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Verfahrensgang

LG Frankfurt/Main, Urt. vom 15.03.2023 – 3-08 O 43/21, IPRspr 2023-4
OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 06.02.2025 – 16 U 78/23, IPRspr 2025-45

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Unlauterer Wettbewerb und Kartellrecht (ab 2020) → Lauterkeitsrecht
Vertragliche Schuldverhältnisse → Beförderungsvertrag
Allgemeine Lehren → Rechtswahl

Leitsatz

Eine Rechtswahlklausel in den AGB einer Fluggesellschaft, in der auf das anwendbare Recht „einschließlich der Übereinkommen, APR 2019 und der Verordnung EU261, sofern zutreffend“ abgestellt wird, ist für den durchschnittlich informierten Verbraucher intransparent und irreführend und hält einer Missbrauchskontrolle anhand der Klausel-​RL daher nicht stand. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 7
Klausel-RL 93/13/EWG Art. 3; Klausel-RL 93/13/EWG Art. 5
Rom I-VO 593/2008 Art. 3; Rom I-VO 593/2008 Art. 6; Rom I-VO 593/2008 Art. 10
Rom II-VO 864/2007 Art. 6
UKlaG § 1; UKlaG § 3
UWG § 8

Sachverhalt

Der Kläger [Wettbewerbszentrale], ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verein, nimmt die Beklagte wettbewerbsrechtlich auf Unterlassung in Anspruch. Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in England. Sie verfügt in Deutschland nicht über eine Niederlassung, betreibt jedoch auf ihrer Webseite einen deutschsprachigen Internetauftritt, über den unter der Adresse www.e.com/de Flugbuchungen vorgenommen werden können. Dort werden auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten in deutscher Sprache bereitgestellt. In Ziff. 21.1.1 der AGB ist folgende Rechtswahlklausel enthalten: "Sofern vom anwendbaren Recht (einschließlich der Übereinkommen, APR 2019 und der Verordnung EU261, sofern zutreffend) nichts anderes bestimmt ist, unterliegen diese Bedingungen und alle Dienstleistungen, die wir Ihnen gemäß diesen Bedingungen erbringen, einschließlich bezüglich Ihrer Person und/oder Ihres Gepäcks, den Gesetzen von England und Wales." Unter Ziff. 22.1 („Definitionen“) werden die Begriffe „anwendbares Recht“, „Übereinkommen“, „APR 2019“ und „EU261“ definiert.

Der Kläger mahnte die Beklagte ab. Die Beklagte kam der Aufforderung, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, nicht nach. Mit seiner am 12.07.2022 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren gerichtlich weiter.

 

 

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I.

[2]Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben. Sie ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Soweit der Kläger seine Ansprüche auf den Gesichtspunkt des Wettbewerbsverstoßes stützt, ist dieser einer unerlaubten Handlung gleichgestellt und tritt - die Wettbewerbswidrigkeit als doppelrelevanten Umstand unterstellt - in Deutschland ein, nachdem die Beklagte einen deutschsprachigen Internetauftritt unterhält und über diesen Kunden in Deutschland Flüge buchen können. Im Hinblick auf die weltweite Abrufbarkeit des Mediums Internet führt dies zu der örtlichen Zuständigkeit sämtlicher deutscher Gerichte. Der deliktische Gerichtsstand ist ebenfalls einschlägig für die vorbeugende Klage eines Verbandes auf Untersagung vermeintlich missbräuchlicher Klauseln in Verträgen mit Verbrauchern (vgl. EuGH, NJW 2016, 2727 [= WRP 2016, 1469]).

[3]Die Klage ist teilweise begründet.

[4]Der Kläger ist gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG, § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG aktivlegitimiert.

[5]Er hat hinsichtlich der Klausel in Ziff. 21.1.1 der AGB aus § 1 UKlaG einen Anspruch auf Unterlassung von deren Verwendung (Klageantrag zu Ziff. 1 lit. a).

[6]Auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung der Verwendung von missbräuchlichen Bestimmungen in AGB sowie von bestimmten Angaben findet nach der Marktortanknüpfung des Art. 6 Abs. 1 Rom-​II-​VO - aus den zur internationalen Zuständigkeit genannten Gründen - deutsches Sachrecht Anwendung.

[7]Die Klausel ist unwirksam.

[8]Allerdings ist bei einem wie hier in Rede stehenden Beförderungsvertrag die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede gemäß Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom-​I-VO nach englischem Recht zu beurteilen. Eine Inhaltskontrolle anhand nationalen Rechts findet nicht grundsätzlich statt (vgl. MüKoBGB/Spellenberg, 8. Aufl. 2021, Rom-​I-VO Art. 10 Rn. 198).

[9]Doch unterliegt die Rechtswahl in AGB im Verhältnis zu Verbrauchern der Missbrauchskontrolle. Dieser hält die vorliegende Klausel nicht stand.

[10]Nach der Rechtsprechung des EuGH (NJW 2016, 2727 Rn. 67 ff. [= WRP 2016, 1469]) kann sich gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13/EWG (Klausel-​Richtlinie) die Missbräuchlichkeit einer Rechtswahlklausel in AGB aus einer Formulierung ergeben, die nicht dem in Art. 5 der Klausel-​Richtlinie aufgestellten Erfordernis einer klaren und verständlichen Abfassung genügt. Dieser Maßstab ist im hiesigen Fall anzulegen. Dem tut keinen Abbruch, dass die Entscheidung des EuGH auf einen Verbrauchervertrag i.S.v. Art. 6 Rom-​I-VO bezogen war, worunter ein Personenbeförderungsvertrag gemäß Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom-​I-VO nicht fällt. Denn richtigerweise muss vom Anwendungsbereich der Klausel-​Richtlinie ausgegangen werden. Der durch diese intendierte Schutz würde leerlaufen, wenn die Rechtswahl in AGB - wiewohl in der Sache zulässig - unter Verstoß gegen das Transparenzgebot möglich wäre. Dies gilt hier auch und gerade im Hinblick darauf, dass das Recht eines Landes gewählt werden soll, welches nicht mehr Mitglied der Europäischen Union ist. Die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH auch in dieser Konstellation zum Tragen zu bringen, ist kollisionsrechtlich - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - aufgrund von Art. 46b EGBGB vorgesehen und geboten.

[11]Gemessen an diesen Kriterien ist die Rechtswahlklausel irreführend und intransparent.

[12]Die Kammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main an (vgl. deren Teil-​Urteil vom 14.04.2022, Az. 2-​24 O 419/20; vgl. außerdem LG Stuttgart, Hinweisbeschluss vom 18.05.2021, Az. 17 O 807/20; LG Landshut, Hinweisbeschluss vom 17.02.2021, Az. 54 O 2882/20 (IPRspr 2021-25); LG Düsseldorf, Hinweisbeschluss vom 05.07.2021, Az. 22 O 133/20 (IPRspr 2021-262); LG Berlin, Teil-​Urteil vom 07.01.2022, Az. 67 O 31/21; LG Memmingen, Teil-​Urteil vom 04.03.2022, Az. 26 O 1373/21; Staudinger/Busse, NJW 2022, 2811; die von der Beklagten zitierte Entscheidung OLG Frankfurt am Main, RdTW 2019, 472, betrifft eine andere Klausel, welche die hier gegebenen Verständlichkeitsdefizite nicht in demselben Ausmaß aufweist).

[13]Jedenfalls die Bezugnahme auf das anwendbare Recht „einschließlich der Übereinkommen, APR 2019 und der Verordnung EU261, sofern zutreffend“ ist für den durchschnittlich informierten Verbraucher unverständlich. Dies gilt selbst dann, wenn man bei der Auslegung der Klausel die in den AGB ebenfalls enthaltenen „Definitionen“ mitberücksichtigt (dagegen mit beachtlichen Argumenten LG Frankfurt am Main, 24. Zivilkammer, a.a.O.). Diese würden zwar dabei helfen, die „Verordnung EU261“ als die Fluggastrechte-​Verordnung (VO [EG] 261/2004) zu identifizieren. Deren Geltung steht aber unter dem Vorbehalt „sofern zutreffend“. Ein mit der anglo-​amerikanischen Praxis der Vertragsgestaltung vertrauter und davon leidgeprüfter Jurist wird dies so verstehen, dass damit der Vorbehalt gemacht wird, dass diese Verordnung im Einzelfall anwendbar ist. Ein durchschnittlicher Verbraucher kann dies nicht leisten. Er würde davon abgesehen auch von diesem Anwendungsvorbehalt verwirrt werden, und zwar insbesondere wegen des „Brexit“, also des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und der über mehrere Jahre virulent gewesenen Frage des Wirksamwerdens dieses Austritts und der - vorübergehenden oder dauerhaften - Fortgeltung europäischen Rechts. Die Frage, inwieweit die Fluggastrechte-​Verordnung unter diesen Bedingungen gilt, wird selbst ein durchschnittlich informierter Jurist nicht beantworten können, von einem durchschnittlich informierten Verbraucher ganz zu schweigen ...

Fundstellen

LS und Gründe

WRP, 2023, 759

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2023-4

Lizenz

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