Nimmt ein Ehegatte, der sich in Deutschland befindet, mithilfe von Videotelefonie an der Eheschließung im Ausland teil, handelt es sich hierbei um eine Auslandstrauung. Anders ist dies zu bewerten, wenn beide Nupturienten sich in Deutschland befinden und ihr Eheversprechen per Videotelefonie gegenüber einer ausländischen Behörde abgeben. [LS der Redaktion]
Die Klägerin und der Kläger, die 1995 bzw. 1986 jeweils in Faryab, Afghanistan geboren sind, begehren die Erteilung eines Visums an die Klägerin zum Zweck des Ehegattennachzugs zu dem im Bundesgebiet lebenden Kläger. Die Klägerin ist afghanische, der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger.
Am 28. November 2021 stellte die Klägerin einen Visumsantrag bei der Botschaft der Beklagten in Teheran. Mit Bescheid vom 24. März 2022 lehnte die Botschaft der Beklagten in Teheran den Visumsantrag ab. Die Klägerin und der Kläger haben Klage erhoben, mit der sie die Visumserteilung an die Klägerin weiterverfolgen.
[1]... I. Die Klage der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Ablehnung der Visumserteilung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO) ...
[2]1. Die Klägerin und der deutsche Kläger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, haben die Ehe wirksam geschlossen.
[3]Das Gericht ist überzeugt, dass die Klägerin und der Kläger am 31. Mai 2019 einen Ehevertrag geschlossen haben ...
[4]Die Ehe ist wirksam geschlossen. Die Frage, welche nationale Rechtsordnung für die Prüfung der Ehewirksamkeit anzuwenden ist, ist nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts zu beurteilen. Es liegt ein Sachverhalt vor, der Bezüge sowohl zu der afghanischen als auch der deutschen Rechtsordnung aufweist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Eheschließungsvoraussetzungen gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBG und der Form der Eheschließung gem. Art. 13 Abs. 4, Art. 11 Abs 1 EGBGB (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Mai 2023 –
[5]Die Ehe der Klägerin und des Klägers ist nach afghanischem Recht formgültig. Die Eheschließungsform bestimmt sich nicht nach Art. 13 Abs. 4 EGBGB, wonach eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden kann, sondern nach Art. 11 Abs. 1 EGBG, wonach ein Rechtsgeschäft formgültig ist, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder das Recht des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Letzteres ist hier der Fall.
[6]Der Eheschließungsort liegt in Afghanistan, es handelt sich nicht um eine Inlands-, sondern um eine Auslandstrauung. Der Ehevertragsabschluss nach islamischem Recht erfolgte nicht in Deutschland, auch wenn der Kläger von Deutschland aus per Videotelefonie zugeschaltet war (anders, wenn sich beide Partner in Deutschland befinden und ihr Eheversprechen per Videotelefonie gegenüber einer Behörde in Utah abgeben, s. OLG Köln, Beschluss vom 8. März 2022 –
[7]Die Ehe ist nach afghanischem Recht wirksam geschlossen. Bei der Ermittlung ausländischen Rechts sind nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, zu beachten. In diesem Zusammenhang gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das grundsätzlich im systematischen Kontext mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rechtsprechung erfasst werden muss. Das Gericht ist grundsätzlich gehalten, das ausländische Recht als Ganzes zu ermitteln, wie es sich in Lehre und Rechtsprechung des betreffenden Staates entwickelt hat. Es darf keine Auslegung des ausländischen Rechts unter Heranziehung der im deutschen Recht anerkannten Auslegungsmethoden vorgenommen werden. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Die Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juli 2012 – BVerwG
[8]Das Eherecht in Afghanistan basiert neben dem kodifizierten Recht auf den Bestimmungen des islamischen Rechts und dem Gewohnheitsrecht. Der Ehevertrag ist in Übereinstimmung mit dem islamischen Recht ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau zur Bildung einer dauerhaften familiären Lebensgemeinschaft. Er kommt durch Angebot und Annahme seitens der Eheschließenden bzw. ihrer gesetzlichen Vormünder oder Vertreter unter Anwesenheit zweier (männlicher) Zeugen zustande, vorausgesetzt es bestehen keine dauerhaften oder zeitweiligen Ehehindernisse (Art. 77 ZGB). Er wird in einer einzigen Zusammenkunft durch ausdrückliches Angebot und ausdrückliche Annahme, welche Unverzüglichkeit und Dauerhaftigkeit, aber keine Zeitbegrenzung beinhalten, geschlossen (Art. 66 ZGB). Muslimische Religionsgelehrte sind durch eine Erlaubnis des Obersten Gerichts befugt, die Eheschließung auf der Grundlage einer offiziellen Eheurkunde durchzuführen und eine übliche Eheurkunde auszustellen. Eine zwingende formale Voraussetzung für eine gültige Eheschließung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Es besteht außerdem die Verpflichtung, jede Eheschließung registrieren zu lassen, um eine gültige Ehe nachzuweisen. Die Registrierung dient somit als Nachweis der Eheschließung. Auch ist die nachträgliche Registrierung des Ehevertrages durch eine öffentliche Urkunde zulässig (vgl. Art. 61 des afghanischen Zivilgesetzbuchs, vgl. insgesamt Ebert/Rasul, in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderbericht Afghanistan, Seite 26 ff.). Danach ist die Ehe zwischen der Klägerin und dem Kläger wirksam geschlossen. Es handelt sich um eine sogenannte Imam-Ehe (vgl. hierzu auch Ebert, in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Religiöse Rechte/Islamisches Familienrecht, Stand 1. Oktober 2022, S. 27). Die Ehe wurde durch Angebot des Klägers und Annahme der Klägerin unter Anwesenheit zweier männlicher Zeugen in einer Zusammenkunft am 31. Mai 2019 wirksam geschlossen. Für die Annahme einer Zusammenkunft ist hier ausreichend, dass der Kläger per Video zugeschaltet war und zudem ein Bruder des Klägers als Vertreter angesehen wurde, auch wenn er nicht förmlich diese Rolle durch die Abgabe des Angebots einnahm. Dafür spricht, dass im Falle der Abwesenheit eines Partners auch eine schriftliche Erklärung an die Stelle einer mündlichen Aussage treten könnte (vgl. auch Ebert, in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Religiöse Rechte/Islamisches Familienrecht, Stand 1. Oktober 2022, S. 26). Diese Annahme wird außerdem dadurch gestützt, dass auch der Imam sie nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers im konkreten Fall hat ausreichen lassen. Zudem spricht hierfür auch der Umstand, dass bei Zweifeln, ob eine Ehe nach dem Heimatrecht eines Beteiligten aus einem islam-rechtlich geprägten Land wirksam geschlossen wurde, in der Tendenz von der Wirksamkeit der Eheschließung ausgegangen wird. Dies hängt damit zusammen, dass „illegitime“ Verhältnisse – mit zum Teil drastischen rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen – nach Möglichkeit vermieden werden. Jedenfalls gilt dies, sobald sie – wie auch hier – vollzogen ist (so Rohe, Das islamische Recht, 2011, Seite 214; vgl. im Übrigen Art. 97 ZGB). Diese Auslegung wird zudem auch durch die Eheurkunde vom 3. Juli 2022 unterstützt, mit welcher die Ehe registriert wird, was – wie bereits ausgeführt – nach afghanischem Recht als Nachweis der Eheschließung dient.
[9]Auch die sachlichen Eheschließungsvoraussetzungen, die gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem Personalstatut der Klägerin und nach dem des Klägers (vgl. insoweit Art. 5 Abs. 1 EGBGB, wenn der Kläger weiterhin auch afghanischer Staatsangehöriger sein sollte vgl. hierzu auch https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/einbuergerung/ausnahmen-in-denen-sie-ihre-bisherige-staatsangehoerigkeit-behalten-koennen-1865126), also nach afghanischem und nach deutschem Recht zu prüfen sind, liegen vor. Sowohl nach afghanischem als auch nach deutschem Recht sind sowohl die Klägerin als auch der Kläger ehemündig; Willensmängel und Eheschließungshindernisse oder -mängel liegen nicht vor ...
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