Die Derogation eines durch Rechtswahl zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts (hier: österreichisches Recht) durch eine nachträgliche Änderung dieser Vereinbarung zugunsten des deutschen Rechts ist möglich. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit dieser Vereinbarung auf der Grundlage des gewählten deutschen Rechts nach Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO iVm. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO bestehen nicht. [LS der Redaktion]
Bei der Beklagten zu 1) handelte es sich um ein Flugunternehmen mit Sitz in T. (P.). Alleingesellschafterin war die irische S. Holdings PLC. Die im Jahr 2020 neu gegründete Beklagte zu 2) hat ihren Sitz in N. und ist ebenfalls eine Fluggesellschaft der S. Gruppe. Ihre alleinige Gesellschafterin ist die H. Holding Limited, deren Alleingesellschafterin wiederum die S. Holdings PLC ist. Der am ... 1970 geborene Kläger war bei der Beklagten zu 1) seit 2018 in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt, seit dem 2019 als Kapitän (Commander) gegen ein durchschnittliches Monatsbruttogehalt von zuletzt ... EUR an der Basis R. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zunächst der Arbeitsvertrag vom xx.xx.2018 (Blatt 20 f. der Akte). An diesen schloss sich der Vertrag vom xx.xx.2019 an (Anlage K2, Blatt 22 ff. der Akte), der unter anderem unter Ziffer 13 (5) bestimmte, dass das Arbeitsverhältnis ausschließlich österreichischem Recht unterliegt und unter Ziffer 11 (1) den österreichischen Kollektivvertrag der Angestellten der M. GmbH für anwendbar erklärte. Infolge der Ausbreitung der Covid19-Pandemie setzte die Beklagte zu 1) den Flugverkehr an den deutschen Standorten von Mitte März bis Ende Juni 2020 vollständig aus. Im Mai 2020 nahm die Beklagte zu 1) Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di auf, welche nach ihren Angaben der Sicherung der Basis in R. dienen sollten. Parallel zu den Verhandlungen mit ver.di forderte die Beklagte zu 1) ihre in R. eingesetzten Piloten per E-Mail auf, individuell dem "Eckpunktepapier für in Deutschland stationierte Piloten" zuzustimmen, um den Standort R. vor einer Schließung zu bewahren. In dem genannten Eckpunktepapier heißt es: "[...] Ab dem 1. Juli 2020 wird M. das deutsche Arbeitsrecht auf alle in Deutschland direktangestellten Piloten von M. anwenden. [...]" Mit Schreiben vom 10.09.2020 kündigte die Beklagte zu 1) nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf (Bl. 172 ff. der Akte) die Arbeitsverhältnisse der in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter. Ebenfalls mit Schreiben vom 10.09.2020 sprach die Beklagte zu 2) nach Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf (Blatt 172 ff. der Akte
Mit seiner im Oktober 2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und mit am xx.11.2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung erweiterten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigungen der Beklagten zu 1) vom 10.09. und 02.11.2020 gewandt. Mit einer ebenfalls im Oktober 2020 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und der Beklagten zu 2) am xx.10.2020 zugestellten sowie gleichfalls mit am xx.11.2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung erweiterten Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigungen der Beklagten zu 2) vom 10.09. und 02.11.2020 gewandt (-
[1]A.
[2]Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus Art. 66 Abs. 1, 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EUGVVO). Es handelt sich bei den arbeitsgerichtlichen Klagen um zivilrechtliche Streitigkeiten iSv. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EUGVVO (BAG 07.05.2020 -
[3]B.
[4]Die Berufungen des Klägers sind zulässig, insbesondere bereits vor der Verbindung der Rechtsstreite unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Gleichfalls zulässig, weil form- und fristgerecht innerhalb der Berufungserwiderungsfrist eingelegt und begründet worden sind die Anschlussberufungen beider Beklagten.
[5]C.
[6]Die nach der Verbindung nunmehr einheitliche Berufung ist auch in der Sache begründet, wohingegen die Anschlussberufungen unbegründet sind. Die zulässigen und form- und fristgerecht im Sinne der §§ 13, 4, 7 KSchG erhobenen Klagen sind insgesamt begründet, weil die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 02.11.2020 mangels hinreichenden Kündigungsgrundes und die ordentlichen Kündigungen vom 10.09.2020 mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam sind.
[7]1. Auf die Arbeitsverhältnisse des Klägers zu den Beklagten findet aufgrund der von ihnen getroffenen Rechtswahl gemäß Art. 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) deutsches Recht Anwendung. Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO folgen die Regelungen über das Erlöschen von Verpflichtungen aus einem Vertrag und somit auch das Recht seiner Kündigung einschließlich des allgemeinen Kündigungsschutzes grundsätzlich dem Recht des Staates, das auf den Arbeitsvertrag Anwendung findet (BAG 24.08.1989 -
[8]Im Eckpunktepapier haben der Kläger und die Beklagte zu 1) Anfang Juli 2020 die in ihrem ursprünglichen Arbeitsvertrag vereinbarte Anwendung österreichischen Rechts zugunsten des deutschen Rechts derogiert. Im Eckpunktepapier ist u. a. vereinbart, dass die Beklagte zu 1) ab dem 01.07.2020 das deutsche Arbeitsrecht auf alle ihre in Deutschland direkt angestellten Piloten anwendet. Zudem wurde in den Anfang Juli 2020 zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) gewechselten E-Mails vereinbart, dass das Eckpunktepapier ab dem 01.07.2020 die bisherigen Bedingungen und Konditionen ersetzt bzw. an deren Stelle tritt. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO gestattet es den Parteien, eine einmal getroffene Rechtswahl jederzeit wieder abzuändern (MüKoBGB/Martiny, 8. Aufl. 2021, Rom I-VO Art. 3 RN 77; BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 RN 202). Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit dieser ändernden Rechtswahlvereinbarung auf der Grundlage des gewählten deutschen Rechts (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO iVm. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; s.a. BeckOGK/Wendland, Stand 01.09.2021, Rom I-VO Art. 3 RN 209) bestehen nicht, wobei im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers in Deutschland davon gemäß Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO keine Abweichung veranlasst ist. Das deutsche Recht sieht im Übrigen für abändernde Rechtswahlklauseln keine Form vor (BGH 22.01.1997 -
[9]Auch die Wirksamkeit der Kündigungen der Beklagten zu 2) beurteilt sich nach deutschem Recht. Insoweit gilt im Ergebnis nichts anderes als für die Kündigungen der Beklagten zu 1). Der Kläger und die Beklagte zu 2) haben auf der Grundlage des Schreibens vom 20.08.2020 ein Arbeitsverhältnis zu denselben Bedingungen und Konditionen vereinbart, wie sie in dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1) bestanden. Dazu gehört auch die im Eckpunktepapier getroffene Rechtswahl. Demgemäß gilt deutsches Recht auch im Verhältnis des Klägers zur Beklagten zu 2).
[10]Unabhängig von Vorstehendem gehen die Parteien in beiden Tatsacheninstanzen in den von ihnen angeführten Rechtsgrundlagen übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts aus (vgl. zu einer - gemäß Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO auch nachträglich möglichen - Rechtswahl BGH 19.01.2000 -
[11]2. ...