§ 119 I Nr. 1 lit. b GVG findet auf Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte keine Anwendung.
Zum Ermessen des Tatrichters hinsichtlich der Ermittlung ausländischen Rechts.
Die Gl. betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einer Gesamtforderung von 65 600,53 Euro.
Auf ihren Antrag hat das AG am 13.8.2005 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem angebliche Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin gepfändet worden sind. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Schuldners hat das AG zurückgewiesen. Mit seiner sofortigen Beschwerde hat der Schuldner geltend gemacht, die Gl. sei nicht mehr existent. Die im US-Bundesstaat Delaware registrierte Gl. sei wegen Steuerrückständen inzwischen zwangsgelöscht.
Das LG hat auf die sofortige Beschwerde den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben und die Wirksamkeit der Entscheidung bis zu ihrer Rechtskraft ausgesetzt. Dagegen richtet sich die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde der Gl.
[1]II. Die gemäß §§ 574 I 1 Nr. 2, III 2, 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[2]1. Das LG meint, es sei für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde sachlich zuständig. Eine Zuständigkeit des OLG nach § 119 I Nr. 1 lit. b GVG sei nicht im Hinblick darauf eröffnet, dass die Gl. ihren Sitz im Ausland habe. Nach § 119 I Nr. 1 lit. b GVG sei den OLG die Zuständigkeit für Beschwerden gegen Entscheidungen der AGe in Streitigkeiten über Ansprüche zugewiesen, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes habe. Die Gl. verfolge im vorliegenden Zwangsvollstreckungsverfahren aber keinen materiell-rechtlichen Anspruch im Sinne von § 194 I BGB. Zudem werde eine Zuständigkeit des OLG auch nicht von dem tragenden Gedanken des § 119 I Nr. 1 lit. b GVG gefordert. Dieser bestehe in der Begründung einer Sonderzuständigkeit für Sachen mit Auslandsberührung bei den OLG. In Zwangsvollstreckungsverfahren wie dem vorliegenden komme jedoch ausschließlich nationales Zwangsvollstreckungsrecht zur Anwendung.
[3]Die sofortige Beschwerde sei auch in der Sache begründet. Der Gl. fehle derzeit die Fähigkeit, am Vollstreckungsverfahren beteiligt zu sein. Zwar sei nachgewiesen, dass die Gl. nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware, auf das nach der im Anwendungsbereich von Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. 1956 II 487) anzuwendenden Gründungstheorie abzustellen sei, ordnungsgemäß gegründet wurde. Jedoch sei der Nachweis, dass die Gl. inzwischen nicht erloschen und weiterhin handlungsfähig sei, nicht geführt worden. Hierzu bedürfe es der Vorlage eines certificate of good standing, aus dem sich ergebe, dass die Corporation nach wie vor als juristische Person bestehe. Die Vorlage dieser weiteren Bescheinigung sei hier erforderlich, da nach den vorgelegten Unterlagen die Gesellschaft ihre franchise taxes nicht gezahlt habe und ihr deswegen die Amtslöschung drohe.
[4]2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nur zum Teil stand.
[5]a) Nicht zu beanstanden ist, dass das LG seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde nach § 72 GVG bejaht hat. Die Ausnahmeregelung des § 119 I Nr. 1 lit. b GVG findet auf Beschwerden gegen Entscheidungen der AGe als Vollstreckungsgerichte keine Anwendung.
[6]aa) Ob § 119 I Nr. 1 lit. b GVG auf Beschwerdeverfahren in Zwangsvollstreckungssachen Anwendung findet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
[7]Zum Teil wird diese Frage bejaht mit der Begründung, dass auch in Vollstreckungsverfahren bei Beteiligung einer ausländischen Partei eine Vielzahl kollisionsrechtlicher Problemstellungen auftauchen könne. Gerade dies sei der Grund dafür gewesen, dass der Gesetzgeber über den in § 119 I Nr. 1 lit. c GVG beschriebenen konkreten Anwendungsfall hinaus bei einer Ausländerbeteiligung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten rein formal an diesen Umstand angeknüpft habe, um eine Rechtsmittelzuständigkeit der OLGe zu begründen (vgl. OLG Braunschweig, Rpfleger 2005, 150 (IPRspr 2004-187); OLG Köln, InVO 2004, 512 (IPRspr 2004-185); OLG Frankfurt am Main, DGVZ 2004, 92; Thomas-Putzo-Hüßtege, 27. Aufl., § 119 GVG Rz. 10; Saenger-Dörner-Rathmann, Handkommentar ZPO, 2006, § 119 GVG Rz. 8). Die Gegenansicht verweist auf den Willen des Gesetzgebers sowie den Umstand, dass es im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht um von § 119 I Nr. 1 lit. b GVG vorausgesetzte Ansprüche im Sinne von § 194 I BGB gehe (vgl. OLG Stuttgart, MDR 2005, 1253 (IPRspr 2005-178); OLG Oldenburg, NJW-RR 2004, 499, 500 (IPRspr. 2003 Nr. 162); OLG Oldenburg, OLGR 2003, 374; Zöller-Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 119 GVG Rz. 15; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 119 GVG Rz. 9; Musielak-Wittschier, ZPO, 4. Aufl., § 119 GVG Rz. 19).
[8]bb) Die zuletzt genannte Auffassung ist im Ergebnis jedenfalls für die Fälle zutreffend, in denen das AG als Vollstreckungsgericht entschieden hat. Hierfür sprechen der Sinn der gesetzlichen Regelung und der vom Gesetzgeber nach den Gesetzesmaterialien verfolgte Zweck. Ob dies auch dann gilt, wenn das AG im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens als Prozessgericht des ersten Rechtszugs entschieden hat (§§ 887, 888, 890 ZPO), braucht hier nicht entschieden zu werden.
[9](1) Die nach § 119 I Nr. 1 lit. b GVG begründete Sonderzuständigkeit der OLGe für Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der AGe wurde durch das ZPO-RG mit der Begründung eingeführt, dass in Sachen mit Auslandsbezug ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung bestehe. In den von § 119 I Nr. 1 lit. b GVG erfassten Fallkonstellationen, in denen um Ansprüche gestritten wird, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des GVG hatte, hat der Gesetzgeber den Grund für die Sonderzuständigkeit der OLGe darin gesehen, dass in derartigen Fällen das Gericht regelmäßig die Bestimmungen des IPR anzuwenden habe, um zu entscheiden, welches materielle Recht es seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 15.5.2001, BT-Drucks. 14/6036 S. 116, 119).
[10](2) Diese Überlegungen greifen nicht ein, wenn das AG als Vollstreckungsgericht tätig wird. Denn dieses hat bei der Anordnung von Vollstreckungsmaßnahmen und bei der Entscheidung über Erinnerungen im Sinne des § 766 ZPO nach dem Lex-fori-Prinzip ausschließlich deutsches Recht anzuwenden. Der BGH hat für einen Fall, in dem das Vollstreckungsgericht im Zwangsversteigerungsverfahren entschieden hat, bereits ausgeführt (BGH, Beschl. vom 19.3.2004 – IXa ZB 23/03 (IPRspr 2004-184)), dass aus diesem Grund die besondere Rechtsmittelzuständigkeit des OLG nach § 119 I Nr. 1 lit. b GVG nicht greift. Entsprechendes gilt auch, wenn das AG im Rahmen der allgemeinen Zwangsvollstreckung als Vollstreckungsgericht tätig wird. Auch für diesen Fall ist davon auszugehen, dass es vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen ist, das Rechtsmittelverfahren nur deswegen den mit Verfahren dieser Art sonst nicht befassten OLG zuzuweisen, weil eine Partei mit allgemeinem Gerichtsstand im Ausland beteiligt ist.
[11]Denn wegen der aus dem Lex-fori-Prinzip folgenden Anwendbarkeit des deutschen Zwangsvollstreckungsrechts geht es hier gerade nicht um Fallgestaltungen, in denen regelmäßig und typischerweise unter Anwendung der Bestimmungen des IPR und internationalen Prozessrechts zu entscheiden ist, welches nationale Recht heranzuziehen und wie es ggf. zu handhaben ist. Dass auch in solchen Fällen gelegentlich aus der Auslandsberührung rechtliche Probleme entstehen können (z.B. hinsichtlich der Parteifähigkeit oder der Frage, wo eine zu pfändende Forderung belegen ist etc.), reicht nicht aus, um die Anwendung des § 119 I Nr. 1 lit. b GVG zu begründen.
[12]b) Die bisherigen Feststellungen des LG tragen nicht die Annahme, die Gl. sei nicht parteifähig.
[13]aa) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des LG, dass sich die Beurteilung der Rechts- und Parteifähigkeit der Gl. gemäß Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags nach dem für die Gl. maßgeblichen Gründungsrecht richtet (vgl. BGH, Urteile vom 13.10.2004 – I ZR 245/01, BB 2004, 2595 (IPRspr 2004-16), vom 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94, 100 (IPRspr 2004-143) und vom 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 355 ff. (IPRspr. 2003 Nr. 10b)). Dies ist nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des LG das Recht des US-Bundesstaats Delaware.
[14]bb) Verfahrensfehlerhaft ist jedoch die Ermittlung der für die Beurteilung der Parteifähigkeit maßgeblichen Bestimmungen des ausländischen Rechts durch das LG.
[15](1) Das ausländische Recht hat der Tatrichter nach § 293 ZPO von Amts wegen zu ermitteln. In welcher Weise er sich die notwendigen Erkenntnisse verschafft, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Die Anforderungen sind umso größer, je detaillierter die Verfahrensbeteiligten eine ausländische Rechtspraxis vortragen. Vom Revisionsgericht überprüft werden darf lediglich, ob der Tatrichter sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Gibt die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass der Tatrichter seiner Pflicht nachgekommen ist, das ausländische Recht zu ermitteln, wie es in Rechtsprechung und Rechtslehre Ausdruck und in der Praxis Anwendung findet, ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung des ausländischen Rechts verfahrensfehlerhaft unterblieben ist (vgl. BGH, Urteile vom 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359, 1360 (IPRspr. 2002 Nr. 3), vom 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151, 162 ff. (IPRspr. 1992 Nr. 265) und vom 29.6.1987 – II ZR 6/87, NJW 1988, 647 (IPRspr. 1987 Nr. 2)). Diese für das Revisionsverfahren getroffenen Grundsätze gelten für das Rechtsbeschwerdeverfahren gleichermaßen.
[16](2) Danach ist die Entscheidung des LG verfahrensfehlerhaft.
[17]Das LG hat ausgeführt, dass die Gl. zwar ordnungsgemäß gegründet worden sei. Dagegen sei der Nachweis, dass sie inzwischen nicht erloschen und weiterhin handlungsfähig sei, nicht geführt worden. Hierzu bedürfe es der Vorlage eines certificate of good standing, woraus sich ergebe, dass die Corporation nach wie vor als juristische Person bestehe.
[18]Diesen Ausführungen ist bereits nicht zu entnehmen, inwiefern das vom LG in Bezug genommene certificate of good standing von Relevanz für das Fortbestehen der einmal erlangten Rechtsfähigkeit einer US-amerikanischen business corporation ist. Die insoweit vom LG in Bezug genommenen Fundstellen (Ebenroth-Boujong-Joost-Schaub, HGB, Anhang: Handelsregisteranmeldungen mit Auslandsbezug § 12 Rz. 117 f.; OLG Hamm, IPRax 1998, 358, 360 (IPRspr. 1996 Nr. 23b)) geben hierüber keinen Aufschluss. Sie besagen lediglich, dass mit einem certificate of good standing belegt werden kann, dass die business corporation nach wie vor als juristische Person weiter besteht. Dies lässt vermuten, dass es sich bei einem certificate of good standing lediglich um ein Mittel zur Nachweisführung im Rechtsverkehr handelt, nicht aber um ein konstitutives Element der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft.
[19]Darüber hinaus hat das LG lediglich festgestellt, dass eine Amtslöschung ‚drohe’. Dass nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware bereits das Drohen einer Amtslöschung zum Entfallen der Rechts- und Parteifähigkeit einer business corporation führt, hat das LG nicht festgestellt. Gleiches gilt für die Frage, ob selbst eine tatsächlich erfolgte Amtslöschung diese Rechtsfolge nach sich ziehen würde. Diese Prüfung lag schon deshalb nahe, weil die Parteifähigkeit der Gl. auch in einem solchen Fall zu bejahen sein könnte, wenn diese – wie hier – ein Vermögensrecht in Anspruch nimmt. Jedenfalls hätte das LG auf diese Frage eingehen müssen, weil die Gl. im Beschwerdeverfahren vorgetragen hat, dass nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware ein in Liquidation befindliches Unternehmen für den Zeitraum von zumindest drei Jahren weiter bestehen bleibt, um die Verfolgung von Ansprüchen zu ermöglichen.
[20]III. Die Beschwerdeentscheidung kann daher keinen Bestand haben. Das LG wird erneut zu prüfen haben, ggf. durch Einholung eines Rechtsgutachtens, ob die Gl. rechts- und parteifähig ist.