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Verfahrensgang

LG Frankfurt/Main, Urt. vom 15.03.2023 – 3-08 O 43/21, IPRspr 2023-4
OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 06.02.2025 – 16 U 78/23, IPRspr 2025-45

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Besonderer Deliktsgerichtsstand
Vertragliche Schuldverhältnisse → Verbraucherrecht

Leitsatz

Unterliegt ein Vertrag auf Grund einer Rechtswahl dem Recht eines Drittstaates (hier: Vereinigtes Königreich) und besteht ein enger Zusammenhang mit Deutschland, so sind gemäß Art. 46b EGBGB die Verbraucherschutzrichtlinien (insbesondere die Klausel-Richtlinie) anzuwenden. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

BGB §§ 305 ff.; BGB § 307; BGB §§ 307 ff.; BGB § 310; BGB § 648
BrexitAbk Art. 126
EGBGB Art. 46b
EuGVVO 1215/2012 Art. 6; EuGVVO 1215/2012 Art. 7
Rom II-VO 864/2007 Art. 6
UKlaG § 1; UKlaG § 6
ZPO § 32; ZPO § 35

Sachverhalt

Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in Stadt1, England. Sie bietet auf ihrer Internetseite www.(...).com/.de, die auch in deutscher Sprache aufgerufen werden kann, die Möglichkeit, Flüge online zu buchen. Der Kläger, ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragener Verein, hat von ihr Unterlassung der Verwendung dreier Klauseln in ihren AGB begehrt. Unter anderem sieht die Beklagte dort eine Rechtswahl zugunsten des englischen und walisischen Rechts vor.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil unter Klageabweisung im Übrigen dem Unterlassungsbegehren hinsichtlich der Klausel Ziffer 21.1.1. entsprochen und dem Kläger anteilig Abmahnkosten in Höhe von € ... nebst Zinsen zuerkannt. Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt und verfolgt sein erstinstanzliches Begehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

[3]Sie hat auch in der Sache Erfolg.

[4]A. Die Klage ist zulässig.

[5]Das Landgericht hat die - auch im Berufungsverfahren - von Amts wegen [vgl. BGH Urt. 16.12.2003 - XI ZR 474/02 (IPRspr. 2003 Nr. 149) - Rn. 12 ff] zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte im Ergebnis zutreffend bejaht. Diese lässt sich allerdings entgegen der Annahme des Landgerichts nicht auf Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stützen. Denn die Vorschriften der EuGVVO finden nach dem Austritt des Vereinigten Königsreiches aus der Europäischen Union und dem Ablauf des gemäß Art. 126 Austrittsabkommen UK/EU bis zum 31.12.2020 andauernden Übergangszeitraums keine Anwendung mehr, gelten mithin für die am 20.9.2021 bei Gericht eingegangene Klage gegen die Beklagte mit Sitz in England als sog. Drittstaat nicht fort.

[6]Damit richtet sich die internationale Zuständigkeit mangels völkerrechtlicher Regelungen nach dem autonomen deutschen Recht (Art. 6 Abs. 1 EuGVVO). Hier gilt der Grundsatz der Doppelfunktionalität, wonach die örtliche zugleich die internationale Zuständigkeit indiziert [BGH Beschl. v. 14.6.1965 - GSZ 1/65 (IPRspr. 1964 –1965 Nr. 224)]. Die internationale Zuständigkeit beurteilt sich demnach nach den Regeln über die örtliche Zuständigkeit des § 6 Abs. 1 UKlaG, der insoweit § 32 ZPO verdrängt. Mangels gewerblicher Niederlassung der Beklagten in Deutschland richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem inländische Begehungsort. Das ist nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UKlaG bei AGB der Ort der Verwendung. Bei Diensten, die über das Internet angeboten werden, liegt eine Verwendung von AGB mithin in jedem Gerichtsbezirk vor, in dem die betreffenden Internetseiten bestimmungsgemäß abgerufen werden können, mithin im gesamten Bundesgebiet, also auch im hiesigen Gerichtsbezirk. Insoweit stand dem Kläger nach § 35 ZPO ein Wahlrecht zwischen den mehreren zuständigen Gerichten zu.

[7]B. Mit Erfolg macht der Kläger mit seiner Berufung geltend, dass ihm aus § 1 UKlaG auch ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Klausel in Ziffer 5.4. der streitgegenständlichen AGB der Beklagten zusteht.

[8]1. Zutreffend und von der Berufung nicht beanstandet ist das Landgericht davon ausgegangen, dass auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung der Verwendung einer missbräuchlichen Bestimmung in AGB nach der Marktortanknüpfung des Art. 6 Abs. 1 Rom-II-VO deutsches Sachrecht Anwendung findet [vgl. auch EuGH Urt. v. 28.7.2016 aaO. - Rn. 58].

[9]2. Die Berufung rügt zu Recht, dass die Klausel wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist, da sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung des § 648 Satz 2 BGB nicht zu vereinbaren ist und betroffene Kunden dadurch in unangemessener Weise benachteiligt werden.

[10]a. Es kann zunächst offenbleiben, ob die Rechtswahlklausel in Ziffer 21.1.1. AGB wirksam ist. Denn auch wenn englisches und walisisches Recht wirksam vereinbart wäre, käme nach Art. 46 b Abs. 1 EGBGB die nach nationalem, also deutschem Recht geltenden Bestimmungen zur Umsetzung der Verbraucherschutzrichtlinien gleichwohl zur Anwendung, so dass die Klausel Ziffer 5.4. AGB einer Missbrauchskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB zu unterziehen ist.

[11]aa. Der Anwendungsbereich des Art. 46 b EGBGB ist hier eröffnet, so dass neben dem gewählten englischen und walisischen Recht auch die §§ 305 - 310 BGB als nationale Umsetzungsvorschriften der in Art. 46b Abs. 3 EGBGB genannten Richtlinie Nr. 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (nachfolgend Klausel-Richtlinie) Geltung beanspruchen, und zwar in ihrer jeweils geltenden Fassung. Die Rechtswahlklausel sieht die Anwendung von englischem und walisischem und damit drittstaatlichen Rechts vor, welches ohne Rechtswahl auf Beförderungsverträge zwischen Fluggästen und der Beklagten nicht anwendbar wäre. Auch der in Abs. 1 geforderte „enge Zusammenhang“ ist hier in Gestalt des in Abs. 2 Nr. 2 gebildeten Regelbeispiels zu bejahen, da die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit auf den Aufenthaltsstaat von Verbrauchern in Deutschland ausrichtet, indem sie in diesen über ihre in deutscher Sprache abgefasste Website im Internet Flüge anbietet und damit erkennen lässt, dass Vertragsschlüsse mit Verbrauchern aus Deutschland erwünscht sind und angestrebt werden.

[12]Daher sind nach Abs. 1 die Bestimmungen zur Umsetzung der in Abs. 3 aufgeführten Verbraucherschutzrichtlinien "gleichwohl anzuwenden“, die im Gebiet Deutschlands gelten, wozu auch die Vorgaben der Klausel-Richtlinie gehören, welche nach deutschem Recht durch die §§ 307 ff BGB umgesetzt wurden [vgl. Thorn in Grüneberg, BGB, 83. Aufl., EGBGB 46b (IPR) Rn. 6; Grüneberg aaO., § 310 Rn. 7/8 und Überb v § 305 Rn. 9].

[13]bb. Die von der Beklagten aufgezeigten Zweifeln an der Richtlinienkonformität der Vorschrift, weil sie nach ihrem Wortlaut die betreffenden Sachnormen zu Eingriffsnormen („lois de police“) erhebt („sind anzuwenden“), aber keinen Günstigkeitsvergleich mit den verbraucherschützenden Normen des gewählten Vertragsstatus oder des deutschen Rechts vorsieht, erachtet der Senat als nicht durchgreifend; diesen kann mit einer richtlinienkonformen Auslegung der Vorschrift begegnet werden [zum Meinungsstand vgl. Magnus in Staudinger, BGB, 2021, Art. 46 EGBGB Rn. 54].

[14]b. Demnach sind auch die der Klausel-Richtlinie dienenden Vorschriften der §§ 307, 310 Abs. 3 BGB heranzuziehen, welche ihrerseits richtlinienkonform auszulegen sind. Zutreffend weist die Berufung darauf hin, dass maßgeblich die kundenfeindlichste Auslegung ist, wobei allerdings solche Auslegungsmöglichkeiten außer Betracht zu haben bleiben, die zwar theoretisch denkbar, aber praktisch fernliegend und daher nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen sind [BGH Urt. v. 29.4.2021 - I ZR 193/20 - Rn. 17]. Solches ist hier im Hinblick auf die vom Kläger zugrunde gelegte Lesart indes nicht anzunehmen. Da die Klausel einen Erstattungsanspruch bei einem stornierten, verpassten oder nicht angetretenen Flug ausdrücklich nur für die Luftverkehrssteuer regelt, legt dies im Umkehrschluss das Verständnis nahe, dass ein solcher hinsichtlich anderer nicht genannter Entgelte und Gebühren (wie etwa Flughafen- und Flughafensicherheitsgebühren) gerade nicht besteht. Auch an anderer Stelle weisen die AGB der Beklagten nicht darauf hin, dass verbrauchsabhängige Entgelte und Gebühren erstattungsfähig sind, so dass sich auch aus dem Kontext kein anderes Verständnis herleiten lässt.

[15]c. Die Klausel Ziff. 5.4 der AGB der Beklagten hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand, weil eine von § 648 Satz 2 BGB abweichende Beschränkung der Rückerstattungspflicht nur auf eine bestimmte Steuer eine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt.

[16]aa. ...

Fundstellen

Volltext

Link, Bürgerservice Hessenrecht

LS und Gründe

RRa, 2025, 102
WRP, 2025, 664

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2025-45

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