PDF-Version

Verfahrensgang

LG Frankfurt/Main, Urt. vom 22.08.2012 – 2-18 O 374/10
OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 05.12.2013 – 16 U 183/12
BGH, Urt. vom 09.06.2016 – IX ZR 314/14, IPRspr 2016-36
OLG Frankfurt/Main, Urt. vom 14.05.2020 – 16 U 183/12, IPRspr 2020-290

Rechtsgebiete

Vertragliche Schuldverhältnisse → Allgemeines Vertragsrecht
Insolvenz- und Anfechtungsrecht
Handels- und Transportrecht → Wertpapierrecht

Leitsatz

Sind die Parteien eines Rechtsstreits Kaufleute, die gemäß § 38 I ZPO Gerichtsstandsvereinbarungen treffen können, lässt diese Vorschrift angesichts ihres offenen Wortlauts alle Prorogationen einschließlich einer internationalen Prorogation uneingeschränkt zu.

Die zulässige Wahl deutschen Rechts führt dazu, dass in Abweichung von der in § 335 InsO angeordneten lex fori concursus (hier: englischem Recht) gemäß § 340 II InsO deutsches Recht auch hinsichtlich der Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf eine rahmenvertragliche Aufrechnungsvereinbarung im Sinne finanzmarktspezifischer Verrechnungsformen (sogenannte Netting-Vereinbarungen) Anwendung findet.

Treffen Parteien von Aktienoptionsgeschäften, die dem deutschen Recht unterliegen, für den Fall der Insolvenz einer Partei eine Abrechnungsvereinbarung, welche § 104 InsO widerspricht, ist diese insoweit unwirksam und die Regelung des § 104 InsO unmittelbar anwendbar. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

EGBGB Art. 27
EuGVVO 1215/2012 Art. 66
EUGVVO 44/2001 Art. 1; EUGVVO 44/2001 Art. 23
EuInsVO 1346/2000 Art. 1; EuInsVO 1346/2000 Art. 2; EuInsVO 1346/2000 Art. 3; EuInsVO 1346/2000 Art. 4
InsO § 103; InsO § 104; InsO § 119; InsO § 335; InsO § 340
Rom I-VO 593/2008 Art. 28
ZPO § 38; ZPO § 39; ZPO § 40

Sachverhalt

Die Parteien streiten nach dem Eintritt der Insolvenz der Bekl., einer Handelsgesellschaft englischen und walisischen Rechts mit Sitz in London, die zu der aus der Finanzkrise 2008 bekannten Lehman-Gruppe gehört, um Ansprüche aus zuvor geschlossenen Optionsgeschäften. Die Kl. zu 1) ist eine GmbH. Ihr Vermögen besteht im Wesentlichen aus SAP-Aktien. Die Kl. zu 2) ist eine KG. Ihr Vermögen besteht u.a. aus SAP-Aktien. Die Bekl. schloss im Oktober 2005 mit beiden Kl. Optionsgeschäfte ab. Diese wurden in der Folgezeit mehrfach geändert. Den Einzelabschlüssen lag u.a. der „Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte“ zugrunde. Im September 2008 stellten die Direktoren der Bekl. beim zuständigen High Court of Justice in London Antrag auf eine administration nach englischem Insolvenzrecht. Das Verfahren wurde noch am selben Tag eröffnet; zwischen der Bekl. und den Kl. war noch jeweils ein Optionsgeschäft offen. Die Parteien streiten darüber, welche Auswirkungen die Insolvenz der Bekl. vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrags hat. Die Kl. haben zunächst auf Feststellung geklagt, dass der Bekl. gegen sie kein Zahlungsanspruch aus dem Rahmenvertrag zustehe. Nachdem die Bekl. Widerklage auf Leistung erhoben hatte, haben die Kl. die Feststellungsklage in der Hauptsache einseitig für erledigt erklärt. Die Kl. haben gegen die Widerklageforderung hilfsweise die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch gegen die Bekl. wegen fehlerhafter Beratung zu den streitgegenständlichen Optionsgeschäfte erklärt. Die Bekl. hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Das LG hat festgestellt, dass die Klage in der Hauptsache erledigt ist. Die Widerklage hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Bekl. hat das Berufungsgericht das Urteil des LG im Hinblick auf die Widerklage abgeändert und dieser bis auf einen kleinen Teil der geltend gemachten Hauptforderung und das Zinsbegehren stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kl. ihre Widerklageabweisungsanträge weiter. Mit der Anschlussrevision verfolgt die Bekl. ihr Zinsbegehren weiter.

Aus den Entscheidungsgründen:

[31] II. Die Ausführungen, die mit der Revision der Kl. angegriffen werden, halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten Stand.

[32] 1. Die – auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (BGH, Urt. vom 28.11.2002 – III ZR 102/02 (IPRspr. 2002 Nr. 157), BGHZ 153, 82, 84 ff.; vom 9.7.2009 – Xa ZR 19/08 (IPRspr 2009-28), BGHZ 182, 24 Rz. 9; vom 9.3.2010 – XI ZR 93/09 (IPRspr 2010-49b), BGHZ 184, 365 Rz. 17; vom 3.5.2011 – XI ZR 373/08 (IPRspr 2011-301), WM 2011, 1465 Rz. 21; vom 20.12.2012 – IX ZR 130/10 (IPRspr 2012-331), WM 2013, 333 Rz. 10; vom 8.1.2015 – IX ZR 300/13, WM 2015, 485 Rz. 9) internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte liegt vor, weil die Parteien in den Bestätigungsschreiben vom 19.12.2005 Frankfurt am Main wirksam als nicht ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart haben.

[33] a) Dieser Vereinbarung steht nicht die nach der Rspr. des EuGH (Urt. vom 12.2.2009 – Christopher Seagon ./. Deko Marty Belgium N.V., Rs C-339/07, Slg. 2009, I-791 Rz. 20 ff.) nach Art. 3 I EuInsVO eröffnete internationale Zuständigkeit der Gerichte des insolvenzeröffnenden Mitgliedstaats für Klagen entgegen, die im Sinne von Erwgr. 6 der VO unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Diese Verordnung ist vorliegend nicht anwendbar, weil die Bekl. eine Wertpapierfirma im Sinne des Art. 1 II EuInsVO ist.

[34] b) Offen bleiben kann, ob die Vereinbarung bereits aufgrund des Art. 23 I EuGVO a.F. [die VO (EU) Nr. 1215/2012 ist ausweislich ihres in Art. 66 I geregelten zeitlichen Anwendungsbereichs vorliegend noch nicht anwendbar] die Zuständigkeit deutscher Gerichte wirksam begründet hat. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift wären zwar erfüllt. Die EuGVO a.F. ist aber gemäß ihrem Art. 1 II lit. b nicht auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren anzuwenden. Der EuGH hat dazu entschieden, dass diese Vorschrift nur Klagen ausschließt, die sich unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren herleiten und in engem Zusammenhang damit stehen (EuGH, Urt. vom 19.4.2012 – F-Tex SIA ./. Lietuvos-Anglijos UAB ‚Jadecloud-Vilma’, ZIP 2012, 1049 Rz. 29). Ob die vorliegende Klage danach in den Anwendungsbereich der EuGVO a.F. fällt, erscheint nicht ganz zweifelsfrei, weil sie sich zwar nicht unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren, aber doch unmittelbar aus der Insolvenz der Bekl. herleitet.

[35] c) Selbst wenn Art. 23 I EuGVO a.F. nicht anwendbar wäre, begründete die Vereinbarung die Zuständigkeit deutscher Gerichte, wie sich aus dem gegenüber der EuGVO a.F. subsidiären § 38 I ZPO ergibt (Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 38 Rz. 24 m.w.N.).

[36] aa) Bei den Parteien handelt es sich um Kaufleute, die gemäß § 38 I ZPO Gerichtsstandsvereinbarungen treffen können. § 38 I ZPO lässt für den von dieser Vorschrift erfassten Personenkreis angesichts seines offenen Wortlauts alle Prorogationen einschließlich einer internationalen Prorogation uneingeschränkt zu.

[37] bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 38 II 3 ZPO, wonach dann, wenn eine der Parteien einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand hat, für das Inland nur ein Gericht gewählt werden kann, bei dem diese Partei ihren allgemeinen Gerichtsstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist.

[38] (1) Die Kl. haben zwar einen inländischen allgemeinen Gerichtsstand und weder ist dieser Gerichtsstand Frankfurt am Main, noch ist dort ein besonderer Gerichtsstand begründet. Allerdings betreffen die Absätze 2 und 3 des § 38 ZPO Gerichtsstandsvereinbarungen solcher Personen, die nicht schon unter Absatz 1 fallen. Dies lässt sich den Worten ‚ferner’ in § 38 II 1 ZPO und ‚im Übrigen’ in § 38 III ZPO entnehmen (Stein-Jonas-Bork, ZPO, 23. Aufl., § 38 Rz. 21; vgl. auch Prütting-Gehrlein-Lange, ZPO, 6. Aufl., § 38 Rz. 9; vgl. auch den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks. 7/1384 S. 4), wonach § 38 II ZPO n.F. ‚auch anderen Personen als Vollkaufleuten’ die Möglichkeit zugestehe, Gerichtsstandsvereinbarungen abzuschließen.

[39] (2) Sinn und Zweck des § 38 II 3 ZPO ist es, inländische Verbraucher zu schützen, indem im Fall ihrer Beteiligung die Wahl der möglichen Gerichtsstände im Inland auf solche begrenzt wird, für die nach dem geltenden Recht ohnehin ein Anknüpfungspunkt gegeben ist (Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drucks. 7/1384 aaO). Der inländische Verbraucher soll bei Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands nicht schlechter stehen, als wenn er einen inländischen Vertragspartner hätte (Samtleben, NJW 1974, 1590, 1595 f.). Ist aber kein inländischer Verbraucher beteiligt, kommt diese Erwägung nicht zum Tragen (vgl. OLG München, Urt. vom 23.3.2000 – 1 U 5958/99, n.v.).

[40] (3) Würde § 38 II 3 ZPO auch für Gerichtsstandsvereinbarungen unter Kaufleuten gelten, hätte dies die unverständliche Folge, dass inländische Kaufleute, wenn sie mit anderen inländischen Kaufleuten eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen, in der Wahl des inländischen Gerichtsstands frei wären, während sie mit ausländischen Kaufleuten nur solche Gerichte wählen könnten, bei denen sie ihren allgemeinen Gerichtsstand haben oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist.

[41] (4) Im Ergebnis muss deshalb in dem hier gegebenen Fall, dass alle Parteien Kaufleute sind und zumindest eine der Parteien einen inländischen Gerichtsstand hat, nicht gemäß § 38 II 3 ZPO zwingend ein Gericht gewählt werden, bei dem diese Partei den allgemeinen Gerichtsstand hat oder ein besonderer Gerichtsstand begründet ist (vgl. OLG Saarbrücken, NJW 2000, 670, 671 (IPRspr. 1999 Nr. 129); OLG München aaO; Stein-Jonas-Bork aaO; Prütting-Gehrlein-Lange aaO; MünchKommZPO-Patzina, 4. Aufl., § 38 Rz. 24; Musielak-Voit-Heinrich, ZPO, 13. Aufl., § 38 Rz. 13; Samtleben aaO).

[42] d) Jedenfalls wäre Frankfurt am Main als Gerichtsstand und damit die Zuständigkeit deutscher Gerichte durch die rügelosen Einlassungen der Kl. begründet worden. § 39 ZPO ist auch auf die internationale Zuständigkeit entsprechend anwendbar (BGH, Urt. vom 26.1.1979 – V ZR 75/76 (IPRspr. 1979 Nr. 156), WM 1979, 445, 446). Seine Voraussetzungen sind erfüllt. Die Kl. haben zur Hauptsache mündlich verhandelt, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen. Eine Ausnahme nach § 40 ZPO liegt nicht vor ...

[50] 3. Zutreffend ist das Berufungsgericht unausgesprochen davon ausgegangen, dass auf den Rahmenvertrag deutsches Recht Anwendung findet. Dies folgt aus Nr. 11 II des Rahmenvertrags, wo die Anwendung deutschen Rechts vereinbart wurde.

[51] a) Zu einer solchen Rechtswahl waren die Parteien ausweislich des bei Vertragsschluss noch anwendbaren (vgl. Art. 28 Rom-I-VO) Art. 27 I 1 EGBGB a.F. befugt. Insbesondere stand der Rechtswahl nicht Art. 4 I EuInsVO entgegen. Danach gälte für das Insolvenzverfahren (um ein solches handelt es sich bei der administration, vgl. Art. 2 lit. a EuInsVO i.V.m. Anhang A Stichwort: United Kingdom, 3. Spiegelstrich) und seine Wirkungen grundsätzlich das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet worden ist. Die Verordnung und damit auch deren Art. 4 I findet vorliegend aber – wie oben unter 1. ausgeführt – keine Anwendung.

[52] b) Die zulässige Wahl deutschen Rechts als das auf den Rahmenvertrag anzuwendende Recht führt dazu, dass in Abweichung von der in § 335 InsO angeordneten lex fori concursus (hier: dem englischen Recht) gemäß § 340 II InsO deutsches Recht auch hinsichtlich der Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf rahmenvertragliche Aufrechnungsvereinbarung im Sinne finanzmarktspezifischer Verrechnungsformen, die sog. Netting-Vereinbarungen, Anwendung findet (zur Auslegung des Begriffs Aufrechnungsvereinbarung im Sinne von Netting-Vereinbarung vgl. FK-InsO-Wenner-Schuster, 8. Aufl., § 340 Rz. 11; Andres-Leithaus-Dahl, InsO, 3. Aufl., § 340 Rz. 7; MünchKommInsO-Jahn/Fried, 3. Aufl., § 340 Rz. 6; Kübler-Prütting-Bork-Paulus, InsO, 2014, § 340 Rz. 12; Braun-Tashiro, InsO, 6. Aufl., § 340 Rz. 4; Uhlenbruck-Lüer, InsO, 14. Aufl., § 340 Rz. 16). Bei Nrn. 8 und 9 des Rahmenvertrags handelt es sich um eine derartige Netting-Vereinbarung, weil darin die Saldierung verschiedener Zahlungsströme geregelt wird. Dass es hier letztlich nur um Ansprüche der Bekl. geht, also keine Saldierung im Raum steht, ändert daran nichts.

[53] 4. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Bekl. gegenüber den Kl. ein Anspruch in Höhe des Marktpreises der Optionen zusteht. Dies folgt allerdings nicht aus dem Rahmenvertrag, sondern aus § 104 II 1 und III 1 und 2 InsO. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist allerdings nicht der Marktpreis vom 15.9.2008, sondern derjenige vom 17.9.2008 maßgeblich.

[54] a) Das in § 104 InsO geregelte Ausgleichsregime im Insolvenzfall ist gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig. Dies ergibt sich aus § 119 InsO, wonach Vereinbarungen, die wie die Vorliegende im Voraus die Anwendung von § 104 InsO beschränken, unwirksam sind.

[55] aa) Ob die abweichend von § 104 InsO bereits für den Fall des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffene Vereinbarung der auflösenden Bedingung wirksam ist, weil sie als solche die in § 104 InsO vorgesehenen Rechtsfolgen nicht ändert (vgl. FK-InsO-Wegener aaO § 104 Rz. 33; Uhlenbruck-Lüer aaO § 104 Rz. 38; Böhm, Rechtliche Aspekte grenzüberschreitender Nettingvereinbarungen, 2001, 175 f.; Jaeger-Jacoby, InsO, 2014, § 119 Rz. 41; Zimmer/Fuchs, ZGR 2010, 597, 633; Leonhardt-Smid-Zeuner, InsO, 3. Aufl., § 104 Rz. 33), insbesondere nicht ein gemäß § 104 II InsO ohnehin nicht bestehendes Wahlrecht des Insolvenzverwalters aushöhlen kann (Graf-Schlicker/Bornemann, InsO, 4. Aufl., § 104 Rz. 37), kann dahinstehen.

[56] bb) Die Vereinbarung ist jedenfalls unwirksam, soweit die darin vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im Insolvenzfall von § 104 II und III InsO abweicht (vgl. FK-InsO-Wegener aaO Rz. 34; HK-InsO-Marotzke, 8. Aufl., § 104 Rz. 16; Ehricke, NZI 2006, 564, 566; Uhlenbruck-Lüer aaO; Kieper, Abwicklungssysteme in der Insolvenz, 2004, 69; Berger in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., S. 351).

[57] (1) In der Literatur wird teilweise vertreten, dass vertragliche Abweichungen von der in § 104 III InsO angeordneten Berechnungsweise zulässig seien, wenn sie – wie vorliegend – an einen vor Verfahrenseröffnung liegenden Zeitpunkt anknüpfen (Jaeger-Jacoby aaO Rz. 42; Zimmer/Fuchs aaO 633 f.; Benzler, ZinsO 2000, 1, 8; Benzler, Nettingvereinbarungen im außerbörslichen Derivatehandel, 1999, 272 f).

[58] (2) Der BGH hat jedoch im Zusammenhang mit einer vertraglich vereinbarten und u.a. bereits an den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung anknüpfenden Lösungsklausel, die im Voraus das von § 119 InsO ebenfalls gewährleistete Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausgeschlossen hat, bereits entschieden, dass § 119 InsO – soll dieser nicht leerlaufen – eine Vorwirkung jedenfalls ab dem Zeitpunkt hat, in dem wegen eines zulässigen Insolvenzantrags mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ernsthaft zu rechnen ist (BGH, Urt. vom 15.11.2012 – IX ZR 169/11, BGHZ 195, 348 Rz. 19). Könnte eine Lösungsklausel wirksam an die Insolvenzantragstellung anknüpfen, würde in der Praxis die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst als Anknüpfung für nur dann als unwirksam anzusehende Lösungsklauseln jede Bedeutung verlieren (BGH aaO). Der vor §§ 104, 119 InsO beabsichtigte Masseschutz könnte ohne weiteres ausgeschlossen und der Zweck der Vorschrift unterlaufen werden (BGH aaO).

[59] Zwar hat der BGH in jenem Urteil aus § 119 InsO einen masseschützenden Zweck speziell vor dem Hintergrund des in jenem Fall in Rede stehenden und den Masseschutz bezweckenden Insolvenzverwalterwahlrechts gemäß § 103 InsO entnommen (BGH aaO Rz. 14 u. 19). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, § 119 InsO könne im Zusammenhang mit § 104 III InsO kein solcher Zweck beigemessen werden. Wie sich aus § 104 II InsO ergibt, wird mit dem dort vorgesehenen Ausschluss des Insolvenzverwalterwahlrechts nicht nur der Zweck verfolgt, Ungewissheiten über den weiteren Verlauf des Geschäfts zu beseitigen (vgl. dazu FK-InsO-Wegener aaO Rz. 2 und Jaeger-Jacoby aaO § 104 Rz. 4 ff.), sondern auch der Zweck, die Masse vor Kursspekulationen des Insolvenzverwalters zu schützen (FK-InsO-Wegener aaO; Jaeger-Jacoby aaO Rz. 7; vgl. auch BT-Drucks. 12/7302 S. 167 f).

[60] Es wäre widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 II InsO geschützt werden soll, indem diese Vorschrift kein Insolvenzverwalterwahlrecht vorsieht, andererseits die Parteien gerade diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche Vereinbarungen umgehen könnten, die eine von § 104 III InsO zulasten der Masse abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen. Insbesondere die von den Kl. reklamierte und im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 III InsO vorgesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen Schaden (Nr. 8 II 1 Rahmenvertrag) wäre geeignet, das durch § 104 III InsO gewährleistete Niveau des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 II 3 InsO Rahmenverträge über Finanzleistungen erwähnt werden, eröffnet nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich vorzusehen.

[61] cc) Die Anwendung des § 104 InsO führt nicht zu einem unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis.

[62] (1) Die Kl. können nicht damit gehört werden, dass es sich hier um Aktienoptionen handle, die nicht handelbar seien und vor dem vereinbarten Stichtag nicht ausgeübt werden könnten, weshalb sich ein Gewinn nur realisieren lasse, wenn die Optionen am vereinbarten Stichtag ‚im Geld’ seien. § 104 II und III InsO zielen gerade darauf ab, im Insolvenzfall die Glattstellung solcher Geschäfte anzuordnen, deren Erfüllungszeitpunkt erst nach der Eröffnung liegt. Soweit die Kl. mit Blick auf die Entstehungsgeschichte des § 104 InsO meinen, dass der Gesetzgeber von gängigen Handelswaren ausgegangen sei und es auch deshalb auf die Handelbarkeit oder Ausübbarkeit der Optionen ankommen müsse, hat dies im Gesetz keinen Ausdruck gefunden.

Fundstellen

LS und Gründe

BGHZ, 210, 321
BB, 2016, 1551
DB, 2016, 1746
Die AG, 2016, 538
MDR, 2016, 911
NJW, 2016, 2328
NZI, 2016, 627
WM, 2016, 1168
ZInsO, 2016, 1299
ZIP, 2016, 1226
I.L.Pr., 2017, 7, 552
RIW, 2017, 143
WuB, 2017, 154, m. Anm. Schröder

nur Leitsatz

EWiR, 2016, 535

Bericht

DZWIR, 2017, 100

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2016-36

Lizenz

Copyright (c) 2024 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht
Creative-Commons-Lizenz Dieses Werk steht unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
<% if Mpi.live? %> <% end %>