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Verfahrensgang

OLG Stuttgart, Beschl. vom 17.01.2014 – 17 WF 229/13, IPRspr 2014-91

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Unterhalt

Leitsatz

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte richtet sich auch für Abänderungsanträge von Unterhaltsverpflichtungen nach Art. 3 EuUnthVO. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 327; 4721/2001 ZGB (Türkei) Art. 330
EuUntVO 4/2009 Art. 3; EuUntVO 4/2009 Art. 5; EuUntVO 4/2009 Art. 15
HUntÜ 2007 Art. 4
HUP 2007 Art. 2; HUP 2007 Art. 3; HUP 2007 Art. 18

Sachverhalt

Der ASt. ist der Vater der AGg. zu 1) und zu 2). Mit JugA-Urkunden aus dem Jahr 2007 hat sich der ASt. zur Zahlung von Kindesunterhalt an beide Kinder i.H.v. 100% des Regelbetrags verpflichtet. Die beiden Kinder wohnten zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland. 2012 sind die Kinder mit ihrer Mutter in die Türkei gezogen und halten sich seitdem dort auf. Der ASt. hat die Abänderung der beiden JugA-Urkunden dahingehend beantragt, dass er nur noch zur Zahlung von 50% des jeweiligen Regelbetrags der dritten Altersstufe der RegelBetrV verpflichtet ist. Die AGg. sind diesem Antrag des ASt. entgegengetreten und haben beantragt, diesen zurückzuweisen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II. 1. Gemäß Art. 3 EuUnthVO, der auch für Abänderungsanträge anzuwenden ist (Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. [2013], C 85), besteht keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Abänderungsantrag des ASt. Denn es liegt keiner der maßgeblichen, eine internationale Zuständigkeit begründenden Sachverhalte gemäß Art. 3 EuUnthVO vor. Insbesondere sind die Voraussetzungen von Art. 3 lit. a oder b nicht gegeben, da die AGg., die die unterhaltsberechtigten Personen sind, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei haben.

[2]Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist autonom auszulegen. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist dort, wo sie sozial integriert ist und ihren Lebensmittelpunkt, hat. Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse (BGH, FamRZ 2001, 412) (IPRspr. 2000 Nr. 74). Angesichts ihres Wechsels in die Türkei im Oktober 2012 ist davon auszugehen, dass die AGg. zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums (der Monatserste, folgend auf den Tag der Rechtshängigkeit) im Juli 2013 nicht nur ihren alten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgegeben haben, sondern auch einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei begründet haben, nachdem der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Kinder in die Türkei verlagert worden sowie eine gewisse Dauer der Anwesenheit und eine Einbindung in die dortige soziale Umwelt, u.a. durch den Besuch der Schule, zu bejahen ist.

[3]Ein international unzuständiges Gericht eines Mitgliedstaats wird allerdings gemäß Art. 5 EuUnthVO zuständig, wenn sich der Antragsgegner auf das Verfahren einlässt. Als Einlassung genügt jede Verteidigungshandlung, die auf eine Klageabweisung zielt. Die Zuständigkeitsrüge ist spätestens mit der Stellungnahme zu erheben, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts als das erste Verteidigungsvorbringen anzusehen ist (Hausmann aaO C 169; BGH, NJW-RR 2002, 1357). Gemessen hieran haben die AGg., die nach Zustellung des Antrags mit Schriftsatz vom 27.6.2013 Antragsabweisung beantragt haben, sich auf das Verfahren eingelassen, wodurch die deutschen Gerichte international zuständig geworden sind. Von der rügelosen Einlassung gemäß Art. 5 EuUnthVO ist neben der internationalen Zuständigkeit auch stets die örtliche Zuständigkeit umfasst (Hausmann aaO C 171).

[4] 2. Materiell-rechtlich ist für den Antrag des ASt. türkisches Recht anzuwenden.

[5]Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob sich die Anwendung des ausländischen Rechts nach dem Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. Nr. L 331/19; nachfolgend: HUP) oder nach dem HUÜ 1973 richtet.

[6]Gemäß Art. 15 EuUnthVO bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das HUP gebunden sind, d.h. auch für Deutschland, nach diesem Protokoll. Gemäß Art. 18 HUP ersetzt dieses Protokoll im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten das HUÜ 1973.

[7]Es ist umstritten, ob das HUP gegenüber der Türkei Anwendung findet, da die Türkei diesem Abkommen bislang nicht beigetreten und damit kein ‚Vertragsstaat’ im Sinne des Art. 18 HUP ist, woraus eine Meinung den Schluss zieht, dass im Verhältnis zur Türkei das HUÜ, dessen Mitgliedstaat die Türkei ist, durch das HUP nicht ersetzt wird (Ring, FPR 2013, 16; Henrich, Internationales Scheidungsrecht, 3. Aufl., Rz. 136; Palandt-Thorn, BGB, 73. Aufl., Art. 18 HUP Rz. 53). Die Gegenmeinung stellt maßgeblich auf Art. 2 HUP ab, wonach das von dem Übereinkommen bestimmte Recht unabhängig vom Erfordernis der Gegenseitigkeit anzuwenden ist, auch wenn es das Recht eines Nichtvertragsstaats ist (Conti/Bißmaier, FamRBint 2011, 62; Hausmann aaO C 424, 673; OLG Stuttgart, Urt. vom 22.11.2011 – 17 UF 133/10).

[8]Der BGH hat diese Frage ausdrücklich offengelassen (BGH, FamRZ 2013, 1366 (IPRspr 2013-1) mit der Darstellung des Meinungsstands).

[9]Dahingestellt bleiben kann die Klärung dieser Frage für das hiesige Verfahren, da sowohl über das HUP als auch über das HUÜ 1973 für den Kindesunterhalt türkisches Recht anzuwenden ist. Gemäß Art. 3 I HUP ist für Unterhaltspflichten das Recht des Staats maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gemäß Art. 4 I HUÜ 1973 ist u.a. für den Kindesunterhalt das am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten geltende innerstaatliche Recht maßgebend. Über beide Abkommen gelangt man somit für das hiesige Verfahren zum türkischen Recht, nachdem beide Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei haben.

[10]3. Bedenken gegen die Versagung der VKH mangels Erfolgsaussicht aufseiten der AGg. bestehen schon deswegen, weil der ASt., der lediglich Bezug auf die Ländergruppeneinteilung des BMdF genommen und diese zu der Düsseldorfer Tabelle in Bezug gesetzt hat, einen etwaigen Abänderungsanspruch nicht detailliert unter Bezugnahme auf das türkische Recht und damit nicht schlüssig dargelegt hat.

[11]Gemäß Art. 327 I türk. ZGB sind die Kosten für den Unterhalt eines Kindes von den Eltern zu tragen. Der Bedarf eines Kindes wird gemäß Art. 330 türk. ZGB unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes sowie der Lebensbedingungen und Leistungsfähigkeit der Eltern bestimmt. Nachdem sich der Unterhalt nach türkischem Recht richtet, ist die Düsseldorfer Tabelle nicht unmittelbar anwendbar. Da in der Türkei selbst keine Unterhaltstabellen bestehen, wird der Unterhalt vom Gericht nach freiem Ermessen unter besonderer Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse festgesetzt.

Fundstellen

LS und Gründe

FamRB, 2014, 137, mit Anm. Dimmler
FamRZ, 2014, 850
NJW, 2014, 1458
NZFam, 2014, 264, mit Anm. Mankowski

nur Leitsatz

FF, 2014, 217
NJW-Spezial, 2014, 101

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2014-91

Lizenz

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