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Verfahrensgang

OLG Bamberg, Beschl. vom 12.05.2016 – 2 UF 58/16, IPRspr 2016-107

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Kindschaftsrecht → Sorgerecht, Vormundschaft
Allgemeine Lehren → Ordre public
Allgemeine Lehren → Ermittlung, Anwendung und Revisionsfähigkeit ausländischen Rechts
Kindschaftsrecht → Sorgerecht, Vormundschaft
Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen

Leitsatz

Dem einem minderjährigen Verheirateten bestellten Vormund kommt wegen §§ 1800, 1633 BGB keine Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt des Mündels zu. Dies gilt auch hinsichtlich wirksam verheirateter minderjähriger Flüchtlinge, wenn nach dem Recht des Herkunftstaats insoweit ebenfalls keine elterliche Sorge besteht (Art. 15, 16, 20 KSÜ).

Eine in Syrien nach syrischem Eheschließungsrecht wirksam geschlossene Ehe einer zum Eheschließungszeitpunkt Vierzehnjährigen mit einem Volljährigen ist als wirksam anzuerkennen, wenn die Ehegatten der sunnitischen Glaubensrichtung angehören und die Ehe bereits vollzogen ist.

Die Unterschreitung des Ehemündigkeitsalters des § 1303 BGB bei einer Eheschließung im Ausland führt selbst bei Unterstellung eines Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) nicht zur Nichtigkeit der Ehe, wenn nach dem für die Eheschließung gemäß Art. 11, 13 EGBGB anzuwendenden ausländischen Recht die Ehe bei Unterschreitung des dort geregelten Ehemündigkeitsalters nicht unwirksam, sondern nur anfechtbar oder aufhebbar wäre.

Rechtsnormen

59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 5 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 12; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 15; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 16; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 18; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 21 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 40 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 44; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 45; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 47 ff.; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 48; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 50; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 51; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 305; 59/1953 PersolastatutG (Syrien) Art. 307 f.
BGB § 1303; BGB § 1313; BGB § 1314; BGB § 1633; BGB § 1800
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13; EGBGB Art. 21
EuEheVO 2201/2003 Art. 1; EuEheVO 2201/2003 Art. 8; EuEheVO 2201/2003 Art. 13; EuEheVO 2201/2003 Art. 61
FamFG § 97; FamFG § 99
FlüchtlingsProt Art. 1
GFK Art. 1; GFK Art. 12; GFK Art. 16
KSÜ Art. 6; KSÜ Art. 15; KSÜ Art. 15 f.; KSÜ Art. 15 ff.; KSÜ Art. 16; KSÜ Art. 20
StGB § 176; StGB § 182

Sachverhalt

[Die Rechtsbeschwerde ist unter dem Az. XII ZB 292/16 beim BGH anhängig.]


Die Beteiligten H. (geb. 1.1.1994) und A. (geb. 1.1.2001), syrische Staatsangehörige, sind aufgrund der Kriegsereignisse in Syrien nach Deutschland geflüchtet. Ab August 2015 waren beide nach einem ersten Aufenthalt in R. zunächst in der Erstaufnahmeeinrichtung in S. und anschließend in X. Dort wurde A. am 10.9.2015 durch Mitarbeiter des JugA X. in Obhut genommen und lebt seither in einer Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in N. Im Verfahren 7 F 1439/15 hat das AG – FamG – Aschaffenburg mit Beschluss vom 16.9.2015 auf Antrag des Allgemeinen Sozialen Dienstes beim JugA der Stadt X. bzgl. A. das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt, Vormundschaft angeordnet und das JugA X. zum Vormund bestellt. Im Dezember 2015 hat der Beteiligte H. sich an das AG gewandt und vorgetragen, dass er mit A. verheiratet sei. Er bat um Überprüfung der Inobhutnahme durch das JugA und um „Rückführung“ seiner Frau zu ihm. Hierzu hat H. u.a. eine Heiratsurkunde in arabischer Schrift mit Beglaubigungszeichen, eine Übersetzung in die deutsche Sprache mit Beglaubigungszeichen und eine in arabischer Schrift verfasste weitere Bestätigung für die Eheschließung mit Beglaubigungszeichen eingereicht.

Mit Beschluss vom 7.3.2016 hat das AG – FamG – Aschaffenburg ein Umgangsrecht des Beteiligten H. mit der Beteiligten A. geregelt. Gegen diese Entscheidung hat das JugA X. als Vormund der Beteiligten A. Beschwerde eingelegt und beantragt, dass der Umgang zwischen den Beteiligten H. und A. zu weiter ausgedehnten Zeiten geregelt wird. Weiterhin hat das JugA beantragt, die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen. Letzterem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 18.3.2016 entsprochen. Weiter wurde eine neue Verfahrensbeiständin für A. bestellt. In der Sitzung vom 18.4.2016 hat der Senat die vom Beteiligten H. eingereichten Urkunden hinsichtlich der Eheschließung in Syrien einschl. der Beglaubigungsvermerke vom anwesenden Dolmetscher übersetzen lassen und die Beteiligten zur Sache angehört. Im Oktober 2015 hat die Deutsche Botschaft in B. dem Standesamt bei der Stadt X. u. a. mitgeteilt, dass aufgrund der dorthin versandten Unterlagen von einer Registrierung der Ehe beim Standesamt in Syrien und einer gerichtlichen Genehmigung der Eheschließung ausgegangen werden könne.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. ... 1) Die Beschwerde des JugA, die aus eigenem Recht als Vormund geführt wird, ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt ...

[2]2) Die Beschwerde hat mit dem damit verfolgten Begehren keinen Erfolg, führt jedoch zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung von Amts wegen.

[3]a) Die internationale Zuständigkeit für den vorliegenden Verfahrensgegenstand ist gegeben. Der mit der angefochtenen Entscheidung geregelte Umgang der Beteiligten A. mit dem Beteiligten H. als Ausfluss des Aufenthaltsbestimmungsrechts betrifft den Bereich der elterlichen Verantwortung im Sinne des Art. 1 I lit. b, II EuEheVO. Für die Frage der internationalen Zuständigkeit geht die EuEheVO gemäß Art. 61 EuEheVO bei Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat dem KSÜ bzw. gemäß § 97 I 2 FamFG den nationalen Regelungen zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit (§ 99 FamFG) vor. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist vorliegend jedenfalls zum Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung über die Angelegenheit der elterlichen Verantwortung hinsichtlich der syrischen minderjährigen A. nach Art. 8 I EuEheVO gegeben, da bzgl. der elterlichen Verantwortung im Hinblick auf A. in einem anderen Mitgliedstaat bisher kein Verfahren eingeleitet wurde und zumindest zum jetzigen Zeitpunkt der Entscheidung der gewöhnliche Aufenthalt von A. in Deutschland ist (vgl. BGH, NJW 2010, 1351 (IPRspr 2010-240)). Unter dem autonom auszulegenden Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne des Art. 8 I EuEheVO ist der Ort zu verstehen, an dem eine gewisse Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld zu erkennen ist, somit also der Daseinsmittelpunkt bzw. der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse des Kindes. Dies ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen, wobei auch die Aufenthaltszeit grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Die Beteiligte A. befindet sich nunmehr seit rund acht Monaten in Deutschland, davon seit Mitte September 2015 durchgängig in der Jugendhilfeeinrichtung in N. Sie ist vor dem Krieg in Syrien geflüchtet, um zukünftig in Deutschland zu leben. Aufgrund dieser Umstände ist ein gewöhnlicher Aufenthalt nach Art. 8 I EuEheVO in Deutschland gegeben, so dass sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach der o.g. Regelung richtet. Selbst wenn ein gewöhnlicher Aufenthalt noch nicht festgestellt werden könnte, ergäbe sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte schon aufgrund der Flüchtlingseigenschaft der Beteiligten A. in gleicher Weise aus der subsidiären Regelung des Art. 13 II EuEheVO bzw. gleichgerichtet aus Art. 6 KSÜ bzw. Art. 16 der Genfer Flüchtlingskonvention (nachfolgend: GFK). Die Beteiligte A. ist (wie auch der Beteiligte H.) Flüchtling im Sinne des Art. 1 GFK i.V.m. Art. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967.

[4]b) Das Beschwerdebegehren des Vormunds hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Da dem Vormund das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Beteiligte A. nicht zusteht, ist eine Rechtsbeeinträchtigung zulasten des Vormunds durch die angefochtene Entscheidung nicht gegeben. Vielmehr ist die angefochtene Umgangsregelung ersatzlos aufzuheben, weil die Beteiligte A. insoweit selbst Trägerin der diesbezüglichen Entscheidungsbefugnis ist ...

[5]Das anzuwendende Recht für den Bereich des Umgangs und des Aufenthalts im Rahmen der Personensorge als Teilbereich des Instituts der elterlichen Verantwortung bestimmt sich vorliegend nach dem KSÜ. Dies gilt unabhängig davon, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland besteht oder nicht, da Art. 61 EuEheVO der Anwendung der Kollisionsnormen der Art. 15 ff. KSÜ jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn die internationale Zuständigkeit (ggf. nur hypothetisch) auch nach dem KSÜ vorliegen würde (OLG Karlsruhe, FamRZ 2013, 1238 (IPRspr 2013-111); Thomas-Putzo-Hüßtege, ZPO, Art. 61 EuEheVO Rz. 5 m.w.N.). Dies ist – wie vorstehend aufgezeigt – hier gegeben. Art. 15 bis 22 KSÜ gelten gemäß Art. 20 KSÜ auch für Staatsangehörige von Nichtvertragsstaaten wie Syrien. Art. 21 EGBGB muss daher zurücktreten. Art. 12 Satz 1 GFK führt mangels verbliebenem Wohnsitz in Syrien zur gleichlaufenden Rechtsfolge.

[6]Nach Art. 15 I KSÜ bestimmt sich das Recht der elterlichen Verantwortung vorliegend nach deutschem Recht. Danach kommt der Beteiligten A. die eigene volle Entscheidungsbefugnis für ihren Aufenthalt und ihren Umgang zu, da sie zwar (im Ergebnis zutreffend) aufgrund Beschlusses des AG – FamG – Aschaffenburg vom 16.9.2015 (7 F 2013/15) unter Vormundschaft steht, dem Vormund bzgl. des Aufenthalts und des Umgangs der Minderjährigen A. gemäß §§ 1800, 1633 BGB jedoch keine Entscheidungsbefugnis für die Belange des Aufenthalts und des Umgangs zukommt. Eine solche Entscheidungsbefugnis für den Vormund ergibt sich auch nicht aufgrund von Art. 16 III, IV KSÜ (bzw. Art. 12 Satz 2 GFK) i.V.m. dem syrischen Kindschaftsrecht, da aufgrund der Eheschließung mit H. im Februar 2015 in Syrien die elterliche Verantwortung nach syrischem Recht bzgl. A. erloschen ist.

[7]Die Voraussetzungen der Eheschließung bestimmen sich hier gemäß Art. 13 I EGBGB nach syrischem Recht, da A. und H. bei Eingehung der Ehe syrische Staatsangehörige waren (vgl. BGH, Urt. vom 11.10.2006 – XII ZR 79/04 (IPRspr. 2006 Nr. 52), BGHZ 169, 240–255 Rz. 15). Damit gilt das syrischen Gesetz Nr. 59 über das Personalstatut vom 17.9.1953 i.d.F. des Gesetzes Nr. 34 vom 31.12.1975 (nachfolgend: PSG; dt. Übersetzung bei Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Syrien [117. Erg.-Lfg.]). Da beide Ehegatten als Angehörige der sunnitischen Religionsgemeinschaft islamischen Glaubens sind, sind die Sondervorschriften nach Art. 307, 308 PSG für Drusen und Angehörige des jüdischen oder christlichen Glaubens nicht anwendbar (vgl. zu Letzterem BGH aaO).

[8]... Die Ehefähigkeit erfordert gemäß Art. 15 PSG die geistige Gesundheit und Geschlechtsreife der Verlobten. Bezüglich des Lebensalters der zukünftigen Eheleute setzt Art. 16 PSG zur Erlangung der Ehefähigkeit hinsichtlich des Mannes die Vollendung des 18. und hinsichtlich der Frau die Vollendung des 17. Lebensjahrs voraus. Hiervon macht Art. 18 PSG eine Ausnahme dahingehend, dass männliche Jugendliche die das 15. Lebensalter, und weibliche Jugendliche, die das 13. Lebensalter vollendet haben, die Ehe eingehen können, wenn der zuständige Richter die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der beiden Jugendlichen als erwiesen ansieht. Nach Art. 18 II PSG bedarf die Eheschließung Jugendlicher zusätzlich grundsätzlich der Zustimmung des Vaters oder Großvaters, wenn diese Ehevormund gemäß Art. 21 ff. PSG sind. Nach Art. 40 ff., 43 PSG ist die Eheschließung beim Richter unter Unterlagenvorlage zu beantragen. Die Trauung der Brautleute hat durch den Richter oder einen von ihm ermächtigten Rechtspfleger zu erfolgen. Hierüber ist nach Art. 44 PSG eine Niederschrift zu fertigen. Weiterhin ist die Eheschließung zur Eintragung beim Standesamt durch Übersendung einer Abschrift der Heiratsurkunde an dieses mitzuteilen (Art. 45 PSG).

[9]Nach den vorliegenden Unterlagen, die in der Sitzung des Senats vom 18.4.2016 vom Dolmetscher nochmals übersetzt wurden, sind sämtliche o.g. Voraussetzungen für eine wirksame Eheschließung nach syrischem Eheschließungsrecht eingehalten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die vorgelegten Urkunden falsch sein könnten. Auch die Deutsche Botschaft in B. hat ausweislich ihrer Mailnachricht vom 20.10.2015 keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich nicht um eine nach syrischem Eherecht wirksame Eheschließung handeln könnte.

[10]Diese Eheschließung in Syrien ist vorliegend nach Ansicht des Senats auch anzuerkennen, da ein möglicher Verstoß gegen Art. 12 Satz 3 GFK bzw. Art. 6 EGBGB (ordre public) dem nicht entgegensteht. Zwar ist nach deutschem Eheschließungsrecht die Eingehung der Ehe frühestens mit Vollendung des 16. Lebensjahrs eines Ehegatten mit Befreiung vom allgemeinen Ehemündigkeitsalter (18 Jahre) durch das FamG bei Volljährigkeit des anderen Ehegatten zulässig (§ 1303 II BGB). Daraus ergibt sich jedoch kein Automatismus dahingehend, dass bei Unterschreitung der Ehemündigkeit nach § 1303 BGB die nach ausländischem Recht geschlossene Ehe nicht anerkannt werden kann. Bei Einhaltung der nach Art. 11, 13 I EGBGB maßgeblichen formellen und sachlichen Voraussetzungen der Eheschließung im Herkunftsstaat der Eheschließenden ist es in der Rspr. umstritten, ob und ggf. bis zu welchem Lebensalter die Unterschreitung des Ehemündigkeitsmindestalters aus § 1303 BGB bei Eheschließung im Ausland zu einem Verstoß gegen den ordre public führt (Verstoß bejahend z.B.: KG, FamRZ 2012, 1495 (IPRspr 2011-5) [14-jährige Libanesin]; Verstoß verneinend z.B. AG Tübingen, ZfJ 1992, 48; vgl. auch LG Hamburg, FamRZ 1969, 565 [eine Verletzung der Vorschrift der Ehemündigkeit berührt die Gültigkeit der Ehe nicht]).

[11]Die Frage eines Verstoßes gegen den ordre public kann aber vorliegend offen bleiben, da selbst unter der Prämisse eines solchen Verstoßes eine wirksame Ehe vorliegt. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public ist die Nichtanwendung der ausländischen Vorschrift. Die Rechtsfolge bestimmt sich daher zunächst danach, wie sie sich unter Außerachtlassung der Ausnahmenorm des Art. 18 PSG zur herabgesetzten Ehemündigkeit aus dem verletzten Recht, also hier dem syrischen Eherecht, ergibt. Denn insoweit ist zunächst zu versuchen, die Regelungslücke, die durch die Nichtanwendung der dem ordre public zuwiderlaufenden Vorschrift entsteht, nach Möglichkeit nach dem ausländischen Recht zu schließen (BGH, NJW 1993, 848) (IPRspr. 1992 Nr. 3b).

[12]Hierzu enthält das syrische Personalstatutgesetz in den Art. 47 bis 52 Vorschriften dahingehend, dass ein Ehevertrag gültig ist, wenn seine wesentlichen Elemente und seine allgemeinen Voraussetzungen gegeben sind (Art. 47 PSG), womit die Vorschrift den zweiten Teil des syrischen Personalstatutgesetzes (Art. 5 bis Art. 46 PSG) in Bezug nimmt. Gemäß Art. 48 I PSG ist der Ehevertrag lediglich fehlerhaft, wenn die Grundlage für den Ehevertrag aus Angebot und Annahme vorhanden ist, die anderweitigen Voraussetzungen jedoch nicht vollständig erfüllt sind. Nach Art. 48 II PSG ist lediglich die Eheschließung einer Muslimin mit einem Nicht-Muslim nichtig. Für den fehlerhaften Ehevertrag, der vorliegend bei Unterschreitung der Ehemündigkeit nach syrischem Eherecht vorliegen würde, regelt Art. 51 I PSG, dass der fehlerhafte Ehevertrag einem nichtigen Ehevertrag, der gemäß Art. 50 PSG keine Rechtswirkungen hat, nur dann entspricht, so lange die Beiwohnung nicht stattgefunden hat. Im Übrigen bestimmt Art. 51 II PSG für fehlerhafte Eheverträge nach Beiwohnung u.a. die Pflicht zur Zahlung der Morgengabe, das Ehehindernis der Schwägerschaft und die Pflicht zur Einhaltung der Vorschriften über die gesetzliche Wartezeit in den Fällen der Eheauflösung durch Scheidung oder Tod. Somit ist Art. 47 bis 52 PSG keine Regelung dahingehend zu entnehmen, dass ein fehlerhafter Ehevertrag nach Beiwohnung zu einem nichtigen Eheschluss führt. Nach den Angaben in der Anhörung durch den Senat hat nach Eheschließung der beiden Beteiligten A. und H. bereits ehelicher Verkehr stattgefunden.

[13]Schließlich bestimmt Art. 305 PSG, dass bzgl. verbleibender Regelungslücken ‚die herrschende Theorie der hanafitischen Lehre anzuwenden’ ist. Bei der hanafitischen Rechtsschule handelt es sich insoweit um die am weitesten verbreitete Rechtsschule im sunnitischen Islam (s. dazu z.B.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hanafiten – Stand: 28.4.2016). Vorliegend gehören sowohl die Beteiligte A. als auch der Beteiligte H. nach deren eigenen Angaben, bzgl. deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Auch nach sunnitischem Recht kommt eine Ungültigkeit der Ehe nur für die Ehe eines Nicht-Moslems mit einer Muslima in Betracht, während im Übrigen mangelbehaftete Eheschließungen nur anfechtbar sind (vgl. KG aaO u. Hinweis auf Rauscher: Shar\={i}'a, islamisches Familienrecht der Sunna und Sh\={i}'a, 1987).

[14]Damit liegt nach syrischem Recht eine lediglich fehlerhafte und anfechtbare, jedoch keine unwirksame Eheschließung vor. Dies entspricht im Übrigen auch dem deutschen Eheschließungsrecht, da bei Nichteinhaltung der Ehemündigkeit nach § 1303 BGB eine nach deutschem Recht geschlossene Ehe lediglich gemäß § 1314 I BGB aufhebbar ist. Ein Aufhebungs- oder Anfechtungsverfahren bzgl. der fraglichen Eheschließung ist vorliegend nicht anhängig (§ 1313 BGB). Die Anwendung des fremden Rechts im konkreten Fall führt daher auch zu keinem Ergebnis, das aus der Sicht grundlegender deutscher Rechtsvorstellungen nicht mehr hinnehmbar ist. Dies wäre dann der Fall, wenn sich dem maßgeblichen ausländischen Recht keine dem deutschen Rechtsverständnis entsprechende äquivalente Lösung entnehmen ließe (BGHZ 169 aaO 240 ff., Rz. 50). Da die Rechtsfolgen in beiden Rechtsordnungen aber identisch sind, besteht für eine Korrektur keine Veranlassung.

[15]Hieran ändert auch die Wertung des § 182 III StGB nichts. Eine Strafbarkeit unterliegt insoweit bei 14-jährigen Sexualpartnern der Einzelfallbetrachtung (vgl. BGH, StV 2008, 238). Eine generelle Strafbarkeit sexueller Handlungen über 21-Jähriger mit unter 16-Jährigen hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Anderes gilt aufgrund § 176 StGB nur für unter 14-Jährige.

[16]Auch Kindeswohlbelange erfordern vorliegend keine andere Beurteilung ... Die Gesamtumstände ergeben daher auch aus Kindeswohlgesichtspunkten keine Notwendigkeit, die in Syrien geschlossene Ehe vorliegend als nichtig anzusehen.

[17]Aufgrund der somit wirksamen Ehe der beteiligten Minderjährigen A. mit H. ist das Personensorgerecht der Eltern gemäß § 1633 BGB und i.V.m. § 1800 BGB auch dasjenige des Vormunds eingeschränkt. So kommt dem minderjährigen Verheirateten das Aufenthaltsbestimmungsrecht und damit auch das Entscheidungsrecht bzgl. seines Umgangs mit anderen Personen selbst zu und nicht dem Inhaber der elterlichen Sorge im Übrigen.

[18]Dies wird vorliegend nicht durch Art. 16 III, IV KSÜ (bzw. Art. 12 Satz 2 GFK) i.V.m. dem syrischen Kindschaftsrecht ergänzt, da nach syrischem Kindschaftsrecht mit der Verheiratung eines minderjährigen Kindes das Recht der elterlichen Sorge insgesamt erlischt. Dies ergibt eine Zusammenschau der Regelungen zum Eherecht nach dem syrischen PSG ...

[19]Im Endergebnis bleibt daher festzuhalten, dass aufgrund der Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des bestellten Vormunds gemäß §§ 1800, 1633 BGB der Beteiligten A. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Entscheidungsbefugnis für ihren Umgang mit anderen Personen ausschließlich selbst zusteht und damit der Beschluss des AG vom 7.3.2016 zur Regelung des Umgangs ohne Rechtsgrundlage erfolgt ist. Mangels diesbezüglichem Personensorgerechts des Vormunds war das AG nicht befugt, zum Umgangsrecht Anordnungen zu treffen. Mit der wirksamen Eheschließung ist die Befugnis zur Entscheidung über das Recht des Aufenthalts des minderjährigen Verheirateten wie auch das Recht und die Pflicht zur tatsächlichen Sorge gemäß § 1633 BGB aus dem Rahmen der elterlichen Gewalt und damit gemäß § 1800 BGB aus der Entscheidungsgewalt des Vormunds ausgeschieden (vgl. OLG Hamm, MDR 1973, 315).

Fundstellen

Bericht

FamRB, 2016, 375
Hilbig-Lugani, NZFam, 2016, 807, mit Anm.

LS und Gründe

FamRZ, 2016, 1270, mit Anm. Mankowski
MDR, 2016, 772
StAZ, 2016, 270

nur Leitsatz

FF, 2016, 377

Aufsatz

Finger, FuR, 2017, 353
Antomo, ZRP, 2017, 79

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2016-107

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