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Verfahrensgang

VG Düsseldorf, Urt. vom 05.07.2024 – 7 K 2728/22, IPRspr 2024-114

Rechtsgebiete

Ehe und andere familienrechtliche Lebens- und Risikogemeinschaften → Eingehung, Wirksamkeit
Rechtsgeschäft und Verjährung → Form

Leitsatz

Eine Online-​Ehe aus Utah/USA begründet nicht die Familienangehörigkeit zu einem Unionsbürger, wenn die Verlobten zur Zeit der Trauungszeremonie in Deutschland waren.

Es besteht keine Bindungswirkung von Bescheinigungen eines Heimatmitgliedstaates über Vorgänge im Aufnahmemitgliedstaat, wenn diese offensichtlich unzutreffend sind.

Rechtsnormen

BGB § 1310; BGB § 1311
EGBGB Art. 3; EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13
FreizügG/EU § 1
SchutzMinderjähriger/AuslandsehenG Art. 3

Sachverhalt

Der am 00.00.0000 in Istanbul geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er beantragte erstmals am 20.04.2018 bei der Deutschen Auslandsvertretung in Ankara die Erteilung eines Visums für touristische Zwecke im Mai 2018. Dies wurde mit Bescheid vom 04.05.2018 abgelehnt, da die angegebenen Informationen über den Zweck nicht glaubhaft seien. In dem hierzu eingereichten Auszug aus dem Familienbuch vom März 2018 wird der Kläger als mit Frau N. H. (geboren 00.00.0000) verheiratet geführt (Eheschließung am 00.00.2005). Ein gemeinsames Kind heißt E. H. und ist am 00.00.0000 geboren. Eine erste Einreise des Klägers nach Deutschland ist (spätestens) für den 31.03.2019 aktenkundig. Mit dem bei der Beklagten eingereichten Urteil vom 24.07.2019 des Familiengerichts in I./Türkei wurde die Ehe des Klägers mit Frau N. H. geschieden. Der Kläger reichte am 00.00.2021 bei der Beklagten eine Heiratsurkunde vom 00.00.0000 mit deutscher Übersetzung aus dem US-​amerikanischen Bundesstaat Utah ein. Frau J. (geboren am 00.00.0000) ist ausweislich der vorgelegten Kopie aus ihrem Pass bulgarische Staatsangehörige und Klägerin im Verfahren 7 K 6592/23.

2021 beantragte der Kläger bei der Beklagten mit anwaltlicher Hilfe unter der Anschrift S.-​straße 000 in C. angemeldet zu werden und die Erteilung einer Aufenthaltskarte gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 Freizügigkeitsgesetz sowie unverzüglich eine Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 S. 2 Freizügigkeitsgesetz ausgestellt und zugesendet zu bekommen. Mit Ordnungsverfügung vom 30.03.2022 lehnte die Beklagte u.a. den Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU ab. Hiergegen hat der Kläger am 01.04.2022 Klage erhoben mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Der Kläger hat am 19.08.2022 erneut um einstweiligen Rechtsschutz beim angerufenen Gericht nachgesucht. Mit Beschluss vom 24.10.2022 - 7 L 1783/22 - lehnte die Kammer den Antrag ab.  Am 28.11.2022 beantragte der Kläger beim angerufenen Gericht erneut einstweiligen Rechtsschutz. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 30.03.2022 zu verurteilen, ihm eine Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU zu erteilen.



Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]I. ... a) ... Der Begriff des "Ehegatten" bestimmt sich grundsätzlich nach nationalem Recht. Das Personenstandsrecht, zu dem die Regelungen über die Ehe gehören, fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und das Unionsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt.

[2]EuGH, Urteile vom 5. Juni 2018, - C-​673/16 -, juris Rn. 37 und 14.12.2021, - C-​490/20 -, juris Rn. 52.

[3]Eine im Ausland geschlossene Ehe kann aber anerkannt werden und damit ein Freizügigkeitsrecht für den ausländischen Ehegatten begründen. Die Wirksamkeit einer Eheschließung beurteilt sich nach den Regeln des IPR.

[4]Hailbronner in: Hailbronner, Ausländerrecht, § 1 FreizügG/EU Rz. 68

[5]Die Ehe ist gültig geschlossen, wenn die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder das Recht des Staates, in dem es vorgenommen wird, erfüllt sind.

[6]VG Mainz v. 19.8.2020, 4 L 434/20 (IPRspr 2020-119), Rn. 18; Huber/Mantel AufenthG/Brinkmann, 3. Aufl. 2021, FreizügG/EU § 5a Rn. 6.

[7]In Anwendung dieser Grundsätze beantwortet sich die Frage nach der Gültigkeit und Wirksamkeit der vorgeblichen Ehe des Klägers mit Frau W. nach deutschem nationalen Recht. Das ergibt sich aus Folgendem: Nach Art. 3, 2. HS EGBGB

[8]Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche vom 18.08.1896, in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1994(BGBl. I S. 2494; 1997 I S. 1061), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 24. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 212) geändert worden ist,

[9]bestimmt sich das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat nach den Vorschriften dieses Kapitels (Internationales Privatrecht). Die Verbindung des vorliegenden Sachverhaltes zu einem ausländischen Staat lässt sich, angesichts der Registrierung einer vorgeblichen Eheschließung in den USA zwischen einem türkischen Staatsangehörigen und einer bulgarischen Staatsangehörigen bei gleichzeitiger Anwesenheit während der Abgabe des "Ja"-​Worts in Deutschland, nicht leugnen. Nach den damit anwendbaren Art. 11 und 13 EGBGB ist für die Eheschließung zu unterscheiden, an welchem Ort die Eheschließung zustandekommt. Art. 13 Abs. 4 EGBGB bestimmt insoweit, dass  im Inland  eine Ehe nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden kann. Dabei geht der deutsche Gesetzgeber im Grundsatz davon aus, dass sich der Ort des Rechtsgeschäfts nach dem Aufenthaltsort der Beteiligten bestimmt, was sich auch aus Art. 11 Abs. 2 Alt. 2 EGBGB ableiten lässt.

[10]Mayer, Relevanz des Orts der Eheschließung für die Bestimmung des Formstatut bei der doppelten Handschuhehe und Online-​Ehe; IPRax 2022, 593, 596.

[11]Allerdings wird insoweit auch vertreten, dass der Ort der Eheschließung dort anzunehmen sei, wo die Trauungshandlung vorgenommen wird,

[12]Beiderwieden, Kollisionsrechtliche fragen zur Wirksamkeit online geschlossener Ehen, jurisPR-​IWR 2/2022 Anm. 4, Franck, Dänemark-​, Handschuh- und jetzt Online-​Ehe?, JZ 2023, 21, 30; Gössl, Die digitale Eheschließung im deutschen Kollisionsrecht, StAZ 2022, 97, 99;das Auswärtige Amt hält seine zunächst in diese Richtung gehende Rechtsansicht ausdrücklich nicht mehr aufrecht: vgl. Visumhandbuch, Stand Juni 2024, Stichwort: Ehegatten- bzw. Partnernachzug Ziff. 2.2. Seite 6 und 7/8 und gibt vor: "maßgeblich ist der Aufenthaltsort der Verlobten bei Abgabe der auf die Eheschließung gerichteten Willenserklärung".

[13]bzw. die (konstitutive) Mitwirkung der Behörde erfolgt.

[14]Mankowski, in Staudinger, BGB 2010, Art. 13 EGBGB Rn. 478 für viele andere.

[15]Diese Sichtweise verkennt indes, dass die Frage der Mitwirkung einer Behörde bereits eine Frage der Form der Eheschließung darstellt, die auf der Ebene der nationalen Kollisionsnorm noch nicht zu berücksichtigen ist. Denn aus deutscher Sicht ist das Kriterium des Ehekonsenses zwischen den Verlobten konstitutives Element der Eheschließung.

[16]Mayer, Relevanz des Orts der Eheschließung für die Bestimmung des Formstatut bei der doppelten Handschuhehe und Online-​Ehe; IPRax 2022, 593, 596; Wall, Wirksamkeit von Online-​Eheschließungen in den USA aus Sicht des deutschen IPR - ein Beitrag zum Ort der Eheschließung i.S.v. Art. 13 Abs. 4, 11 Abs. 1 EGBGB, StAZ 2022, 33, 37;

[17]Diese Sichtweise scheint auch - ohne dass es darauf ankäme - dem Recht von Utah nicht fremd zu sein, wenn es in der vom Kläger vorgelegten "Marriage License" die Rolle des Behördenmitarbeiters als "did join in the Matrimony" nur begleitend beschreibt.

[18]Die Abgabe der Erklärungen auf Eingehung der Ehe ist für die Eheschließung derart wesentlich, dass die Eheschließung (auch) am Ort der Abgabe der Erklärungen stattfindet. Haben die Verlobten ihre Erklärungen auf Eingehung der Ehe aber persönlich in Deutschland abgegeben, handelt es sich um eine Eheschließung im Inland.

[19]OLG Köln, Beschluss vom 08.03.2022, - I-​26 Wx 3/22 -, juris Rz. 9f; vgl. auch Bay VGH Beschluss vom 20.06.2022, - 10 CS 22.716 (IPRspr 2022-149) -, juris Rn. 7; so auch schon Beschlüsse der Kammer vom 15.02.2022, - 7 L 122/22 (IPRspr 2022-142) -, juris und 24.10.2022 - 7 L 1783/22 -; VG Berlin, Urteil vom 1. Juni 2022 - 38 K 480/21 V (IPRspr 2022-160) -, juris Rn. 28f; Auswärtiges Amt, Visumhandbuch, Stand Juni 2024, Stichwort: Ehegatten- bzw. Partnernachzug Ziff. 2.2. Seite 6 und 7/8.

[20]Damit ist vorliegend Art 13 Abs. 4 EGBGB anzuwenden und die Formwirksamkeit bestimmt sich nach deutschem Sachrecht.

[21]Die Trauung des Klägers vom 00.00.0000 in Q./Utah genügt nicht den Vorschriften der §§ 1310, 1311 BGB. Nach § 1310 Abs. 1 BGB wird die Ehe nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Die Eheschließenden müssen die Erklärungen nach § 1310 Abs. 1 persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgeben. Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben werden (§ 1311 BGB). Nach dem vom Kläger in der (ersten) mündlichen Verhandlung glaubhaft geschilderten Geschehensablauf am Trauungstag, der der Entscheidung zu Grunde gelegt wird,

[22]das hiervon abweichende Vorbringen im Verfahren 7 L 1783/22 und teilweise auch im Klageverfahren, das auf eine doppelte Handschuhehe führte, war ersichtlich verfahrensangepasst in Reaktion auf die im Verfahren 7 L 122/22 geäusserte Rechtsansicht des Einzelrichters und ist vom Kläger nicht mehr aufrechterhalten worden,

[23]haben die Verlobten in den Räumen des Prozessbevollmächtigten in C. vor dem per Videokonferenztechnik zugeschalteten County Clerk Designee (Beauftragter des Bezirkssekretärs) aus Q./Utah F. R. O. sich das Ja-​Wort gegeben. Damit fehlt es an der gleichzeitigen Anwesenheit der Verlobten vor einem (deutschen) Sta[n]desbeamten. Eine wirksame Ehe ist gem. Art. 13 Abs. 4 EGBGB damit zwischen dem Kläger und Frau W. durch die Zeremonie am 00.00.0000 nicht geschlossen worden.

[24]Es liegt auch keine wirksame Eheschließung nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 EGBGB vor. Danach kann eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner Deutscher ist, vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden; eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister, das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, erbringt vollen Beweis der Eheschließung. Die damit eröffnete Möglichkeit der Eheschließung in Deutschland in einer der Botschaften des Staates, dem einer der Verlobten angehört, haben der Kläger und Frau W. nicht genutzt.

[25]...



Fundstellen

Volltext

Link, openJur
Link, NRWE (Rechtsprechungsdatenbank NRW)

Bericht

Plitzko, NZFam, 2024, 957

LS und Gründe

StAZ, 2024, 374, mit Anm. Wall

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2024-114

Lizenz

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