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Verfahrensgang

LG Berlin, Urt. vom 08.11.2024 – 15 O 260/22
KG, Beschl. vom 24.03.2025 – 24 U 142/24, IPRspr 2025-91

Rechtsgebiete

Immaterialgüterrecht (ab 2020) → Urheberrecht

Leitsatz

Nur soweit bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt ein hinreichender Inlandsbezug zur Bundesrepublik Deutschland besteht, können Handlungen eine Urheberrechtsverletzung i.S.d. § 97 Abs. 2 UrhG begründen.

Bei der öffentlichen Zugänglichmachung i.S.d. § 19a UrhG ist eine Verletzungshandlung im Inland erforderlich, da das inländische Recht nur dann verletzt wird, wenn inländische Bewohner durch das Online-Angebot gezielt angesprochen werden. Es ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen, ob das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug hat. Kriterien für eine Inlandsausrichtung sind die Sprache, Top-Level-Domain, Inhalt des Angebots, Liefer- und Zahlungsmodalitäten, Werbung mit Bezug zum Inland und Bekanntheit des Angebots im Inland. [LS der Redaktion]

Rechtsnormen

UrhG § 19a; UrhG § 97
ZPO § 522

Sachverhalt

Die Klägerinnen machen gegen die Beklagte im Wege der Prozessstandschaft urheberpersönlichkeitsrechtliche Ansprüche des Komponisten ... im Zusammenhang mit der unerlaubten Nutzung seines Werkes „...“ im Zeitraum 2014 bis 2020 geltend, welches als „musikalische Untermalung“ eines dreiminütigen Imagefilms der Beklagten verwandt worden ist.

Mit am 28. August 2024 verkündetem Urteil in der Fassung des Beschlusses vom 8. November 2024 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei nur zulässig, soweit die Klägerinnen Schadensersatz- und Auskunftsansprüche geltend machten, die auf Urheberrechtsverletzungen in der Bundesrepublik Deutschland beruhten. Gegen diese Entscheidüng haben die Klägerinnen Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]B.

[2]Die zulässige Berufung der Klägerinnen hat nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). ...

[3]Das Landgericht hat aus zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat Bezug nimmt, die Klage abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Entscheidung.

[4]Entgegen der Ansicht der Klägerinnen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei, soweit die Klage zulässig ist, eine materiell-rechtliche Rechtsverletzung der Beklagten wegen eines fehlenden Inlandsbezugs abgelehnt. Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung den ausführlichen Ausführungen des Landgerichts an, denen nichts hinzuzufügen ist.

[5]Das Landgericht hat zu Recht ausgeführt, dass nach übereinstimmender Rechtsprechung des EuGH und BGH bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nur solche Handlungen eine Urheberrechtsverletzung im Sinne des § 97 Abs. 2 UrhG darstellen, die einen ausreichenden Inlandsbezug zum Territorium der Bundesrepublik Deutschland haben (Raue in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 8. Aufl. 2025, Vor § 120 Rn. 99 m. w. N.).

[6]Insbesondere – und nur dagegen richtet sich die Berufung – hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass im Hinblick auf den als öffentliche Zugänglichmachung im Sinne von § 19a UrhG relevanten Upload des streitgegenständlichen Films es an einer Verletzungshandlung in Deutschland fehlt. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH wird das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nur der Staaten verletzt, deren Bewohner durch das Online-Angebot gezielt angesprochen werden bzw. das an diese gerichtet ist (EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 – C-173/11 –, Rn. 39 – Football Dataco/Sportradar, GRUR 2012, 1245; Raue in: Dreier/Schulze, a. a. O., Rn 116) . Dafür reicht nicht die Feststellung, dass die Website im Schutzland abgerufen werden kann. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob anhand objektiver Anhaltspunkte auf eine entsprechende Ausrichtung der Website auf das Schutzland geschlossen werden kann (EuGH, a. a. O., Rn. 38 f.). Nach der Rechtsprechung des BGH ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen, ob das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug hat (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 1 ZR 50/24 (IPRspr 2024-271) – Produktfotografien – Rn. 19 ff., juris; BGH, Urteil vom 7. November 2019 – 1 ZR 222/17 (IPRspr 2019-248) –, Rn. 28 – Club Hotel Robinson, GRUR 2020, 647). Kriterien für eine Inlandsausrichtung sind die Sprache, Top-Level-Domain, Inhalt des Angebots, Liefer- und Zahlungsmodalitäten, Werbung mit Bezug zum Inland und Bekanntheit des Angebots im Inland. Diese Kriterien sind im Regelfall nicht isoliert, sondern nur in einer Gesamtschau aussagekräftig (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 1 ZR 50/24 (IPRspr 2024-271) – Produktfotografien – Rn. 23, juris; Nordemann-Schiffel in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 13. Aufl. 2024, Vor. § 120 Rn. 79). Der Anwendungsbereich des deutschen UrhG ist in uneindeutigen Fällen noch durch eine de minimis-Ausnahme begrenzt, wenn inländische (verwertungs- und persönlichkeitsrechtliche) Interessen des Urhebers nicht wesentlich beeinträchtigt werden (so für das Markenrecht BGH, Urteil vom 8. März 2012 – 1 ZR 75/10 (IPRspr 2012-228) –, Rn. 36 – Oscar, GRUR 2012, 621; Katzenberger/Metzger in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 6. Aufl. 2020, Vor, § 120 Rn. 146; a. A. LG Köln, Urteil vom 21. Dezember 2023 – 14 O 292/22 –, Rn. 31 f., GRUR-RS 2023, 38180; Nordemann-Schiffel in: Fromm/Nordemann, a. a. O., Rn. 77).

[7]Der Senat schließt sich nach eigener Überprüfung der Abwägung des Landgerichts an (Seiten 17 bis 22 der angefochtenen Entscheidung). Der Einwand der Klägerinnen gegen dieses Ergebnis der Gesamtwürdigung, dass es sich bei der Beklagten nicht um eine auf den Schweizer Kanton ... ausgerichtete ...bank handele und sie international ausgerichtet sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Einer internationalen Ausrichtung einer Bank lässt sich keiner Aussage dahin gehend entnehmen, welches Publikum sie mit ihren Website gezielt ansprechen möchte (so auch das Landgericht, vgl. Seite 21 der angefochtenen Entscheidung). Eine solche internationalen Ausrichtung kann nur als Indiz dafür dienen, dass das Angebot der Beklagten nicht nur auf ihren Unternehmenssitz in der Schweiz ausgerichtet ist. Dass sich die Website aufgrund der internationalen Ausrichtung der Bank auch auf den deutschen Markt richtet, lässt sich daraus dagegen nicht ableiten.

[8]Auch der Vortrag der Klägerinnen, dass die Beklagte einen „nennenswerten deutschen Kundenstamm“ aufweise (Seite 7 der Berufungsbegründung = BI. 13 der eAKG), lässt keine andere Abwägung zu. Die Klägerinnen verkennen, dass der Inlandsbezug von ihnen darzulegen und zu beweisen ist. Die Beklagte hat die Anzahl der deutschen Kunden beziffert und konkret dargelegt, dass die Anzahl der in Deutschland lebenden Kunden nur 0,2% der gesamten Kundschaft der Beklagten ausmache. Diese Zahl stellt keinen „nennenswerten deutschen Kundenstamm“ dar.

[9]Die Klägerinnen haben weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass die Beklagte einen größeren, in Deutschland ansässigen Kundenstamm hat.

[10]Die Angabe der internationalen Vorwahl auf der Website ...com führt entgegen der Ansicht der Klägerinnen nicht zu einem anderen Abwägungsergebnis (Seite 9 der Berufungsbegründung = BI. 15 der eAKG). Zwar führen die Klägerinnen zu Recht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 7. Dezember 2010 – C-585/08, C-144/09 –, Rn. 93 – Pammer, NJW 2011, 505) an, dass die Angabe von Telefon – und Faxnummern mit internationaler Vorwahl Bedeutung bei der Abwägung zukommt, ob die Website auch auf den deutschen Markt ausgerichtet ist. Die Klägerinnen verkennen jedoch, dass die Angabe der Telefonnummer mit internationaler Vorwahl nur ein Indiz im Rahmen der Gesamtabwägung darstellt. Das Landgericht hat hierzu zu Recht auf Seite 18 f. des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Aufmachung der Websites nicht auf die Bundesrepublik Deutschland als Ziel hindeutet. Gegen ein Ausrichten der Websites auf den deutschen Markt sprechen, so auch das Landgericht, insbesondere, dass auf diesen allesamt Kontaktadressen in der Schweiz und in Frankreich genannt werden und dass die angegebenen Rufnummern allesamt eine Schweizer oder französische Vorwahl aufweisen (Bd. I BI. 115 d. A. des LG). Darüber hinaus, so das Landgericht, sind die externen Verlinkungen auf den Websites ...com u. a. ausschließlich auf Schweizer Websites unter der Top-Level-Domain „ch“ gerichtet, was ebenfalls an einem Ausrichten auf den deutschen Markt zweifeln läßt. Hiergegen erinnert die Berufung nichts.

[11]Auch der von den Klägerinnen angeführte Disclaimer auf der Website (Seite 10 der Berufungsbegründung = Bl.16 der eAKG) weist keine Anhaltspunkte auf, die auf eine Ausrichtung auf den deutschen Markt hindeuten. Im Gegenteil: In dem Disclaimer wird ausdrücklich auf die Informationen auf den Websites ...ch; ...fr; ...ch und ...lu hingewiesen, deren Top-Level-Domain gegen ein zielgerichtetes Angebot für den deutschen Markt spricht.

[12]Dass die Beklagte deutsche Kunden hat, führt im Rahmen der Gesamtwägung nicht dazu anzunehmen, dass die Websites auch auf den deutschen Markt ausgerichtet sind. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des EuGH, dass Anhaltspunkte vorliegen, die den Schluss zulassen, dass die Personen in dem Mitgliedstaat gezielt angesprochen werden (EuGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 – C-173/11, Rn. 39 – Football Dataco, GRUR 2012, 1245). Das Landgericht hat zutreffend angeführt, dass die bloße generelle Attraktivität der Branche der Beklagten für deutschen Kunden nichts über ein konkretes Ausrichten auf den deutschen Markt aussage (Seite 22 der angefochtenen Entscheidung).

[13]Soweit die Klägerinnen anführen, dass die geringe Zahl der deutschen Kunden und die geringe Zahl der Abrufe aus Deutschland nicht gegen eine Ausrichtung auf den deutschen Markt sprächen, da sich das in Streit stehende Video eben auch an zahlungskräftiges deutsches Publikum richte (Seite 13 der Berufungsbegründung = BI. 19 der eAKG), führt diese Argumentation zu keiner anderen Wertung. Die darlegungsbelasteten Klägerinnen tragen damit keine Indizien vor, anhand deren auf einen Inlandsbezug geschlossen werden könnte. Dass grundsätzlich das Ausrichten eines Werbeangebots auf ein finanzkräftiges Publikum eine interessante Erwerbsperspektive für ein Kreditinstitut darstellt (Seite 14 der Berufungsbegründung = BI. 20 der eAKG), trifft auf alle Kreditinstitute zu und besagt nichts darüber, ob die Beklagte ihr Angebot gezielt auf den deutschen Markt ausgerichtet hat.

[14]Die weiteren von den Klägerinnen vorgebrachte Punkte (die verwendeten Länderdomains, die verwandte Sprache, zur Aufmachung der Informationen, zur Ausgestaltung des streitgegenständlichen Werbefilms, angebliches Fehlen nennenswerter Abrufzahlen (Seiten 17 ff. der Berufungsbegründung = BI. 23 ff. der eAKG) enthalten keine neuen Argumente, die im Rahmen der Abwägung für ein zielgerichtetes Ausrichten der Websites auf den deutschen Markt sprechen.

[15]II. Der weitere Berufungsangriff (Seiten 19 ff. der Berufungsbegründung = BI. 25 ff. der eAKG), dass das Landgericht fehlerhaft nicht einen Gerichtsstand am Mittelpunkt des Interesses bejaht und die Grundsätze des EuGH in Sachen eDate Advertising (Urteil vom 25. Oktober 2011 -C-509,09, GRUR 2012, 300) auf diesen Fall, in dem es um eine Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts gehe, übertragen habe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.

[16]Der EuGH hat bei einer geltend gemachten Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, der Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit eröffnet, bei den Gerichten des Mitgliedstaates Klage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben, in dem sich der Mittelpunkt ihres Interesses befindet (EuGH, a. a. O., Rn. 48). Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, entspricht im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Jedoch kann eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen auch in einem anderen Mitgliedstaat haben, in dem sie sich nicht gewöhnlich aufhält, sofern andere Indizien wie die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu diesem Staat herstellen können (EuGH, a. a. O., Rn. 49). Ob diese vom EuGH aufgestellten Grundsätze auch für die Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten gelten, ist weitgehend ungeklärt, wird jedoch in der Literatur verneint (so Raue in: Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 8. Aufl. 2025, Vor. 120 Rn. 35).

[17]Hier kann diese Frage offen bleiben, weil der Gerichtsort Berlin bereits nach dem Vortag der Klägerinnen nicht der Mittelpunkt des Interesses des Musikers ... ist. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat der Musiker nach den Darlegungen der Klägerinnen nicht in Berlin. Dass er sich in Berlin aufhält und auch hier eine Wohnung besitzt, sagt nichts über seinen Lebensmittelpunkt aus. Von den Klägerinnen wird auch nicht behauptet, dass der Musiker seinen Lebensmittelpunkt in Berlin habe. Ebenso haben die Klägerinnen nicht dargelegt, dass er durch die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit einen besonders engen Bezug zu Berlin herstellen konnte.

[18]Die Übertragung der Verlagsrechte auf die Klägerinnen und die Ermächtigungserklärung an die Klägerin zu 1) stellen keine „Ausübung der beruflichen Tätigkeit“ eines Musikers und Komponisten dar.

[19]C. ...

Fundstellen

Volltext

Link, Berliner Vorschriften- und Rechtsprechungsdatenbank

Bericht

Schäfer, GRURPrax, 2025, 504

LS und Gründe

ZUM, 2025, 530

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2025-91

Lizenz

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