Die deutsche Gerichtsbarkeit für eine Anfechtungsklage kann nach dem Grundsatz der Staatenimmunität (§ 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG) nicht eröffnet sein, wenn eine hoheitliche Handlung des beklagten ausländischen (hier: polnischen) Hoheitsträgers angefochten werden soll. Denn das Völkergewohnheitsrecht gebietet, dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen.
Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nach der Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Es kommt darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt und damit öffentlich-rechtlich oder wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist.
Die Zuständigkeitsregelung des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO lässt die Frage der Gerichtsbarkeit nach den Grundsätzen der Staatenimmunität offen. Diese sind vor Ermittlung der internationalen Zuständigkeit zu prüfen. [LS der Redaktion]
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der O. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Der Beklagte ist der polnische Fiskus. Die Insolvenzschuldnerin stellte bei dem Amtsgericht Offenburg einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der am 25.11.2021 bei dem Gericht einging. Der Beklagte wurde seitens der Insolvenzschuldnerin mit Schreiben vom 29.11.2021 über den am 25.11.2021 gestellten Insolvenzantrag informiert. Am 17.12.2021 und 24.12.2021 leistete die Insolvenzschuldnerin von ihrem Geschäftskonto bei der S. S.A. zwei Zahlungen in Höhe von PLN (polnische zloty) ... und PLN ... an den Beklagten. Die Zahlungen erfolgten wegen Umsatzsteuerverbindlichkeiten, welche die Insolvenzschuldnerin durch die Einfuhr außereuropäischer Waren in das von ihr unterhaltene Logistikzentrum in B./Polen in den Monaten Oktober 2021 und November 2021 begründet hatte. Mit Beschluss vom 26.01.2022 eröffnete das Amtsgericht Offenburg über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung und bestellte den Kläger zum Sachwalter.
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Rückzahlung zweier Zahlungen, welche die Insolvenzschuldnerin auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten geleistet hat.
[1]II.
[2]Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die deutsche Gerichtsbarkeit für die von dem Kläger erhobene Anfechtungsklage nach dem Grundsatz der Staatenimmunität (§ 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG) nicht eröffnet ist, weshalb die Klage unzulässig ist.
[3]1. Der hiesige Rechtsstreit betrifft hoheitliches Handeln des Beklagten und berührt deshalb den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität.
[4]a) Dieser ergibt sich mangels anwendbarer Staatsverträge aus Gewohnheitsrecht. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die gerichtliche Immunität der Staaten und ihres Eigentums von 2004 ist (noch) nicht in Kraft getreten. Das Europäische Übereinkommen vom 16.05.1972 über Staatenimmunität ist von Polen nicht ratifiziert. Beide Abkommen enthalten im Übrigen keine speziellen Regelungen für Insolvenzanfechtungsstreitigkeiten.
[5]Ausgehend von dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten (sovereign equality of states) gilt im Grundsatz das Rechtsprinzip, dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen. Hierbei wird zwischen der völkerrechtlich allgemein anerkannten Immunität von Hoheitsakten ausländischer Staaten einerseits und nicht-hoheitlichen Akten ausländischer Staaten andererseits unterschieden. Die Abgrenzung erfolgt grundsätzlich nach nationalem Recht. Die Heranziehung nationaler Regelungen zur Unterscheidung hoheitlichen staatlichen Handelns von nicht-hoheitlichem staatlichem Handeln findet allerdings dort ihre Grenze, wo der unter den Staaten allgemein anerkannte Bereich hoheitlicher Tätigkeit berührt ist. Das betrifft etwa die Betätigung der auswärtigen und militärischen Gewalt, die Gesetzgebung, die Ausübung der Polizeigewalt und die Rechtspflege. Insoweit kann es ausnahmsweise geboten sein, eine nach nationalem Recht als privatrechtlich einzuordnende Tätigkeit eines ausländischen Staates gleichwohl als der Staatenimmunität unterfallenden actus iure imperii zu qualifizieren, wenn dieser zum Kernbereich völkerrechtlich anerkannter Staatsgewalt zu rechnen ist (BVerfG, Beschluss vom 17.03.2014 –
[6]b) Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nicht nach deren Motiv oder Zweck; sie kann auch nicht danach vorgenommen werden, ob die Betätigung in erkennbarem Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben des Staates steht. Dies folgt daraus, dass die Tätigkeit eines Staates, wenn auch nicht insgesamt, aber doch zum weitaus größten Teil hoheitlichen Zwecken und Aufgaben dient und mit ihnen in einem erkennbaren Zusammenhang steht. Maßgebend für die Unterscheidung ist vielmehr die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Es kommt darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt und damit öffentlich-rechtlich oder wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist (BGH, Urteil vom 08.03.2016 –
[7]c) Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass aus materiell-rechtlicher deutscher Sicht die Insolvenzanfechtung von der (unstreitig und eindeutig) hoheitlichen Maßnahme der Steuererhebung (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 17.03.2014 –
[8]Die Frage, welcher Rechtsweg bei nicht grenzüberschreitenden Sachverhalten eröffnet ist, ist aber von der Frage der Eröffnung der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterscheiden (Kopp, NZI 2021, 657, 661). Es wird vom Senat nicht in Frage gestellt, dass Anfechtungsrechtsstreitigkeiten im Allgemeinen bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten darstellen und deshalb vor den ordentlichen Gerichten zu verhandeln sind. Gleichwohl berührt der hiesige Anfechtungsrechtsstreit die völkerrechtliche Immunität des Beklagten, weil mit diesem über die Rechtsfolgen und damit zumindest mittelbar über die Berechtigung der hoheitlichen Maßnahme des Beklagten zu entscheiden ist. Wird der Insolvenzanfechtungsanspruch bejaht, ist die von der Insolvenzschuldnerin aufgrund der hoheitlichen Maßnahme des Beklagten geleistete Steuerzahlung zurückzugewähren und damit die hoheitliche Maßnahme, wenn auch nicht dem Grunde nach, aber im Ergebnis (zumindest weitgehend) wirkungslos. Die gem. § 144 Abs. 1 InsO wiederauflebende Steuerschuld wäre im Insolvenzverfahren anzumelden und würde, wenn überhaupt, lediglich anteilig über die auszuschüttende Insolvenzquote befriedigt.
[9]Dieses Ergebnis tritt unabhängig davon ein, ob die Steuerfestsetzung durch den Beklagten rechtmäßig erfolgt ist. Eine inhaltliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns kann deshalb nicht zwingende Voraussetzung dafür sein, dass ein Rechtsstreit den Grundsatz der Staatenimmunität berührt (Kopp, NZI 2021, 657, 661 f.). Die Fälle, in denen ein Gericht über die Rechtmäßigkeit des hoheitlichen Handelns eines anderen Staates entscheidet, mögen die eindeutigsten Verstöße gegen den Grundsatz der Staatenimmunität darstellen, da die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer hoheitlichen Maßnahme mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und dem daraus folgenden Prinzip der Nichteinmischung in die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ausländischer Staaten nicht vereinbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2016 –
[10]Nicht von der Staatenimmunität betroffen sind nur die Fälle, in denen (ausschließlich) über privatrechtliches Handeln von Staaten gestritten wird (BGH, Urteil vom 24.03.2016 –
[11]2. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist für den vorliegenden Rechtsstreit auch nicht aufgrund von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO eröffnet. Die Vorschrift regelt die Frage der internationalen Zuständigkeit, die grundsätzlich am Ort des Insolvenzverfahrens konzentriert ist. Die Frage, ob die Gerichtsbarkeit nach den Grundsätzen der Staatenimmunität eröffnet ist und sich das nationale Gericht mit einer Klage gegen einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union befassen darf, ist aber vor der Ermittlung der internationalen Zuständigkeit zu prüfen (BGH, Urteil vom 08.03.2016 –
[12]Der Regelung kann auch nicht die Bedeutung eines Verzichts der Mitgliedstaaten auf den Grundsatz der Staatenimmunität entnommen werden. Zwar ist die Möglichkeit eines solchen Verzichts allgemein anerkannt. Ein solcher kann von einem ausländischen Staat in einem völkerrechtlichen Vertrag, einem privatrechtlichen Vertrag oder, speziell für ein bestimmtes gerichtliches Verfahren, vor Gericht erklärt werden (BVerfG, Beschluss vom 17.03.2014 –
[13]Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ausweislich der Begriffsbestimmung in Art. 2 Nr 12 EuInsVO Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger ausdrücklich zu den ausländischen Gläubigern gezählt werden. Die entsprechende Neufassung der EuInsVO von 2015 soll sicherstellen, dass diese Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger umfassend und einschränkungslos als Insolvenzgläubiger anerkannt werden und ihre Forderungen in einem Insolvenzverfahren, welches in einem anderen Staat geführt wird, anmelden und durchsetzen können (Paulus, EuInsVO, Stand 28.04.2021, Art. 2 Rn. 74; Mankowski/Müller/ Schmidt/J. Schmidt, EuInsVO 2017 Art. 2 Rn. 66). Dies wurde vorher von einigen Ländern abgelehnt (Piepenbrock, EWS 2016, 181, 183 ff.).
[14]3. Ob das sich hieraus für den Kläger evtl. ergebende Dilemma dadurch zu lösen ist, dass er entgegen Art. 6 Abs. 1 EuInsVO die Insolvenzanfechtungsklage in Polen erheben kann (vgl. Kopp, NZI 2021, 657, 662; Cranshaw, DZWiR 2019, 459, 473; ders., jurisPR-IWR 5/2023 Anm. 2), ist vorliegend nicht zu entscheiden. Der Umstand, dass seine Klage in Deutschland nicht zulässig ist und die Verfolgung des Insolvenzanspruchs im Ausland schwieriger bis unmöglich sein könnte, rechtfertigt jedenfalls nicht, den völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität einzuschränken (Kopp, NZI 2021, 657, 662).
[15]III. ...