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Verfahrensgang

BVerwG, Urt. vom 19.07.2012 – 10 C 2/12, IPRspr 2012-3

Rechtsgebiete

Allgemeine Lehren → Ermittlung, Anwendung und Revisionsfähigkeit ausländischen Rechts
Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit

Leitsatz

Das im indischen Recht der Zivilehe bestehende Ehehindernis der direkten Schwägerschaft verstößt auch nach Aufhebung des § 4 I 1 EheG durch das EheschlRG nicht gegen den deutschen ordre public (Art. 13 II EGBGB), da es die Eheschließungsfreiheit (Art. 6 I GG) nicht unverhältnismäßig einschränkt.

§ 173 VwGO in Verbindung mit § 293 ZPO verpflichtet das Gericht im Verwaltungsprozess, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht unter Einbeziehung der relevanten Rechtspraxis.

Selbst wenn die Verfahrensbeteiligten die Feststellungen des Tatsachengerichts zum ausländischen Recht nicht in Frage stellen, kann das Gericht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet sein.

Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln.

Rechtsnormen

43/1954 SpecialMarriagA (Indien) s. 4; 43/1954 SpecialMarriagA (Indien) s. 24
AufenthG § 6; AufenthG §§ 27 f.; AufenthG § 28
EGBGB Art. 6; EGBGB Art. 13
EheG (Österr.) § 4
EMRK Art. 12
GG Art. 6
VwGO § 137; VwGO § 144; VwGO § 173
ZPO § 293; ZPO § 545

Sachverhalt

Der 1986 geborene Kl. indischer Staatsangehörigkeit möchte die Ausstellung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung erreichen. Der 1956 geborene Vater des Kl. reiste 1994 nach Deutschland ein. Zu diesem Zeitpunkt war er mit einer Inderin verheiratet. Nach Ablehnung eines Asylantrags heiratete er im August 1997 in Dänemark die deutsche Staatsangehörige J. Diese Ehe wurde im Mai 2007 geschieden. Der Kl. reiste im August 2004 nach Deutschland ein. Sein nach Einreise gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Sein Versuch, die zuvor mit seinem Vater verheiratete Frau J. im September 2007 in Schweden zu heiraten, scheiterte. Der Kl. reiste im Oktober 2007 freiwillig nach Indien aus. Dort ging er 2008 mit Frau J. eine Zivilehe nach indischem Recht ein. Daraufhin beantragte der Kl. bei der Deutschen Botschaft in Neu-Delhi die Erteilung eines Visums zur Familienzusammenführung. Nachdem die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ihre Zustimmung zur Erteilung des Visums verweigert hatte, lehnte die Botschaft den Antrag des Kl. durch Bescheid vom 28.7.2008 ab.

Das VG hat die Klage auf Verpflichtung zur Erteilung des Visums abgewiesen. Das OVG hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen legte der Kl. Revision ein.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die Revision des Kl. ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 I Nr. 1 VwGO). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das OVG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 III 1 Nr. 2 VwGO).

[2]1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 6 III i.V.m. § 28 I 1 Nr. 1 AufenthG. Nach diesen Vorschriften benötigt ein Ausländer, der für einen längerfristigen Aufenthalt nach Deutschland einreisen möchte, vor der Einreise ein nationales Visum. Die Anspruchsvoraussetzungen richten sich im vorliegenden Fall nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden §§ 27 und 28 AufenthG. Diese erfordern u.a., dass der Kläger Ehegatte einer Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet ist (§ 28 I 1 Nr. 1 AufenthG). Das OVG hat dieses Tatbestandsmerkmal verneint ...

[3]1.1 Zu Recht ist das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Kl. Ehegatte einer Deutschen geworden ist, zunächst davon ausgegangen, dass sich das Ehestatut für beide Verlobte gemäß Art. 13 I EGBGB nach ihrer Staatsangehörigkeit bestimmt und dass die Vorschrift als Gesamtnormverweisung für den Kl. auf indisches Recht verweist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bleibt es bei dieser Verweisung, weil das indische Recht für den Kl. nicht auf deutsches Recht zurückverweist. Nach ss. 4 (1) (d), 24 (1) des Special Marriage Act – Act. No. 43 – vom 9.10.1954 (nachfolgend SpMA) stellt die Schwägerschaft ersten Grades ein zur Nichtigkeit führendes Ehehindernis dar, sodass die vom Kl. geschlossene Ehe maßgeblich davon abhängt, ob Frau J. mit dem Kl. verschwägert ist. Dabei ist die zwischen ihr und dem Kl. als dem Sohn ihres ehemaligen Ehemanns bestehende Beziehung nach dem First Schedule Part I No. 2 i.V.m. Part II No. 2 SpMA als nach diesem Gesetz verbotenes Verwandtschaftsverhältnis einzustufen. Ausnahmen oder Befreiungsmöglichkeiten von diesem Ehehindernis sind vom Berufungsgericht nicht festgestellt und werden von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht.

[4]1.2 Für die dann maßgebliche Vorfrage, ob die Ehe seines Vaters mit Frau J. bis zu ihrer Scheidung als wirksam anzusehen war oder nicht, hat das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen revisibles Recht sodann auch die Bestimmung des Ehestatuts im Wege der selbständigen Anknüpfung ausgehend von Art. 13 I EGBGB vorgenommen (ebenso BGH, Urteile vom 7.4.1976 – IV ZR 70/74 (IPRspr. 1976 Nr. 151), NJW 1976, 1590 u. juris Rz. 17; vom 11.10.2006 – XII ZR 79/04 (IPRspr. 2006 Nr. 52), BGHZ 169, 240 Rz. 12). Daraus folgt, dass indisches Kollisions- und Sachrecht auch hinsichtlich der materiellen Eheschließungsvoraussetzungen für den Vater des Kl. maßgeblich ist.

[5]1.3 Zum Inhalt des durch Art. 13 I EGBGB in Bezug genommenen Rechts hat das OVG angenommen, dass nach dem kollisionsrechtlichen Domizilprinzip des indischen Rechts das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich sei. Dies sei für den Vater des Kl. zum Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Frau J. Deutschland gewesen. Deshalb komme ausschließlich deutsches Eherecht zur Anwendung mit der Folge, dass seine Ehe mit Frau J. wegen des Verbots der Doppelehe aufhebbar, jedoch nicht unwirksam gewesen sei. Aus diesem Grund sei eine wirksame Ehe zwischen dem Kl. und Frau J. im Hinblick auf das Ehehindernis der Schwägerschaft nicht zustande gekommen, sodass ein Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 6 III AufenthG nicht bestehe.

[6]Die tatsächlichen Feststellungen, auf die das OVG sich für diese Schlussfolgerung stützt, tragen jedoch die Berufungsentscheidung nicht. Das OVG hat unter Verstoß gegen § 6 III i.V.m. § 28 I 1 Nr. 1 AufenthG angenommen, dass der Kl. nicht der Ehemann einer Deutschen mit gewöhnlichem Wohnsitz in Deutschland sei, ohne für diese Annahme eine hinreichend breite Tatsachengrundlage zu schaffen. Es hat als Regel des indischen Kollisionsrechts die Geltung des Domizilprinzips festgestellt und angenommen, damit verweise das indische Recht auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Diese Gleichsetzung des im deutschen Recht geläufigen Begriffs ‚Domizil’ mit dem aus dem common law stammenden indischen Begriff domicile ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt nachvollziehbar. Eine den gebotenen Sorgfaltsanforderungen bei der Feststellung ausländischen Rechts genügende Aufklärung hätte vielmehr ergeben, dass die offenkundigen Unterschiede zwischen beiden Begriffen eingehende Ermittlungen zum indischen Gesetzesrecht und zur indischen Rechtspraxis erfordert hätten. Der Subsumtion unter dem Begriff des ‚Ehegatten eines Deutschen’ in § 28 I Nr. 1 AufenthG, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, fehlt damit eine hinreichende Grundlage; sie beruht damit auf einer materiell fehlerhaften Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, Beschl. vom 2.5.2012 – 10 B 10.12).

[7]§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO verpflichtet das Gericht im Verwaltungsprozess, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln. Dabei hat es nicht nur die ausländischen Rechtsnormen, sondern auch ihre Umsetzung in der Rechtspraxis zu betrachten (s. nur BVerwG, Beschl. vom 10.12.2004 – 1 B 12.04, Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, Urt. vom 30.10.1990 – 9 C 60.89, BVerwGE 87, 52 [59]). Der an diese Ermittlungspflicht anzulegende Maßstab ist streng. Es gilt der Grundsatz der größtmöglichen Annäherung an das ausländische Recht, das in seinem systematischen Kontext, mit Hilfe der im ausländischen Rechtssystem gebräuchlichen Methoden und unter Einbeziehung der ausländischen Rspr. erfasst werden muss. Mit welchen Erkenntnismitteln das maßgebliche ausländische Recht festzustellen ist, hat das Tatsachengericht nach seinem Ermessen zu entscheiden. Je komplexer und ‚fremder’ im Vergleich zum deutschen Recht das anzuwendende Recht ist, desto höhere Anforderungen sind an die richterliche Ermittlungspflicht zu stellen (vgl. BGH, Urteile vom 13.12.2005 – XI ZR 82/05 (IPRspr 2005-13b), BGHZ 165, 248, vom 21.1.1991 – II ZR 50/90 (IPRspr. 1991 Nr. 1b und N. 1), NJW 1991, 1418 und vom 27.4.1976 – VI ZR 264/74 (IPRspr. 1976 Nr. 37), NJW 1976, 1588). Eine Beweiserhebung zur Bestimmung des ausländischen Rechts und der maßgeblichen Rechtspraxis ist statthaft, aber nur erforderlich, soweit das ausländische Recht dem Gericht unbekannt ist (vgl. § 293 Satz 1 ZPO), etwa weil es aufgrund sprachlicher Barrieren keinen unmittelbaren Zugang dazu hat.

[8]Selbst wenn die Verfahrensbeteiligten die Feststellungen des Tatsachengerichts zum ausländischen Recht nicht in Frage stellen, kann das Gericht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet sein. Dies gilt nicht nur bei der Feststellung offenkundiger Tatsachen, sondern auch dann, wenn zwar nicht eine relevante Tatsache selbst, sondern die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung zur Verbesserung einer unzureichenden Entscheidungsgrundlage offenkundig ist. Denn der Inhalt ausländischen Rechts kann, nicht anders als dies auch bei inländischem Recht der Fall ist, regelmäßig nur im Wege richterlicher Erkenntnis festgestellt werden, sodass dem Gericht insoweit eine besondere Verantwortung bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit von Sachaufklärungsmaßnahmen zukommt. Insbesondere wenn handgreifliche Indizien dafür sprechen, dass die von den Beteiligten vertretenen Positionen zum ausländischen Recht unzutreffend sind, hat es den verfügbaren Quellen zu dem jeweils maßgeblichen ausländischen Recht und seiner praktischen Anwendung nachzugehen, auch um ggf. die Notwendigkeit einer sachverständigen Begutachtung zu prüfen. Lässt sich der Inhalt des ausländischen Rechts auch unter Ausschöpfung der verfügbaren Erkenntnismittel nicht feststellen, ist ggf. nach einem Ersatzrecht zu entscheiden (vgl. BGH, Urt. vom 23.12.1981 – IVb ZR 643/80 (IPRspr. 1981 Nr. 2), NJW 1982, 1215 und vom 26.10.1977 – IV ZB 7/77 (IPRspr. 1977 Nr. 98b), BGHZ 69, 387); eine Beweislastentscheidung kommt nicht in Betracht.

[9]Revisionsrechtlich ist die Ermittlung ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis im Verwaltungsprozess nicht dem Bereich der Rechtserkenntnis zuzuordnen, sondern ungeachtet der vorerwähnten Besonderheiten wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (st. Rspr., BVerwG, Urt. vom 7.4.2009 – 1 C 17.08 (IPRspr 2009-82), BVerwGE 133, 329 Rz. 17; Beschlüsse vom 23.1.2008 – 10 B 88.07, Buchholz 310 § 173 VwGO Nr. 1 und vom 2.6.2008 – 6 B 17.08 (IPRspr. 2008 Nr. 51), Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 50); § 545 ZPO findet keine Anwendung (vgl. Schoch-Schneider-Bier-Meissner, VwGO [Stand: Jan. 2012], § 173 Rz. 277). Das Bestehen bzw. Nichtbestehen ausländischer Ehehindernisse als Vorfrage eines aufenthaltsrechtlichen Anspruchs ist daher kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis; dies gilt ebenso für die Frage, welchen Inhalt eine Regel des ausländischen Kollisionsrechts hat und wie sie in der Rechtspraxis angewendet wird. An die Feststellungen des Berufungsgerichts zum ausländischen Recht ist das Revisionsgericht deshalb in den Grenzen des § 137 II VwGO gebunden. Allerdings können auch in das Revisionsverfahren in bestimmten Fällen Tatsachenfeststellungen – ggf. auch gegen den übereinstimmenden Willen der Verfahrensbeteiligten – eingeführt werden, etwa wenn es sich um offenkundige Tatsachen handelt oder um die Ersetzung aktenwidriger Feststellungen des Berufungsgerichts durch aktenkundige (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 25.11.2008 – 10 C 25.07, Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rz. 17 und vom 25.6.2009 – 2 C 68.08, Buchholz 232.0 § 46 BBG 2009 Nr. 1 Rz. 22).

[10]Den dargestellten Sorgfaltsanforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Es hat sich für die – zutreffende – Feststellung, im indischen Recht gelte als Kollisionsregel das Domizilprinzip, auf eine Erkenntnisquelle bezogen, die dies zwar ausführt, in engem räumlichem Zusammenhang damit aber zugleich auf den grundlegenden Unterschied dieses Prinzips vom europäisch-kontinentalen Wohnsitzbegriff hinweist und deshalb betont, das domicile einer Person sei entsprechend der englischen Rechtstechnik festzustellen (Bergmann-Ferid-Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Indien [Stand: 30.6.1989] S. 11 f.). Sowohl die Kommentarliteratur als auch verfügbare monografische Darstellungen (vgl. Staudinger-Mankowski, BGB, Neub. 2011, Vor Art. 13 EGBGB Rz. 18 f., 20 ff.; MünchKomm-Sonnenberger, 5. Aufl., Einl. IPR Rz. 726 ff.; Kreitlow, Das domicile-Prinzip im englischen Internationalen Privatrecht und seine europäische Perspektive, 2002; Elwan, Gutachten zum ausländischen Familien- und Erbrecht, 2005, 158 ff., 162 ff., 173 ff., je m.w.N. zur ind. Rspr.; Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., 41; Dosi, Validity of Marriage and Conflict of Laws: ILI Law Review 2010, 269 [281 ff.]) heben übereinstimmend hervor, dass eine Gleichsetzung des im common law wurzelnden Begriffs domicile mit dem im Sinne des gewöhnlichen Aufenthalts verwendeten Domizilbegriff des deutschen Rechts unrichtig sei und dass aufgrund der Besonderheiten des indischen bzw. im common law wurzelnden Begriffs regelmäßig zahlreiche tatsächliche Feststellungen zu treffen seien, bevor die Zuschreibung eines domicile möglich sei. In einer derartigen Situation hätte das Berufungsgericht zunächst den Begriff des domicile eingehend klären und sodann die für eine Subsumtion erforderlichen Tatsachen ermitteln müssen.

[11]Da ohne ein vertieftes Verständnis des domicile-Begriffs und ohne die zu seiner Anwendung aller Wahrscheinlichkeit nach erst noch zu ermittelnden Tatsachen die Frage nicht beantwortet werden kann, ob die Ehe des Vaters des Kl. mit Frau J. nach deutschem oder indischem Recht zu beurteilen ist, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht ermittelten Tatsachen auch das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 AufenthG weder in positiver noch in negativer Hinsicht klären. Somit kommt nur eine Zurückverweisung an das OVG in Betracht.

[12]1.4 Die Frage, ob der Eheschließung des Kl. mit Frau J. das Ehehindernis der Schwägerschaft entgegensteht, weil Frau J. als Stiefmutter des Kl. anzusehen wäre, kann auch nicht deswegen dahinstehen, weil auf der Grundlage des Art. 13 II EGBGB ausnahmsweise die Anwendung deutschen Rechts in Betracht käme. Hierzu hat das Berufungsgericht die Auffassung vertreten, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht durchgreift. Dies steht im Einklang mit revisiblem Recht.

[13]Nach Art. 13 II EGBGB ist für die Voraussetzungen der Eheschließung deutsches Recht u.a. dann anzuwenden, wenn nach ausländischem Recht eine materielle Eheschließungsvoraussetzung fehlt, einer der Verlobten Deutscher ist, die Beseitigung des Ehehindernisses gescheitert ist und wenn die Versagung der Eheschließung gegen die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 GG verstößt. Das ist indes nicht der Fall. Das im vorliegenden Fall relevante Ehehindernis der Schwägerschaft in direkter Linie war bis zum Inkrafttreten des EheschlRG in § 4 I 1 EheG Bestandteil des deutschen Rechts und galt mithin noch im Zeitpunkt der Eheschließung zwischen dem Vater des Kl. und Frau J. Seine Abschaffung war nicht zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen geschuldet, sondern beruhte vorrangig auf der pragmatischen Erwägung, dass ihm aufgrund der großzügigen Befreiungspraxis (vgl. § 4 III EheG) ohnehin keine praktische Bedeutung mehr zukam (vgl. BT-Drucks. 13/4898 S. 13; BR-Drucks. 79/96 S. 33, vgl. ebenso OLG Stuttgart, Beschl. vom 4.11.1999 – 19 VA 6/99 (IPRspr. 1999 Nr. 51), FamRZ 2000, 821). Es ist nicht als ‚überzogenes’ Ehehindernis einzustufen, das als unverhältnismäßige Einschränkung der Eheschließungsfreiheit anzusehen wäre. Vielmehr ist die mit dem Ehehindernis der direkten Schwägerschaft verbundene Einschränkung der Eheschließungsfreiheit nach wie vor im Hinblick auf ihren Normzweck, Streitigkeiten in Familien zu verhindern, die durch konsekutive Eheschließungen Verschwägerter innerhalb der (Kern-)Familie entstehen können, als verhältnismäßig anzusehen.

[14]Im Übrigen spricht die Grundentscheidung des IPR für den Respekt gegenüber fremden Rechtsordnungen ebenfalls für die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung der Eheschließungsfreiheit. Auch die konkreten Besonderheiten des vorliegenden Falls lassen nicht erkennen, dass der Kl. oder seine deutsche Partnerin im Einzelfall eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Eheschließungsfreiheit hinzunehmen hätten. Der Umstand, dass deutsches Recht das Ehehindernis der direkten Schwägerschaft nicht mehr kennt und dass zugleich die Eheschließung des Kl. bei einer isolierten Betrachtung auch der Vorehe seines Vaters ausschließlich nach indischem Recht möglicherweise wirksam wäre, führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Denn die maßgebliche Kollisionsnorm des Art. 13 I EGBGB verweist für die Beurteilung der Eheschließungsvoraussetzungen gerade nicht nur auf indisches Sachrecht, sondern auch auf das relevante Kollisionsrecht. Damit wird die dem indischen Recht möglicherweise zu entnehmende Entscheidung, bestimmte Aspekte des Falls durch den renvoi in deutsches Recht nach dessen Regeln zu beurteilen, zu einer sich auf die Eheschließungsfreiheit auswirkenden Folge des deutschen Kollisionsrechts und ist bis zur – hier gerade nicht überschrittenen – Grenze der Unverhältnismäßigkeit hinzunehmen. Die vom Kl. herangezogene Rspr. des EGMR zu Art. 12 EMRK (4. Sektion, Urt. vom 13.9.2005 – 36536/02) betraf eine Fallkonstellation langjährigen Zusammenlebens in ständiger Partnerschaft, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar und nicht auf diesen zu übertragen ist.

[15]Auch Art. 6 EGBGB führt im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung deutschen Rechts auf die Ehe des Kl. mit Frau J. Selbst wenn dem allgemeinen Ordre-public-Gebot neben der speziellen Norm des Art. 13 II EGBGB ein Anwendungsbereich verbleiben sollte, läge hier kein solcher Anwendungsfall vor, da es bei dem Ehehindernis der Schwägerschaft um ein Hindernis geht, das von Art. 13 II EGBGB erfasst ist und damit im Rahmen des Art. 6 EGBGB keine Rolle spielt.

Fundstellen

LS und Gründe

BVerwGE, 143, 369
NJW, 2012, 3461
StAZ, 2012, 376
InfAusIR, 2013, 224
JA, 2013, 470
ZAR, 2013, 71, mit Anm. Pfersich

nur Leitsatz

FamRZ, 2012, 1802
FuR, 2013, 103, mit Anm. Soyka

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