Durch die ausdrückliche Verpflichtung auch von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland zur Zahlung des Mindestlohns hat § 20 MiLoG international zwingende Wirkung und ist jedenfalls eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob im Übrigen deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. [LS der Redaktion]
Die Parteien streiten über Differenzvergütung nach dem Mindestlohngesetz für den Zeitraum Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015. Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Bulgarien. Sie schloss mit der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien, unter dem 8.4.2015 einen in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag über Pflegeleistungen. Unter dem 15.4.2015 unterschrieb die Klägerin eine „Erklärung“, wonach sie unter anderem zur Kenntnis genommen habe, dass ihre „Netto-Endvergütung“ für einen vollen Monat ... Euro betrage. Des Weiteren unterzeichnete sie am selben Tag eine „Vereinbarung“, wonach sie einverstanden sei, an einem 6-Stunden-Arbeitstag mit einer täglichen Ruhezeit von 60 Minuten und einer wöchentlichen Ruhezeit von 2 Arbeitstagen - Samstag und Sonntag - zu arbeiten sowie keine Überstunden zu machen. Die Klägerin wurde nach Berlin entsandt und arbeitete im Haushalt der über 90-jährigen zu betreuenden Person, bei der sie auch ein Zimmer bewohnte. Ihre Aufgaben umfassten neben Haushaltstätigkeiten eine „Grundversorgung“ (wie Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden ua.) und soziale Aufgaben. Vom 15. bis zum 30.4.2015 und vom 1. bis zum 30.9.2015 hielt sich die Klägerin in Absprache mit der Beklagten in Bulgarien auf und erhielt für diese Zeit weder Vergütung noch Urlaubsentgelt. Während ihrer Abwesenheit im September 2015 wurde sie bei der zu betreuenden Person von einer ebenfalls aus Bulgarien entsandten Arbeitnehmerin der Beklagten, die zu dieser Zeit mit einem Deputat von 35 Wochenstunden beschäftigt war, vertreten. Für geleistete Arbeit in den Monaten Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 erhielt die Klägerin eine Vergütung von ... Euro netto monatlich sowie weitere ... Euro netto für zwei Feiertage im Dezember 2015. Auf eine Nachfrage des Sohns der zu betreuenden Person teilte die Beklagte diesem mit Schreiben vom 6.7.2016 mit, „der Arbeitnehmer verfügt über einen freien Tag in der Woche“, wobei dies „ein ganzer Tag“ oder „stundenweise durch die ganze Woche verteilt“ sein könne, je nach Kundenbedarf und gegenseitiger Absprache mit dem Assistenten. Nachdem das Arbeitsverhältnis der Parteien Ende September 2016 endete, hat die Klägerin mit gewerkschaftlicher Hilfe im Oktober 2016 gegenüber der Beklagten, der Deutschen S und dem Sohn der zu betreuenden Person erfolglos weitere Vergütung nach dem Mindestlohngesetz geltend gemacht.
Mit Klage hat die Klägerin Urlaubsentgelt für die Zeit vom 15. bis zum 30. April 2015 und Vergütung für geleistete Arbeit für den Zeitraum 1. Mai bis zum 31. August 2015 und 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohns verlangt. Sie hat vorgetragen, nicht nur 30 Wochenstunden, sondern rund um die Uhr gearbeitet zu haben oder in Bereitschaft gewesen zu sein. Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Urlaubsentgelt abgewiesen und der Klägerin Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit ausgehend von einer Arbeitszeit von 24 Stunden arbeitstäglich und 209 Arbeitstagen zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Ersturteil teilweise abgeändert und der Klage - ausgehend von einer geschätzten Arbeitszeit von 21 Stunden arbeitstäglich und 215 Arbeitstagen - entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter, während die Klägerin mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
[13] Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin sind begründet und führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
[14] I. ... [15] 1. ... [16] 2. ... [17] II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Unbeschadet einer Korrektur des Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO tragen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Höhe der zugesprochenen Klageforderung nicht.
[18] 1. Für die Klage sind die deutschen Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 15 Satz 1 AEntG international zuständig. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Insoweit hat die Revision auch keine Angriffe erhoben.
[19] a) Nach § 15 Satz 1 AEntG können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes entsandt sind oder waren, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Erfüllung der Verpflichtungen nach § 2 AEntG vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin war im Streitzeitraum von der in Bulgarien ansässigen Beklagten nach Berlin, also in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, zur vorübergehenden Arbeitsleistung entsandt. Das steht zwischen den Parteien außer Streit. Die Klage bezieht sich auf die Erfüllung der Verpflichtung der Beklagten nach § 2 Nr. 1 AEntG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (AEntG aF). Danach finden die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über die Mindestentgeltsätze einschließlich der Überstundensätze auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. Zu den Mindestentgeltsätzen iSd. § 2 Nr. 1 AEntG aF gehörte seit dem 1. Januar 2015 auch der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (so ausdrücklich Regierungsbegründung zu § 20 MiLoG, BT-Drs. 18/1558 S. 42; allgA, vgl. nur ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 20 Rn. 1; HWK/Tillmanns 9. Aufl. § 2 AEntG Rn. 5; Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 4; Thüsing in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 2 AEntG Rn. 7 - jeweils mwN).
[20] b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit in derartigen Fällen ist gegeben. Art. 6 Richtlinie 96/71/EG (Entsende-Richtlinie) sieht ausdrücklich vor, dass Klagen wie die vorliegende (auch) in dem Mitgliedstaat erhoben werden können, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt ist oder war (zu dem in Art. 2 Abs. 1 Richtlinie 96/71/EG definierten unionsrechtlichen Begriff der Entsendung vgl. etwa EuGH 1. Dezember 2020 - C-815/18 - [Federatie Nederlandse Vakbeweging] Rn. 43 ff. mwN). Dahinstehen kann deshalb, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat, ob sich die Zuständigkeit deutscher Gerichte auch aus Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-Verordnung) ergäbe, weil die Klägerin während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten ihre Arbeit gewöhnlich in Berlin verrichtet hat.
[21] 2. ... [22] 3. Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG für die von ihr im Inland geleistete Arbeit Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns.
[23] a) Der Anspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 1 MiLoG und die korrespondierende Verpflichtung der Beklagten nach § 20 MiLoG bestehen unabhängig davon, ob auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ansonsten nach der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO) aufgrund Rechtswahl im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO oder anhand objektiver Anknüpfung iSd. Art. 8 Abs. 2 bis Abs. 4 Rom I-VO bulgarisches Recht Anwendung findet. Durch die ausdrückliche Verpflichtung auch von Arbeitgebern mit Sitz im Ausland zur Zahlung des Mindestlohns hat § 20 MiLoG international zwingende Wirkung (Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 4) und ist jedenfalls eine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig davon gilt, ob im Übrigen deutsches Recht auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet (ganz hM, vgl. nur Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 20 Rn. 5; Bayreuther in Thüsing MiLoG/AEntG 2. Aufl. § 1 MiLoG Rn. 67; HK-MiLoG/Schubert 2. Aufl. § 20 Rn. 2; Schaub ArbR-HdB/Vogelsang 18. Aufl. § 66 Rn. 21; ErfK/Franzen 21. Aufl. MiLoG § 20 Rn. 1; HWK/Sittard 9. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 2; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 1; MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. § 61 Rn. 10; FG Berlin-Brandenburg 16. Januar 2019 -
[24] aa) Eingriffsnormen sind zwingende Vorschriften, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrnehmung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie auf alle in Betracht kommenden Sachverhalte angewendet werden müssen. Erforderlich ist, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden (BAG 21. März 2017 -
[25] bb) Ein solches Verständnis des § 20 MiLoG gebietet zudem Art. 3 Abs. 1 RL 96/71/EG. Dieser sieht vor, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass entsandte Arbeitnehmer unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht hinsichtlich der in dieser Vorschrift aufgeführten Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantiert erhalten, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird, festgelegt sind (vgl. EuGH 12. Februar 2015 - C-396/13 - [Sähköalojen ammattiliitto] Rn. 29; HWK/Sittard 9. Aufl. § 20 MiLoG Rn. 2).
[26] b) ...