Der für die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 4 ff. EuErbVO maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers ergibt sich aus einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen, insbesondere der Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts im Zweitstaat. Maßgeblich ist der Mittelpunkt des Lebensinteresses.
Gestalten sich weitere Anknüpfungstatsachen ambivalent (unter anderem großzügiger Immobilienbesitz in Spanien, Bankkonten in Deutschland, keine relevanten sozialen Kontakte in beiden Ländern), kommt der tatsächlichen Aufenthaltsdauer entscheidendes Gewicht zu. Hat sich der Erblasser in seinen letzten Jahren überwiegend in Spanien aufgehalten, waren Aufenthalte in Deutschland lediglich durch eine Tumorbehandlung bedingt und hat er sich unmittelbar vor seinem Tod nach Spanien zurückbringen lassen, ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses nicht gegeben.
Die Bet. zu 1) hat erstinstanzlich die Erteilung eines europäischen Nachlasszeugnisses über den Nachlass des 2017 in Spanien gestorbenen Erblassers begehrt. Gegen die abweisende Entscheidung des AG Steinfurt als Nachlassgericht, Az. 11 VI 359/17, hat die Bet. zu 1) Beschwerde eingelegt.
[1]Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
[2]Das von der Bet. zu 1) beantragte europäische Nachlasszeugnis kann nicht erteilt werden, da das deutsche Nachlassgericht hierfür international nicht zuständig ist.
[3]Die internationale Zuständigkeit in Erbsachen für Erbfälle mit Auslandsbezug ab dem 17.8.2015 ergibt sich nunmehr grundsätzlich aus Art. 4 ff. EuErbVO i.V.m. § 97 FamFG (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 3[2]. Aufl. [2018], Rz. 45 zu Vorbem. zu §§ 97–110). Die EuErbVO ist ein europäischer Rechtsakt, der Vorrang vor den Vorschriften des FamFG (§ 97 FamFG) hat. Nach Art. 4 EuErbVO ist hins. der Gerichtszuständigkeit nicht zwischen streitiger und freiwilliger Gerichtsbarkeit zu unterscheiden und an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers anzuknüpfen.
[4]Dieser könnte im vorliegenden grenzüberschreitenden Fall entweder in Spanien oder in Deutschland gelegen haben. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt ist in diesem Zusammenhang entsprechend dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts nach der Rechtsprechung des EuGH zur VO (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbes. der persönlichen und familiären Eingliederung des Erblassers in den (Aufenthalts-)Mitgliedstaat zu bestimmen (KG, ZEV 2016, 514 f. (IPRspr 2016-193)). Darüber hinaus sind für eine Auslegung die Erwgr. 23 und 24 der EuErbVO heranzuziehen (OLG Hamm, 10. Zivilsenat, ZEV 2018, 343 f. (IPRspr 2018-194); OLG Hamburg, RPfleger 2017, 153 f. (IPRspr 2016-197)). Maßgebend bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist danach der ‚Mittelpunkt des Lebensinteresses des Erblassers’. Dies erfordert eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen, insbes. der Dauer und der Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers im Zweitstaat. Die Willensrichtung des Erblassers muss im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung zwar Berücksichtigung finden (OLG Hamm aaO), sie ist jedoch nicht geeignet, den gewöhnlichen Aufenthalt entgegen der objektiven Gestaltung der Lebensverhältnisse zu begründen. Andernfalls würde unzulässigerweise der Umstand umgangen, dass die EuErbVO eine Gerichtsstandbestimmung durch den Erblasser nicht zulässt.
[5]In Anwendung dieser Grundsätze würdigt der Senat den vorliegenden Sachverhalt dahingehend, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Spanien hatte. Dabei verkennt der Senat im Ausgangspunkt nicht, dass der Erblasser kaum in die spanische Gesellschaft integriert war und zwar wohl auch, weil er der spanischen Sprache nicht mächtig war. Ersteres gilt jedoch entsprechend für die deutsche Gesellschaft. Während seiner Aufenthalte in Deutschland hat er nämlich nach dem Inhalt der mündlichen Verhandlung außerhalb seiner Familie, des Umfelds seines Sohns und seiner Religion ebenfalls keine nennenswerten sozialen Kontakte gepflegt. Insgesamt ergibt sich für den Senat aus den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung das Bild eines Menschen, der wenig Wert auf soziale Kontakte legte und sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten wollte. Hinzu kommt, dass der Erblasser familiäre Kontakte in Form von Besuchen auch in Spanien pflegte, wenn auch [in] weit geringerem Umfang, und er auch in Spanien regelmäßig an religiösen Versammlungen teilnahm, aus denen sich, wie die Bet. zu 1) angegeben hat, auch gesellige Kontakte ergaben.
[6]Für eine engere Bindung an Deutschland spricht vordergründig noch, dass der Erblasser jedenfalls zuletzt Bankenkonten nur noch bei in Deutschland ansässigen Geldinstituten unterhielt. Andererseits war jedoch, legt man die Angaben der Bet. zu 1) zugrunde, ein ganz wesentlicher Vermögensgegenstand, nämlich der hälftige Anteil an der Immobilie, in Spanien belegen.
[7]Vor diesem ambivalenten Hintergrund kommt nach Auffassung des Senats der tatsächlichen Aufenthaltsdauer entscheidendes Gewicht zu. Hier erschließt sich aus den Kreditkartenübersichten, dass sich der Erblasser in den letzten Jahren vor seinem Ableben ganz überwiegend in Spanien aufgehalten hat. In den Jahren 2012 und 2013 lassen sich nur etwa 4,5 Wochen ausmachen, in welchen er sich in Deutschland aufgehalten hat. In 2014 hat er sich bis Anfang November lediglich für zwei Wochen in Deutschland aufgehalten. Im November und Dezember 2014 sowie Januar 2015 war er hingegen in Deutschland, wobei in diese Zeit die Diagnose und erste operative Behandlung seiner Tumorerkrankung fielen. Im Rest des Jahres 2015 wurden mehrmonatige Aufenthalte in Spanien durch einen etwa einmonatigen, einen anderthalbmonatigen und einen etwa zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland unterbrochen, die allerdings jeweils mit stationären Behandlungen korrespondieren. In 2016 wechselten sich längere Aufenthalte in Deutschland, die jedenfalls teilweise mit stationären Behandlungen einhergingen, mit solchen in Spanien ab, bevor sich der Erblasser im Oktober 2016 nach Spanien zurückbringen ließ, wo er am 00.4.2017 verstarb.
[8]Bei dieser Sachlage ist es für den Senat nicht zweifelhaft, dass der Erblasser, mag er vielleicht auch auf eine letzte Therapiechance gehofft haben, sich entschieden hatte, den Rest seines Lebens in Spanien zu verbringen. Hiermit korrespondiert der Inhalt des Ambulanzbriefs der Uniklinik Münster vom 16.8.2016. Nach diesem wollte der Erblasser, nach Aufklärung über seine Situation klären, ob ‚an seinem Wohnort in Spanien’ eine Palliativbehandlung möglich sei. Weiter korrespondiert mit dieser Sichtweise die Gestaltung der Wohnverhältnisse in Spanien einerseits und Deutschland andererseits. Letztere waren als eher provisorisch anzusehen: Dem Erblasser stand zusammen mit der Bet. zu 1) in der Souterrain-Wohnung des Bet. zu 3) ein Schlafzimmer mit Nasszelle zur Verfügung; zudem konnte er Räume in der Wohnung des Bet. zu 3) mitbenutzen. Demgegenüber stand dem Erblasser und der Bet. zu 1) in Spanien ein Haus von 150 qm mit sechs Zimmern zur Verfügung ...
[9]Angesichts dieser objektiven Sachlage kommt der Willensrichtung des Erblassers keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Es mag zutreffen, dass sich der Erblasser in Bezug auf Spanien als Tourist betrachtete und – aus welchen Gründen auch immer – den Residentenstatus in Spanien vermeiden wollte. Angesichts der Zeiten seines Aufenthalts in Spanien bestand sein Leben dann aber überwiegend aus ‚Urlaub’, was angesichts seines Ruhestands auch nicht verwundert.
[10]Entgegen der Auffassung der Bet. zu 1) ergibt sich die internationale Zuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts auch nicht aus Art. 7 EuErbVO, da dessen Voraussetzungen nach litt. a, b oder c nicht vorliegen.