Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 9 II lit. b VO (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Unionsmarke vom 26.2.2009 (ABl. Nr. L 78/1; GMV) und Art. 9 III lit. b VO (EU) Nr. 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Unionsmarke vom 14.6.2017 (ABl. Nr. L 154/1; UMV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Besitzt eine Person, die für einen Dritten markenrechtsverletzende Waren lagert, ohne vom Rechtsverstoß Kenntnis zu haben, diese Ware zum Zwecke des Anbietens oder Inverkehrbringens, wenn nicht sie selbst, sondern allein der Dritte beabsichtigt, die Ware anzubieten oder in Verkehr zu bringen?
[Der vorgehende Beschluss des OLG München vom 29.9.2016 – 29 U 745/16 – wurde im Band IPRspr. 2016 unter der Nr. 268 abgedruckt.]
Die Kl. vertreibt Parfums. Die Bekl. gehören zum Amazon-Konzern. Die Bekl. zu 1) hat ihren Sitz in Luxemburg, die Bekl. zu 3) ist in Deutschland ansässig und betreibt dort ein Warenlager. Die Kl. behauptet, eine Lizenz an der Schutz beanspruchenden Unionsmarke Nr. 876874 DAVIDOFF zu halten und zur Geltendmachung der Markenrechte im eigenen Namen ermächtigt zu sein. Auf amazon.de eröffnet die Bekl. zu 1) Drittanbietern die Möglichkeit, Verkaufsangebote einzustellen. Diese können zudem den „Versand durch Amazon“ nutzen. Am 8.5.2014 bestellte ein Testkäufer der Kl. über amazon.de ein von der Verkäuferin J. R. mit dem Vermerk „Versand durch Amazon“ angebotenes Parfum "Davidoff Hot Water EdT 60 ml". Mit der Lagerung der Ware hatte die Bekl. zu 1) die Bekl. zu 3) beauftragt. Die Kl. forderte die Bekl. zu 1) mit Schreiben vom 2.6.2014 zur Herausgabe aller „Davidoff Hot Water EdT 60 ml“-Parfums der Verkäuferin auf. Die Bekl. zu 1) übersandte ein Paket, das 30 Stück dieser Parfums enthielt; 11 davon stammten jedoch aus dem Lagerbestand eines anderen Verkäufers, worauf die Kl. die Bekl. zu 1) aufforderte, dessen Name und Anschrift anzugeben. Die Bekl. zu 1) teilte mit, dass nicht mehr nachvollzogen werden könne, aus welchem Warenbestand die 11 Stück stammten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Kl. ihre Klageanträge weiter.
[9] B. Der Erfolg der Revision der Kl. hängt von der Auslegung des Art. 9 II lit. b GMV und des Art. 9 III lit. b UMV ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 I lit. b und III AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
[10] I. Das Berufungsgericht hat die Klage für zulässig, aber unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:
[11] Die Bekl. zu 3) hafte nicht als Täterin auf Unterlassung hins. der Parfums, die sie für die Verkäuferin und andere Einlieferer aufbewahrt habe. Die Bekl. zu 3) habe die Klagemarke nicht selbst benutzt. Sie habe die Parfums auch nicht zu dem Zweck besessen, sie selbst anzubieten oder in Verkehr zu bringen, sondern lediglich für die Verkäuferin gehandelt. Eine Haftung als Mittäterin oder Teilnehmerin einer Markenverletzung scheide aus, da nicht ersichtlich sei, dass die Bekl. zu 3) Kenntnis vom Fehlen der Erschöpfung gehabt habe. Als Störerin hafte die Bekl. zu 3) nicht, weil die Kl. schon nicht vorgetragen habe, dass die Bekl. zu 3) über die Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Bekl. zu 3) sei auch nicht als Dritte zur begehrten Auskunft verpflichtet.
[12] Die Bekl. zu 1) hafte gleichfalls nicht auf Unterlassung und Auskunft. Sie habe die streitgegenständlichen Waren weder besessen noch versandt. Sie hafte nicht als Störerin, weil sie keine sich aus dem Hinweis der Kl. ergebenden Prüfpflichten verletzt habe.
[13] II. Die Klage ist zulässig (dazu B. II. 1). Der Erfolg der Revision der Kl. hängt von der Auslegung des Art. 9 II lit. b GMV und des Art. 9 III lit. b UMV ab (dazu B. II. 2).
[14] 1. Die Klage ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, die auch unter der Geltung des § 545 II ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. vom 9.11.2017 – I ZR 110/16 (IPRspr 2017-222), GRUR 2018, 516 Rz. 12 = WRP 2018, 461 [form-strip II] m.w.N.), ergibt sich für die in Luxemburg ansässige Bekl. zu 1) aus Art. 97 IV lit. b GMV i.V.m. Art. 24 Satz 1 EuGVO a.F. aufgrund ihrer rügelosen Einlassung gegenüber dem Berufungsgericht und hinsichtlich der im Inland ansässigen Bekl. zu 3) gemäß Art. 97 I GMV aus ihrem inländischen Sitz.
[18] 2. ... b) ... aa) Die Revision hat keinen Erfolg, soweit sie die Beurteilung des Berufungsgerichts angreift, die Bekl. zu 3) habe zwar Besitz an den markenrechtsverletzenden Waren gehabt, hiermit jedoch selbst nicht den nach Art. 9 II lit. b GMV und Art. 9 III lit. b UMV erforderlichen Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens verfolgt.
[19] (1) Die Revision macht geltend, die Bekl. zu 3) habe die markenrechtsverletzenden Waren im Rahmen des Angebots ‚Versand durch Amazon’ gelagert und daher zum Zwecke des Anbietens oder Inverkehrbringens in Besitz gehabt. Anders als ein typischer Lagerhalter, der kein eigenes wirtschaftliches Interesse am Vertrieb der eingelagerten Waren und regelmäßig auch keinen Einblick in die Vertriebssituation habe, sei die Bekl. zu 3) vollständig in einen Betriebsablauf integriert, in dem Betreiber des ‚Amazon Marketplace’, Einlagerer und Versender zum selben Konzern gehörten, und lagere sie ausschließlich über www.amazon.de angebotene Waren ein.
[20] (2) Mit diesen Darlegungen zeigt die Revision keine Rechtsfehler in der Beurteilung des Berufungsgerichts auf. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die über das Angebot ‚Amazon Marketplace’ geschlossenen Kaufverträge zwischen Käufern und Drittanbietern zustande kommen, so dass – entgegen der Auffassung der Revision – kein faktischer Eigenvertrieb der Bekl. vorliegt. Die von den Bekl. zu 1) und 3) und mit ihnen konzernverbundenen Gesellschaften erbrachten Dienstleistungen der Bereitstellung einer Verkaufsplattform, des Einlagerns und der Aufgabe zum Versand, die das Angebot ‚Versand durch Amazon’ enthält, sind zwar objektiv geeignet, die Vermarktungsbemühungen des Verkäufers der Waren zu unterstützen. Sie rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass die Bekl. zu 3), die ohne Kenntnis rechtsverletzender Handlungen des Verkäufers dessen Ware lagert, selbst die vom Verkäufer angebotenen Waren zum Zwecke des Anbietens oder Inverkehrbringens besitzt ...
[22] Nach Auffassung des Senats ist die Vorlagefrage zu verneinen. Für das Patentrecht hat der BGH entschieden, dass das bloße Verwahren oder Befördern patentverletzender Ware durch einen Lagerhalter, Frachtführer oder Spediteur regelmäßig nicht zum Zweck des Anbietens oder Inverkehrbringens i.S.d. § 9 Satz 2 Nr. 1 PatG erfolgt, weil es nicht gerechtfertigt ist, die Grenzen der Verantwortung des Besitzers nach § 9 PatG durch eine Zurechnung der Absicht des mittelbaren Besitzers zulasten des unmittelbaren Besitzers zu unterlaufen (BGH, Urt. vom 17.9.2009 – Xa ZR 2/08 (IPRspr 2009-141), BGHZ 182, 245 Rz. 25 [MP3-Player-Import]). Diese Erwägung ist nach Auffassung des Senats auf das Markenrecht übertragbar. Die unter Hinweis auf die Vermarktungsabsicht des mittelbaren Besitzers angenommene täterschaftliche Haftung des Lagerhalters, der von der Rechtsverletzung keine Kenntnis hat, für den Besitz rechtsverletzender Ware überdehnt die Grenzen der Verantwortlichkeit des Besitzers nach Art. 9 II lit. b GMV und Art. 9 III lit. b UMV (vgl. KG, GRUR Int. 2011, 344, 349; Büscher in Büscher-Dittmer-Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 14 MarkenG Rz. 573; Hacker in Ströbele-Hacker-Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 14 Rz. 177 und 444; v. Schultz-Schweyer, MarkenG, 3. Aufl., § 14 Rz. 215; a.A. OLG Köln, GRUR-RR 2005, 342, 343; Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 14 MarkenG Rz. 856; Ingerl-Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., § 14 Rz. 236).
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