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Verfahrensgang

BGH, Beschl. vom 14.11.2018 – XII ZB 292/15, IPRspr 2018-17

Rechtsgebiete

Natürliche Personen → Namensrecht
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Vom Anwendungsbereich des Art. 48 Satz 1 EGBGB ist nicht nur der mit einem statusbegründenden oder statusändernden familienrechtlichen Ereignis zusammenhängende Namenserwerb erfasst, sondern auch der Namenserwerb, der auf einer gerichtlichen, behördlichen und privatautonomen Namensänderung beruht.

Die von familienrechtlichen Statusvorgängen losgelöste Annahme einer deutschsprachigen Adelsbezeichnung ist mit dem Rechtsgedanken des – gemäß Art. 123 GG als einfaches Bundesrecht fortgeltenden – Art. 109 III 2 WRV grundsätzlich nicht vereinbar.

Die frei gewählte Annahme einer deutschsprachigen Adelsbezeichnung im Wege einer unter ausländischem Recht erfolgten isolierten Namensänderung (hier: deed poll nach englischem Recht) verstößt gegen den deutschen ordre public, wenn die Namensänderung von der Motivation getragen ist, den gewählten Namen (auch) in Deutschland führen zu können und damit den Anschein der Zugehörigkeit zu einer vermeintlich hervorgehobenen sozialen Gruppe zu erwecken; unter diesen Voraussetzungen ist dem gewählten Namen auch nach Abwägung mit dem Personenfreizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV regelmäßig die Anerkennung zu versagen.

Rechtsnormen

AEUV Art. 18; AEUV Art. 21
EGBGB Art. 5; EGBGB Art. 10; EGBGB Art. 48
GG Art. 3; GG Art. 123
NamÄndG § 3
WRV Art. 109

Sachverhalt

[Die vorgehenden Beschlüsse des AG Nürnberg vom 13.8.2014 – UR III 58/14 – und des OLG Nürnberg vom 2.6.2015 – 11 W 2151/14 – wurden bereits im Band IPRspr. 2014 unter der Nr. 17 und im Band IPRspr. 2015 unter der Nr. 8 abgedruckt.]


Die ASt. wurde 1983 als deutsche Staatsangehörige geboren. Im Geburtenregister des Standesamts E. wurde ihre Geburt mit den Vornamen ‚S. N.’ und dem Familiennamen ‚V.’ beurkundet. Im Jahr 1999 verlegte die ASt. ihren Wohnsitz nach London. Nach Abschluss ihrer dort absolvierten Berufsausbildung war sie in verschiedenen Ländern als selbständige Ballettlehrerin tätig; ihr gewöhnlicher Aufenthalt verblieb in dieser Zeit durchgehend im Vereinigten Königreich. Im Oktober 2011 erwarb die ASt. durch Einbürgerung zusätzlich die britische Staatsangehörigkeit. Während eines beruflich veranlassten Aufenthalts in der Schweiz gab sie im Dezember 2011 gegenüber der britischen Botschaft in Bern eine einseitige Erklärung zur Namensänderung (deed poll) ab, wonach sie ihren Namen in ‚S. V. M. Gräfin von F.’ ändere. Unter diesem Namen, unter dem ihr am 17.4.2013 auch ein britischer Reisepass ausgestellt worden war, schloss die ASt. am 21.5.2013 in England die Ehe. Aus dieser Ehe sind männliche Zwillinge hervorgegangen, die am 15.8.2014 in London geboren wurden. Am 19.8.2014 änderte der Ehemann der ASt. seinerseits durch deed poll seinen bisher geführten Namen ‚G. W.’ in ‚J. A. L. Graf von F.’. Am gleichen Tage wurden die Kinder mit den Vornamen ‚V. L. A.’ bzw. ‚R. J. F.’ und dem Familiennamen ‚Graf von F.’ im örtlichen Register für Geburten- und Sterbefälle eingetragen.

Die ASt. hat unter Bezugnahme auf Art. 48 EGBGB in öffentlich beglaubigter Form erklärt, dass der von ihr nach britischem Recht gewählte Name in das deutsche Personenstandsregister eingetragen werden solle. Das Standesamt hat die Eintragung verweigert. Den anschließenden Antrag hat das AG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der ASt. ist vor dem OLG erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der ASt.

Aus den Entscheidungsgründen:

B. [5] Die Rechtsbeschwerde ist statthaft ... Sie ist auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg ...

II. ... [11] 1. Unterliegt der Name einer Person deutschem Recht, so kann sie gemäß Art. 48 Satz 1 Halbs. 1 EGBGB durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der EU erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen. Anders als das BeschwG meint, liegen die Voraussetzungen für eine Namenswahl nach dieser Vorschrift – vorbehaltlich der gemäß Art. 48 Satz 1 Halbs. 2 EGBGB vorzunehmenden Prüfung des ordre public – bei der ASt. vor.

[12] a) Entgegen der Auffassung des BeschwG steht die konkrete Art des Namenserwerbs einer Anwendbarkeit von Art. 48 Satz 1 EGBGB unter den hier obwaltenden Umständen nicht entgegen. Art. 48 EGBGB dient der Umsetzung der Rspr. des EuGH zur Frage der Beeinträchtigung der im Primärrecht der EU garantierten Grundfreiheiten – insbes. des Unionsbürgerrechts auf Freizügigkeit (Art. 21 I AEUV) – durch eine Verpflichtung zur Führung unterschiedlicher Namen in den Mitgliedstaaten der EU (hinkende Namensführung). Wegen des uneingeschränkten Wortlauts des Art. 48 Satz 1 EGBGB wird nach allgemeiner Ansicht nicht nur der mit einem statusbegründenden oder statusändernden familienrechtlichen Ereignis zusammenhängende Namenserwerb vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst, sondern auch der Namenserwerb, der auf einer gerichtlichen, behördlichen und privatautonomen Namensänderung beruht (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2017, 1532, 1533 (Abdruck vsl. IPRspr. 2019); MünchKomm-Lipp, 7. Aufl., Art. 48 EGBGB Rz. 13; Staudinger-Hausmann, BGB [Neub. 2019], Art. 48 EGBGB Rz. 22; jurisPK-BGB-Janal [Stand: 15.1.2018] Art. 48 EGBGB Rz. 4; BeckOGK/Kroll-Ludwigs [Stand: Januar 2018] Art. 48 EGBGB Rz. 45; BeckOK-BGB-Mäsch [Stand: August 2018] Art. 48 EGBGB Rz. 10; Palandt-Thorn, BGB, 77. Aufl., Art. 48 EGBGB Rz. 1; Hepting-Dutta, Familie und Personenstand, 2. Aufl., Rz. II-440; Mankowski, StAZ 2014, 97, 105; Wall, FamRZ 2015, 1658 f. und StAZ 2015, 41, 44). Weder die aus den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Genese des Gesetzes noch Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten eine hiervon abweichende Beurteilung.

[13] aa) Es ist im Ausgangspunkt freilich zutreffend, dass die Einführung des Art. 48 EGBGB unmittelbar durch das Urteil des EuGH in der Rs ‚Grunkin und Paul’ veranlasst worden ist, welches den Fall einer kollisionsrechtlich bedingten Namensspaltung beim Geburtsnamen für ein in Dänemark lebendes Kind deutscher Staatsangehörigkeit zum Gegenstand hatte (Urt. vom 14.10.2008 – Stefan Grunkin u. Dorothee Regina Paul, Rs C-353/06, FamRZ 2008, 2089). Der neue Art. 48 Satz 1 EGBGB sollte nach der Begründung des RegE vom 10.8.2012 im deutschen Namensrecht eine Rechtsgrundlage für die Eintragung eines im EU-Ausland erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namens in solchen Fällen bieten, die dem vom EuGH [im o.g.] Urteil entschiedenen Sachverhalt entsprechen (vgl. BR-Drucks. 468/12 S. 13 f. = BT-Drucks. 17/11049 S. 12).

[14] Das Problem einer möglichen Erstreckung des Anwendungsbereichs von Art. 48 Satz 1 EGBGB auf einen von familienrechtlichen Statusereignissen unabhängigen Namenserwerb ist schon im Gesetzgebungsverfahren erkannt worden. In seiner Stellungnahme vom 21.9.2012 hat der Bundesrat – u.a. – die Frage nach der Anwendbarkeit von Art. 48 EGBGB bei öffentlich-rechtlichen Namensänderungen im EU-Ausland aufgeworfen (vgl. BT-Drucks. 17/11049 S. 15). [...] Den Gesetzesmaterialien lässt sich hiernach allenfalls entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Frage nach der rechtlichen Behandlung isolierter Namensänderungen keine abschließende Beurteilung vornehmen und ihre Beantwortung der Rechtsanwendung durch die Rspr. überlassen wollte (zutreffend Wall, FamRZ aaO 1659). Von einer bewusst getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Anwendung von Art. 48 Satz 1 EGBGB auf Fälle des isolierten Namenserwerbs ohne Zusammenhang mit familienrechtlichen Statusvorgängen kann nicht ausgegangen werden.

[15] bb) Die vom BeschwG für richtig gehaltene teleologische Reduktion des Art. 48 EGBGB dahin gehend, dass – zumindest – ein privatautonomer Namenserwerb vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht erfasst sei, beruht darüber hinaus auf der rechtlichen Prämisse, die unionsrechtlichen Gewährleistungen schützten einen solcherart erworbenen Namen nicht. Dieser Annahme ist durch die – nach Erlass der Beschwerdeentscheidung – fortgeführte Rspr. des EuGH zur Beschränkung der unionsrechtlichen Freizügigkeit durch hinkende Namensführung der Boden entzogen worden. Wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 2.6.2016 [Urt. vom 2.6.2016 – Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff ./. Standesamt der Stadt Karlsruhe und Zentraler Juristischer Dienst der Stadt Karlsruhe, Rs C-438/14, FamRZ 2016, 1239] ausgeführt hat, soll allein die Freiwilligkeit der Namensänderung für sich genommen keine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 I AEUV rechtfertigen. Deutsche Behörden können deshalb die Anerkennung eines von einem deutschen Staatsangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat der EU rechtmäßig erworbenen Namens nicht allein aus dem Grund verweigern, dass diese Namensänderung ohne Zusammenhang mit statusrechtlichen Vorgängen allein aus persönlichen Gründen veranlasst worden ist (C-438/14 aaO Rz. 52 ff.).

[16] b) Der Name der ASt., die sowohl die deutsche als auch die britische Staatsangehörigkeit besitzt, unterliegt dem deutschen Sachrecht. Die Anwendbarkeit des deutschen Namensrechts ist nach den Vorschriften des deutschen IPR zu bestimmen (BT-Drucks. 17/11049 S. 12; vgl. auch Senatsbeschl. vom 26.4.2017 – XII ZB 177/16 (IPRspr 2017-7b), FamRZ 2017, 1179 Rz. 12 ff.). Besitzt der Namensträger auch die deutsche Staatsangehörigkeit, ergibt sich die Anwendbarkeit des deutschen Namensrechts bei Doppelstaatlern jedenfalls aus Art. 10 I EGBGB i.V.m. Art. 5 I 2 EGBGB, wonach der deutschen Staatsangehörigkeit der prinzipielle Vorrang einzuräumen ist. Ob und inwieweit die Anwendung von Art. 5 I 2 EGBGB im Verhältnis zur Staatsangehörigkeit eines weiteren EU-Mitgliedstaats im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV rechtlichen Bedenken begegnet (offengelassen im Senatsbeschl. vom 19.2.2014 – XII ZB 180/12 (IPRspr 2014-4), FamRZ 2014, 741 Rz. 14), braucht bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 48 EGBGB nicht weiter erörtert zu werden. Denn im Rahmen des Art. 48 EGBGB ruft die bevorzugte Berücksichtigung der deutschen Staatsangehörigkeit keine an die Staatsangehörigkeit angeknüpfte und nach Art. 18 AEUV unzulässige Behinderung bei der Wahrnehmung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten hervor, sondern sie eröffnet – im Gegenteil – einem Doppelstaatler ungeachtet seiner effektiven Staatsangehörigkeit den Zugang zu einem besonderen Namenswahlrecht, mit dem die auf hinkender Namensführung beruhende Beschränkung seiner Grundfreiheiten gerade beseitigt werden kann (vgl. jurisPK-BGB-Janal aaO Rz. 3 N. 4).

[17] c) Nach den Feststellungen des BeschwG hatte die ASt. – ungeachtet ihrer beruflichen Auslandstätigkeit – im Zeitpunkt des Namenserwerbs durch deed poll im Dezember 2011 ihren Daseinsmittelpunkt in London. Sie hat deshalb ihren Namen während eines gewöhnlichen Aufenthalts im Vereinigten Königreich erworben.

[18] d) Schließlich ist der von der ASt. im Wege des deed poll erworbene Name im Vereinigten Königreich auch registriert ...

[21] 2. Die begehrte Fortschreibung des Geburtenregisters kommt gleichwohl nicht in Betracht. Denn die Wahl des Namens ‚S. V. M. Gräfin von F.’ ist jedenfalls wegen des Namensbestandteils ‚Gräfin von’ mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar (Art. 48 Satz 1 Halbs. 2 EGBGB), und auch eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Anerkennung dieses Namens besteht nicht.

[22] a) Eine von familienrechtlichen Statusvorgängen vollständig losgelöste Annahme einer frei gewählten deutschsprachigen Adelsbezeichnung verstößt gegen den Rechtsgedanken des – gemäß Art. 123 GG als einfaches Bundesrecht fortgeltenden (vgl. BGBl. III Gl. Nr. 401-2) – Art. 109 III 2 WRV ...

[24] ... Durch das im zweiten Halbsatz von Art. 109 III 2 WRV ausgesprochene Verbot der Neuverleihung von Adelsbezeichnungen wurde unmittelbar eine Regelungsaufgabe aus dem – auf die Aufhebung von Standesvorrechten gerichteten – Programm des Art. 109 III 1 WRV umgesetzt (vgl. Rensch, Der adelige Name nach deutschem Recht [1931], 129; Dumoulin, Die Adelsbezeichnung im deutschen und ausländischen Recht [1997], 77) ...

[26] bb) Bereits kurz nach dem Inkrafttreten der WRV entwickelte sich in Schrifttum, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis eine Kontroverse über die Reichweite des in Art. 109 III 2 WRV statuierten Verbots der Neuverleihung von Adelsbezeichnungen. Diese entzündete sich insbes. an der Streitfrage, ob die Änderung eines Namens ohne Adelsbezeichnungen in einen Namen mit Adelsbezeichnungen nach den – seinerzeit landesrechtlich geregelten – Vorschriften über die öffentlich-rechtliche Namensänderung rechtlich überhaupt noch zulässig war. [...] Eine vollständig einheitliche Verwaltungspraxis in den Ländern bildete sich bis zum Ende der Weimarer Republik nicht heraus. Überwiegend waren die zuständigen Behörden zurückhaltend bei der Vergabe von Adelsbezeichnungen im Rahmen von Namensänderungen; in mehreren Ländern wurden Ersuchen auf Namensänderung sogar prinzipiell abgelehnt, wenn der gewünschte Name eine Adelsbezeichnung enthalten sollte (vgl. Wagner-Kern, Staat und Namensänderung [2002], 147 ff.).

[27] cc) In der Bundesrepublik Deutschland knüpfte die Handhabung des – nunmehr bundeseinheitlich geregelten – Rechts der öffentlich-rechtlichen Namensänderung in Bezug auf die Gewährung von Namen mit Adelsbezeichnungen an die eher restriktive Praxis aus der Zeit der Weimarer Republik an. [...] Die Gewährung eines Namens mit Adelsbezeichnungen im Wege öffentlich-rechtlicher Namensänderung ist nach dieser Rspr. in der Regel ausgeschlossen, wenn es an einer ‚besonders gewichtigen sozialen Beziehung’ zu einem Träger des gewünschten Namens fehlt (BVerwG, NJW 1997, 1594).

[28] dd) ... Daher spricht weitaus mehr für die Annahme, dass Art. 109 III 2 WRV zumindest in seiner Tendenz jedes staatliche Handeln – gerade auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Namensänderung – missbilligt, welches zu einer Schaffung von neuen Adelsbezeichnungen oder zum Wiederaufleben erloschener Adelsbezeichnungen führt, auch wenn diese nur noch Bestandteile des Namens sein können (vgl. Rensch,Der adelige Name nach deutschem Recht [1931, 246 f; vgl. zuletzt auch OVG Hamburg, StAZ 2007, 46, 48).

[29] b) Die frei gewählte Annahme einer deutschsprachigen Adelsbezeichnung im Wege einer unter ausländischem Recht erfolgten isolierten Namensänderung verstößt im vorliegenden Fall gegen den materiellen ordre public (Art. 48 Satz 1 Halbs. 2 EGBGB).

[30] aa) Hierfür reicht es allerdings noch nicht aus, dass der von der ASt. gewählte Name wegen zwingend entgegenstehender Vorschriften unter deutschem Recht nicht hätte gebildet werden können. Vielmehr kommt es darauf an, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts im konkreten Einzelfall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint (vgl. BGH, Urt. vom 8.5.2014 – III ZR 371/12 (IPRspr 2014-269), SchiedsVZ 2014, 151 Rz. 29 m.w.N. und BGHZ 104, 240, 243 = NJW 1988, 2173, 2174).

[31] bb) Es muss nicht grundsätzlich entschieden werden, ob es – wie das BeschwG meint – bereits gegen den inländischen ordre public verstößt, wenn ein ausländisches Recht dem Namensträger freie Hand lässt, seinen Namen durch private Willenserklärung (bzw. im Wege einer gebundenen gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung) jederzeit nach Belieben zu ändern, weil die für das deutsche Recht zentrale Ordnungsfunktion des Namens dessen Kontinuität und Stabilität verlangt (OLG Jena, StAZ 2016, 116 f. (IPRspr. 2016 Nr. 6); OLG Naumburg, StAZ 2014, 338, 340 (IPRspr 2013-13); Erman-Hohloch, BGB, 15. Aufl., Art. 10 EGBGB Rz. 13; Wall, StAZ aaO 49; Rauscher, LMK 2016, 381541; dagegen Staudinger-Hausmann aaO Art. 10 EGBGB Rz. 163 f.; jurisPK-BGB-Janal [Stand: März 2017] Art. 10 EGBGB Rz. 39; BeckOK-BGB-Mäsch aaO Art. 10 EGBGB Rz. 13). Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ist aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn die isolierte Namensänderung – wie es bei der ASt. erkennbar der Fall ist – allein von der Motivation getragen wird, durch die Führung eines Namens mit Adelsbezeichnungen den Eindruck der Zugehörigkeit zu einer (vermeintlich) herausgehobenen sozialen Gruppe zu erwecken.

[32] (1) Art. 109 III 2 WRV dient – wie bereits seine systematische Stellung bei den Gleichheitsgrundrechten der WRV verdeutlicht – der Verwirklichung der staatsbürgerlichen Gleichheit (Art. 3 GG), mithin einem wesentlichen materiellen Grundwert der inländischen Rechtsordnung. Zwar haben die Adelsbezeichnungen mit der Aufhebung der Standesvorrechte durch die Länder des damaligen Deutschen Reichs ihre ursprüngliche Funktion verloren, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten öffentlich-rechtlich privilegierten Bevölkerungsgruppe zu kennzeichnen. Die bloße Abschaffung des Adels als rechtlicher Institution hat aber auch mehrere Generationen nach dem Inkrafttreten der WRV unzweifelhaft noch nichts daran geändert, dass den funktionslos gewordenen Adelsbezeichnungen im Namen in der Vorstellung breiter Bevölkerungskreise weiterhin eine besondere soziale und gesellschaftliche Bedeutung beigemessen wird (vgl. OLG Karlsruhe aaO 1534; OLG Jena aaO; Voppel, NZFam 2014, 1051, 1052; Otto, StAZ 2016, 225, 231; vgl. auch BVerwG, StAZ aaO). Es entspricht dem Gebot staatsbürgerlicher Gleichheit, wenn der Staat dem Bestreben Einzelner, sich durch eine isolierte Änderung des Namens den Anschein einer gegenüber anderen Bürgern herausgehobenen sozialen oder gesellschaftlichen Stellung zu geben, seine Mitwirkung verweigert.

[33] (2) Demgegenüber ist eingewendet worden, dass es der konsequenten Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes sogar besser diene, wenn der Erwerb einer Adelsbezeichnung als Namensbestandteil im Wege der isolierten Namensänderung für jedermann eröffnet werden würde, weil die abweichende Handhabung die vermeintliche Exklusivität der Adelsbezeichnungen überhaupt erst absichere (vgl. Dutta aaO 1218; Otto aaO; vgl. auch Schlussanträge des GA Wathelet vom 14.1.2016 in der Rs C-438/14 aaO Rz. 107) ...

[34] Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. [...] Eine solche Namenswahl wäre an tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen – etwa das Vorliegen eines wichtigen Grunds bei der öffentlich-rechtlichen Namensänderung nach § 3 I NamÄndG oder an einen hinreichenden Auslandsbezug bei der Namensangleichung nach Art. 48 EGBGB – geknüpft, die nur wenige Personen überhaupt erfüllen können und die einer isolierten Namensänderung deshalb einen ausgesprochenen Ausnahmecharakter verleihen. Würde der Staat entgegen der aus dem zweiten Halbsatz des Art. 109 III 2 WRV zu entnehmenden Grundentscheidung einzelnen Personen, denen es bei der isolierten Namensänderung gerade um die Teilhabe an der vermeintlichen Exklusivität von Adelsbezeichnungen geht, die von ihnen gewünschte Namensführung ermöglichen, wäre schon wegen der Begrenztheit dieses Personenkreises kein messbarer Einfluss auf den gesellschaftlichen Bedeutungswandel in Bezug auf Adelsbezeichnungen zu erwarten (vgl. OVG Hamburg aaO; vgl. auch OLG Karlsruhe aaO).

[35] c) Auch das Unionsrecht gebietet es nicht, die nach deutschem ordre public unzulässigen Namensbestandteile ‚Gräfin von’ im Wege einer Namensangleichung anzuerkennen.

[36] aa) Nach der Rspr. des EuGH berührt es die Ausübung des in Art. 21 AEUV verankerten Freizügigkeitsrechts, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats es ablehnen, den von einem seiner Staatsangehörigen bei einem Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Namen so anzuerkennen, wie er dort bestimmt wurde. Von einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV ist dann auszugehen, wenn dem Betroffenen als Folge der Nichtanerkennung schwerwiegende Nachteile administrativer, beruflicher oder privater Art drohen; dies ist insbes. dann der Fall, wenn die unterschiedliche Namensführung Zweifel an der Identität der Person, an der Echtheit der Dokumente oder an der Wahrheitsgemäßheit der darin enthaltenen Angaben wecken kann (EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 39; Urt. vom 22.12.2010 – Ilonka Sayn-Wittgenstein ./. Landeshauptmann von Wien, Rs C-208/09, FamRZ 2011, 1486 Rz. 69). Insoweit hat das BeschwG – aus seiner Sicht folgerichtig – keine konkreten Feststellungen zu schwerwiegenden Nachteilen getroffen, die der ASt. aufgrund der Namensverschiedenheit drohen; das Vorhandensein solcher Nachteile liegt bei einem Doppelstaatler freilich nahe (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 41 ff.).

[37] bb) Es kommt hierauf aber letztlich nicht an, weil die Beschränkung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 21 AEUV durch die Versagung der Namensangleichung unter Berufung auf den nationalen ordre public unionsrechtlich jedenfalls gerechtfertigt ist.

[38] ... In diesem Zusammenhang hat der EuGH den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Prüfung ihres namensrechtlichen ordre public ausdrücklich betont (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 68; Rs C-208/09 aaO Rz. 87). Das entspricht der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union, die auf dem Gebiet des Namensrechts keine materielle Kompetenz besitzt. Den Mitgliedstaaten muss bei der Prüfung, welche Grundsätze des Namensrechts unverzichtbarer Bestandteil ihrer öffentlichen Ordnung sind, ein der inhaltlichen Kontrolle entzogener Kernbereich verbleiben, innerhalb dessen sie auch eigene rechtspolitische Wertungen zur Geltung bringen können (vgl. MünchKomm-von Hein aaO Art. 3 EGBGB Rz. 120).

[39] ... Weil in Deutschland die Führung von Adelsbezeichnungen im Namen ... nicht generell verboten ist, sondern bestimmte Personen in Deutschland in ihrem Namen zulässigerweise Bestandteile führen können, die ehemaligen Adelsbezeichnungen entsprechen, darf einem im Ausland frei gewählten Namen mit Adelsbezeichnungen die Anerkennung nur dann verweigert werden, wenn dies zur Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 64, 80). Dies zu beurteilen ist Sache der nationalen Gerichte, weil hierzu eine Analyse und Abwägung verschiedener, dem Mitgliedstaat eigener rechtlicher und tatsächlicher Aspekte erforderlich ist (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 78).

[40] (1) ... Zur Verwirklichung dieses legitimen Zwecks ist es geeignet, aber auch erforderlich, einem in einem anderen Mitgliedstaat der EU ohne jeglichen familiären Hintergrund frei gewählten Namen jedenfalls in Bezug auf die dem Namen hinzugefügten Adelsbezeichnungen die Anerkennung im Inland zu versagen.

[41] (2) Die Abwägung zwischen den Belangen der deutschen öffentlichen Ordnung, für die der Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichheit kennzeichnend ist und dem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht ergibt, dass die Beschränkung des Freizügigkeitsrechts der ASt. unter den hier obwaltenden Umständen auch verhältnismäßig ist. Dies ergibt sich unter besonderer Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH für die im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachtenden Gesichtspunkte (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 81 f.) aus dem Folgenden:

[42] (a) Die ASt. besitzt sowohl die deutsche als auch die britische Staatsangehörigkeit, und sie hat mit der freien Namenswahl durch deed poll von einem Recht Gebrauch gemacht, das jedem britischen Staatsangehörigen zukommt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die von der ASt. gewählten Namensbestandteile ‚Gräfin von’ formell weder nach deutschem noch nach englischem Recht die Zugehörigkeit zu einem herausgehobenen Stand bezeichnen.

[43] (b) Andererseits hat es der EuGH ausdrücklich gebilligt, dass die Freiwilligkeit einer Namensänderung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Beachtung finden kann. [...] Der EuGH betont insoweit die Berücksichtigung der Motive für die freiwillig erfolgte Namensänderung (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 56, 58). Ob hieraus gefolgert werden kann, dass die Mitgliedstaaten schon beim Fehlen einer gewichtigen, zumindest aber nachvollziehbaren Motivation für die Namensänderung deren Anerkennung verweigern dürfen, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist die Verweigerung der Namensangleichung nicht unverhältnismäßig, wenn das erkennbar einzige Motiv für die isolierte Namensänderung unter einem ausländischen Recht darin besteht, fortan einen Namen tragen zu können, der aus Gründen der öffentlichen Ordnung in Deutschland auf diesem Wege nicht erworben werden kann. Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des BeschwG bestehen keine – wie immer gearteten – sozialen Beziehungen zwischen der ASt. und einem Träger des von ihr gewählten Namens. Eine andere Motivation als die, über die Namensänderung unter englischem Recht einen Familiennamen annehmen zu können, der wegen der Adelsbezeichnung als Namensbestandteil den Eindruck einer vermeintlich hervorgehobenen sozialen und gesellschaftlichen Bedeutung vermitteln soll, ist nicht erkennbar und auch nicht behauptet.

[44] (c) Schließlich ist die Versagung der Namensangleichung auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil etwa die Gefahr bestünde, verwandtschaftlichen Beziehungen ... nicht belegen zu können (vgl. EuGH, Rs C-438/14 aaO Rz. 81). [...] Der von den Kindern erworbene Name ‚Graf von F.’ ist deshalb unter englischem Namensrecht – obwohl dieser Eindruck beabsichtigt sein dürfte – keine geschlechtsspezifische Abwandlung des von der ASt. im Vereinigten Königreich geführten Namens ‚Gräfin von F.’.

[45] d) Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob und ggf. unter welchen weiteren Voraussetzungen eine Namensänderung nach englischem Recht mit dem Ziel, eine frei gewählte Adelsbezeichnung auch nach deutschem Recht führen zu dürfen, einen Missbrauch des Freizügigkeitsrechts aus Art. 21 AEUV darstellt (vgl. MünchKomm-von Hein aaO; Janal GPR aaO 70).

[46] 3. Ob im Rahmen des Art. 48 EGBGB die Wahl des Namens ‚S. V. M. F.’ – ohne Adelsbezeichnungen – zulässig gewesen wäre, bedarf keiner Erörterung, weil das Begehren der ASt. in diesem Verfahren nicht erkennen lässt, dass sie an einer Fortschreibung des deutschen Geburtsregisters mit diesem Namen interessiert sein könnte.

Fundstellen

Bericht

Erbarth, FamRB, 2019, 47, u. 66
Soyka, FuR, 2019, 164
Kienemund, NZFam, 2019, 139

LS und Gründe

FamRZ, 2019, 218
FGPrax, 2019, 93
InfAusIR, 2019, 86
IPRax, 2019, 542
MDR, 2019, 166
NJW-RR, 2019, 321
NZFam, 2019, 65, m. Anm. Löhnig

Aufsatz

Möllnitz, IPRax, 2019, 513
Otto, StAZ, 2019, 71, u. 77

nur Leitsatz

ZAR, 2019, 41

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