Eine Entscheidung über das Bestehen einer Ehe verstößt gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public international (§ 109 [Abs. 1] Nr. 4 FamFG), wenn nicht beide Ehepartner und ihr aktueller Wille zur Eheschließung in die Entscheidungsfindung einbezogen wurden.
Eine Eheschließung durch Vertrag ist nicht wirksam, wenn sich einer der Verlobten in der Bundesrepublik Deutschland aufhält und hier seine Erklärung abgibt.
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug, dass ihr mangels formeller Wirksamkeit der Eheschließung versagt wurde.
Die 1981 geborene Klägerin ist syrischer Staatsangehörigkeit. Sie lebt derzeit in Damaskus (Syrien). Ihr angegebener Ehemann, der 1974 geboren wurde, ist ebenfalls syrischer Staatsangehörigkeit. Nach dem er etwa 15 Jahre in Saudi-Arabien gearbeitet hatte, reiste er im Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland. Auf seinen Asylantrag erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit unter Ablehnung des Asylantrags im Übrigen subsidiären Schutz zu.
Im April 2021 beantragte die Klägerin bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Beirut (Libanon) ein Visum zum Ehegattennachzug zum Stammberechtigten. Sie erklärte, am xx. Juli 2019 in einem Videoanruf den Stammberechtigten geheiratet zu haben. Zum Nachweis legte sie die Entscheidung eines Scharia-Gerichts vom xx. Oktober 2019 sowie einen Auszug aus dem Familienregister vom xx. Oktober 2019 vor. Mit Bescheid vom 10. Juni 2021 lehnte die Botschaft den Visumsantrag ab, da keine formell wirksame Ehe geschlossen sei. Mit ihrer Klage von 23. Juni 2021 verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
[1]... Die auch ansonsten zulässige Klage ist indes unbegründet. Der angefochtene Remonstrationsbescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Beirut (Libanon) vom 10. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, weil diese weder einen Anspruch auf die versagte Erteilung des begehrten Visums noch auf Neubescheidung ihres Visumsantrags hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
[2]I. Ein Anspruch auf Erteilung des Visums bzw. Neubescheidung des Visumsantrags der Klägerin folgt nicht aus (§ 6 Abs. 3 i.V.m.) § 36a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AufenthG.
[3]Danach kann dem Ehegatten eines Ausländers, der – wie der angegebene Ehemann der Klägerin – als subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dabei ist gemäß § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht bereits vor der Flucht geschlossen worden ist. Vorliegend sind bereits diese tatbestandlichen Voraussetzungen der Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug nach § 36a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AufenthG nicht erfüllt. Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sie verheiratet ist.
[4]1. Dieser Nachweis erfolgte nicht durch Urkunde des Schariagerichts vom 15. Oktober 2019.
[5]Dabei kann offenbleiben, ob es sich dabei um eine Entscheidung handelt, die nach § 107 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) unmittelbare Wirkung im deutschen Rechtskreis entfalten könnte. Der Anerkennung der Eheschließung im deutschen Rechtskreis stünde jedenfalls der sog. ordre public international entgegen.
[6]Nach § 109 FamFG ist die Anerkennung der Entscheidung über das Bestehen der Ehe ausgeschlossen, wenn dies zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist (§ 109 Nr. 4 FamFG). Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung mit den der deutschen Rechtsordnung zu Grunde liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in einer Weise in Widerspruch steht, das sie für untragbar gehalten wird (materieller Verstoß) oder auf einem Verfahren beruht, das nach der deutschen Rechtsordnung nicht als ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher Verstoß) (Bumiller, in: Bumiller/Harders/ Schwamb, FamFG, 12. Aufl. 2019, § 109 Rn. 9 m.w.N.). Dieser Vorbehalt des ordre public international ist dabei vom nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public zu unterscheiden, der zur Anwendung kommt, wenn deutsche Gerichte selbst ausländisches Recht anwenden (z.B. Art. 6 EGBGB). Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ist auf den – gegenüber dem nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public – großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international abzustellen (BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – BVerwG
[7]Nach diesen Grundsätzen verstößt die – unterstellte – Entscheidung des Scharia-Richters vom 15. Oktober 2019 gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public international.
[8]So ist nicht erkennbar, dass der Stammberechtigte und sein aktueller Wille zur Eheschließung in die Entscheidungsfindung einbezogen wurden (siehe zur Bedeutung der Gewährung rechtlichen Gehörs in diesem Zusammenhang Gomille, in: Haußleiter, FamFG, 2. Aufl. 2017, § 109 Rn. 22; sowie für die Anerkennung ausländischer Sorgerechts- bzw. Adoptionsentscheidungen BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – BVerwG
[9]Der Stammberechtigte ist selbst nicht vor dem Gericht erschienen. Er wurde auch nicht auf andere Weise persönlich in das Verfahren eingebunden. So hat er ausdrücklich bekundet, dass das Schariagericht nicht mit ihm kommuniziert habe. Vielmehr seien eidesstattliche Versicherungen der Anwesenden ausreichend gewesen. Bei der in der Entscheidung erwähnten „Bestätigung durch beide Seiten“ (Nr. 3 der in der Entscheidung aufgeführten Dokumente) handele es sich nicht um ein von ihm verfasstes Schreiben an das Gericht.
[10]2. Nach der daher durch das erkennende Verwaltungsgericht Berlin selbst vorzunehmenden Prüfung einer wirksamen Eheschließung ist die zuständige Einzelrichterin nicht davon überzeugt, dass die Klägerin und der Stammberechtigte wirksam verheiratet sind.
[11]Auch bei Wahrunterstellung der Angaben der Klägerin und des Stammberechtigten wurde am 20. Juli 2019 keine wirksame Ehe geschlossen (dazu a]). Hinzu kommen massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit deren Angaben zu einer angeblichen Heirat per Videoanruf an jenem Tag (dazu zu b]).
[12]a) Maßgeblich für die Frage der formellen Wirksamkeit der Ehe sind vorliegend die Regelungen der Art. 11, Art. 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Das nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangig zu Art. 11, Art. 13 EGBGB zu prüfende Personalstatut der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 12 Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Weder der Klägerin selbst noch dem Stammberechtigten wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Der Umstand, dass dem Stammberechtigten subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, führt nicht zur Anwendung des Personalstatuts der Genfer Flüchtlingskonvention, da dieser Schutz nicht in dieser angelegt ist (Andrae, in: Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, § 1 Rn. 24, 25; Thorn, in: Grüneberg, 80. Aufl. 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 27; siehe auch v. Hein, in: MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 5 EGBGB Rn. 31-36; a.A. Mankowski, IPrax 2017, 40 [44f.]). Die Schutzform des subsidiären Schutzes wurde vielmehr unionsrechtlich gerade deswegen geschaffen, um Schutzlücken der Genfer Flüchtlingskonvention zu schließen (Keßler, in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 4 Rn. 1; Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK-AusländerR, 28. Edition, Stand: 1. April 2022, § 4 Rn. 4; ausführlich Frik, OEZG 2_2017, S. 49). Eine Inzidentprüfung, ob womöglich die Flüchtlingseigenschaft hätte zuerkannt werden müssen, ist den Gerichten angesichts der Bindungswirkung des § 6 S. 1 AsylG verwehrt. Danach ist die Entscheidung über den Asylantrag in allen Angelegenheiten verbindlich. Dabei erfasst die Bindungswirkung sowohl negative als auch positive Entscheidungen (BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 – BVerwG
[13]Für die Eheschließung durch Vertrag (sog. Konsensehe) ist der Eheschließungsort dabei in jedem Staat gelegen, in dem sich die Verlobten bei Herstellung des Konsenses befinden; wird der Konsens unter Abwesenden erklärt, und hält sich einer der Verlobten in der Bundesrepublik auf, greift die Spezialregelung des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB (VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Februar 2022 –
[14]So ist es vorliegend: Zwar hat sich die Klägerin in Syrien aufgehalten, der Stammberechtigte aber in Deutschland. Zudem hat er – wie er auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung mehrfach bekräftigt hat – selbst die Erklärung abgegeben, und sie nicht durch einen (in Syrien befindlichen) Stellvertreter abgeben lassen (zur Wirksamkeit und Anerkennungsfähigkeit einer sog. Handschuhehe BGH, Beschluss vom 29. September 2021 –
[15]Zugunsten der Klägerin und des Stammberechtigten greift auch nicht die Ausnahmeregelung des Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB. Danach kann eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner Deutscher ist, vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Die Heirat zwischen der Klägerin und dem Stammberechtigten erfolgte allein durch eine Übereinstimmung zwischen diesen beiden und nicht vor einer (besonders) ermächtigten Person (sog. Trauungsperson, siehe beispielsweise Andrea, in: Heidel/Hüßtege/ Mansel/Noack, BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 13 EGBGB Rn. 118; Coester, in: MüKo-BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 140). Auf Details der Auslegung des Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB z.B. zur Art der Ermächtigung (Andrea, ebd., Art. 13 EGBGB Rn. 119ff.; Coester, ebd., Art. 13 EGBGB Rn. 140f.) kommt es daher ebenso wenig an wie auf die Frage, ob der Nachweis ausschließlich auf die in Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 EGBGB skizzierte Weise erfolgen kann (dazu Andrea, ebd., Art. 13 EGBGB Rn. 124; Coester, ebd., Art. 13 EGBGB Rn. 143).
[16]Mit ihrem Vorbringen, bei dem Scharia-Richter, der am 15. Oktober 2019 die Heiratsbestätigung unterschrieb, handele es sich um eine Trauungsperson i.S.d. Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB vermag die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin nicht durchzudringen. Zwar kann sich die Handlung der Trauungsperson i.S.d. Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB möglicherweise darauf beschränken, sich von dem beiderseitigen Eheschließungswillen zu überzeugen (so Andrea, in: Heidel/Hüßtege/ Mansel/Noack, BGB, 4. Aufl. 2021, Art. 13 EGBGB Rn. 123 allerdings für den Fall der persönlichen Anwesenheit beider Eheleute). Die weiteren Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB sind aber jedenfalls nicht erfüllt. Zum einen gilt Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB angesichts des Zusammenhangs mit Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB und aufgrund der Entstehungsgeschichte als Kontrollratsgesetz in der Nachkriegszeit mit dem Ziel, den in Deutschland stationierten Angehörigen der Besatzungsmächte die Eheschließung unabhängig von den deutschen Formvorschriften zu ermöglichen (siehe dazu Mäsch, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, Art. 13 EGBGB Rn. 72), ausschließlich für Trauungspersonen im Inland (siehe Kemper, in: Schulze, BGB, 11. Aufl. 2021, Art. 13 EGBGB Rn. 16). Zum anderen ist die erforderliche besondere Ermächtigung des Scharia-Richters nicht ersichtlich. Schließlich würde eine – unterstellte – Formwirksamkeit nach Art. 13 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 EGBGB i.V.m. den Regelungen des syrischen Eherechts gegen den nationalen kollisionsrechtlichen ordre public des Art. 6 EGBGB verstoßen. Nach Art. 6 S. 1 EGBGB ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist (Art. 6 S. 2 EGBGB). Da nach den obigen Ausführungen durch die mangelnde Beteiligung des Stammberechtigten ein Verstoß gegen den großzügigeren anerkennungsrechtlichen ordre public international vorliegt, ist auch ein Verstoß gegen den nationalen (kollisionsrechtlichen) ordre public anzunehmen.
[17]b) ...
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