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Verfahrensgang

LG Köln, Urt. vom 30.11.2021 – 21 O 345/20
OLG Köln, Urt. vom 22.09.2022 – 24 U 2/22
BGH, Urt. vom 15.05.2024 – VIII ZR 226/22, IPRspr 2024-90

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 LugÜ II ist gegeben, wenn der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausübt oder diese Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet. Entscheidend hierfür ist, dass der Gewerbetreibende bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines Mitgliedstaats oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers herzustellen.

Eine Rechtswahlklausel, die den Verbraucher nicht darüber unterrichtet, dass er nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO jedenfalls den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts des Landes genießt, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist missbräuchlich i.S.d. Klausel-RL. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB § 307; BGB § 312g; BGB § 312i; BGB § 361
CISG Art. 2; CISG Art. 3; CISG Art. 6
EGBGB Art. 46b
EUGVVO 44/2001 Art. 15
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3
LugÜ II Art. 15; LugÜ II Art. 16; LugÜ II Art. 17; LugÜ II Art. 60; LugÜ II Art. 63; LugÜ II Art. 64; LugÜ II Art. 75
LugÜ II - 2. Prot Art. 1
Rom I-VO 593/2008 Art. 2; Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 23; Rom I-VO 593/2008 Art. 25

Sachverhalt

Die Beklagte, ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen, bot über ihre Internet-​Homepage Interessenten den Ankauf von Teakbäumen auf Plantagen in Costa Rica an, um nach Jahren mit dem Verkauf des Holzes dieser Bäume eine Rendite zu erzielen. Zusätzlich offerierte die Beklagte ihren Kunden, die erworbenen Bäume während der Laufzeit des Vertrages zu bewirtschaften, zu verwalten, zu schlagen, auszuforsten, zu ernten und zu verkaufen. Der in Deutschland wohnhafte Kläger schloss in den Jahren 2010 und 2013 mit der Beklagten über Fernkommunikationsmittel jeweils einen "Kauf- und Dienstleistungsvertrag" über 800 beziehungsweise 600 Teakbäume für ... € beziehungsweise ... €; die Laufzeit betrug im ersten Fall 17, im zweiten Fall 14 Jahre.

Der Kläger hat seine auf die beiden Vertragsabschlüsse gerichteten Willenserklärungen widerrufen und die Rückzahlung der jeweiligen Entgelte abzüglich der bereits erhaltenen Holzerlöse in Höhe von ... € beziehungsweise ... € nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

II.           

[19] ... [21] 1. Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bejaht. Die in jeder Lage des Verfahrens und damit auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (BGH, Urteile vom 14. Juli 2022 - I ZR 121/21 (IPRspr 2022-19), GRUR 2022, 1675 Rn. 29; vom 2. März 2010 - VI ZR 23/09 (IPRspr 2010-213), BGHZ 184, 313 Rn. 7 mwN) - und hier von der Revision auch gerügte - internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007 (ABl. L 339 S. 3; im Folgenden: LugÜ II). Danach kann ein Verbraucher eine Klage vor den Gerichten des Vertragsstaates erheben, in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, wenn der andere Vertragspartner im Wohnsitzstaat des Verbrauchers eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Staat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

[22] a) Das LugÜ II ist nach seinen Art. 63 Abs. 1, Art. 64 Abs. 2 Buchst. a, Art. 60 Abs. 1 Buchst. a vorliegend anwendbar, da die Klage im Februar 2021 und damit nach dem Inkrafttreten des LugÜ II sowohl für die Europäische Union (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11 (IPRspr 2011-259), WM 2012, 852 Rn. 15) als auch für die Schweizerische Eidgenossenschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2020 - XI ZR 371/18 (IPRspr 2020-314), WM 2020, 1305 Rn. 7; EuGH, C-​467/16, FamRZ 2018, 286 Rn. 37 - Schlömp; C-​296/20, WM 2021, 2140 Rn. 31 - Commerzbank AG) erhoben worden ist und die Beklagte in diesem Zeitpunkt ihren Sitz in der Schweiz gehabt hat.

[23] b) Für die Auslegung des LugÜ II gelten dieselben Auslegungsgrundsätze wie für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 12 S. 1; im Folgenden: Brüssel I-​VO), da sich die Unterzeichnerstaaten zu einer möglichst einheitlichen Auslegung der Bestimmungen verpflichtet haben (vgl. Art. 1 Protokoll 2 nach Art. 75 LugÜ II über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den ständigen Ausschuss; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11 (IPRspr 2011-259), WM 2012, 852 Rn. 17; zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 - IX ZR 9/16 (IPRspr 2017-253), IPRax 2020, 442 Rn. 13). Dabei ist zu beachten, dass die im Übereinkommen verwendeten Begriffe grundsätzlich autonom auszulegen sind, um die einheitliche Anwendung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11 (IPRspr 2011-259), aaO mwN).

[24] c) Verbraucher im Sinne des Art. 15 Abs. 1 LugÜ II ist jede natürliche Person, die den konkreten Vertrag ohne Bezug zu einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit oder Zielsetzung und unabhängig von einer solchen allein zu dem Zweck schließt, ihren Eigenbedarf beim privaten Verbrauch zu decken (vgl. zu Art. 15 bis 17 Brüssel I-​VO EuGH, C-​774/19, IPRax 2022, 499 Rn. 28 ff. - Personal Exchange International; C-​498/16, NJW 2018, 1003 Rn. 29 ff. - Schrems). Auf die Höhe von nicht im Rahmen einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit erfolgten Geldanlagen kommt es dabei nicht an (vgl. EuGH, C‑694/17, juris Rn. 42 f. - Pillar Securitisation). Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei und von der Revision nicht angegriffen davon ausgegangen, dass der Kläger mit der von ihm vorgenommenen Kapitalanlage vorliegend als Verbraucher gehandelt hat.

[25] d) Das Berufungsgericht hat entgegen der Ansicht der Revision auch zu Recht angenommen, dass die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II auf die Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet hat.

[26] aa) Entscheidend hierfür ist, dass der Gewerbetreibende bereits vor dem eigentlichen Vertragsschluss seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines Mitgliedstaats oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers herzustellen. Deshalb ist im Fall eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem bestimmten Verbraucher zu ermitteln, ob vor dem Vertragsschluss mit diesem Verbraucher Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass der Gewerbetreibende Geschäfte mit Verbrauchern in dem Wohnsitzstaat des betreffenden Verbrauchers tätigen wollte (vgl. zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Brüssel I-​VO EuGH, C-​585/08 und C-​144/09, NJW 2011, 505 Rn. 75 f., 92 - Pammer und Hotel Alpenhof; BGH, Urteile vom 28. Februar 2012 - XI ZR 9/11 (IPRspr 2012-203), NJW 2012, 1817 Rn. 39; vom 15. Januar 2015 - I ZR 88/14 (IPRspr 2015-192), NJW 2015, 2339 Rn. 14; zur Übertragung auf Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 - IX ZR 9/16 (IPRspr 2017-253), IPRax 2020, 442 Rn. 12 ff.).

[27] bb) Das Berufungsgericht ist zutreffend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen und hat ihr Vorliegen in revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer tatrichterlicher Würdigung des Sachverhalts (vgl. zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Brüssel I-​VO BGH, Urteile vom 15. Januar 2015 - I ZR 88/14 (IPRspr 2015-192), aaO Rn. 22; vom 10. März 2016 - III ZR 255/12 (IPRspr 2016-253), NJW 2016, 2888 Rn. 16; zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 - IX ZR 9/16 (IPRspr 2017-253), aaO Rn. 15 f.) rechtsfehlerfrei festgestellt. Dabei hat es nicht nur den Umstand berücksichtigt, dass die Beklagte im Internet unter der internationalen Domäne ".com" aufgetreten ist (vgl. zu diesem Kriterium im Rahmen des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Brüssel I-​VO EuGH, C-​585/08 und C-​144/09, aaO Rn. 83 - Pammer und Hotel Alpenhof; zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II BGH, Urteil vom 9. Februar 2017 - IX ZR 9/16 (IPRspr 2017-253), aaO Rn. 24), sondern auch auf weitere Indizien abgestellt, die sich aus den von ihm in Bezug genommenen Anlagen K 2 und K 7 ergeben, so auf die dort erfolgte Angabe des Kaufpreises in Euro und den aufgedruckten Hinweis, dass die Beklagte für jeden verkauften Baum "10 €/ct" an UNICEF spenden werde (zur Maßgeblichkeit der Währung im Rahmen des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c Brüssel I-​VO vgl. EuGH, C-​585/08 und C-​144/09, aaO Rn. 84 - Pammer und Hotel Alpenhof; BGH, Urteile vom 15. Januar 2015 - I ZR 88/14 (IPRspr 2015-192), aaO Rn. 15; vom 10. März 2016 - III ZR 255/12 (IPRspr 2016-253), aaO Rn. 17). Ferner hat es in seine Würdigung einbezogen, dass in den von der Beklagten übersandten Rechnungen für die zu leistenden Zahlungen eine Kontoverbindung in Deutschland angegeben sei.

[28] (1) ... [31] (2) ... [32] e) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Alt. 2 LugÜ II sei vorliegend nicht dadurch ausgeschlossen, dass nach Ziffer 27 der AGB der Beklagten, von deren Einbeziehung in die geschlossenen Verträge das Berufungsgericht unausgesprochen und von den Parteien nicht angegriffen ausgegangen ist, "Streitigkeiten aus dem Vertragswerk […] einzig der ordentlichen Gerichtsbarkeit am Sitz [der Beklagten] in der Schweiz" unterliegen. Denn gemäß Art. 17 LugÜ II kann von den Vorschriften über die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird, dem Verbraucher eine weitere Klagemöglichkeit eröffnet wird oder die Gerichte des Staates für zuständig erklärt werden, in dem beide Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, sofern das Recht dieses Staates eine solche Vereinbarung zulässt. Keine der genannten Fallkonstellationen ist vorliegend gegeben.

[33] 2. Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass auf den vorliegenden Fall deutsches Recht unter Ausschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (BGBl. 1989 II S. 588; im Folgenden: CISG) anzuwenden ist.

[34] a) Zutreffend ist das Berufungsgericht - unausgesprochen - davon ausgegangen, dass das nach Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. L 177 S. 6; im Folgenden: Rom I-​VO) gegenüber dieser Verordnung vorrangige CISG vorliegend nicht anwendbar ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschriften des CISG auf die hier abgeschlossenen Verträge im Hinblick auf die von der Beklagten geschuldeten Dienstleistungen überhaupt zur Anwendung kommen (Art. 3 Abs. 2 CISG; vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Dezember 2017 - VII ZR 101/14 (IPRspr 2017-316), BGHZ 217, 103 Rn. 43 f.) oder ob ein Verbrauchergeschäft im Sinne des Art. 2 Buchst. a CISG vorliegt (Magnus, IHR 2021, 133, 140). Denn die Parteien haben jedenfalls in Ziffer 27 der AGB die Anwendung des CISG wirksam ausgeschlossen (Art. 6 CISG, vgl. hierzu BeckOGK-​CISG/Wagner, Stand: 1. Mai 2024, Art. 6 Rn. 9; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer/ Schroeter, Kommentar zum UN-​Kaufrecht (CISG), 7. Aufl., Art. 6 Rn. 17; BeckOK-​BGB/Saenger, Stand: 1. Februar 2024, Art. 6 CISG Rn. 2).

[35] b) Die streitgegenständlichen Verträge unterliegen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-​VO, welche nach Art. 2 dieser Verordnung universell anwendbar ist, dem materiellen deutschen Recht. Die Auslegung des auch an dieser Stelle maßgeblichen Kriteriums, dass die Beklagte ihre Tätigkeit auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet hat, orientiert sich nach dem Erwägungsgrund 24 der Verordnung, welcher das allgemeine Kohärenzgebot des Erwägungsgrundes 7 der Verordnung konkretisiert, an dem Begriffsverständnis des Art. 15 Brüssel I-​VO (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14. September 2018 - 5 U 98/17 (IPRspr 2018-268b), juris Rn. 124 f.; Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb. 2021, ROM I Art. 6 Rn. 37; Erman/Stürner, BGB, 17. Aufl., Art. 6 EGV 593/2008 Rn. 27; jurisPK-​BGB/Limbach, Stand: 1. Juli 2023, Art. 6 Rom I-​VO Rn. 49; Hüßtege/Mansel/ Leible, BGB, Rom-​Verordnungen - EuErbVO - HUP, 3. Aufl., Art. 6 Rom I-​VO Rn. 53), welcher seinerseits Art. 15 LugÜ II entspricht. Das Berufungsgericht hat demnach zu Recht an dieser Stelle auf seine Ausführungen zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ II verwiesen. Für die von der Revision im Hinblick auf die Annahme des Ausrichtens der Tätigkeit der Beklagten auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Rügen gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

[36] c) Der Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-​VO steht - wie das Berufungsgericht zutreffend und von der Revision unbeanstandet erkannt hat - eine der in Art. 6 Abs. 4 Rom I-​VO enthaltenen Ausnahmebestimmungen nicht entgegen.

[37] aa) Dies gilt zunächst für Art. 6 Abs. 4 Buchst. a Rom I-​VO. Danach gilt Art. 6 Abs. 1 Rom I-​VO nicht für Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen, wenn die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen ausschließlich in einem anderen als dem Staat erbracht werden müssen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

[38] Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Ausnahmevorschrift auf typengemischte Verträge, die sich nicht auf die Erbringung von Dienstleistungen beschränken, sondern - wie vorliegend - auch andere geschuldete Leistungen umfassen, anwendbar ist (vgl. hierzu Staudinger/Magnus, BGB, aaO Rn. 71; BeckOGK-​Rom I-​VO/Rühl, Stand: 1. Februar 2023, Art. 6 Rn. 123; MünchKommBGB/Martiny, 8. Aufl., Art. 6 Rom I-​VO Rn. 25).

[39] Die Anwendung der Ausnahmevorschrift scheitert hier jedenfalls daran, dass die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen nicht ausschließlich außerhalb seines Aufenthaltsstaates erbracht werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) ist in den Fällen, in denen der Ort der körperlichen Erbringung der Dienstleistung in einem anderen Staat als in demjenigen liegt, in welchem der Verbraucher in ihren Genuss kommt, davon auszugehen, dass Dienstleistungen nur dann ausschließlich außerhalb des Mitgliedstaats erbracht werden, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn er keine Möglichkeit hat, sie in seinem Aufenthaltsstaat in Anspruch zu nehmen, und sich zu diesem Zweck ins Ausland begeben muss (EuGH, C-​272/18, WM 2019, 2258 Rn. 52 - Verein für Konsumenteninformation / TVP). Das Berufungsgericht hat in Anwendung der vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien, die gegen eine Ausschließlichkeit im vorgenannten Sinne sprechen (EuGH, C-​272/18, aaO Rn. 53 - Verein für Konsumenteninformation / TVP), und von der Revision nicht angegriffen darauf abgestellt, dass die Beklagte nach Ziffer 12.3 der AGB jährliche Berichte über die Aktivitäten auf den Plantagen sowie gemäß Ziffer 12.1 der AGB nach jeder kommerziellen Ausforstung eine detaillierte Auflistung über die Anzahl der ausgeforsteten Bäume, das daraus resultierende Holzvolumen, die Höhe des erzielten Bruttoverkaufspreises und die Ausbezahlung an den Kunden schuldet und dass diese Leistungen am Wohnort des Klägers in Deutschland erbracht werden.

[40] bb) Auch Art. 6 Abs. 4 Buchst. c Rom I-​VO ist im Streitfall nicht einschlägig. Danach gilt Art. 6 Abs. 1 Rom I-​VO (grundsätzlich) nicht für Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen oder die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 10. Februar 2022 entschieden, dass Verträge über Bäume, die auf einem Grundstück - wie vorliegend vom Berufungsgericht unangegriffen festgestellt - ausschließlich mit dem Ziel gepflanzt wurden, sie zu ernten und das so gewonnene Holz zu verkaufen, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 Buchst. c Rom I-​VO fallen (C-​595/20, NJW 2022, 1157 Rn. 23 ff. - ShareWood Switzerland).

[41] d) Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf den vorliegenden Fall scheitert auch nicht an der von den Parteien in Ziffer 27 der AGB gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom I-​VO getroffenen Wahl des Schweizer Rechts. Dabei kann dahinstehen, ob diese Rechtswahlklausel überhaupt wirksam ist, denn die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf sämtliche im vorliegenden Fall maßgeblichen rechtlichen Fragestellungen ergibt sich unter den hier gegebenen Umständen bereits aus dem in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO verankerten Günstigkeitsprinzip.

[42] aa) Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom I-​VO können die Parteien das auf einen die Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 Rom I-​VO erfüllenden Vertrag anzuwendende Recht nach Art. 3 Rom I-​VO wählen, wobei nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-​VO die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben muss. Die Rechtswahl darf gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO jedoch nicht dazu führen, dass dem Verbraucher der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-​VO mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf (sog. Günstigkeitsprinzip; vgl. EuGH, C-​595/20, NJW 2022, 1157 Rn. 15 f. - ShareWood Switzerland; C-​632/21, NJW-​RR 2023, 1473 Rn. 68, 71 - Diamond Resorts Europe u.a.; C-​821/21, NJW 2024, 569 Rn. 70, 73 - Club La Costa u.a.).

[43] bb) Es kann offenbleiben, ob die vorliegende Rechtswahlklausel, die den Verbraucher nicht darüber unterrichtet, dass er nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO jedenfalls den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts des Landes genießt, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wirksam ist.

[44] Der Gerichtshof hat Rechtswahlklauseln ohne die entsprechende Information des Verbrauchers mehrfach wegen Irreführung desselben als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95 S. 29; Klauselrichtlinie) angesehen (EuGH, C-​821/21, NJW 2024, 569 Rn. 70 ff. - Club La Costa u.a.; C-​272/18, WM 2019, 2258 Rn. 58 f. - Verein für Konsumenteninformation / TVP, C-​191/15, NJW 2016, 2727 Rn. 71 - Verein für Konsumenteninformation / Amazon EU).

[45] Die Beurteilung der Wirksamkeit der vorliegenden Rechtswahlklausel hängt davon ab, ob Rechtswahlklauseln im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Rom I-​VO (zumindest) einer Transparenzkontrolle nach dem gewählten (hier: Schweizer) Recht unter Einbeziehung eines Günstigkeitsvergleichs mit der das Transparenzgebot - unter Einschluss des Verbots der irreführenden Darstellung oder Verschleierung der Rechtslage (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2005 - VIII ZR 382/04, NJW 2006, 211 Rn. 23; vom 27. September 2000 - VIII ZR 155/99, BGHZ 145, 203, 220 [zu § 9 Abs. 1 AGBGB aF]) - im deutschen Recht enthaltenden Norm des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - I ZR 40/11 (IPRspr 2012-25b), GRUR 2013, 421 Rn. 33 ff.; OLG Naumburg, BeckRS 2021, 35435 Rn. 70 f.; OLG Hamm, Urteil vom 29. Juni 2021 - 34 U 128/20 (IPRspr 2021-289), juris Rn. 60 f.; Staudinger in Ferrari/Kieninger/ Mankowski, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl., Art. 6 VO (EG) 593/2008 Rn. 74d; Roth, IPRax 2013, 515, 522 f.; kritisch Staudinger/Hausmann, BGB, Neubearb. 2021, ROM I Art. 10 Rn. 98 ff.; MünchKommBGB/Spellenberg, 8. Aufl., Art. 10 Rom I-​VO Rn. 198, 205; Rauscher/Freitag, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Stand: 1/2023, Art. 10 Rom I-​VO Rn. 21 f., 28; Pfeiffer, LMK 2013, 343552) oder ob den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-​VO ein autonomes, kollisionsrechtliches Transparenzgebot zu entnehmen ist (vgl. Kaufhold, EuZW 2016, 247, 250) oder ob insoweit Art. 23 Rom I-​VO in Verbindung mit Art. 46b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zur Anwendung kommt (vgl. BeckOGK-​Rom I-​VO/Weller, Stand: 1. September 2023, Art. 10 Rn. 60 f., 58).

[46] cc) Diese Frage kann jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, denn selbst bei Wirksamkeit der Rechtswahlklausel ergibt sich über das Günstigkeitsprinzip nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen die Anwendung des deutschen Rechts auf alle maßgeblichen rechtlichen Fragestellungen des Falles.

[47] Nach den - für das Revisionsgericht bindenden (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 21. Aufl., § 545 Rn. 7 ff. mwN) - Ausführungen des Berufungsgerichts kennt das Schweizer Obligationenrecht kein Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen. Im Hinblick auf den halbzwingenden Charakter der - den Kern des Rechtsstreits bildenden - Vorschriften zum Widerrufsrecht für Verbraucher bei Fernabsatzverträgen nach deutschem Recht (§ 361 Abs. 2 Satz 1 BGB beziehungsweise - für den Zeitpunkt des Abschlusses der hier in Rede stehenden Verträge der beiden Parteien - § 312g Satz 1 BGB in der bis zum 3. August 2011 geltenden Fassung und § 312i Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung) hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom I-​VO bejaht.

[48] Dabei ist das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Revision - auch zu Recht davon ausgegangen, dass das Günstigkeitsprinzip nicht nur zu einer isolierten Anwendung der deutschen Vorschriften zum Bestehen des Widerrufsrechts für Verbraucher bei Fernabsatzverträgen sowie zu Ausübung und Rechtsfolgen des Widerrufs führt, sondern sich die Anwendung deutschen Rechts auf den geltend gemachten Rückzahlungsanspruch insgesamt einschließlich der Annexfragen der Verzinsung dieses Anspruchs sowie der Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der - ihr Zug um Zug zur Rückzahlung angebotenen - Annahme der Abtretung sämtlicher Rechte aus den Kauf- und Dienstleistungsverträgen erstreckt (vgl. Hüßtege/Mansel/ Leible, BGB, Rom-​Verordnungen - EuErbVO - HUP, 3. Aufl., Art. 6 Rom I-​VO Rn. 71 f.; BeckOK-​BGB/Spickhoff, Stand: 1. Februar 2024, Art. 6 VO (EG) 593/2008 Rn. 34; BeckOGK-​Rom I-​VO/Rühl, Stand: 1. Februar 2023, Art. 6 Rn. 263 f.).

[49] 3. ...

Fundstellen

LS und Gründe

BB, 2024, 2123, mit Anm. Unseld/Hager
BB, 2024, 1730
MDR, 2024, 1236
MMR, 2024, 1052, mit Anm. Briske/Harrendorf
NJW, 2024, 2680, mit Anm. Goebel/Wiepen
RIW, 2024, 609, mit Anm. Wilke
WM, 2024, 1367
WRP, 2024, 1094
ZIP, 2024, 2097
ZIP, 2024, 2392, mit Anm. Vogl

Bericht

Kittner, GWR, 2024, 293

nur Leitsatz

LMK, 2024, 818736

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-90

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