Ein (Verbraucher-)Vertrag im Sinne der EuGVVO liegt bei einer unmittelbaren Vertragsbeziehung zwischen den Parteien vor. Eine durch eine 100% Tochtergesellschaft einer Partei vermittelte mittelbare Beziehung genügt nicht.
Macht der Kläger einen Anspruch aus Prospekthaftung geltend, ist Erfolgsort im Sinne des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei einer Überweisung der Ort des Kontos. [LS der Redaktion]
Die Kläger machen Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage geltend. Die Kläger zeichneten 2013 Genussrechte an der E. AG, nachfolgend E. AG (Deutschland) genannt. Die Beklagte ist alleinige Gründungsgesellschafterin und einzige Gesellschafterin der E. AG (Deutschland) und zugleich Konzernmuttergesellschaft ohne operativen Geschäftsbetrieb. Sie war bis 2019 eine Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht mit Sitz in W.. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der E. AG (Deutschland), Herr M. P. B., war zugleich Vorstand der Beklagten. Im Jahr 2019 wurde die AG formwechselnd in die im Rubrum näher bezeichnete GmbH umgewandelt. Die Genussrechte wurden von der E. AG (Deutschland) auf der Grundlage eines Verkaufsprospekts vom 22.10.2012 nebst den Nachträgen Nr. 1 (17.12.2012), Nr. 2 (08.02.2013 bzw. 15.02.2013) und Nr. 3 (28.05.2013) ausgegeben. Gegenstand der Genussrechte war das Betreiben eines bereits seit 2003 bestehenden Biomasseheizkraftwerks in P. und die geplante Errichtung und Betreibung eines O.-Windparks in der Nordsee („O. S.“). Das Genussrecht bot den Anlegern eine jährliche Verzinsung von 6 % und ab dem Geschäftsjahr 2014 eine zusätzliche gewinnabhängige Verzinsung. Das Heizkraftwerk wurde von der E. BE GmbH & Co KG betrieben, der Windpark wurde von der O. S. GmbH geplant und projektiert. Beide sind 100%ige Tochtergesellschaften der Emittentin. Der O.-Windpark war in einem Übungsgebiet der Bundeswehr geplant. Die Genehmigung wurde bereits im Jahr 2008, damals noch durch eine O. P. GmbH, beantragt. Seitdem weigerte sich das Bundesministerium der Verteidigung, das Seegebiet im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens freizugeben, weil Marine und Luftwaffe in diesem Gebiet Übungen abhielten. Zuständige Genehmigungsbehörde war und ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Im Jahr 2009 erklärte das Wehrverwaltungsamt Nord schriftlich seine Verweigerungshaltung gegenüber dem BSH. Im Jahr 2010 wurde das Projekt auf die neu gegründete O. S. GmbH übertragen.
Die Beklagte wurde als Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht im Juni 2012 gegründet, die E. AG (Deutschland) im Juli 2012. Letztere erwarb ebenfalls im Jahr 2012 von einer E. H. GmbH die Rechte an dem Windparkprojekt O. S. und gab die streitgegenständlichen Genussrechte an eine Vielzahl von Anlegern aus. Eine Genehmigung des Windparks ist bis heute nicht erteilt worden. Das Planfeststellungsverfahren endete zum 01.01.2017.
Mit Vertrag vom 2.5.2014 zwischen den Klägern und der E. AG (Deutschland) wurden die Genussrechte der Kläger einvernehmlich aufgehoben und in partiarische Darlehen umgewandelt. Mit Ergänzungsvertrag vom 04.06.2014/24.06.2014 verpflichtete sich die E. AG (Deutschland), zur Besicherung des Darlehensvertrages Grundschulden in Höhe der Darlehensbeträge zu bestellen. Diese wurden im Anschluss im Grundbuch von P. eingetragen. Über das Vermögen der E. AG (Deutschland) wurde mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 10.2.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Kläger meldeten gegenüber dem Insolvenzverwalter ihre Forderung an. Der Insolvenzverwalter zeigte am 17.1.2020 Masseunzulänglichkeit an.
Die Kläger haben zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus der zur Insolvenztabelle AG M. angemeldeten Forderung Mit dem am 23.6.2021 verkündeten Urteil hat das Landgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Beklagte hat Berufung eingelegt. Die Beklagte beantragt, das am 23.6.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (
[1]II.
[2]Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht weder gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Bei der Tenorierung war lediglich der in der Hauptsache zuerkannte Betrag aufgrund der im Berufungsverfahren erfolgten teilweisen Klagerücknahme zu korrigieren.
[3]1. ... 2.
[4]Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung ohne Erfolg gegen die vom Landgericht bejahte internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits. Entgegen der im erstinstanzlichen Verfahren von den Klägern noch vertretenen Auffassung folgt diese mangels einer zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehung zwar nicht aus Art. 18, aber aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), nämlich unter dem Gesichtspunkt des Erfolgsorts der unerlaubten Handlung.
[5]a.
[6]Die internationale Zuständigkeit ist als (eigene) Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen. Grundsätzlich bestimmt das nationale Recht, in welcher Weise die Prüfung von Amts wegen erfolgt. Insoweit räumen die EU-Verordnung und das Lugano-Übereinkommen den Mitglied- bzw. Vertragsstaaten einen Spielraum ein. Im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Kläger die nach dem insoweit maßgeblichen deutschen Recht deliktischen Ansprüche schlüssig behauptet. Die ihnen zugrundeliegenden Tatsachen sind nämlich sowohl im Rahmen der Zulässigkeit als auch für die Begründetheit der Klage notwendigerweise erheblich. Ihr tatsächliches Vorliegen wird erst im Zusammenhang mit der Begründetheit der klägerischen Ansprüche geprüft (sog. doppelrelevante Tatsachen). Es müssen daher (nur) konkrete Tatsachen vorgetragen werden, die - ihre Richtigkeit unterstellt - bei zutreffender rechtlicher Würdigung alle Tatbestandsmerkmale der Deliktsnorm erfüllen (BGH, Urteil vom 29.06.2010 –
[7]b.
[8]Nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO kann die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Der Begriff des Verbrauchervertrages wird in Abs. 1 definiert und ist autonom auszulegen, wobei in erster Linie die Systematik und die Ziele der Verordnung heranzuziehen sind, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Da Art. 17–19 weitreichende Ausnahmen vom Prinzip des actor sequitur forum rei-Grundsatzes (Art. 4) zulassen, ist grundsätzlich eine restriktive Handhabung angezeigt (Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021, EuGVVO Art. 17 Rn. 1). Der Begriff Vertrag setzt allerdings nicht die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs im engeren Sinn voraus. Vielmehr liegen bei autonomer Auslegung vertragliche Ansprüche (jedenfalls) dann vor, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig eine Verpflichtung eingegangen ist (EuGH, Urteil vom 20.01.2005 – C-27/02 – Tz 51; Geimer in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, Artikel 17 (Artikel 15 LugÜ) EUGVVO Rn. 15).
[9]c.
[10]Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Kläger, deren Verbrauchereigenschaft nicht im Streit steht, haben die Genussrechte von der E. AG (Deutschland) erworben, die zwar eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten, aber nicht identisch mit dieser ist. Eine solche bloß mittelbare Beziehung zum Vertragspartner des Verbrauchers genügt nicht. Die Klägerin machen keine vertraglichen, sondern ausschließlich Ansprüche aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung geltend und nehmen die Beklagte als Prospektverantwortliche gem. § 20 VermAnlG in Anspruch.
[11]d.
[12]Damit ist auch der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO nicht eröffnet. Auch wenn dieser nicht den Abschluss eines Vertrags verlangt, setzt er voraus, dass, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, eine von einer Person gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung bestimmt werden kann, auf die sich die betreffende Klage stützt (EuGH, Urteil vom 28.01.2015 – C-375/13, Tz. 39). Die Erfüllung einer solchen Verpflichtung ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
[13]e.
[14]Eine Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz der Kläger folgt jedoch aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.
[15](1)
[16]Hiernach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO autonom und als Ausnahme zum allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 EuGVVO eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 12.05.2021 – C-709/19 –, juris Rn. 24 m.w.N.). Umfasst ist grundsätzlich sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens. Die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ darf jedoch nicht so weit ausgelegt werden, dass sie jeden Ort erfasst, an dem die nachteiligen Folgen eines Umstands spürbar sind, der bereits einen tatsächlich an einem anderen Ort entstandenen Schaden verursacht hat (EuGH, Urteil vom 12.05.2021 – C-709/19 –, juris Rn. 26 f. m.w.N.). Der EuGH hat angenommen, dass die Gerichte am Wohnsitz des Klägers in Anknüpfung an die Verwirklichung des Schadenserfolgs für eine Klage, mit der der Emittent eines Zertifikats aus Prospekthaftung und wegen Verletzung sonstiger ihm obliegender Informationspflichten in Anspruch genommen wird, insbesondere dann zuständig sein können, wenn sich der behauptete Schaden unmittelbar auf einem Bankkonto des Klägers bei einer Bank im Zuständigkeitsbereich dieser Gerichte verwirklicht und die anderen spezifischen Gegebenheiten dieser Situation ebenfalls zur Zuweisung der Zuständigkeit an diese Gerichte beitragen (EuGH, Urteil vom 12.09.2018 – C-304/17 –, juris Rn. 28 und 36 m.w.N.; Urteil vom 28.01.2015 – C-375/13, juris Rn. 57, jeweils zu Art. 5 Nr. 3 VO 44/2001).
[17](2)
[18]Nach dieser Maßgabe ist das Landgericht Saarbrücken international zuständig. Die Kläger haben das Anlagekapital ausweislich der Zeichnungsscheine (Blatt 12-13) unmittelbar von zwei Konten bei der -Bankbezeichnung- auf ein Konto der Emittentin bei der -Bankbezeichnung2- G. überwiesen, sodass die durch die unerlaubte Handlung verursachte Minderung des Kontoguthabens den für die Bestimmung des Erfolgsorts maßgeblichen Schaden darstellt. Die Kläger machen im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe aus eigenem wirtschaftlichen Interesse darauf hingewirkt, dass ein Prospekt mit dem publizierten und fehlerhaften Inhalt erlassen worden sei. Es steht außer Streit, dass die Beklagten im Zeitpunkt der Herausgabe des Prospekts die Konzernmutter in dem Firmengeflecht aus der Emittentin, der Betreiberin des Kraftwerkes und der Windparkplanungsgesellschaft und deren alleinige Gesellschafterin war. In dem Prospekt ist sie auf Seite 17 gemäß § 7 VermVerkProsV als Gründungsgesellschafterin aufgeführt (Blatt 48). Damit haben die Kläger Umstände schlüssig vorgetragen, die die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründen.
[19](3)
[20]Der so bestimmte Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, wonach dem Ziel der Verordnung Rechnung zu tragen ist, den Rechtsschutz der in der Union ansässigen Personen zu stärken, indem dem Kläger eine leichte Identifizierung des Gerichts, das er anrufen kann, und zugleich dem Beklagten eine angemessene Vorhersehbarkeit des Gerichts, vor dem er verklagt werden kann, ermöglicht wird. Denn der Prospektverantwortliche, der seinen gesetzlichen Pflichten in Bezug auf den Prospekt nicht nachkommt, wenn er beschließt, diesen in anderen Mitgliedstaaten notifizieren zu lassen, muss sich darauf einstellen, dass nicht hinreichend informierte Wirtschaftsteilnehmer, die in diesen Mitgliedstaaten ansässig sind, in die Vermögensanlage investieren und Schaden erleiden (EuGH, Urteil vom 12.09.2018 – C-304/17 –, juris Rn. 34 f.).
[21](4)
[22]Dagegen wendet die Berufung ohne Erfolg ein, die vom Landgericht herangezogenen Urteile des BGH und EuGH seien zum Lugano-Übereinkommen sowie zur Verordnung Nr. 44/2001 ergangen. Der EuGH hat mehrfach klargestellt, dass seine zur Art. 5 Nr. 3 Verordnung Nr. 44/2001 ergangene Rechtsprechung unverändert auch für Art. 7 Nr. 2 EuGVVO gilt (z.B. EuGH, Urteil vom 12.09.2018 – C-304/17 –, juris Rn. 19). Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, anders als in den vom EuGH bislang entschiedenen Fällen habe die Beklagte unstreitig keine Emittentenstellung, womit in diesem Mitgliedstaat keine gesetzlichen Offenlegungspflichten für sie bestünden, die die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates begründen könnten. Denn § 20 VermAnlG begründet eine Haftung nicht nur des Emittenten des Prospekts, sondern eine gesamtschuldnerische Haftung derjenigen, die für den Verkaufsprospekt die Verantwortung übernommen haben, und derjenigen, von denen der Erlass des Verkaufsprospekts ausgeht. Als Anspruchsgegner kommen damit gerade auch der tatsächliche Urheber eines Prospekts wie die sog. Hintermänner, die Mitglieder der Leitungsgruppe oder die Prospektveranlasser in Betracht (Assmann in: Assmann/Schlitt/ von Kopp-Colomb, Wertpapierprospektgesetz/Vermögensanlagengesetz, 3. Aufl. 2017, § 20 VermAnlG Rn. 30).
[23]3. ... 4.
[24]Die Klage ist auch im tenorierten Umfang begründet. Die Kläger können von der Beklagten gem. § 20 Abs. 1 VermAnlG Zahlung des Erwerbspreises von ... € abzüglich ihnen zugeflossener ... € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2018 verlangen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus der zur Insolvenztabelle AG M. –
[25]a.
[26]Die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Rechtsstreit folgt aus Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) 864/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II VO). Hiernach ist, soweit in der Verordnung nichts Anderes vorgesehen ist, auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Wie bereits ausgeführt, ist der Schaden am Wohnsitz der Kläger in Deutschland eingetreten. Dies haben die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr angegriffen.
[27]b. ...