Rechtsgeschäfte zur privaten Geldanlage gelten grundsätzlich nicht als (selbständige) berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Sinne von Art. 17 EuGVVO. Im Zweifel ist von einem Verbrauchervertrag auszugehen. Die Zeichnung von Genussrechten ist regelmäßig als Kapitalanlage und nicht als unternehmerische Beteiligung zu bewerten, wenn nach den Genussrechtsbedingungen und aufgrund des Anlagewerts keine berufliche oder gewerbliche enge Verbindung zum Unternehmen besteht.
Durch die nachträglich erfolgte Verschmelzung der Gesellschaft, an der die Genussrechte bestanden, kann eine verbraucherschützende Zuständigkeit nicht wieder entzogen werden. [LS der Redaktion]
Die Klägerin zu 1) zeichnete am xx.xx.2008 unter den Vertragsnummern V 001 und V 002 Genussrechtsbeteiligungen an dem F. 010 der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der X. AG mit Sitz in W. (die im Jahr 2013 in eine GmbH umgewandelt wurde), in Höhe von ... € je Vertrag, insgesamt also ... €. Der Kläger zu 2) zeichnete ebenfalls am xx.xx.2008 unter den Vertragsnummern V 003 und V 004 Genussrechtsbeteiligungen an dem F. 010 der Rechtsvorgängerin der Beklagten in Höhe von ... € je Vertrag, insgesamt ... €. Die X. GmbH wurde mit Wirkung zum 31.12.2018 mit der im Vereinigten Königreich ansässigen Beklagten verschmolzen. Die Kläger kündigten alle streitgegenständlichen Beteiligungen mit Schreiben vom xx.xx.2016. Die Beklagte erklärte, dass die Kündigungen zum nächsten ordentlichen Beendigungstermin 31.12.2018 vorgemerkt seien. Mit Schreiben vom Februar 2019 wies die Beklagte – unter Verwendung des Briefkopfes der X. Anlegerverwaltung – die Kläger darauf hin, dass zum xx.xx.2018 sämtliche Genussrechte in Aktien umgewandelt worden seien. Sie erklärte, dass bei Aufrechterhaltung der Kündigung sich der Rückzahlungsbetrag auf 0,00 € belaufe, was nicht den tatsächlichen Wert des Investments widerspiegele; der „rechnerische Wert“ der Genussrechte zum 31.12.2018 liege bei mehr als ... €. Alternativ könnten die Kläger von der Kündigung „zurücktreten“; hierfür müsste ein entsprechendes Formblatt ausgefüllt und zurückgesandt werden. Daraufhin nahmen die Kläger die Kündigungen für die streitgegenständlichen Beteiligungen zurück.
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Hauptforderung jeweils in Höhe von ... € (statt eingeklagter ... €) stattgegeben und die Beklagte zudem zur Zahlung von Zinsen und zur Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und beantragt die vollständige Klagabweisung.
[1]II.
[2]Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen besteht kein Anspruch auf Rückzahlung des Nennbetrages der ursprünglichen Genussrechte.
[3]1. Das Landgericht hat zutreffend die Zuständigkeit der deutschen ordentlichen Gerichte bejaht.
[4]Der Einwand der Beklagtenseite gegen die vom Erstgericht zutreffend angenommene internationale Zuständigkeit greift nicht durch. Die internationale – und zugleich auch örtliche – Zuständigkeit ist nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 1 lit. c, Art. 18 Abs. 1 EuGVVO begründet.
[5]a) Die internationale Zuständigkeit ist auch in der Berufungsinstanz zu prüfen. Denn § 513 Abs. 2 ZPO gilt – entgegen des weiten Wortlauts – nicht für die internationale Zuständigkeit (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 513 Rn. 8).
[6]b) Es handelte sich bei den Beteiligungen um Verbrauchergeschäfte.
[7]Rechtsgeschäfte zur privaten Geldanlage gelten grundsätzlich nicht als (selbständige) berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Sinne der EuGVVO (vgl. Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand Juli 2021, Art. 17 EuGVVO, Rn. 26). Im Zweifel ist von einem Verbrauchervertrag auszugehen (vgl. Paulus, a.a.O., Rn. 27). Die Zeichnung von Genussrechten ist regelmäßig als Kapitalanlage und nicht als unternehmerische Beteiligung zu bewerten, wenn nach den Genussrechtsbedingungen und aufgrund des Anlagewerts keine berufliche oder gewerbliche enge Verbindung zum Unternehmen besteht (OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.02.2021 –
[8]c) Die Feststellung des Landgerichts, dass die Kläger die Genussrechte zu privaten Anlagezwecken erworben haben, greift die Beklagte im Ergebnis auch nicht an. Soweit die Beklagte geltend macht, die Kläger seien keine Verbraucher i. S. d. Art. 17 I Buchst. c, 18 I EuGVVO, da sie wegen der im Zuge der Verschmelzung gewährten „B-Shares“ als Aktionäre anzusehen seien, was einer Verbrauchereigenschaft widerspreche, trifft dies nicht zu. Die Kläger haben keine „B-Shares“ gezeichnet, sondern Genussrechte. Durch die nachträglich erfolgte Verschmelzung kann eine verbraucherschützende Zuständigkeit jedoch schlechterdings nicht wieder entzogen werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 29.1.2021 –
[9]d) Die zum Zeitpunkt der Zeichnung in Österreich ansässige Rechtsvorgängerin der Beklagten hat ihre gewerbliche Tätigkeit auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeübt und sie jedenfalls auch auf dieses Gebiet ausgerichtet, wie die Geschäftsabschlüsse mit den Klägern und anderen Anlegern in Deutschland zeigen. Insoweit ist auf die tatsächlich vorgenommenen Tätigkeiten abzustellen (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 34. Aufl., Art. 17 EuGVVO, Rn. 5).
[10]e) Die Gerichtsstandsvereinbarung in § 13 Abs. 2 GRB ist bereits nach ihrem Wortlaut nicht als ausschließliche Vereinbarung formuliert und lässt die Klageerhebung vor einem anderen zuständigen Gericht ausdrücklich zu.
[11]f) Die EuGVVO ist trotz des vollzogenen Brexits auch im Verhältnis zu der in England ansässigen Beklagten noch anwendbar. Die europäischen Regeln zur Zuständigkeit und zur wechselseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen (EuGVVO) sind zwar zum 01.01.2021 ersatzlos entfallen. Dies gilt aber aufgrund der Übergangsvorschrift des Art. 67 Abs. 1 lit. a) im Austrittsabkommen nicht für gerichtliche Verfahren, die vor dem Ablauf der Übergangsphase, also vor dem 01.01.2021, eingeleitet worden sind (vgl. BGH, Beschl. v. 15.06.2021 –
[12]2. Inhaltlich hat das Landgericht allerdings die zwischen den Parteien getroffenen Abreden nicht hinreichend in den Blick genommen und insbesondere die Bedeutung der klägerischen Antwortschreiben vom 25.02.2019 nicht zutreffend bewertet.
[13]a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass die Kläger ihre Genussrechtsbeteiligungen zum 31.12.2018 wirksam ordentlich gekündigt haben. Hierdurch wurde das Beteiligungsverhältnis beendet und in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt.
[14]b) Die Parteien haben indes in der Folgezeit Willenserklärungen abgegeben, durch die im Rahmen eines Vertrages sui generis die Wirkungen der Kündigungen mit der Maßgabe rückgängig gemacht wurden, dass die Kläger zu Aktionären der Beklagten wurden. Auf diesen Umstand – den Dreh- und Angelpunkt des Falles – gehen die Kläger in ihren sachlichen und rechtlichen Ausführungen, insbesondere in der Berufungserwiderung, nicht substanziell ein.
[15]aa) Im Rahmen der Privatautonomie ist es sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Recht (vgl. hierzu das von den Klägern mit der Berufungserwiderung vom 20.01.2022 vorgelegte Rechtsgutachten des Sachverständigen Professor Dr. Dr. h. c. R. vom 20.10.2021, dort S. 11 ff.) ohne weiteres möglich, nach der Beendigung eines Schuldverhältnisses dessen rückwirkende Fortsetzung zu vereinbaren. Es kann daher offen bleiben, ob für das Zustandekommen des neuen Beteiligungsvertrages deutsches oder österreichisches Sachrecht gilt.
[16]bb) ...