Einer Umdeutung einer Vollstreckungsgegenklage in eine Abänderungsklage kann die Unzuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Abänderungsantrag entgegenstehen. Diese Unzuständigkeit kann sich daraus ergeben, dass das unterhaltsberechtigte Kind, welches zugleich Antragsgegner ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im EU-Ausland (hier: Tschechien) hat und somit gem. Art. 3 lit. a) und lit. b) EuUntVO das ausländische (hier: tschechische) Gericht international zuständig ist. [LS der Redaktion]
Der im Bezirk des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck wohnhafte Antragsteller stellte beim Amtsgericht Bayreuth - Familiengericht - gegen den Antragsgegner den Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom … 2012 (Az. …) für unzulässig zu erklären, gemäß § 770 ZPO anzuordnen, dass die Vollstreckung aus dem Beschluss bis zur Rechtskraft des Urteils einstweilen eingestellt wird, sowie im Wege der einstweiligen Anordnung zu beschließen, die Vollstreckung aus dem Beschluss bis zum Erlass eines Beschlusses in dieser Sache ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Als Adresse des Antragsgegners gab der Antragsteller im Rubrum der Antragsschrift eine Anschrift in S. (Tschechien) an. Nachdem das Amtsgericht Bayreuth ein schriftliches Vorverfahren angeordnet und mit Verfügung vom 7. April 2021 darauf hingewiesen hatte, dass nach vorläufiger Bewertung der Sachvortrag keinen Vollstreckungsabwehrantrag, sondern vielmehr einen Abänderungsantrag begründe, für den das Amtsgericht Bayreuth nicht zuständig wäre, brachte der Antragsteller vor, es liege auch der „klare Fall des § 826 BGB in der Form des Titelmissbrauchs“ vor.
Mit Beschluss vom 19. November 2021 hat sich das Amtsgericht Bayreuth für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Fürstenfeldbruck verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 113 FamFG, §§ 281, 32 ZPO. Mit ausführlich begründetem Hinweis vom 10. Januar 2023 hat das Amtsgericht Fürstenfeldbruck den Beteiligten mitgeteilt, es beabsichtige, das Verfahren nach Bayreuth zurückzuverweisen. Nachdem das Amtsgericht Bayreuth mit Schreiben vom 21. April 2023 erklärt hatte, dass eine Übernahme des Verfahrens nicht in Betracht komme, hat das Amtsgericht Fürstenfeldbruck die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 36 Abs. 2 ZPO vorgelegt.
[1]II.
[2]Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts - Familiengericht - Fürstenfeldbruck ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Bayreuth auszusprechen.
[3]1. ... a) ... b) ... c) ... 2. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Bayreuth. Der Verweisungsbeschluss vom 19. November 2021 entfaltet nicht die im Gesetz angeordnete Bindungswirkung.
[4]a) Die Bestimmungsentscheidung ergeht „für den Rechtsstreit“ (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO), dessen Gegenstand vorliegend ein Vollstreckungsgegenantrag ist. Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht Bayreuth im Verweisungsbeschluss die internationale Zuständigkeit für einen Vollstreckungsgegenantrag als nicht gegeben erachtet und das Verfahren im Hinblick auf „einen Antrag aus Delikt nach § 826 BGB“, der „ergänzend“ geltend gemacht worden sei, verwiesen hat. Eine wegen angeblich fehlender internationaler Zuständigkeit ausgesprochene verfahrensbeendende Prozessentscheidung im Hinblick auf den Vollstreckungsabwehrantrag (vgl. hierzu: Schmitz in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 10. Aufl.2019, § 10 Rn. 15) kann in dem Verweisungsbeschluss nicht gesehen werden. Der Tenor der Entscheidung lautet nicht dahin, dass der Vollstreckungsabwehrantrag als unzulässig zurückgewiesen werde. Es fehlt auch eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung. Schließlich hat das Amtsgericht Bayreuth vor seiner Entscheidung auch nicht den Vollstreckungsabwehrantrag von dem seiner Ansicht nach bestehenden restlichen Verfahrensstoff („Antrag aus Delikt nach § 826 BGB“) abgetrennt und nur diesen verwiesen.
[5]b) Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kompetenzstreit in der Weise zu entscheiden, dass das für den Rechtsstreit tatsächlich zuständige Gericht bestimmt wird; eine Auswahlmöglichkeit oder ein Ermessen bestehen nicht (BVerfG, Beschl. v. 30. Juni 1970,
[6]Im Rahmen der Prüfung von Bindungswirkungen ist insbesondere zu beachten, dass der Gesetzgeber in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO, § 2 AUG, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet hat. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
[7]Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn dieser schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschl. v. 9. Juni 2015,
[8]c) Bei Anlegung dieser Maßstäbe entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bayreuth keine Bindungswirkung, weil er gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstößt.
[9]aa) ... bb) Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bayreuth ist eine „Überraschungsentscheidung“ i. S. d. genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Amtsgericht Bayreuth hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, für einen Vollstreckungsabwehrantrag bestehe keine internationale Zuständigkeit, sodass es nur auf „den Antrag nach § 826 BGB“ ankomme. Mit einer solchen Entscheidung musste der Antragsteller, dem vor der Verweisung keine Gelegenheit gegeben worden war, zur Frage der internationalen Zuständigkeit für sein Klagebegehren Stellung zu nehmen, nicht rechnen. Der einzige, zu Beginn des Verfahrens erteilte Hinweis des Amtsgerichts Bayreuth vom 7. April 2021, der Sachvortrag begründe keinen Vollstreckungsabwehrantrag, sondern eine Abänderungsklage, enthielt keine Ausführungen zur internationalen Zuständigkeit. Entsprechendes gilt für das Vorbringen des Antragsgegners in der Antragserwiderung, das Amtsgericht Bayreuth sei nicht „nach §§ 12, 13 ZPO“ zuständig, das sich zudem auf eine Abänderungsklage und nicht auf einen Vollstreckungsabwehrantrag bezog. Bezogen auf den vom Antragsteller formulierten Vollstreckungsgegenantrag sind sich aus einem Auslandsbezug ergebende Zuständigkeitsfragen vor der Verweisung nicht thematisiert worden ...
[10]d) Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Bayreuth.
[11]aa) Der Antragsteller hat einen Vollstreckungsabwehrantrag und keinen Abänderungsantrag gestellt. International und ausschließlich örtlich zuständig für die Entscheidung über den Vollstreckungsabwehrantrag ist das Amtsgericht Bayreuth.
[12](1) ... (2) Zwar ist das Begehren des Antragstellers - neben dem Einwand der Verwirkung bzw. unzulässiger Rechtsausübung, § 242 BGB, wegen Verweigerung bzw. Nichterteilung maßgeblicher Auskünfte, der im Rahmen des Vollstreckungsabwehrantrags vorgebracht worden ist (vgl. KG, Beschl. v. 13. Juli 2015,
[13]Einer Umdeutung steht überdies entgegen, dass die deutschen Gerichte für einen Abänderungsantrag nicht zuständig wären. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen zum Beleg der behaupteten Schulbesuche ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner, der in S. gemeldet ist und seit Zustellung des Antrags vom 25. Februar 2021 in Tschechien zwar nicht durchgängig an derselben Schule, sondern nacheinander an unterschiedlichen Schulen (S., K., E.) angemeldet ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Tschechien hat. Tschechien ist Mitgliedstaat der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (im Folgenden: EuUnthVO). Für eine Änderung der unterhaltsrechtlichen Entscheidung oder eine neue Entscheidung wäre das für den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragsgegners zuständige Gericht international und örtlich (vgl. Wurmnest in BeckOGK, Stand: 1. Juni 2022, EU-UnterhaltsVO Art. 3 Rn. 20) zuständig, Art. 3 Buchst. a) und b) EuUnthVO. Der Anwendungsbereich der EuUnthVO, die gemäß Art. 76 Unterabs. 3 EuUnthVO seit 18. Juni 2011 Anwendung findet, ist für eine Abänderungsklage in zeitlicher (Art. 1 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO), sachlicher und räumlicher Hinsicht eröffnet. Eine natürliche Person hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort, an dem sie ihren tatsächlichen Lebensmittelpunkt besitzt. Hierzu bedarf es neben einer physischen Präsenz von einer gewissen Beständigkeit weiterer Faktoren, aus denen sich ergibt, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit handelt und dass der Aufenthalt Ausdruck einer gewissen Integration in ein soziales und familiäres Umfeld ist (Wurmnest in BeckOGK, EUUnterhaltsVO Art. 2 Rn. 30 m. w. N.). Ausdruck einer sozialen Integration ist der Besuch einer Schule (vgl. Wurmnest in BeckOGK, EU-UnterhaltsVO Art. 2 Rn. 38 für das minderjährige Kind). Soweit der Antragsteller zum Teil die Echtheit der Bestätigungen der tschechischen Schulbehörden in Zweifel zieht, bezieht sich dies nicht auf die vorgelegten Zeugnisse. Dass sich aus den Zeugnissen jeweils größere Fehlzeiten im Hinblick auf den tatsächlichen Schulbesuch ergeben und sich der Antragsgegner in den Ferien und an den Wochenenden oft in Deutschland aufhalte, führt nicht zu der Bewertung, dass der Antragsgegner seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat.
[14]Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Bayreuth für einen im Wege der Umdeutung anzunehmenden teilweisen Abänderungsantrag wäre auch nicht gemäß Art. 5 Satz 1 EuUnthVO, der neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit regelt (OLG Stuttgart, Beschl. v. 17. Januar 2014,
[15](3) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urt. v. 4. Juni 2020, C-41/19, NJW 2020, 2323 Rn. 42 und 51) richtet sich die internationale Zuständigkeit für einen Vollstreckungsgegenantrag zwar nach der EuUnthVO, insbesondere nach Art. 41 Abs. 1 EuUnthVO, nicht jedoch danach, in welchem Mitgliedstaat sich der Unterhaltsberechtigte i. S. d. Art. 3 Buchst. b) EuUnthVO gewöhnlich aufhält. International zuständig sind die Gerichte des Vollstreckungsmitgliedstaats. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach den nationalen Vorschriften (Odemer, NZFam 2020, 944 [945]). Vorliegend ist die EuUnthVO für den im Streit stehenden Vollstreckungsgegenantrag in zeitlicher Hinsicht anwendbar (Art. 75 Abs. 1, Art. 9 EuUnthVO). International und ausschließlich örtlich zuständig für die Entscheidung über den Vollstreckungsabwehrantrag ist somit das Amtsgericht Bayreuth als Prozessgericht des ersten Rechtszugs im Unterhaltsverfahren, § 120 FamFG, § 767 Abs. 1, § 802 ZPO. Eine die §§ 767, 802 ZPO wegen § 232 Abs. 2 FamFG verdrängende (vgl. Schmitz in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, § 10 Rn. 297; Schlünder in BeckOK FamFG, 46. Ed. Stand: 2. April 2023, § 232 Rn. 6; Weber in Sternal, FamFG, 21. Aufl.2023, § 232 Rn. 9; Borth in Musielak/Borth/ Frank, FamFG, 7. Aufl.2022, § 232 Rn. 10) ausschließliche Zuständigkeit nach § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ist nicht eröffnet, weil der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt aus den oben genannten Gründen im Ausland hat. Es kommt folglich nicht darauf an, dass der Gerichtsstand des § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG auch deswegen Bedenken begegnet (vgl. Borth in Musielak/Borth/ Frank, FamFG, § 232 Rn. 6), weil der volljährige Antragsgegner nicht vorbringt, im Haushalt eines Elternteils zu leben (§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB).
[16]bb) Im Hinblick auf den geltend gemachten Einwand des Titelmissbrauchs gilt, dass der Antragsteller neben der Vollstreckungsgegenklage keinen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB wegen missbräuchlicher Vollstreckung aus dem gerichtlichen Unterhaltstitel geltend macht. Daher braucht nicht entschieden zu werden, ob sich die internationale und örtliche Zuständigkeit für eine Klage nach § 826 BGB, sollte sie wie die Vollstreckungsgegenklage als eine Abwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung bewertet werden, vorliegend ebenso wie eine Klage nach § 767 ZPO nach der EUnthVO in Verbindung mit den nationalen Vorschriften richtet, sodass § 32 ZPO zur Anwendung käme, oder aber die Zuständigkeit wie bei einem Abänderungsantrag international und örtlich aus Art. 3 Buchst. a) und b) EuUntVO folgte. Wäre anzunehmen, es handele sich bei einer Klage wegen sittenwidriger Ausnutzung eines Titels gemäß § 826 BGB nicht um eine „Unterhaltssache“ i. S. d. Art. 1 Abs. 1 EuUnthVO, käme zudem in Betracht, dass sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 5 Brüssel-IaVO (ablehnend Mankowski in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl.2021, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rn. 222), § 32 ZPO richtet oder aber die internationale und örtliche Zuständigkeit aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel-IaVO folgt (OLG Saarbrücken, Urt. v. 5. Dezember 2018,
[17](1) ...