Der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 EuGVVO erfasst „Ansprüche aus einem Vertrag“, also auch aus einem Vertrag resultierende Sekundäransprüche wie Schadensersatzansprüche oder Rückabwicklungsansprüche. Dazu gehören auch Ansprüche auf Auszahlung einer Genussrechtsbeteiligung und Ansprüche auf Abrechnung oder Erstattung einer Geschäftsgebühr des Prozessbevollmächtigten. [LS der Redaktion]
Der Kläger verlangt von der Beklagten, einer englischen Limited, Auszahlung, hilfsweise Abrechnung eines Auseinandersetzungsguthabens aus einer Genussrechtsbeteiligung nach Kündigung. Die Parteien streiten insbesondere über die örtliche, internationale und funktionelle Zuständigkeit der angerufenen Zivilkammer sowie eine ordnungsgemäße Zustellung der Klage.
Das Landgericht hat mit Zwischenurteil die Klage für zulässig erklärt. Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
[1]II.
[2]Die zulässige … Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet …
[3]Das Landgericht hat die Klage zu Recht für zulässig erachtet. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Beurteilung.
[4]I.
[5]Das Landgericht Frankfurt (Oder) ist international und örtlich zuständig. Die Beklagte hat ihren Sitz in Großbritannien. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich daher nach den Regeln der EuGVVO, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung gemäß Art. 127 Abs. 1 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft vom 24.01.2020 weiterhin Anwendung findet. Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen. Nach Art. 5 Abs. 1 EuGVVO können Sie vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates nur gemäß den Vorschriften der Kapitel 2-7 EuGVVO verklagt werden.
[6]1.
[7]Zu Recht hat das Landgericht im Streitfall den Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1 c) i.V.m. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO bejaht.
[8]Art. 17 Abs. 1 c) EuGVVO setzt voraus, dass ein Vertrag, den ein Verbraucher zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, und einem Vertragspartner, der in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf diesen Mitgliedstaat ausgerichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt, den Gegenstand des Verfahrens bildet.
[9]a) Der Kläger ist unzweifelhaft Verbraucher im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Verbraucher natürliche Personen, die zu einem privaten Zweck einen Vertrag schließen, der nicht einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 20.01.2005,
[10]b) Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die T… AG, hatte ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet.
[11]Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sodass es auf die jetzige Tätigkeit der Beklagten nicht ankommt. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es für das Merkmal des „Ausrichtens“ darauf an, ob bereits vor dem Vertragsschluss mit dem konkreten Verbraucher objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Unternehmer Geschäfte mit Verbrauchern in dem Wohnsitzstaat des betreffenden Verbrauchers tätigen wollte, und zwar in dem Sinne, dass der Unternehmer zu einem Vertragsschluss mit diesen Verbrauchern bereit war. Dies ist im Rahmen einer Gesamtschau und Würdigung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln, unter denen der Vertrag geschlossen wurde und die Ausdrucksformen dieses Willens sind. Anhaltspunkte dafür, dass ein Gewerbetreibender seine Tätigkeit auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat, können sich aus dem internationalen Charakter der Tätigkeit des Gewerbetreibenden, der Marktbedeutung und dem Zuschnitt des werbenden Unternehmens, der Ausgestaltung seiner Vertriebs- oder Liefermodalitäten, der ausdrücklichen Bezugnahme auf bestimmte Rechtsnormen einer ganz bestimmten Rechtsordnung oder der inhaltlichen Ausgestaltung der Werbemaßnahme und dem Unterhalten einer international erreichbaren Internetseite ergeben (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2010 - C-585/08 und C-144/09, NJW 2011, 505 Rn. 76 ff.; BGH, Urteil vom 09.02.2017 a.a.O. Rn. 23 ff.; Geimer/Schütze a.a.O. Rn. 58 ff.).
[12]Nach diesen Maßstäben kann kein Zweifel daran bestehen, dass die T… AG ihre gewerbliche Tätigkeit auch auf Deutschland ausgerichtet hatte, in dem sie unstreitig mit einer Vielzahl in Deutschland ansässiger privater Anleger entsprechende Kapitalanlageverträge über den Erwerb von Genussscheinen schloss, wie sich auch aus den vom Kläger zu den Gerichtsakten gereichten Gerichtsentscheidungen ergibt. Sie verfügte über Bankkonten bei deutschen Kreditinstituten und führte die Korrespondenz mit ihren Kunden auch in deutscher Sprache. Die von der Beklagten in der Berufungsbegründung vorgenommene künstliche Unterscheidung zwischen operativem und passivem Geschäft findet in der Rechtsprechung des EuGH keine Stütze und ist daher unerheblich. Unerheblich ist auch, ob die Beklagte als Rechtsnachfolgerin heute noch auf dem deutschen Markt tätig ist. Der Verbrauchergerichtsstand entfällt nicht nachträglich dadurch, dass vertragliche Ansprüche ohne Mitwirkung oder Zustimmung des Verbrauchers im Wege der Unternehmensverschmelzung auf Dritte übergehen. Der Vertragspartner des Verbrauchers könnte sich sonst durch Fusionen der Bindung des Verbrauchergerichtsstandes entziehen (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2017 a.a.O. Rn. 53).
[13]c) Der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 EuGVVO erfasst „Ansprüche aus einem Vertrag“, also auch aus einem Vertrag resultierende Sekundäransprüche wie Schadensersatz- oder Rückabwicklungsansprüche (vgl. Geimer/Schütze, a.a.O. Rn. 35; Zöller/Geimer a.a.O. Rn. 14). Dazu gehören somit sowohl der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch auf Auszahlung der Genussrechtsbeteiligung als auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Abrechnung und der als Nebenforderung geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr der Prozessbevollmächtigten des Klägers.
[14]2.
[15]Die in § 13 der Genussrechtsbedingungen enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung steht der internationalen Zuständigkeit ebenfalls nicht entgegen.
[16]Nach dem eindeutigen Wortlaut handelt es sich bei der Klausel in § 13 der Genussrechtsbedingungen bereits nicht um die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes. Es heißt dort ausdrücklich, dass der Sitz der Gesellschaft „ebenfalls“ Gerichtsstand ist, dieser also neben anderen, ebenfalls zulässigen Gerichtsständen tritt. Satz 3 stellt ausdrücklich klar, dass die Einleitung von Verfahren an einem (zulässigen) Gerichtsstand die Einleitung von Verfahren an einem anderen Gerichtsstand nicht ausschließt, soweit dies rechtlich zulässig ist. Das Recht des Klägers, an dem für ihn zuständigen Verbrauchergerichtsstand Klage zu erheben, wird somit dadurch nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen. Auf die Frage der Wirksamkeit der Klausel kommt es daher nicht an.
[17]3.
[18]Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 EuGVVO, da der Kläger seinen Wohnsitz im Gerichtsbezirk des Landgerichts Frankfurt (Oder) hat ...
[19]II.
[20]Die Klage ist auch ordnungsgemäß erhoben worden.
[21]Nach Art. 14 EuZVO können gerichtliche Schriftstücke an Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, per Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Zwar ist im Streitfall ein Rückschein nicht zur Akte gelangt. Zum Nachweis der wirksamen Zustellung ist jedoch jedes andere Beweismittel zulässig (vgl. Okonska in Geimer/Schütze a.a.O., VO (EG) 1393/2007 Art. 14 Rn. 15). Hier ist eine Zustellung der Klageschrift an die Beklagte bereits dadurch nachgewiesen, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sich mit Schriftsatz vom 16.09.2019 unter Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung für die Beklagte bestellt haben und Verteidigungsbereitschaft angezeigt haben. Mit Schriftsatz vom 18.10.2019 haben sie auf die Klage erwidert und dabei auch zur Sache ausgeführt. Dies erfolgte gegenüber dem angerufenen Landgericht unter Angabe des einschlägigen Aktenzeichens. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte die Klageschrift erhalten hat und in der Lage war, ihre Prozessbevollmächtigten über den zugrunde liegenden Sachverhalt umfänglich zu informieren.
[22]Unabhängig davon ist die Klageschrift auf Veranlassung des Landgerichts der Prozessbevollmächtigten erneut zugestellt worden. Sie haben unter dem vom 25.05.2020 den Empfang der Klageschrift nebst Anlagen bestätigt, das Empfangsbekenntnis unterschrieben zurückgesandt und damit ihren Willen bekundet, das Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Warum dies im Hinblick auf § 172 ZPO nicht für eine wirksame Zustellung ausreichen soll, erschließt sich nicht. Die Beklagte hat ihre Prozessbevollmächtigten auch freiwillig im Hinblick auf das vorliegende Verfahren bestellt. Dass die Prozessbevollmächtigten über keine wirksame Vollmacht verfügten, wird die Beklagte nicht behaupten wollen.
[23]Darauf, ob der Klageschrift eine Übersetzung in die englische Sprache beigefügt war, kommt es nicht an. Zum einen würde eine fehlende Übersetzung nach Art. 8 EuZVO lediglich zur Verweigerung der Annahme berechtigen. Eine solche Annahmeverweigerung ist jedoch nicht erfolgt. Zum anderen folgt aus der Tatsache, dass die Beklagte ihre Prozessbevollmächtigten mit ihrer Prozessvertretung beauftragt hat, dass sie in Person ihres Direktors, der selbst Schreiben in deutscher Sprache verschickt, in der Lage war, den deutschen Text der Klageschrift zu verstehen und danach zu handeln. Schließlich war bei der erneuten Zustellung der Klageschrift eine Übersetzung nicht erforderlich, da die Prozessbevollmächtigten der deutschen Sprache mächtig sind.
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