Bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen ohne erforderliche Erlaubnis liegt der Handlungsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II nicht im Inland, wenn der Vertrag mit dem Finanzdienstleister im Ausland (hier: in der Schweiz) geschlossen wurde. Dies gilt auch dann, wenn eine dritte Person im Inland Kunden angeworben und dem Finanzdienstleister zugeführt hat. [LS der Redaktion]
[Das vorgehende Urteil des OLG Stuttgart vom 26.10.2015 – 5 U 46/15 – wurde bereits im Band IPRspr. 2015 unter der Nr. 235 abgedruckt; zum SV siehe im Weiteren dort.]
Der in Deutschland wohnhafte Kl. nimmt den in der Schweiz wohnhaften Bekl. auf Schadenersatz wegen unerlaubter Erbringung von Finanzdienstleistungen im Inland, hilfsweise wegen fehlerhafter Vermögensverwaltung in Anspruch.
Das LG hat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit bejaht, die landgerichtliche Entscheidung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Bekl. die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
[7] II. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist die – auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (vgl. Urteile vom 7.7.2015 – VI ZR 372/14 (IPRspr 2015-51), VersR 2015, 1385 Rz. 13, und vom 9.6.2016 – IX ZR 314/14 (IPRspr 2016-36), WM 2016, 1168 Rz. 32 jew. m.w.N.) – internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nicht gegeben.
[8] 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall die internationale Zuständigkeit nach dem vorbezeichneten Übereinkommen zu bestimmen ist, dessen verwendete Begriffe grundsätzlich autonom auszulegen sind (vgl. etwa Senat, VU vom 24.6.2014 – VI ZR 347/12 (IPRspr 2014-212), IPRax 2015, 423 Rz. 14 ff. m.w.N.).
[9] 2. Eine Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ II, der als Ausnahme vom grundsätzlichen Beklagtenwohnsitzprinzip in Art. 2 LugÜ II einen Gerichtsstand am Ort der unerlaubten Handlung zulässt, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht gegeben.
[10] a) ... [11] aa) Danach ist eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet, wenn der Kläger die erforderlichen Tatsachen für eine im Inland begangene unerlaubte oder dieser gleichgestellten Handlung des Beklagten im Sinne der autonom auszulegenden Vorschrift des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II schlüssig behauptet (vgl. Senat, VU vom 24.6.2014 aaO Rz. 18 m.w.N.).
[12] bb) Für die Auslegung des Übereinkommens gelten im Wesentlichen dieselben Auslegungsgrundsätze wie für die Auslegung der EuGVO. Nach st. Rspr. des EuGH beruht die besondere Zuständigkeit am Ort der unerlaubten Handlung darauf, dass zwischen der Streitigkeit und anderen Gerichten als denen des Staats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, eine besonders enge Beziehung besteht, die aus Gründen der Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme eine Zuständigkeit dieser Gerichte rechtfertigt. Dabei ist der Begriff ‚Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist’ in Art. 5 Nr. 3 EuGVO und im gleichlautenden Art. 5 Nr. 3 LugÜ II so zu verstehen, dass er sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) meint. Beide Orte können unter dem Aspekt der gerichtlichen Zuständigkeit eine signifikante Verknüpfung begründen, da jeder von beiden je nach Lage des Falls für die Beweiserhebung und für die Gestaltung des Prozesses einen besonders sachgerechten Anhaltspunkt liefern kann (vgl. Senat, Versäumnisurteil vom 24.6.2014 aaO Rz. 28 m.w.N.).
[13] b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht einen inländischen Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) einer behaupteten unerlaubten Handlung des Bekl. mit Recht und von der Revisionserwiderung unangegriffen verneint. Der den Gerichtsstand begründende Erfolgsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 EuGVO bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜ II kann zwar auch der Ort der Minderung des Kontoguthabens sein (vgl. BGH, Urteile vom 13.7.2010 – XI ZR 57/08 (IPRspr 2008-25) Rz. 30 und XI ZR 28/09 (IPRspr 2010-228) Rz. 32; vom 12.10.2010 – XI ZR 394/08 Rz. 32; vom 15.11.2011 – XI ZR 54/09 (IPRspr 2011-245) Rz. 32 jew. m.w.N.; vom 15.2.2011 – VI ZR 189/10 und vom 24.6.2014 aaO Rz. 33). Dieser lag hier jedoch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der Schweiz, denn die Anlagesumme wurde vom Kl. und dessen Ehefrau von ihrem dortigen Konto bei der W.-Bank überwiesen.
[14] c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt aber auch kein Handlungsort im Inland vor.
[15] aa) Handlungsort im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II bzw. Art. 5 Nr. 3 EuGVO ist der Ort, an dem die schadensbegründende Handlung vorgenommen wurde bzw. der ‚Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens’ (EuGH, Urt. vom 16.5.2013 – Melzer ./. MF Global UK Ltd., Rs C 228/11, WM 2013, 1257 Rz. 25).
[16] bb) Der Bekl. war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht selbst als Verursacher im Inland tätig, sondern ausschließlich in der Schweiz. Dort wurden die abschließenden Beratungsgespräche geführt, der Vermögensverwaltungsvertrag geschlossen und ausgeführt.
[17] cc) Soweit das Berufungsgericht das Handeln des Zeugen Sch. dem Bekl. als dessen ‚verlängerter Arm’ zurechnen will, steht dies in Widerspruch zur Rspr. des EuGH (EuGH, Urt. vom 16.5.2013 aaO).
[18] (1) Danach ist Art. 5 Nr. 3 EuGVO dahin auszulegen, dass er es nicht erlaubt, aus dem Ort der Handlung, die einem der mutmaßlichen Verursacher eines Schadens – der nicht Partei des Rechtsstreits ist – angelastet wird (hier: Werbetätigkeit des Zeugen Sch. im Inland), eine gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf einen anderen, nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts tätig gewordenen mutmaßlichen Verursacher dieses Schadens (hier: der Bekl.) herzuleiten.
[19] (2) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sprechen im vorliegenden Fall nicht nur der Tenor, sondern auch die Erwgr. des EuGH im Fall Melzer (Urt. vom 16.5.2013 aaO) gegen die Annahme eines Handlungsorts in Deutschland, der sich aus der Zurechnung des Verhaltens des Sch. ergeben soll ...
[21] (3) Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall, in dem ebenfalls mehrere Schadensverursacher in Rede stehen, und lassen sich nicht mit dem – rechtlich unspezifischen – Argument des Berufungsgerichts übergehen, der Zeuge Sch. sei als ‚verlängerter Arm’ des Bekl. tätig geworden. Eine solche Lösung, die dazu führen würde, dass unter dem Gesichtspunkt des für den Schaden ursächlichen Geschehens gegen den mutmaßlichen Verursacher eines Schadens vor einem Gericht eines Mitgliedstaats Klage erhoben werden könnte, in dessen Bezirk er weder tätig geworden noch der Erfolg eingetreten ist, ginge über die von der Verordnung ausdrücklich erfassten Fallgestaltungen hinaus und verstieße damit gegen ihre Systematik und ihre Zielsetzungen (vgl. EuGH, Urt. vom 16.5.2013 aaO Rz. 36).
[22] (4) Darüber hinaus ergibt sich auch aus dem Wortlaut der o.g. Entscheidung eindeutig, dass für die Begründung des Gerichtsstands des Handlungsorts einer unerlaubten Handlung im Sinne des Art. 5 Nr. 3 LugÜ II bzw. Art. 5 Nr. 3 EuGVO erforderlich ist, dass der Verursacher ‚selbst’ und nicht durch einen Dritten als sein ‚verlängerter Arm’ dort tätig geworden sein muss. Denn der EuGH führt aus, dass das Gericht, in dessen Bezirk der mutmaßliche Verursacher ‚selbst nicht tätig geworden ist’, seine Zuständigkeit nicht aus dem Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens herleiten kann ...
[24] III. Das Urteil des Berufungsgerichts ist auch nicht deshalb im Ergebnis richtig (vgl. § 561 ZPO), weil sich die internationale Zuständigkeit aus einem anderen besonderen Gerichtsstand ergäbe.
[25] 1. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klage gegen den Bekl. als ehemaligem Vorstand einer ausländischen Kapitalgesellschaft nicht auf den Verbrauchergerichtsstand am Wohnsitz des Verbrauchers nach Art. 16 I LugÜ II gestützt werden kann. Der Kl. stand nur mit der G. AG in vertraglichen Beziehungen, nicht mit dem Bekl. Der Bekl. soll nach dem Klägervortrag für sein Verhalten als Organ einer Kapitalgesellschaft haften und nicht aus einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung, weswegen kein Fall vergleichbar der Senatsentscheidung vom 5.10.2010 (VI ZR 159/09 (IPRspr 2010-184b), BGHZ 187, 156) vorliegt. Für die Fallkonstellation der Haftung des Organwalters im vertraglichen Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 I EuGVO, der mit Art. 5 I LugÜ II gleichlautend ist, hat der Senat dies mit seinen beiden Urteilen vom 24.6.2014 (aaO und – VI ZR 315/13 (IPRspr 2014-211), WM 2014, 1614 Rz. 28; vgl. auch EuGH, Urt. vom 18.7.2013 – Östergötlands Fastigheter AB ./. Frank Koot und Evergreen Investments BV, Rs C-147/12, ZIP 2013, 1932 Rz. 41) klargestellt.
[26] 2. Soweit der Kl. hilfsweise einen Anspruch wegen fehlerhafter Durchführung der Vermögensverwaltung geltend macht, hat das Berufungsgericht einen Gerichtsstand in Deutschland ebenfalls mit Recht verneint. Für eine solche unerlaubte Handlung lägen sowohl der Handlungs- als auch der Erfüllungsort in der Schweiz, wo die Vermögensverwaltung stattfand.