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Verfahrensgang

LG München I, Urt. vom 19.01.2016 – 33 O 23145/14
OLG München, Urt. vom 29.09.2016 – 29 U 745/16, IPRspr 2016-268
BGH, Vorlagebeschl. vom 26.07.2018 – I ZR 20/17, IPRspr 2018-230
EuGH, Urt. vom 02.04.2020 – C-567/18
BGH, Urt. vom 21.01.2021 – I ZR 20/17, IPRspr 2021-131

Rechtsgebiete

Zuständigkeit → Sonstige besondere Gerichtsstände
Immaterialgüterrecht und Unlauterer Wettbewerb (bis 2019)
Außervertragliche Schuldverhältnisse → Unerlaubte Handlungen, Gefährdungshaftung

Leitsatz

Eine internationale Zuständigkeit nach Art. 97 I bis III der VO (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 26.2.2009 (ABl. Nr. L 78/1; GMV) scheidet aus, wenn die Beklagte in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Luxemburg) geschäftsansässig ist.

Art. 8 Nr. 1 VO (EU) 1215/2012 ist strikt auszulegen. Konkreter Sachvortrag ist erforderlich, um die internationale Zuständigkeit des Sachzusammenhangs für eine Klage gegen den angeblichen Auftraggeber zu begründen. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EuGVVO 1215/2012 Art. 4; EuGVVO 1215/2012 Art. 8
EUGVVO 44/2001 Art. 6
GMV 207/2009 Art. 93; GMV 207/2009 Art. 94; GMV 207/2009 Art. 96; GMV 207/2009 Art. 97

Sachverhalt

Die Parteien streiten um markenrechtliche Ansprüche wegen des Vertriebs von Parfums auf der Internetverkaufsplattform Amazon.de Marketplace. Die Bekl. zu 1), zu 2) und zu 4) haben ihren Sitz jeweils in Luxemburg; die Bekl. zu 4) verfügt zudem über eine Niederlassung in München. Die Bekl. zu 3) hat ihren Sitz in Graben/Deutschland. Die Bekl. zu 2) betreibt die Webseite Amazon.de. Auf dieser bietet nicht nur die Bekl. zu 4) eigene Waren an; vielmehr eröffnet die Bekl. zu 1) Drittanbietern die – Amazon.de-Marketplace genannte – Möglichkeit, dort auch deren Verkaufsangebote einzustellen. Im Mai 2014 bestellte ein Testkäufer der Kl. über die Webseite Amazon.de ein von der Verkäuferin J. R. mit dem Vermerk „Versand durch Amazon“ angebotenes Parfum Davidoff Hot Water EdT 60 ml. Auf eine Abmahnung der Kl. gab J. R. eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Die Kl. forderte die Bekl. zu 1), dann auch die Bekl. zu 2) zur Herausgabe des Warenbestands auf. Daraufhin wurde den Klägervertretern ein Paket mit 30 Stück Davidoff Hot Water EdT 60 ml zugesandt. Die Kl. hat vorgetragen, die Inhaberin der Unionsmarke Nr. 0876874 DAVIDOFF habe ihr eine Lizenz an dieser Marke eingeräumt. Sowohl diese Markeninhaberin als auch die Inhaberin der Unionsmarke Nr. 000481465 MARC JACOBS hätten ihr die Berechtigung eingeräumt, die Rechte an den jeweiligen Marken im eigenen Namen geltend zu machen.

Mit ihrer Klage, welcher die Bekl. entgegengetreten sind, hat die Kl. Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Herausgabe und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten geltend gemacht. Mit Urteil vom 19.1. 2016 hat das LG die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Kl. mit ihrer Berufung.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]Die zulässige Berufung der Kl. ist unbegründet.

[2]A. Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass die Klage nur hinsichtlich der Bekl. zu 1), 3) und 4) zulässig ist.

[3]I. Die deutschen Gerichte sind für die Klage nur teilweise international zuständig ...

[4]2. Für die mit dem Berufungsantrag I. weiterverfolgte Klage gegen die Bekl. zu 2) wegen des Parfums Davidoff Hot Water EdT 60 ml, das von J. R. verkauft wurde, und wegen der weiteren gleichartigen Parfums, die mit dem Paket ... an die Anwälte der Kl. gesandt wurden, sind die deutschen Gerichte nicht international zuständig.

[5]a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich insoweit nicht aus Art. 97 GMV.

[6]aa) Eine internationale Zuständigkeit nach Art. 97 I bis III GMV scheidet aus, weil die Bekl. zu 2) in Luxemburg und somit in einem anderen Mitgliedstaat geschäftsansässig ist (vgl. BGH, GRUR 2015, 689 (IPRspr 2014-219) [Parfumflakon III] Tz. 17 zu den inhaltgleichen Vorschriften in Art. 93 I bis III GMV).

[7]bb) Nach Art. 97 V GMV können Verfahren über die in Art. 96 GMV genannten Klagen und Widerklagen auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht. Für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte kommt es daher grundsätzlich darauf an, ob der Kläger eine im Inland begangene Verletzungshandlung des Beklagten im Sinne des Art. 97 V GMV behauptet hat und diese nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH aaO Tz. 19). Die Annahme einer Verletzungshandlung im Sinne des Art. 97 V GMV setzt ein aktives Verhalten des Verletzers voraus (vgl. BGH aaO Tz. 23; EuGH, Urt. vom 5.6.2014 – Coty Germany GmbH ./. First Note Perfumes N.V., Rs C-360/12, GRUR 2014, 806 Tz. 34).

[8]Die Kl. sieht die konkrete Verletzungshandlung im Besitz der genannten Parfums und hinsichtlich des von J. R. verkauften auch in dessen Versand. Weder besaß die Bekl. zu 2) diese Parfums selbst, noch versandte sie diese selbst; diese Handlungen wirft auch die Kl. nur der Bekl. zu 3) vor. Die Verantwortlichkeit der Bekl. zu 2) leitet die Kl. vielmehr daraus ab, dass diese die Gesamtverantwortung für das Amazon-Geschäftsmodell trage; diese betreibe nicht nur die Webseite Amazon.de und übe Teilaspekte wie die Affiliate-Werbung oder die Schaltung von Google-AdWords-Anzeigen selbst aus, sondern sei in Bezug auf alle anderen Amazon-Geschäftstätigkeiten Auftraggeberin der weiteren Bekl.; es sei davon auszugehen, dass die Bekl. zu 2) der Bekl. zu 3) unmittelbar den Auftrag zum Versand des Parfums Davidoff Hot Water EdT 60 ml an den Testkäufer erteilt habe. Zu Recht hat das LG dieses pauschale Vorbringen als für die Behauptung einer konkreten Verletzungshandlung unzureichend angesehen. Ihm kann nicht entnommen werden, welches aktive Verhalten die Verantwortlichkeit der Bekl. zu 2) begründen könnte. Das gilt auch für die Aussage, es sei von einer Auftragserteilung durch die Bekl. zu 2) auszugehen; diese stellt mangels Angabe konkreter Anknüpfungstatsachen, aus denen sie hergeleitet werden könnte, lediglich eine ins Blaue hinein aufgestellte Spekulation dar, zumal unstreitig die Bekl. zu 1) die Bekl. zu 3) mit der Lagerung der Ware dieser Verkäuferin beauftragt hatte.

[9]b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ergibt sich auch nicht aus der Vorschrift des Art. 8 Nr. 1 VO (EU) Nr. 1215/2012, die nach Art. 94 I GMV auf Verfahren betreffend Unionsmarken anzuwenden ist.

[10]Nach dieser Vorschrift kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, dann, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, auch vor dem Gericht des Orts verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Diese besondere Zuständigkeitsregel ist strikt auszulegen, da mit ihr von der Grundregel des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten in Art. 4 VO (EU) Nr. 1215/2012 abgewichen wird (vgl. EuGH, Urt. vom 21.5.2015 – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA ./. Akzo Nobel N.V. u.a., Rs C-352/13, GRUR Int. 2015, 1176 Tz. 18 zu der inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 6 Nr. 1 EuGVO). Es ist zu prüfen, ob zwischen den Klagen eines Klägers gegen verschiedene Beklagte ein Zusammenhang besteht, der eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren möglicherweise widersprechende Entscheidungen ergehen. Dabei können Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern diese Abweichung muss außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten (vgl. EuGH [Hydrogen Peroxide] aaO Tz. 20 m.w.N.)

[11]Im Streitfall stützt die Kl. zwar ihre Klage gegen die Bekl. zu 2) auf denselben Ausgangssachverhalt wie diejenige gegen die im Inland ansässige Bekl. zu 3). Zur Verknüpfung zwischen den beiden Bekl. trägt die Kl. indes nicht konkret vor, sondern beruft sich lediglich pauschal darauf, die Bekl. zu 2) trage die Gesamtverantwortung für das Amazon-Geschäftsmodell und sei Auftraggeberin sowohl der Bekl. zu 3) als auch aller anderen Bekl. Die Aussage, die Bekl. zu 2) trage die Gesamtverantwortung, ist schon keine Tatsachenbehauptung, sondern die rechtliche Würdigung eines nicht im Einzelnen mitgeteilten Sachverhalts; auch die bloße Spekulation, die Bekl. zu 2) sei Auftraggeberin der anderen Bekl., stellt keinen konkreten Sachvortrag dar. Reichte derart substanzloses Vorbringen aus, um die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats es für eine Klage einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Partei zu begründen, würde die Anwendbarkeit der Grundregel des Gerichtsstands des Wohnsitzes des Beklagten in Art. 4 VO (EU) Nr. 1215/2012 letztlich in das Belieben des Klägers gestellt, der sie durch den bloßen unsubstanziierten Vortrag derogieren könnte, dieser Beklagte sei Auftraggeber eines anderen, im Gerichtsstaat ansässigen Beklagten. Unter Berücksichtigung des dargestellten Grundsatzes der strikten Auslegung kann daher in derartigen Fällen nicht davon ausgegangen werden, dass die gemeinsame Verhandlung geboten sei.

Fundstellen

Bericht

Birk, GRURPrax, 2017, 380

LS und Gründe

WRP, 2017, 350

nur Leitsatz

MMR, 2018, 270

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2016-268

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