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Verfahrensgang

BGH, Urt. vom 09.02.2017 – IX ZR 9/16, IPRspr 2017-253

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Versicherungs-, Verbraucher-, Arbeitsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht
Zuständigkeit → Besonderer Vertragsgerichtsstand

Leitsatz

Der spätere Vertragsschluss zwischen einem Verbraucher und einem ausländischen Unternehmer (hier: aus der Schweiz) muss durch die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers (hier: Deutschland) ausgerichtete Tätigkeit des Unternehmers nicht motiviert worden sein, um ein Ausrichten im Sinne des Art. 15 I lit. c EuGVO alter Fassung/LugÜ II anzunehmen.

Ein Verbraucher verliert den Verbrauchergerichtsstand im Sinne von Art. 15 I lit. c EuGVO alter Fassung/LugÜ II nicht dadurch, dass das Vertragsverhältnis aufseiten seines Vertragspartners nach Vertragsschluss auf einen Dritten übergeht. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EUGVVO 44/2001 Art. 15
LugÜ II Art. 15

Sachverhalt

Der in Deutschland lebende, mit einer GbR selbständig tätige Kl. legte ab 2002 Gelder bei einem Vermögensverwaltungsunternehmen mit Sitz in der Schweiz an, die ihre Anlageprodukte in Deutschland vertrieb. 2008 kündigte und widerrief der Kl. die Verträge und beauftragte seine Rechtsanwälte mit der Rückholung der in der Schweiz angelegten Gelder.


[Siehe zum SV das BGH-Urteils gleichen Datums (IX ZR 103/16) (IPRspr 2017-250) in diesem Band.]


Parallel zum Nachlassverfahren verklagte der Kl. vor dem LG Heilbronn die Verwaltungsratsmitglieder und Direktoren des Unternehmens auf Schadensersatz. Diese Klage hatte keinen Erfolg. Nunmehr verlangt der Kl. wegen des Verlusts dieser Ansprüche von den Bekl. Schadensersatz. Das LG hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit ab- und das Berufungsgericht hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte der Kl. die Verurteilung der Bekl. erreichen.

Aus den Entscheidungsgründen:

[8] Die Revision hat Erfolg ...

B. [10] ... I. [12] [Es] kann mit der Begründung des Berufungsgerichts im Verhältnis zu den Bekl. zu 1) und 2) der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 I lit. c LugÜ II nicht verneint werden. Dieser Gerichtsstand liegt vor, wenn der Kl. mit den Bekl. zu 1) und 2) den Anwaltsvertrag, der die Grundlage der klägerischen Ansprüche bildet, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, und die Bekl. zu 1) und 2) ihre anwaltliche, mithin berufliche Tätigkeit in Deutschland ausgeübt oder diese auf irgendeinem Wege auf Deutschland oder auf mehrere Staaten einschl. Deutschland ausgerichtet haben und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Ob der streitgegenständliche Anwaltsvertrag vom Kl. zu einem nichtberuflichen, nichtgewerblichen Zweck geschlossen worden ist, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Für das Revisionsverfahren ist deswegen zugunsten des Kl. davon auszugehen, dass dies der Fall ist. Die weitere tatbestandliche Voraussetzung des Verbrauchergerichtsstands ist auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts zu bejahen: Die Bekl. zu 1) und 2) haben ihre anwaltliche Tätigkeit zwar nicht in Deutschland ausgeübt, sie haben sie aber zumindest auch auf Deutschland ausgerichtet, und der zustande gekommene Anwaltsvertrag fällt in den Bereich dieser Tätigkeit.


[Für die Ausführungen der Rz. 13 bis 19 s. die gleichlautenden Passagen (Rz. 22 bis 27) des BGH-Urteils vom selben Tag (IX ZR 67/16) (IPRspr 2017-252).]


[20] 3. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe haben die Bekl. zu 1) und 2) nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ihre Tätigkeit auf Deutschland ausgerichtet ...

[20] a) Die Internetseite der Bekl. zu 1) und 2) enthält allerdings allenfalls schwache Anhaltspunkte für ein Ausrichten ihrer Anwaltstätigkeit auf Deutschland.

[21] aa) Maßgeblich ist der Stand und der Inhalt der Internetseite zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, hier also der März 2011 (vgl. BGH, Urt. vom 15.1.2015 – I ZR 88/14 (IPRspr 2015-192), NJW 2015, 2339, Rz. 24, 29; Staudinger, jM 2014, 229, 233) ...

[23] bb) Die von den Bekl. zu 1) und 2) betriebene Internetseite belegt, dass diese ihre Tätigkeit auch auf Mandanten aus dem Ausland ausgerichtet haben, ohne Verbraucher als Mandanten auszuschließen ...

[27] (3) Entgegen der Auffassung der Bekl. entfällt die Indizwirkung nicht deswegen, weil der Verbraucher durch den Internetauftritt des Berufstätigen zum Vertragsschluss nicht motiviert worden ist. Der Kl. hatte nach den Feststellungen vor Vertragsschluss keine Kenntnis von der Internetseite der Bekl. zu 1) und 2). Doch muss für das Tatbestandsmerkmal des Ausrichtens nach Art. 15 I lit. c EuGVO a.F./LugÜ II die Internetseite nach der neuen Rspr. des EuGH nicht kausal für den Vertragsschluss mit diesem Verbraucher sein (EuGH, Urt. vom 17.10.2013 – Lokman Emrek ./. Vlado Sabranovic, Rs C-218/12, NJW 2013, 3504 Rz. 20 ff., 32; vgl. BGH, Beschl. vom 15.5.2014 – III ZR 255/12 (IPRspr. 2014 Nr. 195,), WM 2014, 2133 Rz. 17) ...

C. ... II. [49] Das Berufungsgericht wird nunmehr zunächst Feststellungen dazu zu treffen haben, ob der Kl. Verbraucher i.S.v. Art. 15 I lit. c LugÜ II ist.

[50] 1. Nach der Rspr. des EuGH sind Verbraucher natürliche Personen, die zu einem privaten Zweck einen Vertrag schließen, der nicht einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (nicht berufs- oder gewerbebezogen handelnd; EuGH, Urt. vom 20.1.2005 – Johann Gruber ./. Bay Wa AG, Rs C-464/01, NJW 2005, 653 Rz. 37; vom 20.1.2005 – Petra Engler ./. Janus Versand GmbH, Rs C-27/02, NJW 2005, 811 Rz. 34; BGH, Urt. vom 30.3.2006 aaO Rz. 18). Der Begriff des Verbrauchers ist eng auszulegen und nach der Stellung dieser Person innerhalb des konkreten Vertrags i.V.m. dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung dieser Person zu bestimmen, so dass ein und dieselbe Person im Rahmen bestimmter Geschäfte als Verbraucher und im Rahmen anderer als Unternehmer angesehen werden kann ...

[51] Hat der Kl. die Kapitalanlageverträge zu einem allein nichtberuflichen und nichtgewerblichen Zweck geschlossen, hat er auch den Anwaltsvertrag zu nichtberuflichen und nichtgewerblichen Zwecken geschlossen. Sollte der Kl. die Anlagegeschäfte im Zusammenhang mit der Verwaltung eigenen Privatvermögens getätigt haben, ließe ihn dies nicht zum Unternehmer werden [vgl. BeckOK-BGB-Spickhoff, 2013, Art. 6 VO (EG) 593/2008 Rz. 20 a.E.; MünchKomm-Martiny, 2015, Rom I-VO Art. 6 Rz. 8]. Insbesondere steht das Vorliegen eines Gewinninteresses der Einordnung seiner Person als Verbraucher nicht entgegen (vgl. BGH, Beschl. vom 29.1.1991 – XI ZR 17/90 (IPRspr. 1991 Nr. 169), ZIP 1991, 1209, 1210; Grabitz-Hilf-Pfeiffer, Das Recht der Europäischen Union, 2009, Art. 2 RL 93/13/EWG Rz. 11).

[52] 2. Deswegen kommt es darauf an, zu welchem Zweck der Kl. die Kapitalanlageverträge geschlossen hat. Das Berufungsgericht wird mithin feststellen müssen, wer Vertragspartner des Unternehmens war, der Kl. persönlich oder die Gesellschaft, mit der der Kl. beruflich tätig war ...

[53] Entgegen der Ansicht der Bekl. ist es für die Zweckbestimmung unerheblich, ob der Kl. die Geldmittel, die er für die Durchführung der Kapitalanlageverträge benötigte, aus seiner beruflichen/gewerblichen Tätigkeit erwirtschaftet hat. Es kommt nicht auf die (mglw. auch strafrechtlich relevante) Herkunft der Mittel an, die der Verbraucher zur Erfüllung des Vertrags benötigt (vgl. Geimer in FS Martiny, 2014, 711, 721), sondern allein darauf, ob der Vertragsgegenstand beruflichen oder privaten Zwecken dient. Denn anderenfalls würde der Verbrauchergerichtsstand eine internationale Zuständigkeit selten begründen können, weil ein Verbraucher die Geldmittel für seine privaten Geschäfte regelmäßig mit beruflichen Einnahmen erwirtschaftet.

Fundstellen

LS und Gründe

NJW, 2017, 123

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2017-253

Lizenz

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