandlung angehörten Beteiligten sowie Herrn B...hat die Klägerin zu 1. mit ihrem Mann nach wie vor ständigen Kontakt, der Ehemann besucht sie und den gemeinsamen Sohn regelmäßig. Der Klägerin zu 1. kann bei Berücksichtigung der besonderen Umstände ihrer aktuellen Lebenssituation auch nicht entgegengehalten werden, dass sie mit dem Ehemann weiterhin nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Denn sie ist gemeinsam mit ihrem Sohn in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht.

[18]3. ...

Fundstellen

LS und Gründe

InfAusIR, 2020, 459
StAZ, 2021, 278

Bericht

NZFam, 2021, 48

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2020-112

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.