Der Anwendbarkeit der Vorschriften des Jugendmedienschutzstaatsvertrages a.F. steht nicht der Umstand entgegen, dass die Klägerin ihren Sitz nicht im Bundesgebiet, sondern auf Zypern hat. Insbesondere ist das sog. Herkunftslandprinzip der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) nicht als Kollisionsregel einzuordnen. [LS von der Redaktion neu gefasst]
[Siehe auch die im Wesentlichen inhaltsgleichen Entscheidungen des LG Düsseldorf gleichen Datums –
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit Sitz in Zypern und betreibt die Internetseite https://de.X.com. Diese sowie zwei weitere Internetseiten aus ihrem Unternehmensverbund sind Gegenstand aufsichtsbehördlicher bzw. gerichtlicher Verfahren. Bei der Eingabe der URL www.X.com erfolgt, zumindest bei Aufruf aus der Bundesrepublik Deutschland, eine automatische Weiterleitung zu https://de.X.com/. Die Beklagte wurde im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit auf das Telemedienangebot der Klägerin https://de.X.com/ aufmerksam. Die Beklagte sichtete und prüfte das Angebot und stellte die Unzulässigkeit des Angebots als in sonstiger Weise pornografisches Angebot i.S.v. § 4 JMStV fest. Die Beklagte teilte der zypriotischen Medienbehörde Cyprus Radiotelevision Authority (CRTA) mit, dass das Telemedienangebot "de.Y.com" der A Ltd, einer Konzerngesellschaft der Klägerin, aus ihrer Sicht u.a. gegen den JMStV verstoße. Die CRTA wies die Beklagte darauf hin, dass Zypern dabei sei, die AVMD-RL 2018 umzusetzen. Daher sei die CRTA derzeit nur für die Überwachung von Rundfunk- und Fernsehangeboten, nicht jedoch für eine Überwachung von Video-Sharing-Diensten zuständig. Die Zuständigkeit zur Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie liege beim "Industry and Technology Service" (ITS) des zypriotischen Ministeriums für Energie, Handel und Industrie. 2019 informierte die Beklagte die CRTA darüber, dass sie beabsichtige, aufsichtsbehördlich auch gegen die Telemedienangebote der Klägerin einzuschreiten. Die CRTA informierte die Beklagte, dass sie keine Vorbehalte gegen ein Vorgehen gegen die zypriotischen Anbieter habe. Die Beklagte teilte der Europäischen Kommission mit, dass sie beabsichtige, gegen die Klägerin vorzugehen. Sodann informierte die Beklagte den ITS im zypriotischen Ministerium für Energie, Handel und Industrie über das beabsichtigte Vorgehen gegen die Klägerin und fragte an, ob dieser Bedenken hiergegen hätte; eine Reaktion blieb aus. 2020 fand zwischen den Beteiligten ein Austausch per Videokonferenz statt. 2020 erging die Beschlussvorlage der Beklagten an den Prüfungsausschuss der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). In der 28. KJM-Sitzung vom 27.5.2020, die per Videokonferenz stattfand, wurde u. a. auch der Prüffall der Klägerin besprochen und vereinbart, dass eine Abstimmung über die Beschlussempfehlung im schriftlichen Verfahren erfolge. Mit Bescheid vom 16.6.2020 erließ die Beklagte - nach vorheriger Anhörung - einen Bescheid gegen die Klägerin, mit dem festgestellt wurde, dass sie gegen § 4 II 1 Nr. 1 i.V.m. S. 2 JMStV, § 5 I i.V.m. Abs. 3 und 4 JMStV sowie gegen § 7 I 2 JMStV verstoße und eine Beanstandung gemäß § 20 I JMStV i.V.m. § 59 III RStV ausgesprochen.
Die Klägerin hat Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Letzteren hat die Kammer mit Beschluss vom 30.11.2021 abgelehnt (
[1]Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Sie ist insgesamt zulässig, jedoch im Hinblick auf die Beanstandung und Untersagung des Angebotes auf Grund von § 4 JMStV ebenso unbegründet (A.) wie in Bezug auf die Gebührenentscheidung (B.). Soweit die Beanstandung und Untersagung des Angebots auf Verstöße gegen § 5 JMStV sowie gegen § 7 JMStV gestützt ist, ist die Klage dagegen begründet (C.)
[2]A. Die angefochtene Feststellung und die Beanstandung eines Verstoßes des von der Klägerin verbreiteten Internetangebotes gegen § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 2 JMStV sowie die darauf beruhende Untersagung der künftigen Verbreitung des Internetangebotes in dieser Form sind rechtmäßig verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO) ...
[3]I. Der Anwendbarkeit der genannten Vorschriften steht nicht der Umstand entgegen, dass die Klägerin ihren Sitz nicht im Bundesgebiet, sondern auf Zypern hat.
[4]Dies betrifft ausschließlich die Frage nach der Regelungsgewalt der Beklagten, nicht hingegen nach dem von der Regelungsgewalt abzugrenzenden, unzweifelhaft ohne Genehmigung des Fremdstaates unzulässigen Vollzugs durch die Ausübung von Hoheitsgewalt im Ausland.
[5]Vgl. hierzu bereits: VG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 2011 -
[6]Für die Anwendung einer deutschen Verwaltungsrechtsnorm auf Auslandssachverhalte bedarf es keiner gesetzlichen Normierung, die diese ausdrücklich in ihren Anwendungsbereich miteinbezieht.
[7]Vgl. hierzu auch: Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 22. August 2012 -
[8]Der Anwendbarkeit der § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV a.F. i.V.m. § 59 Abs. 3 RStV a.F. steht auch kein "Kollisionsrecht" entgegen. Insbesondere ist das Herkunftslandprinzip aus der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des ELektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den ELektronischen Geschäftsverkehr), ABl. L 178/1 vom 17. Juli 2000 - im Folgenden ECRL - entgegen der Ansicht der Klägerin nicht als Kollisionsrecht einzuordnen. Diese Frage hat der EuGH auf Vorlage des BGH bereits für das Internationale Privatrecht dahingehend beantwortet, dass das Herkunftslandprinzip aus Art. 3 ECRL gerade keine Umsetzung in Form einer Kollisionsregel verlangt, sondern ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene darstellt (dazu ausführlich unter III. 5.),
[9]vgl. EuGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 - C-509/09 -, eDate Advertising, juris, Rn. 53 ff.; vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 -
[10]Für einen öffentlich-rechtlichen Sachverhalt kann erst Recht nichts anderes gelten. Ob verwaltungsrechtliche Regelungen auf Auslandssachverhalte Anwendung finden, ist eine Frage des Internationalen Verwaltungsrechts. Anders als im Bereich des Internationalen Privatrechts stellt sich dabei nicht die Frage nach der Bestimmung des anwendbaren Sachrechts, also ob im Einzelfall deutsches oder ausländisches Verwaltungsrecht anwendbar ist. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass Behörden eines Staates dessen eigenes Verwaltungsrecht anwenden. Die Anwendung des nationalen Verwaltungsrechts findet dabei ihre Grenze im Völkerrecht. Der Anwendung des nationalen Rechts steht dabei das Völkergewohnheitsrechts jedenfalls dann nicht entgegen, wenn zwischen dem normierenden Staat und dem normierten Sachverhalt eine "sinnvolle Verknüpfung" (sog. genuine link) besteht. Fehlt es dagegen an einer solchen Verknüpfung und schreitet der Staat dennoch ein, verstößt er gegen das Nichteinmischungsgebot in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates, welches als allgemeine Regel des Völkergewohnheitsrechts gemäß Art. 25 Satz 1 GG Bestandteil des Bundesrechts ist.
[11]Vgl. Looschelders in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, Stand 1. Juni 2021, Einleitung IPR, Rn. 340 f.; vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 10. Mai 2005 -
[12]Ob die Maßnahme der Beklagten im konkreten Einzelfall völkergewohnheitsrechtlich legitimiert ist bzw. ob ein hinreichender völkerrechtlicher Anknüpfungspunkt gegeben ist, ist indes eine Frage der materiellen Rechtsmäßigkeit (siehe dazu unter III. 4.).
[13]II. ...