Die Anerkennung eines Gerichtsurteils zur Ersetzung der Geburtsurkunde nach Art. 201 des Code Civil von Guinea in Deutschland (§ 108 Abs. 1 FamFG) hat nur zur Folge, dass die Rechtmäßigkeit der Eintragung der Geburt in das guineische Personenstandsregister nicht bezweifelt werden darf. Aus ihr folgt nicht die Verbindlichkeit des im Urteil festgehaltenen Geburtsdatums für jugendhilferechtliche Verfahren in Deutschland. Insoweit unterliegt das Urteil der freien Beweiswürdigung von Jugendamt und Verwaltungsgericht.
Der Antragsteller, der aus Guinea stammt, meldete sich im Januar 2022 bei einer Aufnahmeeinrichtung in Bremen und gab als Geburtsdatum den 01.12.2006 an. Nach einer im März 2022 von zwei Mitarbeitenden des Jugendamtes mit Beteiligung einer dolmetschenden Person durchgeführten qualifizierten Inaugenscheinnahme beendete das Jugendamt mit Bescheid vom xx.xx.2022 die vorläufige Inobhutnahme. In der Begründung des Bescheides heißt es, die Mitarbeitenden des Jugendamtes seien im Rahmen der qualifizierten Inaugenscheinnahme aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Antragstellers, seines Verhaltens im Gespräch und seiner Angaben, die als vage, ungereimt und unglaubhaft bewertet würden, zu dem Schluss gekommen, dass der Antragsteller zweifelsfrei volljährig sei. Laut einem Vermerk in der Behördenakte, dessen Richtigkeit der Antragsteller nicht bestritten hat, wurde dem Antragsteller der Inhalt des Bescheides in Anwesenheit von zwei Mitarbeitenden des Jugendamtes mit Hilfe eines Dolmetschers eröffnet. Daraufhin hat der Antragsteller den Ablehnungsbescheid zerrissen und auf den Boden geworfen.
Der nunmehr anwaltlich vertretene Antragsteller erhob mit Schreiben vom 10.10.2022 Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.03.2022. Am selben Tag hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs beantragt, hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, ihn nach § 42 SGB VIII in Obhut zu nehmen, ihm Jugendhilfeleistungen im gesetzlich vorgesehenen Umfang zu gewähren und sofort das Clearing-Verfahren durchzuführen. Mit Beschluss vom 12.12.2022 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt. Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde erhoben.
[1]II. Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Senat auf die dargelegten Gründe beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Antragsgegnerin zur (ggfs. vorläufigen) Inobhutnahme des Antragstellers verpflichtet, im Ergebnis zurecht abgelehnt.
[2]1. ... 2. ... a) ... aa) Soweit der Antragsteller einwendet, er müsse nicht seine Minderjährigkeit glaubhaft machen, da es wegen des Grundsatzes „im Zweifel für die Minderjährigkeit“ für eine Inobhutnahme bzw. vorläufige Inobhutnahme genüge, wenn sich seine Minderjährigkeit nicht ausschließen lasse, hat er im Ansatz recht. Was der Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens glaubhaft zu machen hat, ist (lediglich), dass seine Minderjährigkeit zumindest möglich erscheint.
[3]bb) Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass seine Minderjährigkeit möglich erscheint. Aus dem Beschwerdevorbringen ergeben sich keine ernsthaften Anhaltspunkte für eine solche Minderjährigkeit.
[4]aaa) Das „Extrait du Registre de l’Etat Civil – Acte de Naissance“ (im Folgenden: Geburtsurkunde) und das „Jugement Supplétif Tenant Lieu d’Acte de Naissance“ (im Folgenden: Ersetzungsurteil) sind keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Minderjährigkeit des Antragstellers.
[5](1) Nach Artt. 200, 202 Satz 1 des guineischen Code Civil sind Geburten innerhalb von 2 Monaten bzw. bei Geburten in gemeindefreien Gebieten oder im Ausland binnen 3 Monaten nach der Entbindung vom Vater, der Mutter, den Ärzten oder Hebammen oder anderen Personen, die bei der Geburt anwesend waren, oder von der Person, in deren Räumlichkeiten die Entbindung stattgefunden hat, anzuzeigen; die Geburtsurkunde ist unmittelbar nach der Anzeige auszustellen (Art. 202 Satz 2 Code Civil). Ist eine solche Anzeige nicht bzw. nicht fristgerecht erfolgt, darf der Standesbeamte (officier de l’état civil) die Geburt in das Personenstandsregister nur aufgrund eines Urteils des zuständigen Gerichts des Geburtsortes eintragen (Art. 201 Abs. 1 Code Civil). Das Urteil ist in das Personenstandsregister des Geburtsortes zu übertragen (Art. 201 Abs. 1 am Ende Code Civil). Nach der Übertragung stellt der Standesbeamte einen Auszug aus dem Register aus, der als Geburtsurkunde gilt (Art. 201 Abs. 3 Code Civil).
[6]Ein solches Urteil ist das vom Antragsteller vorgelegte Ersetzungsurteil des Tribunal de Première Instance Conakry II. Das Urteil nennt Art. 201 Code Civil als Rechtsgrundlage. Der Entscheidungssatz lautet dahingehend, dass ein Herr … am 01.12.2006 in … (Guinea) als Sohn von … und … geboren ist, dass dieses Urteil an die Stelle einer Geburtsurkunde tritt und dass es in das Personenstandsregister der Gemeinde … , zu übertragen ist. In Vollziehung dieses Urteils wurde am 11.08.2021 die Geburtsurkunde in Form eines Registerauszugs erstellt.
[7](2) Aus § 108 Abs. 1 FamFG ergibt sich keine Bindung des Jugendamts oder der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit an das im Urteil des Tribunal de Première Instance genannte Geburtsdatum bei der Entscheidung über eine (ggfs. vorläufige) Inobhutnahme des Antragstellers.
[8]Die Anerkennung des guineischen Urteils in Deutschland richtet sich nach § 108 Abs. 1 FamFG, denn auf Rechtsstreitigkeiten über Eintragungen im Personenstandsregister sind nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PStG die Vorschriften des FamFG anzuwenden (vgl. BVerwG, Urt. v. 02.03.2022 –
[9]Eine Anerkennung des Urteils des Tribunal de Première Instance von Conakry bedeutet daher nur, dass die Verpflichtung des guineischen Standesbeamten zur Eintragung des Geburtsdatums 01.12.2006 in das guineische Personenstandsregister anerkannt wird. Aus der Anerkennung folgt hingegen nicht, dass dieses vom guineischen Gericht als zutreffend angesehene Geburtsdatum für deutsche Behörden und Gerichte verbindlich ist (vgl. entsprechend zu den Wirkungen der Anerkennung von Entscheidungen türkischer Gerichte über die Berichtigung von Geburtsdaten in türkischen Personenstandsregistern BVerwG, Urt. v. 02.03.2022 –
[10](3) Im Rahmen dieser freien Beweiswürdigung sieht der Senat das Ersetzungsurteil und die darauf beruhende Geburtsurkunde nicht als ernsthafte Anhaltspunkte für eine Minderjährigkeit des Antragstellers an ...