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Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth, Urt. vom 03.02.2022 – 19 O 526/21
OLG Nürnberg, Urt. vom 29.11.2022 – 3 U 493/22
BGH, Vorlagebeschl. vom 23.01.2024 – I ZR 205/22, IPRspr 2024-270

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Gerichtsstandsvereinbarung, rügelose Einlassung
Immaterialgüterrecht (ab 2020) → Urheberrecht

Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 336 vom 23. Dezember 2015, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Kann es der Inhaber einer nationalen Marke gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 verbieten lassen, dass eine Person im Ausland markenverletzende Ware zu dem Zweck besitzt, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen? [LS von der Redaktion neu gefasst]

Rechtsnormen

AEUV Art. 267
EuGVVO 1215/2012 Art. 26
Marken-RL 2015/2436 Art. 10
Rom II-VO 864/2007 Art. 8
ZPO § 545

Sachverhalt

Der Kläger ist Inhaber der unter anderem für "Taucherapparate, Taucheranzüge, Taucherhandschuhe, Tauchermasken und Atemgeräte zum Tauchen" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragenen Wort-​Bild-​Marken Nr. ... und Nr. ... Die in Spanien geschäftsansässige Beklagte bewarb beziehungsweise bot über die von ihr betriebene Internetseite www.s.com sowie über die Handelsplattform www.a.de Tauchzubehör unter Verwendung der Marken des Klägers an. Dabei wurden teilweise Produktfotos verwendet, die Waren mit den Marken des Klägers zeigten.

Der Kläger hat nach erfolgloser Abmahnung beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr die in Rede stehenden Zeichen in der Bundesrepublik Deutschland für Tauchzubehör zu benutzen. Zudem hat er die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, Auskunftserteilung und Erstattung von Abmahnkosten nebst Zinsen begehrt. Die Beklagte hat die Klageforderung anerkannt, soweit der Kläger beantragt hat, sie zu verurteilen, es zu unterlassen, unter den Marken Tauchzubehör anzubieten oder hierfür zu werben, und soweit der Kläger - auf diese Handlungen bezogen - Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht begehrt hat. Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilanerkenntnis- und Endurteil entsprechend ihrem Anerkenntnis verurteilt und dem Kläger außerdem Abmahnkosten in Höhe von ... € nebst Zinsen zugesprochen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

Auf die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Unterlassungsverurteilung der Beklagten durch die Worte ergänzt "sowie zu vertreiben oder zu vorgenanntem Zweck zu besitzen", die darauf bezogenen Folgeanträge auf diese Tathandlungen erstreckt und die Beklagte außerdem zur Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von ... € nebst Zinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen (OLG Nürnberg, GRUR 2023, 260). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Entscheidungsgründen:

[10] B. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 ab. Vor einer Entscheidung über die Revision ist daher das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

[11] I. ... [15] II. Die Klage ist zulässig (dazu B II 1). Der Erfolg der Revision der Beklagten hängt von der Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 ab (dazu B II 2).

[16] 1. Die Klage ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 - I ZR 20/17 (IPRspr 2021-131), GRUR 2021, 730 [juris Rn. 16] = WRP 2021, 471 - Davidoff Hot Water IV; Urteil vom 14. Juli 2022 - I ZR 121/21 (IPRspr 2022-19), GRUR 2022, 1675 [juris Rn. 29] = WRP 2022, 1519 - Google-​Drittauskunft, jeweils mwN), ergibt sich für die in Spanien ansässige Beklagte jedenfalls aus ihrer rügelosen Einlassung gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Brüssel-​Ia-​VO. Die Beklagte hat sich auf die Klage insgesamt eingelassen, ohne hinsichtlich der verschiedenen vom Kläger als markenrechtsverletzend angesehenen Tathandlungen die internationale Zuständigkeit der angerufenen deutschen Gerichte zu rügen.

[17] 2. ... [18] a) Die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche sind nach deutschem Recht zu beurteilen. Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom-​II-​VO) ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird. Nach diesem Recht sind insbesondere das Bestehen des Rechts, die Rechtsinhaberschaft des Verletzten, Inhalt und Umfang des Schutzes sowie der Tatbestand und die Rechtsfolgen einer Rechtsverletzung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH, GRUR 2022, 1675 [juris Rn. 31] - Google-​Drittauskunft, mwN (IPRspr 2022-19)). Da Gegenstand der Klage Ansprüche wegen einer Verletzung von deutschen Marken sind, ist im Streitfall deutsches Markenrecht anzuwenden.

[19] b) ... [20] aa) ... [21] bb) ... [22] c) ... [23] d) ... [24] e) ...[25] f) ... [26] aa) ... [27] bb) ... [29] cc) ... [30] ... [31] ee) Fraglich ist jedoch, ob es der Inhaber einer nationalen Marke gemäß Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 verbieten lassen kann, dass eine Person im Ausland markenverletzende Ware zu dem Zweck besitzt, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen (Vorlagefrage 1).

[32] (1) Dem könnte das Territorialitätsprinzip entgegenstehen. Der im Immaterialgüterrecht maßgebliche Territorialitätsgrundsatz besagt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs zum einen, dass die Bedingungen des Schutzes eines nationalen Schutzrechts sich nach dem Recht des Staates richten, in dem dieser Schutz begehrt wird, und zum anderen, dass nationale Immaterialgüterrechte lediglich einen auf das staatliche Territorium begrenzten Schutz genießen und nur im Inland vorgenommene Handlungen geahndet werden können (zum Warenzeichen- und Markenrecht vgl. EuGH, Urteil vom 22. Juni 1994 - C-​9/93, Slg. 1994, I‑2789 = GRUR Int. 1994, 614 [juris Rn. 22] - IHT Internationale Heiztechnik und Danzinger [Ideal Standard]; Urteil vom 19. April 2012 - C-​523/10, GRUR 2012, 654 [juris Rn. 25] - Wintersteiger; BGH, Urteil vom 25. April 2012 - I ZR 235/10 (IPRspr 2012-161), GRUR 2012, 1263 [juris Rn. 17, 23 f.] = WRP 2012, 1530 - Clinique happy; BGH, GRUR 2020, 647 [juris Rn. 25] - Club Hotel Robinson, mwN (IPRspr 2019-248); zum Urheberrecht vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2005 - C-​192/04, Slg. 2005, I-​7199 = GRUR 2006, 50 [juris Rn. 46] - Lagardère Active Broadcast). Dies spräche dafür, dass derjenige, der im Ausland Waren besitzt, auch wenn dies zu dem Zweck von deren Angebot und deren Inverkehrbringen unter dem Zeichen im Inland geschieht, eine inländische Marke nicht verletzt.

[33] (2) Denkbar ist aber auch, es - wie das Berufungsgericht - für die Verletzung einer nationalen Marke ausreichen zu lassen, dass der Besitz im Ausland mit dem Ziel ausgeübt wird, die Ware unter dem Zeichen im Schutzland anzubieten und in den Verkehr zu bringen. So hat der Gerichtshof der Europäischen Union zum Urheberrecht bereits entschieden, dass ein nur im Inland geschütztes Schutzrecht auch durch Handlungen verletzt werden kann, die im Ausland stattfinden. So nimmt ein im Ausland ansässiger Händler, der seine Werbung auf das Schutzland ausrichtet und ein spezifisches Lieferungssystem und spezifische Zahlungsmodalitäten schafft oder für sie zur Verfügung stellt oder dies einem Dritten erlaubt und Interessenten im Schutzland in die Lage versetzt, sich schutzrechtsverletzende Ware liefern zu lassen, im Schutzland eine schutzrechtsverletzende Handlung vor (zum Urheberrecht vgl. EuGH, Urteil vom 21. Juni 2012 - C-​5/11, GRUR 2012, 817 [juris Rn. 30] = WRP 2012, 927 - Donner).

[34] (3) Die Vorlagefrage 1 ist anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht zweifelsfrei zu beantworten. Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass das angerufene Gericht in dem Land, in dem das Immaterialgüterrecht Schutz genießt, hierfür auch Schutz gewähren kann, wenn der Schaden auf im Ausland vorgenommenen Handlungen beruht, die einen Schaden im Inland herbeiführen können. Das angerufene inländische Gericht ist dann lediglich für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verursacht worden ist, zu dem es gehört (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 - C-​170/12, GRUR 2014, 100 [juris Rn. 39 und 47] = WRP 2013, 1456 - Pinckney/KDG Mediatech). Diese Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist allerdings nicht zu der Frage ergangen, ob eine Verletzung des in Rede stehenden inländischen Immaterialgüterrechts durch eine im Ausland begangene, aber auf das Inland ausgerichtete Handlung erfolgt ist, sondern zur Reichweite der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts des Schutzlandes. Auch die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union "Donner" (EuGH, GRUR 2012, 817) beantwortet die Vorlagefrage 1 nicht. Sie ist nicht zum Markenrecht, sondern zum Urheberrecht ergangen. Es ging dort um die Frage, ob durch einen Vertrieb von Vervielfältigungsstücken aus dem Ausland das Verbreitungsrecht des Urhebers im Schutzland verletzt wird. Die Vorlagefrage 1 bezieht sich im Streitfall nicht darauf, ob der Beklagten das Angebot oder der Vertrieb aus dem Ausland ins Inland zu untersagen ist, sondern darauf, ob - gestützt auf eine nationale Marke - bereits der Besitz markenverletzender Ware im Ausland untersagt werden kann, der zum Zweck des Anbietens und des Vertriebs erfolgt. Hierzu verhält sich die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union "Donner" nicht.

[35] ff) ...

Fundstellen

Volltext

Link, openJur
Link, BGH (bundesgerichtshof.de)
Link, BMJ(rechtsprechung-im-Internet)

nur Leitsatz

BB, 2024, 577
CR, 2024, 273
CR, 2024, 411
MittdtschPatAnw, 2024, 191

LS und Gründe

GRUR, 2024, 305
MDR, 2024, 318
MMR, 2024, 419
WRP, 2024, 334

Bericht

Nüzel, GRURPrax, 2024, 265

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-270

Lizenz

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