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Verfahrensgang

OLG Frankfurt/Main, vom 01.12.2022 – 26 Sch 4/22, IPRspr 2022-238

Rechtsgebiete

Schiedsgerichtsbarkeit
Allgemeine Lehren → Ordre public

Leitsatz

Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public international kann nicht damit begründet werden, dass ein Schiedsgericht bei einer Beweiswürdigung nicht angibt, welchen konkreten Beweiswert es einzelnen Indizien beigemessen hat.

Rechtsnormen

BGB § 826
GG Art. 103
UNÜ Art. V; UNÜ Art. VI
ZPO § 580; ZPO § 1025; ZPO § 1061

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs. Gegenstand des Schiedsverfahrens war der Verkauf sämtlicher Aktien der im Chemiesektor tätigen C S.p.A., einer Aktiengesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Stadt1 in der Provinz1 in der Region1 an die Antragsgegnerin zu 1. Die Antragstellerinnen zu 1 bis 3 waren Gesellschafter der C S.p.A.

2018 beantragten die Antragsgegnerinnen auf Grundlage der Schiedsklausel nach Art. 13.2 des Anteilskaufvertrags die Einleitung eines Schiedsverfahrens (Az. ICC 23550/GR). In der Sache beantragten die Antragsgegnerinnen im Schiedsverfahren, die Nichtigkeit des Anteilskaufvertrags sowie der Anteilsübertragung wegen Arglist festzustellen und die Antragstellerinnen zum Schadensersatz in Höhe von mindestens € x.xxx.xxx zuzüglich Zinsen zu verurteilen. 2020 erließ das Schiedsgericht den verfahrensgegenständlichen Schiedsspruch. Das Schiedsgericht wies unter anderem in dem Schiedsspruch sowohl den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des Anteilskaufvertrags als auch den auf Zahlung von Schadensersatz gerichteten Klageantrag ab (Ziff. 2 des Tenors). Die Antragsgegnerinnen zu 1 und zu 2 haben vor dem Corte d’Appello von Mailand die Nichtigerklärung des in Rede stehenden Schiedsspruches beantragt (Aktenzeichen 136/2021). Die Antragstellerinnen begehren nunmehr die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs.

Aus den Entscheidungsgründen:

(Randnummern der IPRspr-Redaktion)

[1]II.

[2]Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des ausländischen Schiedsspruchs ist zulässig (1) und begründet (2).

[3]1. Der Antrag ist nach den §§ 1025 Abs. 4, 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit den Regeln des UNÜ statthaft und auch im Übrigen zulässig ...

[4]2. Der Antrag ist auch begründet.

[5]a. ... b. Auch die materiellen Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs liegen vor. Anerkennungshindernisse nach Art. V Abs. 1 UNÜ sind nicht gegeben.

[6]Dem Schiedsspruch ist die Anerkennung und Vollstreckung auch nicht deshalb zu versagen, weil er etwa gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) verstieße (Art. V Abs. 2 Buchst. b UNÜ).

[7]Die öffentliche Ordnung (ordre public) steht der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs in der Bundesrepublik Deutschland entgegen, wenn seine Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Dies ist der Fall, wenn der Schiedsspruch eine Norm verletzt, die die Grundlagen des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens regelt, oder zu deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem untragbaren Widerspruch steht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 06.10.2016 - I ZB 13/15 (IPRspr 2016-290) -, NJW-​RR 2017, 313, 319). Danach ist einem Schiedsspruch beispielsweise die Anerkennung zu versagen und der Antrag auf Vollstreckbarerklärung abzulehnen, wenn der Schiedsspruch durch Verfahrensbetrug erwirkt wurde und der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 4 ZPO vorliegt oder wenn die Erwirkung des Schiedsspruchs oder das Gebrauchmachen von diesem Titel als sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB zu werten ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 06.10.2016 - I ZB 13/15 (IPRspr 2016-290) -, NJW-​RR 2017, 313, 319).

[8]Ist - wie hier - über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs zu entscheiden, gilt im Interesse des internationalen Handelsverkehrs der gegenüber dem ordre public interne weniger strenge Prüfungsmaßstab des ordre public international. Danach kann einem ausländischen Schiedsspruch unter dem Gesichtspunkt des deutschen verfahrensrechtlichen ordre public nur dann die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren an einem schwerwiegenden, die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührenden Mangel leidet (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 06.10.2016 - I ZB 13/15 (IPRspr 2016-290) -, NJW-​RR 2017, 313, 319). Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public international scheidet danach regelmäßig aus, wenn kein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public interne vorliegt.

[9]Danach kann im Streitfall von einem Verstoß gegen den ordre public international keine Rede sein.

[10]Dies gilt selbst dann, wenn man an die Begründung eines ausländischen Schiedsspruchs ebenso strenge Anforderungen anlegen wollte wie an die Begründung eines inländischen Schiedsspruchs.

[11]Es ist allgemein anerkannt, dass an die Fassung und Begründung von inländischen Schiedssprüchen nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für Urteile staatlicher Gerichte gelten. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass die Begründung eines Schiedsspruchs nicht seine - ohnehin eingeschränkte - Überprüfung durch ein staatliches Gericht sicherstellen soll, sondern im Interesse der Parteien erfolgt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 09.12.2021 - I ZB 21/21 (IPRspr 2021-346) -, NJOZ 2022, 495, 501). Soweit die Parteien nichts Anderes vereinbaren, muss die Begründung eines Schiedsspruchs lediglich gewissen Mindestanforderungen entsprechen. Sie darf nicht offenbar widersinnig sein oder im Widerspruch zur Entscheidung stehen und sich nicht auf inhaltsleere Redensarten beschränken (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26.11.2020 - I ZB 11/20 -, BeckRS 2020, 39395; Beschluss vom 09.12.2021 - I ZB 21/21 (IPRspr 2021-346) -, NJOZ 2022, 495, 501). Es genügt, wenn das Schiedsgericht in seiner Begründung eine kurze Zusammenfassung der den Schiedsspruch tragenden Erwägungen gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2021 - I ZB 21/21 (IPRspr 2021-346) -, NJOZ 2022, 495, 501, m. w. N.). Auf die aus seiner Sicht für den Ausgang des Schiedsverfahrens zentralen Fragen muss das Schiedsgericht aber eingehen. Darüber hinaus muss es in seiner Begründung zu den wesentlichen Verteidigungsmitteln der Parteien Stellung nehmen, sich aber nicht mit jedem Punkt des Parteivorbringens befassen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2021 - I ZB 21/21 -, NJOZ 2022, 495, 501; in diesem Sinne für Art. 5 Abs. 2 lit. b UNÜ auch Wolff, in: ders. (Hrsg.), New York Convention, 2. Aufl. 2019, Art. V, Rdnr. 558).

[12]Hiervon unberührt bleiben die Begründungsanforderungen, die dem Schiedsgericht im Einzelfall aus dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erwachsen können. Soweit der wesentliche Kern des entscheidungserheblichen Vorbringens einer Partei zu einer Frage von zentraler Bedeutung für das Verfahren betroffen ist, lässt dessen Nichterwähnung in der Begründung des Schiedsspruchs regelmäßig auf dessen Nichtberücksichtigung schließen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 09.12.2021 - I ZB 21/21 (IPRspr 2021-346) -, NJOZ 2022, 495, 501, m. w. N.) ...

[13]Nach alledem kann im Streitfall von einer „offenbar widersinnigen“ Begründung des Schiedsspruchs keine Rede sein. Die Begründung des Schiedsspruchs steht auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung. Ebenso wenig beschränkt sie sich auf inhaltsleere Redensarten.

[14]c. Auch der Hilfsantrag der Antragsgegnerinnen ist nicht begründet.

[15]Eine Aussetzung des Verfahrens (Art. VI UNÜ) im Hinblick auf den noch anhängigen Aufhebungsantrag in Italien kommt nach derzeitigem Verfahrensstand nicht in Betracht. Allein die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens im Heimatstaat des Schiedsspruchs führt nicht dazu, dass das Vollstreckbarerklärungsverfahren ausgesetzt werden müsste (vgl. OLG München, Beschluss vom 20.12.2019 - 34 Sch 14/18 (IPRspr 2019-360) -, SchiedsVZ 2020, 145, 146; Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, UNÜ Art. VI, Rdnr. 2). Erforderlich ist vielmehr auch, dass der Antragsgegner die von ihm im Aufhebungsverfahren im Heimatstaat des Schiedsspruchs geltend gemachten Aufhebungsgründe im Vollstreckbarerklärungsverfahren vorträgt und diese Gründe auch erfolgsversprechend erscheinen (vgl. Adolphsen, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2022, UNÜ Art. VI Rn. 2 m. w. N.).

[16]So liegt es hier aber nicht.

[17]Nach Art. V Abs. 1 lit. e UNÜ ist der Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs im Heimatstaat gerade nicht ausreichend, um eine Vollstreckbarerklärung zu versagen. Das UNÜ erkennt damit ausdrücklich an, dass allein die Anhängigkeit eines Aufhebungsverfahrens die Vollstreckung in anderen Staaten nicht unterbinden soll.

[18]Das Hauptanliegen des UNÜ ist die Bereitstellung eines effektiven, internationalen Regelwerks, welches eine Anerkennung und Vollstreckung internationalen Schiedssprüchen und -abreden gewährleistet. Auch im Rahmen der Abwägungsentscheidung über einen Aussetzungsantrag ist daher das Ziel des UNÜ zu wahren, die Anerkennung von Schiedssprüchen zu erleichtern.

[19]Auch § 1061 Abs. 3 ZPO spricht konzeptionell gegen eine Aussetzung. Hiernach kann die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung beantragt werden, wenn der Schiedsspruch, nachdem er für vollstreckbar erklärt worden ist, im Ausland aufgehoben wurde. Mit dieser Befugnis zur Aufhebung der Vollstreckbarerklärung nach Aufhebung des Schiedsspruchs im Ausland hat der Gesetzgeber eine Vollstreckbarerklärung trotz laufenden oder noch möglichen Aufhebungsverfahrens gerade voraussetzt ...

[20]3. ... 4. ... 5. In Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen bemisst sich der Streitwert nach dem Interesse des Antragstellers an der Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs und entspricht daher grundsätzlich dem Hauptsachewert des Schiedsspruchs ohne Zinsen und Kosten (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 29.03.2018 - I ZB 12/17 -, juris; Senat, Beschluss vom 04.06.2018 - 26 Sch 9/18 -, juris; Beschluss vom 18.06.2020 - 26 Sch 11/19 -, juris; Herget, in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 3, Rdnr. 16.147). Da im Streitfall das Schiedsgericht die Schiedsklage abgewiesen hat, bemisst sich hier der Wert nach den ausweislich des Schiedsspruchs von den Antragsgegnerinnen zu tragenden Kosten und Auslagen.

[21]...

Fundstellen

nur Leitsatz

EWiR, 2023, 351, mit Anm. Weller/Kurz

Permalink

https://iprspr.mpipriv.de/2022-238

Lizenz

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