Eine Partei kann sich gemäß Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO für die Behauptung, sie habe einer Rechtswahl nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts (hier: Deutschland) berufen. [LS der Redaktion]
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht Ansprüche wegen nicht angetretener Flüge geltend. Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich. Die in diesem Verfahren streitgegenständlichen Buchungen in den Jahren 2018 bis 2020 betrafen Flüge mit der Beklagten, für welche Steuern, Gebühren oder sonstige Abgaben an die Beklagte bezahlt wurden. Die gebuchten Flüge wurden entweder frühzeitig storniert oder ohne Stornierung nicht angetreten. In diesen Fällen ist die Abführung von entsprechenden Steuern, Gebühren oder Abgaben nicht erfolgt.
Die Klägerin behauptet, die sich aus der Tabelle zum Klageantrag ergebenden Personen hätten Rückforderungsansprüche gegen die Beklagte an sie abgetreten und sie habe die Abtretung angenommen. Eine Rückerstattung der Steuern/Gebühren/Abgaben sei bislang nicht erfolgt. Zur Geltendmachung ihrer Forderungen habe die Klägerin die Klägervertreterin in den jeweils einzelnen Fällen beauftragt.
[1]Die zulässige Klage ist unbegründet.
[2]I. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hat für die anwendbaren Vorschriften im vorliegenden Rechtsstreit keine Auswirkung. Der gemäß Art. 126 Austrittsabkommen UK/EU bis zum 31.12.2020 andauernde Übergangszeitraum ist zwar bereits abgelaufen, allerdings finden gemäß Art. 67 Abs. 1 lit. a, 127 Abs. 1 des Austrittsabkommen UK/EU die Vorschriften des Unionsrechts weiterhin Anwendung, da die Klage bereits vor Ende des Übergangszeitraums rechtshängig wurde.
[3]II. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Landshut international und örtlich zuständig. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 7 Nr. 1 VO (EU) 1215/2012 (EuGVVO/ Brüssel-Ia-VO). Nachdem Abflug- bzw. Zielort der hier streitgegenständlichen Flüge der Flughafen München gewesen wäre, wäre die Erbringung der Hauptleistung des streitgegenständlichen Reisevertrags im hiesigen Gerichtsbezirk angesiedelt.
[4]III. Die zulässige Klage ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt unbegründet, da kein Zahlungsanspruch (mehr) besteht und daher auch keine (weitere) Auskunft geschuldet ist.
[5]III. [sic] Entgegen der Auffassung der Beklagten ist deutsches Recht anwendbar.
[6]III) Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts ergibt sich aus Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 593/2008 (Rom-I-VO), da die abgetretenen Forderungen Reisende/ Passagiere mit Wohnsitz in Deutschland betreffen und die hier streitgegenständliche Flüge Abflug bzw. Ziel in Deutschland gehabt hätten.
[7]III) Eine wirksame Rechtswahl auf das englische Recht in den AGB der Beklagten hat nicht stattgefunden. Dabei kann offen bleiben, ob die AGB der Beklagten überhaupt wirksam in die hier streitgegenständlichen Reiseverträge bei der Flugbuchung der jeweiligen Passagiere wirksam einbezogen wurden. Die Rechtswahlklausel ist jedenfalls unwirksam. Zwar erlaubt Art. 5 Abs. 2 UA 2 lit. b und c Rom-I-VO eine Rechtswahl der Parteien dahingehend, dass auch das Recht des Sitzes der Beklagten (hier englisches Recht) gewählt werden kann. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahl richten sich gemäß Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art 10 Abs. 1 Rom-I-VO nach dem jeweiligen Recht, das anzuwenden wäre, wenn die Rechtswahl wirksam wäre. Dies wäre vorliegend das englische Recht.
[8]Allerdings kann sich eine Partei gemäß Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Rom-I-VO für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen. Im Falle der hier streitgegenständlichen Flugbuchungen liegt der gewöhnliche Aufenthalt der Passagiere in Deutschland, sodass die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel am Maßstab des § 305c BGB zu messen ist.
[9]Nach § 305c BGB ist die erwähnte Klausel allerdings intransparent und daher unwirksam. Die Einschränkungen der Rechtswahl durch „Übereinkommen und der Verordnung EU 261“ sind für den durchschnittlich informierten Verbraucher nicht ansatzweise nachvollziehbar. Es bleibt offen, welche Übereinkommen überhaupt gemeint sein sollen und welche Folgen diese auch haben können. Noch deutlicher intransparent ist die Erwähnung der Verordnung „EU 261“, die auch einem Juristen nichts sagt. Eine Verordnung dieses Titels gibt es schlicht nicht, weil die Europäische Union diese Nomenklatur nicht verwendet. Zwar dürfte bei gehöriger Recherche die VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) gemeint sein. Allerdings ist der in den AGB der Beklagten genannte Titel nichtssagend oder zumindest missverständlich, zumal es sich um eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft handelt (wenn auch die Europäische Union deren Rechtsnachfolgerin ist, Art. 1 Abs. 3 EUV).
[10]Außerdem wird durch die gewählte Formulierung die mögliche Ausnahme der Rechtswahl nicht klar genug bestimmt, sodass deutsches Recht anwendbar ist (Art. 5 Abs. 2 UA 1 Rom-I-VO; ebenso [LG Frankfurt Main], NJW-RR 2020, 1312 (IPRspr 2020-207)). Denn die von der Beklagten in den AGB erwähnten Ausnahmen (“sofern vom anwendbaren Recht nichts anderes bestimmt ist“) können durch den durchschnittlich informierten Reisenden gar nicht überblickt werden. Im Reisevertragsrecht sind neben den europäischen Regelungen (FluggastrechteVO) auch internationale Verträge wie z.B. das Montrealer Übereinkommen zu beachten. Welchen Regelungsinhalt diese Übereinkommen haben und vor allem welche vorliegend Anwendung finden, ist für den Verbraucher nicht klar erkennbar. Gleiches gilt für die Frage, welches Übereinkommen ggf. Vorrang vor gesetzlichen Regelungen der beteiligten Staaten (Vorrang des Europarechts) oder möglicherweise auch vor internationalen Verträgen beansprucht. Diese Intransparenz wird durch das fehlerhafte Zitat der „Verordnung EU261“ noch verstärkt.
[11]III. ...