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Verfahrensgang

VG Karlsruhe, Urt. vom 25.04.2018 – 1 K 5594/15
VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 10.03.2020 – 1 S 397/19, IPRspr 2020-131
BVerwG, Urt. vom 02.03.2022 – 6 C 7/20, IPRspr 2022-133

Rechtsgebiete

Anerkennung und Vollstreckung → Ehe- und Kindschaftssachen
Freiwillige Gerichtsbarkeit → Registersachen

Leitsatz

Die Anerkennung ausländischer (hier: türkischer) Entscheidungen gemäß § 108 Abs. 1 FamFG erstreckt sich lediglich auf den Rechtsfolgeausspruch und nicht auf die diesem zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen des Gerichts.

Art. 5 EGBGB ist keine Bindung an eine ausländische Entscheidungen oder Eintragung im ausländischen (hier: türkischen) Personenstandsregister zu entnehmen. Es handelt sich hierbei lediglich um eine unselbstständige Kollisionsnorm, die den kollisionsrechtlichen Umgang bei doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeit regelt. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

AdWirkG § 1
CIEC-Ü Nr. 16 Art. 1; CIEC-Ü Nr. 16 Art. 8
EGBGB Art. 5
FamFG § 108; FamFG § 109
PStG § 51
VwGO § 108; VwGO § 137; VwGO § 144; VwGO § 173
ZPO § 328

Sachverhalt

Der Kläger ist ein in der Türkei geborener türkischer Staatsangehöriger. Bei seiner erstmaligen Registrierung im Personenstandsregister im Bezirk Kayseri 1959 wurde als Geburtsdatum "xx.xx.1956" eingetragen. Das Amtsgericht Sariz erklärte mit Urteil vom 16. Juni 1971 das bisherige amtliche Geburtsdatum für ungültig, stellte das Datum "xx.xx.1958" als richtiges Datum fest und wies das Personenregisteramt an, das berichtigte Datum einzutragen. Die Berichtigung erfolgte am xx.xx.1971. Im Laufe des Jahres 1971 reiste der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland ein und gab hier den "xx.xx.1958" als Geburtsdatum an. Seitdem ist er im Bundesgebiet wohnhaft. Das Landgericht Kayseri entschied auf die gegen das Standesamt Kayseri geführte Klage des Klägers mit Urteil vom 27. Januar 2015, dass das registrierte Geburtsdatum des Klägers von "xx.xx.1958" auf "xx.xx.1953" zu berichtigen sei. 2015 änderte das Standesamt den Eintrag entsprechend. Im April 2015 stellte die Republik Türkei dem Kläger einen bis 2022 gültigen Reisepass mit dem Eintrag "xx.xx.1953" als Geburtsdatum aus.

Der Kläger beantragte daraufhin bei der Beklagten, auch den Eintrag seines Geburtsdatums in ihrem Melderegister von "01.01.1958" auf "01.01.1953" zu ändern. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 3. August 2015 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2015 zurück. Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben und beantragt, die ergangenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sein im Melderegister gespeichertes Geburtsdatum von "01.01.1958" in "01.01.1953" zu berichtigen. Mit Urteil vom 25. April 2018 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides und des Widerspruchbescheids verurteilt, das im Melderegister gespeicherte Geburtsdatum des Klägers von "01.01.1958" in "01.01.1953" zu berichtigen. Mit Urteil vom 10. März 2020 (NVwZ-​RR 2021, 46) hat das Berufungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Aus den Entscheidungsgründen:

[16] Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Klage im Ergebnis sowohl hinsichtlich des Hauptantrags (1.) als auch des Hilfsantrags (2.) im Einklang mit revisiblem Recht abgewiesen (§ 137 Abs. 1 VwGO).

[17] 1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klage mit dem Hauptantrag zulässig (a)), aber unbegründet ist (b)).

[18] a) ... [22] b) ... [23] aa) ... [28] bb) [29] (1) ... [31] (2) ... [32] (a) ... [36] (b) ... [38] (aa) ... [39] (bb) Das Berufungsgericht hat bei seiner die Frage der Richtigkeit des Geburtsdatums "01.01.1953" betreffenden Überzeugungsbildung auch nicht die Existenz von Beweisregeln verkannt und damit gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen.

[40] ... [43] Ein Verstoß gegen gesetzliche Beweisregeln liegt auch nicht vor, soweit das Berufungsgericht eine Bindung an die Angabe des Geburtsdatums des Klägers im Urteil des Landgerichts Kayseri vom 27. Januar 2015 aufgrund der Vorschriften über die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen verneint hat. Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO, der diejenigen Fälle regelt, in denen die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen ist. § 328 ZPO gilt nicht, wenn es um die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts geht, dessen Entscheidungsausspruch nach deutschem Recht in den Anwendungsbereich des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) fällt. Dann wird die entsprechende Anwendung des § 328 ZPO durch die Regelungen in den §§ 108 und 109 FamFG verdrängt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 10 C 4.12 (IPRspr 2012-278b) - BVerwGE 145, 153 Rn. 19). Nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen hat das Landgericht Kayseri das Standesamt zur Berichtigung des klägerischen Geburtsjahres im dortigen Personenstandsregister verurteilt. Auf Rechtsstreitigkeiten über Berichtigungen von Eintragungen im Personenstandsregister sind nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PStG die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG werden ausländische Entscheidungen - abgesehen von hier nicht vorliegenden Entscheidungen in Ehesachen und Entscheidungen nach § 1 Abs. 2 des Adoptionswirkungsgesetzes - anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Diese Anerkennung bedeutet indes nur, dass die Entscheidung grundsätzlich im Inland die Wirkung entfaltet, die ihr der Entscheidungsstaat beilegt (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 11. April 2014 - II-​2 WF 57/14 (IPRspr 2014-258) - FamRZ 2014, 1935 <1936>). Das Urteil des Landgerichts Kayseri begründet aber lediglich die Pflicht des türkischen Standesbeamten, das türkische Personenstandsregister zu ändeRn. Eine darüber hinausgehende Bindung anderer, etwa deutscher Behörden folgt hieraus nicht. Eine Bindung an die dem Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen des ausländischen Gerichts sieht § 108 FamFG nicht vor (vgl. Dimmler, in: Keidel, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 108 Rn. 3 und 10; zu § 16a FGG: BVerwG, Beschluss vom 9. August 1990 - 1 B 103.90 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 35 S. 10; BSG, Beschluss vom 16. Juni 1994 - 13 RJ 47/93 - juris Rn. 38).

[44] Aus Art. 8 des Übereinkommens über die Ausstellung mehrsprachiger Auszüge aus Personenstandsbüchern vom 8. September 1976 (BGBl. II 1998, 775) - CIEC-​Übereinkommen Nr. 16 - folgt keine Bindung an die Angabe des Geburtsdatums im vorgelegten Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister. Nach Art. 8 Satz 2 und 3 CIEC-​Übereinkommen Nr. 16 haben die in diesem Übereinkommen geregelten mehrsprachigen Auszüge die gleiche Kraft wie die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des betreffenden Staates - das heißt hier des türkischen Staates - ausgestellten Auszüge. Sie sind ohne Legalisation, Beglaubigung oder gleichwertige Förmlichkeit im Hoheitsgebiet jedes durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates anzunehmen. Auf diese Regelung kann der Kläger sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits deshalb nicht berufen, weil der vorgelegte Auszug nicht den im Übereinkommen geregelten Formvorschriften genügt, insbesondere nicht auf Grundlage des vorgesehenen Formblatts (Art. 1 i.V.m. Anhang des Übereinkommens) erstellt worden ist.

[45] Auch aus Art. 5 EGBGB ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision keine Bindung an die Angabe des Geburtsdatums in den vom Kläger vorgelegten Unterlagen. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist bei einem Verweis auf das Recht des Staates, dem eine Person angehört, für den Fall, dass eine Person mehreren Staaten angehört, das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens. Die weiteren Absätze der Vorschrift regeln Entsprechendes für den Fall der Staatenlosigkeit und für den Verweis auf das Recht des Staates des (gewöhnlichen) Aufenthalts einer Person. Die Annahme, aus dieser Norm könne sich eine Bindung an die gerichtliche Feststellung des Geburtsdatums des Klägers durch das Landgericht Kayseri oder an die Eintragung im türkischen Personenstandsregister ergeben, geht bereits deshalb fehl, weil Art. 5 Abs. 1 EGBGB nach seinem Wortlaut nur dann eingreift, wenn eine andere Norm auf das Recht eines Staates verweist, dem eine Person angehört. Für diesen Fall klärt Art. 5 EGBGB als sogenannte unselbstständige Kollisionsnorm oder Hilfskollisionsnorm lediglich einige Zweifelsfragen, die in besonderen Konstellationen bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit (Art. 5 Abs. 1 und 2) oder an den gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 5 Abs. 3) auftreten können (vgl. v. Hein, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 5 Rn. 1). Eine derartige Verweisungsnorm, die im vorliegenden Fall Anwendung finden könnte, ist aber nicht erkennbar; insbesondere enthält auch das Bundesmeldegesetz keinen derartigen Verweis. Allein der Umstand, dass überhaupt ein Sachverhalt mit Auslandsbezug vorliegt, reicht entgegen der Auffassung des Klägers angesichts von Wortlaut und Funktion des Art. 5 EGBGB nicht aus. Darüber hinaus hat Art. 5 Abs. 1 EGBGB allein den Zweck, für den Fall, dass eine Norm auf das Recht des Landes der Staatsangehörigkeit einer Person verweist, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, zu regeln, welche dieser Staatsangehörigkeiten maßgeblich sein soll. Eine derartige Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

[46] (cc) ...

Fundstellen

LS und Gründe

BVerwGE, 175, 76
NVwZ, 2022, 1505, mit Anm. Brink/Bäßler
StAZ, 2023, 15

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-133

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