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Verfahrensgang

GmS-OGB, Beschl. vom 22.08.2012 – GmS-OGB 1/10, IPRspr 2012-168

Rechtsgebiete

Immaterialgüterrecht und Unlauterer Wettbewerb (bis 2019)

Leitsatz

Die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis gelten auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben.

Rechtsnormen

AMG § 78
AMPreisV § 1; AMPreisV § 3
EGBGB Art. 40
Rom II-VO 864/2007 Art. 6; Rom II-VO 864/2007 Art. 31 f.
UWG §§ 3 f.; UWG § 8

Sachverhalt

[Der Vorlagebeschluss des BGH vom 9.9.2010 – I ZR 72/08 – wurde bereits in IPRspr. 2010 unter der Nr. 172 abgedruckt.]


Die in den Niederlanden ansässige Bekl. betreibt dort eine Präsenzapotheke und im Internet eine Versandapotheke. Über sie werden Medikamente in dt. Sprache unter Angabe ihrer dt. Bezeichnung und der Pharmazentralnummer angeboten. Beim Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente müssen die Kunden das Originalrezept der Bekl. zusenden. Diese lässt die Medikamente an die in Deutschland wohnenden Empfänger durch ein Versandunternehmen ausliefern. Die Bekl. warb im März 2006 gegenüber krankenversicherten Personen in Deutschland mit einem Bonussystem. Die Kl. betreibt eine Apotheke in D. Sie hält das von der Bekl. praktizierte Bonussystem für rechts- und damit auch für wettbewerbswidrig, da es gegen die Vorschrift des § 78 II 2 AMG verstoße, die einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für apothekenpflichtige Arzneimittel vorsehe.

Die Kl. hat die Bekl. auf Unterlassung der Ankündigung und Gewährung ihrer Boni in Anspruch genommen. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Kl. bejaht. Zur Begründung hat es ausgeführt, das von der Bekl. praktizierte Bonussystem verstoße gegen das deutsche Arzneimittelpreisrecht, das auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gelte. Der BGH teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und möchte deshalb die Revision zurückweisen. Er sieht sich an einer solchen Entscheidung durch eine hiervon abweichende Rspr. des BSG gehindert. Das BSG hat mit Urt. vom 28.7.2008 (B 1 KR 4/08 R, BSGE 101, 161 (IPRspr 2008-9)) die Auffassung vertreten, dass Fertigarzneimittel, die eine im Ausland ansässige Apotheke im Wege des Versandhandels aus dem Ausland nach Deutschland einführe, dem deutschen Arzneimittelpreisrecht nicht unterlägen. Der BGH hat mit Beschl. vom 9.9.2010 (NJW 2010, 3724) (IPRspr 2010-172) dem GmS-OGB die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das deutsche Arzneimittelpreisrecht auch für im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführte Arzneimittel gilt.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]III. Der Gemeinsame Senat beantwortet die ihm vorgelegte Rechtsfrage dahin, dass die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben.

[2]1. Die Beurteilung der Vorlagefrage richtet sich nach deutschem Recht.

[3]Das gilt sowohl für den vor dem BGH verfolgten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 8 I, III Nr. 1, § 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§ 78 II 2 AMG, 1 I Nr. 2, 3 I 1, II AMPreisV – dieser setzt die Anwendung deutschen Wettbewerbs- und Arzneimittelpreisrechts voraus – als auch für den vor dem BSG verfolgten sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Zahlung des Herstellerrabatts, soweit er von der Anwendung deutschen Arzneimittelpreisrechts abhängt.

[4]a) Die Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts für den im Verfahren vor dem BGH geltend gemachten Unterlassungsanspruch folgt – wie sich aus dem Vorlagebeschluss des I. ZS des BGH ergibt – aus dem Marktortprinzip, das nunmehr in Art. 6 I Rom-II-VO verankert ist. Die Verordnung ist auf schadensbegründende Ereignisse anwendbar, die nach ihrem Inkrafttreten am 11.1.2009 eingetreten sind (vgl. Art. 31 f. Rom-II-VO). Nach Art. 6 I Rom-II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus unlauterem Wettbewerbsverhalten das Recht des Staats anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Das entspricht der schon vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift aufgrund Art. 40 I EGBGB maßgeblichen Rechtslage (vgl. BGH, Urt. vom 30.3.2006 – I ZR 24/03 (IPRspr 2006-112), BGHZ 167, 91 Rz. 25). Bei der Werbung und beim Versand von Arzneimitteln an Endverbraucher in Deutschland liegt der Marktort im Inland, weil dort die von diesem Handel ausgehenden Wirkungen auftreten. In dem Verfahren vor dem I. ZS des BGH richtet sich das Angebot der Bekl. an Verbraucher in Deutschland. Der Internetauftritt der Bekl. ist in deutscher Sprache gehalten und das Angebot betrifft in Deutschland zugelassene und in deutscher Sprache gekennzeichnete Arzneimittel, die die Bekl. nach Deutschland liefert.

[5]b) Auch die Frage, ob die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Endverbraucher im Inland durch Versandapotheken, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU ansässig sind, dem deutschen Arzneimittelpreisrecht unterliegt, richtet sich kollisionsrechtlich nach deutschem Recht.

[6]aa) Kollisionsrechtlich ist deutsches Arzneimittelpreisrecht – soweit seine Sachrechtsnormen reichen – als öffentliches Eingriffsrecht (vgl. BSGE 101, 161 Rz. 23) anwendbar auf den Erwerb von Arzneimitteln, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben. Ob deutsches Arzneimittelpreisrecht eingreift, beurteilt sich demnach anhand der für die Arzneimittelpreisfestsetzung maßgeblichen Vorschriften des AMG und der AMPreisV.

[7]bb) Aufgrund des Territorialitätsprinzips ist es dem deutschen Staat erlaubt, den Endverbraucherpreis von Arzneimitteln festzusetzen, die aus dem Ausland im Wege des Versandhandels im Inland abgeben werden. Denn durch den Absatz in Deutschland ist ein hinreichender territorialer Bezug zum Inland gegeben (vgl. v. Bar-Mankowski, Internationales Privatrecht, 2003, Bd. I, § 4 Rz. 63; Mankowski, MMR 2001, 251, 252).

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 194, 354
BVerwGE, 144, 374
CR, 2013, 532
GRUR, 2013, 417
MMR, 2013, 447
NJW, 2013, 1425
WM, 2013, 1366
WRP, 2013, 621

nur Leitsatz

GRUR, 2013, 544

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2012-168

Lizenz

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