Eine nachträgliche Änderung der in einem Arbeitsvertrag getroffenen Rechtswahl zugunsten des Rechts des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Dienste verrichtet, ist möglich.
Eine gesonderte Klauselkontrolle für vorformulierte Rechtswahlklauseln in einem Arbeitsvertrag kommt nicht in Betracht. Insoweit wird über Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO ein spezifisch kollisionsrechtlicher Schutz vor den Folgen einer Rechtswahl verwirklicht. [LS der Redaktion]
[Siehe auch die im Wesentlichen inhaltsgleiche Parallelentscheidung des LAG Düsseldorf gleichen Datums –
Die Beklagte zu 1) war ein Flugdienstleistungsunternehmen im S.-Konzern mit Sitz in T. (x.). Zwischen ihr und dem 1979 geborenen, verheiratetem Kläger, der zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, bestand seit 2018 ein Arbeitsverhältnis. Grundlage war zuletzt der Arbeitsvertrag vom xx.xx.2019. Der Kläger war danach als Kapitän (Commander) an der Heimatbasis Düsseldorf beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag hieß es u.a.: "Als Stationierungsort des Dienstnehmers ist Wien, als Einsatzort Düsseldorf vereinbart. [...] Im ausdrücklichen Einvernehmen wird vereinbart, dass auf dieses Vertragsverhältnis ausschließlich österreichisches Recht, unter Ausschluss der Verweisungsnormen des internationalen Privatrechts, zur Anwendung kommt." Die Geschäftsführer der Beklagten zu 1) informierten die in Düsseldorf stationierten Piloten über ein „Eckpunktepapier für in Deutschland stationierte Piloten“ (im Folgenden Eckpunktepapier). Der Kläger erklärte per Antwort-E-Mail fristgerecht seine Zustimmung zu dem Eckpunktepapier. In diesem hieß es u.a.: „Ab dem 1. Juli 2020 wird M. das deutsche Arbeitsrecht auf das gesamte in Deutschland direktangestellten Piloten von M. anwenden." 2020 erhielt der Kläger eine E-Mail der Beklagten zu 2), die u.a. folgenden Inhalt hatte: „wir freuen uns, Ihnen mit Wirkung ab September 2020 die Position [...] bei M. Europe Ltd anbieten zu können. [...] M. Europe Ltd bietet Ihnen die gleichen wie die in Ihrem bestehenden Vertrag mit M. GmbH genannten Konditionen [...]" Der Kläger antwortete auf diese E-Mail, wie ein Großteil der Beschäftigten der Station Düsseldorf, fristgerecht mit „ich akzeptiere“. Im September 2020 zeigten die Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 2) u.a. bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf eine beabsichtigte Massenentlassung von xxx Beschäftigten an. Mit Schreiben vom xx.xx.2020 bzw. nach Vorliegen notwendiger behördlicher Zustimmungen kündigte die Beklagte zu 1) die Arbeitsverhältnisse der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter. Ebenfalls mit Schreiben vom xx.xx.2020 kündigte die Beklagte zu 2) etwaige Arbeitsverhältnisse sämtlicher Beschäftigter der Station B., die auf die E-Mail zustimmend geantwortet hatten.
Mit der am xx.xx.2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und der Beklagten zu 1) am xx.xx.2020 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen deren Kündigung vom xx.xx.2020 gewandt. Mit der am xx.xx.2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und der Beklagten zu 2) am xx.xx.2020 zugestellten Klage hat sich der Kläger gegen deren Kündigung vom xx.xx.2020 gewandt. Die Klage ist mit dem Antrag zu 1) Gegenstand des Verfahrens Arbeitsgericht Düsseldorf -
[1]A. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die im Jahre 2020 eingegangenen Klagen gegen beide Beklagte folgt aus Art. 66 Abs. 1, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EUGVVO). Es handelt sich bei den arbeitsgerichtlichen Klagen um zivilrechtliche Streitigkeiten i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EUGVVO (BAG 07.05.2020 - 2 AZR 692/19 (IPRspr 2020-142), Rn. 16). Der für die Anwendung der EUGVVO erforderliche Auslandsbezug besteht, weil die Beklagten ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Als Arbeitgeber mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats können sie in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus ihr Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, verklagt werden (Art. 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i EUGVVO). Der Kläger hat seine Arbeit für die Beklagte zu 1) von Düsseldorf aus verrichtet. Er hat von diesem Standort aus seine Flugdienste regelmäßig begonnen und dort auch wieder beendet. Entsprechendes sollte auch für seine Arbeit bei der Beklagten zu 2) gelten. Da er für diese noch keine Arbeit verrichtet hat, sind bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i EUGVVO erfüllt (EuGH 25.02.2021 - C-804/19 [Markt24], Rn. 39 ff.).
[2]B. ... C. Die Berufungen des Klägers sind weitgehend unbegründet. Sie haben lediglich betreffend die gegen die Beklagte zu 1) gerichteten und zuletzt unbedingt gestellten Zahlungsanträge zu II.4. und II.7. Erfolg. Im Übrigen haben die Berufungen des Klägers keinen Erfolg.
[3]I. Der gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Kündigungsschutzantrag (Antrag zu I.) ist unbegründet, weil die Kündigung der Beklagten zu 1) vom 10.09.2021 das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2020 rechtswirksam beendet hat.
[4]1. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu der Beklagten zu 1) findet aufgrund der im Eckpunktepapier getroffenen Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) deutsches Recht Anwendung. Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus einem Vertrag und somit auch das Recht seiner Kündigung einschließlich des allgemeinen Kündigungsschutzes grundsätzlich dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet (BAG 24.08.1989 - 2 AZR 3/89 (IPRspr. 1989 Nr. 72)).
[5]Im Eckpunktepapier haben der Kläger und die Beklagte zu 1) Anfang Juli 2020 die in ihrem ursprünglichen Arbeitsvertrag vereinbarte Anwendung österreichischen Rechts zugunsten des deutschen Rechts derogiert. Im Eckpunktepapier ist u. a. vereinbart, dass die Beklagte zu 1) ab dem 01.07.2020 das deutsche Arbeitsrecht auf alle ihre in Deutschland direkt angestellten Piloten anwendet. Zudem wurde in den Anfang Juli 2020 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) gewechselten E-Mails vereinbart, dass das Eckpunktepapier ab dem 01.07.2020 die bisherigen Bedingungen und Konditionen ersetzt bzw. an deren Stelle tritt. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO gestattet es den Parteien, eine einmal getroffene Rechtswahl jederzeit wieder abzuändern (MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 77; BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 202; OGH 25.11.2014 -
[6]Unabhängig von Vorstehendem gehen die Parteien in beiden Tatsacheninstanzen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus (vgl. zu einer - gemäß Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO auch nachträglich möglichen - Rechtswahl BGH 19.01.2000 - VIII ZR 275/98, Rn 28; BGH 09.06.2004 - I ZR 266/00, Rn. 36 m. w. N:). Es geht hierbei auch nicht um die Frage einer bloß irrigen Rechtsansicht. Die Parteien gehen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus, wie sie noch einmal in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben. Sie sind sich ausdrücklich einig, dass deutsches Recht zur Anwendung kommen soll. Unabhängig davon liegt unter Berücksichtigung sämtlicher vorgetragenen Umstände in diesem Verfahren jedenfalls eine stillschweigende Rechtswahl deutschen Rechts vor (vgl. dazu z.B. BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 Rn. 131 ff; 179 ff.; zur stillschweigenden nachträglichen Rechtswahl Ferrari, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, VO (EG) 593/2008 Art. 3 Rn. 43), denn den Parteien ist bewusst, dass ursprünglich österreichisches Recht vereinbart war und durch das Eckpunktepapier jetzt deutsches Recht zur Anwendung kommen soll. Genau auf dieser Rechtswahlgrundlage haben die Parteien sich verhalten und den Prozess geführt. Das Eckpunktepapier soll insgesamt zur Anwendung kommen, wie z.B. die Klage auf die Sektorzulage gerade auf der Grundlage des Eckpunktepapiers unter Berücksichtigung der Einlassung der Beklagten zu 1) dazu zeigt. Die Parteien streiten außerdem - mit insoweit unterschiedlichen Ergebnissen - sogar darüber, ob durch die Vereinbarung deutschen Arbeitsrechts gleichzeitig auch das deutsche Kündigungsschutzgesetz gilt. Dieser Streit ergibt nur auf der Grundlage des überhaupt vereinbarten deutschen Arbeitsrechts Sinn, was keine Partei - wie ausgeführt - in Abrede stellt. Es ist deshalb, nach den Umständen dieses konkreten Falles kein vernünftiger Grund gegeben, am realen Willen der Parteien zu zweifeln, sich unter den beiden in Betracht kommenden Rechten (x. und Deutschland) für die deutsche Rechtsordnung mit Geltungsabsicht zu entscheiden (vgl. a. OGH 25.11.2014 -
[7]2. ... 3. ... 4. ... 5. ... 6. ... 7. ... 8. ... II. Der gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Kündigungsschutzantrag (Antrag zu III.2) ist zulässig aber unbegründet.
[8]1. ... 2. Der Kündigungsschutzantrag zu III.2 ist unbegründet, weil die Kündigung der Beklagten zu 2) vom 10.09.2020 rechtswirksam ist und das vertraglich mit dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.12.2020 aufgelöst hat.
[9]a. Die Wirksamkeit der Kündigung beurteilt sich nach deutschem Recht. Insoweit gilt im Ergebnis aufgrund der von den Parteien getroffenen Rechtswahl im Eckpunktepapier nichts anderes als für die Kündigung der Beklagten zu 1). Der Kläger und die Beklagte zu 2) wiederum haben auf der Grundlage des Schreibens vom 20.08.2020 - unabhängig von der zu Grunde gelegten Übersetzung - ein Arbeitsverhältnis zu denselben Bedingungen und Konditionen vereinbart, wie sie in dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1) bestand. Demgemäß gilt deutsches Recht auch im Verhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2). Davon gehen die Parteien im Übrigen im Verfahren übereinstimmend aus und sind sich darüber einig.
[10]b. ...